19.10.2018: Gericht folgt Politik des faschistischen Innenministers Salvini und verbannt Bürgermeister von Riace ++ Mimmo Lucano: Sie wollen das Modell Riace vernichten ++ Netzwerk der Partnerkommunen: große nationale Demonstration gegen Rassimus und für Verteidigung der Demokratie organisieren, bevor es zu spät ist!
Am 2. Oktober wurde der Bürgermeister des kalabrischen Ortes Riace, Dominico Lucano, verhaftet. Er bekam Hausarrest und durfte sein Haus nicht mehr verlassen. Der Vorwurf: Beihilfe zur illegalen Einwanderung und Missbrauch öffentlicher Gelder, weil er die kommunale Müllabfuhr ohne Ausschreibung an zwei örtliche Genossenschaften vergeben hatte.
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Lucano klagte. Am Dienstag (16.10.) hob das Überprüfungsgericht in Locri den Hausarrest auf - und verbannte den Bürgermeister und seine Frau aus dem Ort. Dominico Lucano, im Dorf "Mimmo" genannt, darf Riace nicht mehr betreten. Wie es heißt, begründet das Gericht die Verbannung damit, dass Lucano daran gehindert werden solle, die ihm vorgeworfenen "Verbrechen" erneut zu begehen.
"Ich bereue nicht, was ich getan habe"
"Bin ich ein Verbrecher?", fragte Lucano nach Bekanntgabe des Urteils. "Das alles erscheint mir absurd. Ich befürchte, dass all dies zu einer politischen Auseinandersetzung geworden ist, dass jetzt die Verpflichtung besteht, mich zu vernichten. Ich bereue nicht, was ich getan habe, obwohl ich jetzt praktisch ins Exil getrieben bin. Vielleicht war es falsch, als ich sagte, dass wir das Riace-System auch ohne staatliche Mittel am Leben erhalten werden."
Nachdem Innenminister Salvini im August dafür gesorgt hatte, dass die öffentlichen Mittel aus dem Asylprogramm SPRAR (für jeden Geflüchteten erhalten die Betreuungsorganisationen während der Dauer des Asylverfahrens 35.- EUR pro Tag) für Riace gesperrt wurden, kündigte Lucano an, dass "das Riace-Modell auch ohne öffentliche Mittel fortgesetzt" und damit zu "seinen Ursprüngen zurückkehren" werde. Denn zu Beginn hatte Riace ohne öffentliche Mittel und nur gestützt auf die Solidarität das "Dorf der Willkommenskultur" aufgebaut.
Für das Netzwerk der Verbände, Organisationen und Personen, die Mimmo Lucano und "sein" Riace unterstützen, liegen Motiv und Initiator der Kampagne auf der Hand: "Mimmo Lucano steht im Zentrum einer diffamierenden und lügenhaften politischen Kampagne, die Riace trifft, um die solidarische Aufnahme von Flüchtlingen und die Idee eines Europas der Völker und eines pluralen Mittelmeerraumes zu begraben."
Hinter der Kampagne steht der faschistische Innenminister Matteo Salvini (Lega), der das "Modell Riace" ausradieren will, bevor es in anderen Kommunen nachgemacht wird. Erst kürzlich kündigte er die Zwangsdeportation der Migrant*innen aus Riace und ihre Verlegung in Lager an.
Musterdorf Riace
Lucano hat in Riace Hunderte Migrant*innen aufgenommen. Die Kleinstadt war, wie fast alle Dörfer in der strukturschwachen Region Kalabriens, dem Untergang geweiht. Von einst 3.000 Einwohnern waren lediglich 800 verblieben. Die Flüchtlinge bekamen eine Wohnung in den leerstehenden Häusern, Ausbildung und Betreuung. Im Gegenzug renovierten sie die verfallenen Häuser, brachten die verwilderten Weinberge und Olivenhaine wieder in Schuss. Nach Riace kehrte das Leben zurück, eine Grundschule wurde wieder eröffnet. Riace galt deshalb international als Symbol für Toleranz und als Beispiel für andere Städte und Dörfer; selbst Mailand zeigte sich erst kürzlich interessiert an den Erfahrungen Riaces. Für Innenminister Salvini von der rassistischen Lega eine inakzeptable Herausforderung. (siehe auch: Bürgermeister in Italien verhaftet - "Schritt zu einem autoritären Staat")
Bürgermeister im Exil
Am Mittwoch (17.10.) gegen 6 Uhr morgens verließ Mimmo Lucano Riace; er ist jetzt der "im Exil lebende" Bürgermeister. Sein Aufenthaltsort ist noch nicht bekannt.
