07.09.2010: Gestern wurde bekannt, dass im Krieg der USA/Nato in Afghanistan in diesem Jahr bereits über 500 Soldaten getötet wurden. Das sind schon jetzt genauso viele Opfer der Besatzungstruppen, wie im ganzen Jahr 2009, als 512 Soldaten ums Leben kamen. Und nie seit der Besetzung Afghanistans 2001 waren die Verluste der ausländischen Truppen so hoch. Gleichzeitig verlautete ebenfalls am gestrigen Montag, dass US-General David Petraeus in der vergangenen Woche die Nato um eine weitere Truppenerhöhung um 2.000 Mann ersucht habe, 750 dieser Soldaten seien für die Ausbildung der afghanischen Sicherheitskräfte vorgesehen. Verständlich, dass es Petraeus in einer solchen Situation überhaupt nicht gefällt, wenn ihm von ganz anderer Seite Brandsätze zwischen die Beine geworfen werden.
Ganz in der geistigen Tradition der Bush-Regierung, die 2001 nach den Terrorangriffen auf das World-Trade-Center am 11. September den 'Nato-Verteidigungsfall' gegenüber Afghanistan konstruierte, hatte eine kleine christlich-fundamentalistische Gruppierung in Florida sich den "Kampf gegen den Islam" auf ihre Fahnen geschrieben. Dazu gehörten Aktionen wie die Verbreitung der Hetzparole "Islam is of the devil" (Der Islam kommt vom Teufel), nicht nur auf Schildern vor dem Kirchengebäude dieser religiösen Sekte im Orte Gainesville, sondern auch als Aufdruck auf Oberhemden, mit denen Kinder von Mitgliedern des 'Dove World Outreach Centers' in die Schule und in die Öffentlichkeit geschickt wurden.
Eine neuerlich vom Pastors der Fundamentalisten-Kirche, Terry Jones, angekündigte Aktion soll nun darin bestehen, am diesjährigen 11. September vor der Kirche der Sekte in Gainesville mehrere Exemplare des Korans zu verbrennen. Schon die Reaktionen der örtlichen Behörden auf diese Pläne sind bemerkenswert. Denn bisher hat sie nach Presseberichten lediglich die Ansicht bekundet, dass die Verbrennung des Korans gegen Sicherheitsvorschriften bei offenen Feuern verstoße und deswegen nicht erlaubt sei. Pastor Terry Jones und seine Gesinnungsfreunde zeigten sich davon unbeeindruckt: die Planungen würden weitergehen und umgesetzt. Die Sprecherin der Fundamentalisten, Stephanie Sapp, wies darauf hin, dass bisher weder vom Pentagon noch von einer anderen Bundesbehörde Einwände gegen die Koranverbrennung vorgebracht worden seien.
Obwohl die Gruppe der fundamentalistischen Hetzer gegen den Islam als Ganzes um Pastor Jones nur etwa 50 Mitglieder umfasst, erregt sie mit der geplanten Aktion bereits weltweit die Gemüter, stachelt anti-islamistische Ressentiments an und löst entsprechende Gegenreaktionen von Muslimen aus. Bereits im August kam es in Indonesien zu heftigen Protesten, wo hunderte Muslime vor der US-Botschaft demonstrierten und mit einem "Heiligen Krieg" drohten, sollte die Aktion in Gainesville nicht abgeblasen werden. Am Wochenende kam es in Kabul aus gleichem Anlass zu einer Protestdemonstration, wie ein von Reuters bereit gestelltes Video im Wall Street Journal Video Center (Suchbegriff: Afghans Protest Koran Burning) zeigt. Und dabei wird es sicher nicht bleiben, wenn die volksverhetzende Aktion der anti-Islamisten an diesem Samstag stattfinden sollte. Westlichen Ausländern in Afghanistan wurde bereits geraten, Gaststätten und öffentliche Plätze möglichst zu meiden.
Das amerikanische Militär in Afghanistan sorgt sich denn auch vor allem um eventuelle Protestaktionen und verstärkte Spannungen zwischen den Besatzern und den afghanischen politischen und militärischen Kräften. Wie empfindlich Muslime auf die schamlos herabsetzenden Angriffe auf ihre Religion und den Koran reagieren haben z.B. der Vorfall der Verunglimpfung des Korans im irakischen Gefängnis Abu-Ghraib oder die anti-islamischen Karikaturen in Dänemarks Presse vor einigen Jahren gezeigt. In Afghanistan lösten schon kleinere Vorkommnisse heftige Spannungen zwischen Besatzertruppen und Afghanen aus. Als in diesem Jahr einem amerikanischer Offizier bei der Inspektion von Unterkünften afghanischer Soldaten in Ausbildung ein Koranbuch unabsichtlich zu Boden fiel, gab es trotz sofortiger Entschuldigung solche Unruhe und Aufruhr im Lager, dass an diesem Tag keine Ausbildung mehr durchgeführt werden konnte.
Dies ist der Hintergrund und Anlass für einen ungewöhnlichen Schritt vom Oberbefehlshaber Petraeus in Afghanistan, der Anfang der Woche öffentlich in einem Interview auf die Gefährdung (vor allem) der amerikanischen Soldaten der Besatzertruppen in Afghanistan hinwies, falls die Koranverbrennungen in Gainesville stattfinden sollten. Erfahrungsgemäß auch eines der Argumente, welches für die herrschenden Kreise der USA immer zählt. Petraeus sieht die Gefahr, dass die "Taliban die Aktion für Propagandazwecke ausnutzen, Zorn gegen die US-Truppen erzeugt und die Aufgabe der alliierten Truppe, Zivilisten zu schützen, wesentlich erschwert wird." Kein Wort - soweit bekannt - zu dem volksverhetzenden und verlogenen anti-islamischen Inhalt der Aktion 'Burn a Koran Day' und den fundamentalistischen Aktivitäten des 'Dove World Outreach Centers'. Das ist durchaus nicht nur Zurückhaltung eines Militärs in politischen Fragen. So hat der Petraeus untergebene Generalleutnant Caldwell gestern darauf hingewiesen, dass es selbstverständlich nicht darum ginge, die Redefreiheit und Meinungsäußerungen der Mitglieder des 'Dove World Outreach Centers' nur im geringsten einzuschränken. Es ginge allein um "die Gefährdung der in Afghanistan dienenden Männer und Frauen."
Schande über ein Rechtssystem und eine herrschende Klasse, die nicht gewillt ist, religiös-fundamentalistische Volksverhetzung zu unterbinden, sie aber gerne für die reaktionäre Mobilisierung der eigenen Kriege und Aggressionen ausnutzt.
Text: hth / Foto: Fundamentalistenführer T. Jones