14.06.2018: Italiens Innenminister Matteo Salvini gibt Aufschlag zu einer neuen Runde rassistischer Flüchtlingsabwehr ++ Sebastian Kurz (Österreich), Horst Seehofer und Markus Söder wollen nicht hinter Salvini zurückstehen ++ Söder: "Asyltourismus beenden" ++ Welle der Solidarität mit Migrant*innen in Italien: "Auf Ihre Unmenschlichkeit antworten wir mit unserer Solidarität"
Erstmals hat Italien unter der neuen Regierung von rechtsextremer Lega und der 5-Sterne-Bewegung (M5S) einer Hilfsorganisation die Einfahrt in einen Hafen verweigert. Tagelang hing die Rettung von 629 Flüchtlingen, darunter 123 unbegleitete Jugendliche, 11 Kinder und 7 schwangere Frauen, in der Luft. Sie hatten das rettende Italien schon vor Augen und Libyen mit seinen "KZ-ähnlichen" Flüchtlingslagern (Auswärtiges Amt) und Sklavenmärkten im Rücken, als vom neuen italienischen Innenminister Matteo Salvini (Lega) die Order kam, dass die italienischen Häfen für das Schiff »Aquarius« der Organisationen SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen gesperrt sind.
Salvini erklärte: "Seit heute sagt Italien auch NEIN zum Menschenhandel, NEIN zur illegalen Einwanderung" und setzte demagogisch hinzu: "Mein Ziel ist es, diesen jungen Menschen in Afrika und unseren Kindern in Italien ein friedliches Leben zu ermöglichen."
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Salvini hatte bereits im Wahlkampf gegen Migrant*innen gehetzt und nach seiner Vereidigung angekündigt, dass jetzt die »Illegalen« abgeschoben werden. Bei seiner Aktion gegen »Aquarius« nutzt er die Enttäuschung und den Ärger vieler Italiener*innen über die EU und die anderen europäischen Länder, die sich hinter der »Dublin-Vereinbarung« verstecken und Italien und die anderen EU-Mittelmeerländer mit dem Problem der Flüchtlinge alleine lassen. Aber "man kann das Leben von 600 Menschen nicht dazu nutzen, ein europäisches Abkommen zu ändern", kritisiert Anci Antonio Decaro, Bürgermeister von Bari, den italienischen Innenminister.
"Ein Faschist, der Krieg gegen die Zivilisation führt. … Das Problem liegt in dem Konsens, den er hat, aber man kann nicht für ihn stimmen und ihn dann skandalisieren. ..." Yanis Varoufakis |
Für die Flüchtlinge öffnete sich ein Weg der Rettung, als die neue spanische Regierung von Pedro Sánchez (Sozialistische Partei PSOE) am Montag erklärte, dass Spanien die Flüchtlinge aufnimmt. Jetzt ist »Aquarius«, begleitet von zwei Booten der italienischen Küstenwache, auf dem Weg nach Valencia.
Doch die politischen Konsequenzen sind noch nicht absehbar – weder für Italien noch für Europa.
"Achse der Willigen" - zur Zerschlagung des Flüchtlingsschutzes
Mit der spektakulären Aktion gegen die »Aquarius« hat sich Lega-Chef Salvini zur Nummer Eins der italienischen Regierung und zur neuen, starken Stimme für Europas Rechte gemacht - und einen Wettlauf unter den Rechten ausgelöst, wer am schnellsten und effektivsten die letzten Reste des Schutzes von Flüchtlingen beseitigt.
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und Bundesinnenminister Horst Seehofer betonten bei ihrem Treffen anlässlich des Berlinbesuches von Kurz, dass sie die EU-Außengrenzen vor Migrant*innen schützen wollen. Sebastian Kurz spricht dabei von der "Achse der Willigen", die von Berlin über Wien und Budapest bis nach Rom reicht. Diese "Achse der Menschenfeindlichkeit" hat sich das Ziel gesetzt, dem Flüchtlingsschutz in Europa endgültig den Garaus zu machen.
Vor allem Seehofer und Söder wollen hinter Salvini nicht zurückstehen. Der bayerische Ministerpräsident Söder (CSU) ruft zum offenen Rechtsbruch auf, wenn er ankündigt europäische Regelungen zu unterlaufen.