Sein Verteidigungsteam hat bereits in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch mitgeteilt, dass eine Beschwerde gegen Lucanos "Exil" so schnell wie möglich beim Obersten Gerichtshof eingereicht wird, aber auf eine Entscheidung muss mindestens ein Monat gewartet werden. In der Zwischenzeit muss Lucano eine alternative Unterkunft finden.
Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, und Luigi De Magistris, Bürgermeister von Neapel, schickten sofort eine Einladung an Mimmo Lucano. "Lieber Mimmo", twitterter De Magistris, "ich weiß, dass du dein und unser geliebtes Kalabrien nicht verlassen wirst, aber wenn du willst, begrüßen wir dich mit Liebe in Neapel". Die Erfahrung von Riace und die Kultur der Aufnahme und des solidarischen Zusammenlebens, die Lucano und Riace repräsentieren, müssten fortgesetzt und gestärkt werden, so die Beiden.
"Sie haben dich in ein offenes Gefängnis gesteckt, weil du das Leben eines Mädchens gerettet hast, das sonst lebendig verbrannt worden wäre, sie haben dich isoliert und ausgeschaltet, als wärst du der schlimmste der Mafioso, als wärst du einer von denen, die dem Staat 49 Millionen Euro gestohlen haben, als wärst du ein Steuerhinterzieher. |
Solidarität mit Mimmo und Riace. Demokratie verteidigen, bevor es zu spät ist!
Das Netzwerk der Solidarität mit Riace wurde nach der Streichung der staatlichen Mittel und erst recht nach der Verhaftung Lucanos am 2. Oktober noch umfassender und geschlossener.
Am Samstag, den 6. Oktober, demonstrierten mehr als 6.000 Menschen vor dem Haus des Bürgermeisters, um ihre Solidarität zu zeigen und um seine Freilassung zu fordern. (Video unten) Hunderte von Politikern, Künstlern, Aktivisten und Gewerkschaftern kamen nach Riace, um ihn zu treffen und ihre Solidarität zu zeigen.
Das Netzwerk der Partnerkommunen von Riace ruft jetzt auf, eine "große nationale Demonstration gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, zur Verteidigung des Riace-Modells, aber auch der Demokratie" zu organisieren. Der Rassismus dringe immer tiefer in öffentliche Institutionen ein; Angriffe auf Migrant*innen häuften sich, "die fast niemand mehr verurteilt" und die meisten Kräfte der Opposition würden dazu schweigen, heißt es in dem Aufruf.
"Andernfalls kann es zu spät sein!"
"All dies umreißt einen Rahmen, in dem nicht nur Modelle der Aufnahme und der damit verbundenen politischen Debatte auf dem Spiel stehen, sondern auch das Wesen einer echten demokratischen Praxis. Kurz gesagt, es geht sowohl für die Migrant*innen wie auch für die Italiener*innen um die Werte einer Gesellschaft, die als »zivil und demokratisch« definiert werden können; um die Werte, die wir als selbstverständlich betrachten und die in unserer Verfassung nach der endgültigen Niederlage früherer tragischer Modelle beschlossen wurden." Als Konsequenz wird die Unvereinbarkeit der Positionen und Handlungen Salvinis mit der Funktion eines Innenministers festgestellt.
"Aus diesem Grund werden wir in alle Richtungen handeln und - in einer pluralistischen, offenen und beispiellosen Weise - alle dazu aufrufen, in verschiedenen Formen zu mobilisieren", heißt es weiter in dem Aufruf des Netzwerkes der Partnerstädte. Es "bessere Italien" müsse jetzt entschieden handeln. "Andernfalls kann es zu spät sein!"
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