Innenminister und CSU-Chef Horst Seehofer will Flüchtlinge bereits an der Grenze zurückweisen, und will dies offenbar im Alleingang gegen die Kanzlerin wagen. Sollte es keine Einigung geben – Merkel lehnt den Vorstoß Seehofers bisher ab -, werde er notfalls per Ministerentscheid handeln und dazu am Montag den Auftrag des CSU-Vorstandes einholen, machte Seehofer vor der CSU-Führung deutlich.
Unterstützung erhält Seehofer vom Dreigespann Alexander Dobrindt (CSU-Landesgruppenchef), CDU-Gesundheitsminister Spahn und FDP-Chef Christian Lindner.
Von Mailand bis Palermo: Öffnet die Häfen – Rettet die Menschen!
In Italien halten die Proteste gegen die menschenfeindliche Politik Salvinis an.
Die Bürgermeister zahlreicher italienischer Hafenstädte stellen sich gegen Salvini: "Unsere Häfen sind offen. Salvini ist herzlos und verstößt gegen die Regeln."
Zuerst hatten die Bürgermeister von Neapel und Palermo, Luigi De Magistris und Leoluca Orlando, ihre Bereitschaft erklärt, das Schiff »Aquarius« mit mehr als 600 Migrant*innen an Bord aufzunehmen.
Luigi De Magistris rief auf, die Häfen zu öffnen: "Für uns Menschen hat das Leben weiterhin einen absoluten Wert, ohne Unterscheidung der Hautfarbe."
"Wenn ein Minister ohne Herz schwangere Frauen, Kinder, ältere Menschen und Menschen auf See sterben lässt, ist der Hafen von Neapel bereit, sie aufzunehmen. Wir sind Menschen, mit einem großen Herzen. Neapel ist bereit, ohne Geld Leben zu retten". Luigi De Magistris, Bürgermeister von Neapel |
Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo, erklärte: Palermo ist bereit, alle Schiffe aufzunehmen, die Leben retten."
"Ich bin bereit, alle Schiffe willkommen zu heißen, die Menschenleben retten. … Wer gegen das Völkerrecht verstößt, das der Rettung von Menschenleben Priorität einräumt, ist der italienische Innenminister, der den kulturellen Charakter der rechtsextremen Lega Nord wieder unter Beweis gestellt hat. Palermo ist »rassistisch«, weil wir glauben, dass es nur eine Rasse gibt, die menschliche Rasse. Wer das nicht versteht, ist ein Nazi-Verbrecher. Wir werden die Regierung verurteilen, wenn ihr Verhalten weiterhin so sein sollte. Palermo ist bereit, alle Schiffe aufzunehmen, die Leben retten." Leoluca Orlando, Bürgermeister von Palermo |
Giuseppe Falcomatà (Reggio Calabria): "Wir stehen wie immer hilfsbedürftigen Frauen, Männern und Kindern zur Verfügung. Unser Herz ist groß. Größer als bei denjenigen, die ohne einen Funken Menschlichkeit spekulieren wollen."
Giacomo Tranchida (Trapani): "Wir stehen zur Verfügung, um das Schiff Aquarius willkommen zu heißen, und wir sind bereit, uns jedem zukünftigen Notfall bezüglich Migranten und Rettungen auf See zu stellen. Trapani ist ein Tor und Hafen des Mittelmeeres, es wird nicht Salvini sein, der unsere Geschichte bestimmt."
Rinaldo Melucci (Taranto): "Ich bin bereit, jedes Leben in Gefahr aufzunehmen, ohne Wenn und Aber. Auf See gibt es internationale Gesetze und Regeln, die nicht mit einer einfachen internen Notiz aufgehoben werden können."
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Renato Accorinti (Messina): "Wir dürfen die universellen Menschenrechte und die Gesetze der Seefahrt nicht aus dem Auge verlieren, in denen der Mensch unabhängig von der Hautfarbe und dem Herkunftsland unantastbar ist. Es ist eine vorrangige Aufgabe, Menschen willkommen zu heißen, und eine entmenschlichende Politik beantworten wir mit einer Politik der Rechte und Werte der Menschen. Aus diesem Grund erklärt die Verwaltung von Accorinti trotz des Diktats von Minister Salvini ihre sofortige Einsatzbereitschaft, damit das Schiff Aquarius am Hafen der Stadt anlegen kann."
Bis heute hält die Welle der Demonstrationen an. In Rom, Palermo, Bologna, Cagliari, Turin, Florenz, Genua, Ancona, Lecce, verschiedene Städte in Kalabrien, Neapel, Livorno und Forlì - um nur einige zu nennen – heißt es "Wir sind mit »Aquarius« - Öffnet die Häfen – Rettet die Menschen".
In Mailand, wo vor einem Jahr 100.000 unter dem Motto "Nein zum Rassismus, ja zur Aufnahme" demonstrierten, waren wieder Tausende auf der zentralen Piazza Scala und ergänzten die alte Losung um "Öffnet die Häfen, kein Mensch ist illegal".
"Mit Lega und M5S an der Regierung verwandelt sich unser Land in eine große Kanalisation, in der anstelle von niedlichen kleinen Mäusen schmutzige, rassistische, nazifaschistische, widerwärtige , von Salvini geführte Ratten leben! Valentina auf Facebook |
In Bari griff der Bürgermeister Anci Antonio Decaro auf einer Kundgebung den Innenminister an. "Der Hafen von Bari ist seit Jahrhunderten geöffnet", sagte er. "Er war 1991 für die Ankunft der Albaner*innen geöffnet und wird immer offen sein, weil dies eine einladende Stadt ist. Man kann das Leben von 600 Menschen nicht dazu nutzen, ein europäisches Abkommen zu ändern, man kann nicht seine Stimme erheben und auf 600 Menschen herabblicken, die auf See sterben können, man kann die Tür nicht vor Kindern und denen, die vor Krieg und Hunger fliehen, schließen. Ich habe den anderen Bürgermeistern bereits gesagt: Ein Bürgermeister kann Wahlen verlieren, aber nicht die Menschlichkeit."
"Auf Ihre Unmenschlichkeit antworten wir mit unserer Solidarität"
Gestern kam im Hafen von Catania das Schiff »Diciotti« der italienischen Küstenwache mit 937 Flüchtlingen an Bord an, für das das italienische Innenministerium die Landung auf italienischem Boden erlaubt hat. Damit wird die Linie der italienischen Regierung deutlich: für Militärschiffe sind die Häfen offen, für NGOs sind sie geschlossen. Der Hilfsarbeit der NGOs soll auf diese Weise ein Ende bereitet werden.
Die Kriminalisierung von Seenotrettung und der Solidarität mit Menschen auf der Flucht wurde bereits Ende April vom oberste Gericht in Italien offiziell. Am 24. April bestätigte es die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Boot »Iuventa« von »Jugend rettet« zu beschlagnahmen. Seit knapp einem Jahr liegt das Boot in einem sizilianischen Hafen fest. Der Vorwurf, der jedoch von Experten widerlegt wurde: Die deutschen Seenotretter*innen hätten mit Schleppern kooperiert.
Die europäischen Staaten haben tausende Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen. Organisationen wie Jugend Rettet e.V. sind dagegen unermüdlich im Einsatz um Leben zu retten. Dem will Salvini ein Ende bereiten.
Potere al Popolo war am Hafen, als die »Diciotti« ankam:
WILLKOMMENE FLÜCHTLINGE. ÖFFNEN WIR DIE TÜREN ZUM EMPFANG.
Heute kam das Schiff Diciotti im Hafen von Catania an, mit 932 Migranten an Bord, darunter 200 Minderjährige, die meisten ohne Begleitung und leider auch zwei Leichen, ein Mann und eine Frau, die die Überfahrt nicht überlebten.
Während unser Innenminister es genoss, mit dem Schiff Aquarius zu «spielen«, um es für reine Propaganda mitten im Mittelmeer zu halten, sich mit dem Blut derer zu beflecken, die weiterhin auf See sterben, mussten andere Leben gerettet werden, andere Frauen und Männer versuchten, vor Krieg, Hunger und Terror zu fliehen, andere Menschen mussten begrüßt werden.
Zusammen mit einigen Verbänden und Freiwilligen des Territoriums haben wir beschlossen, unsere Solidarität zu zeigen, dass es in diesem Klima der Diskriminierung und des Hasses einen großen Teil des Landes gibt, der behauptet, menschlich und einladend zu bleiben.
Auf Ihre Unmenschlichkeit antworten wir mit unserer Solidarität.
foto oben: Tamer Yazar, Twitter, 30.8.2016