31.05.2018: Der Präsident der Italienischen Republik verhindert Regierungsbildung von rechtsextremer Lega und M5S ++ Begründung: vorgeschlagener Finanzminister würde die Finanzmärkte verunsichern ++ Rifondazione Comunista: Europäische Zentralbank will Italien erpressen ++ Maurizio Acerbo (PRC): Ich würde Salvini wegen Aufstachelung zum Rassenhass ins Gefängnis schicken, aber die Drohungen gegen Italien sind nicht akzeptabel.
Italien und die Europäische Union trudeln in eine politische Krise. Nach der Wahl am 4. März und anschließenden fast dreimonatigen Regierungsverhandlungen hat der Präsident der Italienischen Republik, Sergio Mattarella (Partito Democratico), die Regierungsbildung verhindert. Er lehnte Paolo Savona für das wichtige Amt des Finanzministers ab.
Auch in der Vergangenheit haben Präsidenten schon den einen oder anderen Kandidaten für einen Ministerposten abgelehnt. Das ist ihr verfassungsmäßig verbrieftes Recht. Die Regierungsparteien schlugen andere Kandidaten vor und die Regierung konnte ihr Amt antreten.
Doch diesmal ist die Situation anders. Mattarella lehnte Paolo Savona ab, weil es sich bei Savona um einen Euro-Gegner und Deutschlandkritiker handelt. Sein Veto begründete er mit der Unruhe an den Finanzmärkten, der "Unsicherheit" italienischer und internationaler Investoren und seiner Sorge um die Ersparnisse der Italiener*innen und letztlich um den Verbleib seines Landes in der Euro-Zone.
Und tatsächlich waren die Kurse an der Mailänder Börse eingebrochen, die Zinsen für italienische Staatsanleihen schossen auf 3,4 Prozent nach oben, auf den höchsten Stand seit Mai 2013. Druck kam auch von der Ratingagentur Moody's. Sie kündigte an, die Kreditwürdigkeit Italiens herabzusetzen.
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Emiliano Brancaccio, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Sannio, schlägt die sofortige Einführung von Kapitalverkehrskontrollen vor, um dem Druck der Finanzmärkte zu begegnen. "Ich schlage die sofortige Anwendung von Artikel 65 des Vertrags der Europäischen Union vor, der die Einführung von Kontrollen gegen Kapitalflucht zulässt, und aller bereits in den geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Mechanismen zur Verringerung der Volatilität der Finanzmärkte. Der ehemalige Chefvolkswirt des IWF nennt sie Instrumente der »finanziellen Repression«. Ob wir nun zu Wahlen gehen oder nicht, in dieser für die Zukunft Italiens und der Union entscheidenden Phase wäre es gut, diese legislativen Instrumente jetzt zu aktivieren, um eine Einmischung des Marktes in künftige politische Entscheidungen zu vermeiden. Dies ist eine vernünftige Lösung, unabhängig davon, ob wir in der Eurozone bleiben oder sie verlassen sollten."
Maurizio Acerbo, Nationalsekretär von Partito della Rifondazione Comunista – Europäische Linke (PRC), weist die These von den "Märkten" zurück und verweist darauf, dass die Europäische Zentralbank den Kauf italienischer Staatsanleihen um mindestens ein Drittel reduziert hat - mit der Folge, dass die Zinsen steigen. Die Erpressung durch die EU sei inakzeptabel, so Acerbo. "Sicher ist, dass es die EZB ist und nicht die berüchtigten Märkte, die die Zinsen kontrolliert und reguliert, und es scheint klar zu sein, dass sie uns wie Griechenland erpresst."
»Sie wollen uns wie Griechenland behandeln« "EU-Kommissar Oettinger droht Italien mit der Ankündigung der Bestrafung durch die Märkte. Der Gouverneur der Bank von Italien ist Psychoanalytiker und spricht über aufgeregte Märkte. Tatsache ist, dass Mario Draghi und die EZB den Kauf von italienischen Staatsanleihen seit Tagen um mindestens ein Drittel reduziert haben. Wieder einmal sprechen wir über metaphysische Märkte, während es die Kinder der Troika sind, die den Spread (Zinsaufschlag) erhöhen, um das demokratische politische Leben zu beeinflussen und das stattfindende Manöver zu begünstigen. Ich weiß nicht, ob Mattarella sich mit Draghi abgesprochen hat, bevor er gegen Savona sein Veto einlegte und Cottarelli empfahl. Sicher ist, dass es die EZB ist und nicht die berüchtigten Märkte, die die Zinsen kontrolliert und reguliert, und es scheint klar zu sein, dass sie uns wie Griechenland erpresst." |
Öl ins Feuer gossen Ifo-Chef Clemens Fuest und EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger. Clemens Fuest forderte in einem Interview die EZB auf, zu überprüfen, ob sie weiterhin italienische Staatsanleihen kaufen kann. EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger sagte, dass er hoffe, dass der Einbruch auf den Finanzmärkten die italienischen Wähler*innen davon abbringen werde, "Populisten von links und rechts zu wählen". "Meine Sorge und meine Erwartung ist, dass die nächsten Wochen zeigen, dass die Märkte, dass die Staatsanleihen, dass die wirtschaftliche Entwicklung Italiens so einschneidend sein könnten, dass dies für die Wähler doch ein mögliches Signal ist, nicht Populisten von links und rechts zu wählen."
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"Ich habe keine Sympathie für eine M5S-Lega-Regierung, sagte der Nationalsekretär von Partito della Rifondazione Comunista – Europäische Linke, Maurizio Acerbo. "Ich würde Salvini wegen Aufstachelung zum Rassenhass ins Gefängnis schicken, und diejenigen, die bereit sind, sich mit Leuten wie ihm zu verbünden, verdienen nur Verachtung. Die Drohungen gegen Italien sind jedoch nicht akzeptabel. Präsident Mattarella und die Abgeordneten der Kammer und des Senats sollten eine offene Einschüchterung unseres Landes, wie die von Clemens Fuest, zurückweisen. Sie wollen uns wie Griechenland behandeln. Die Aufforderung an die EZB, den Kauf italienischer Staatsanleihen einzustellen, ist wirtschaftlicher Terrorismus. Ebenso wie die Nervosität der »Märkte« ist dies ist eine inakzeptable Einmischung in das demokratische Leben unseres Landes."
Mattarella schlug eine parteilose Übergangsregierung unter Führung des Wirtschaftsexperten Carlo Cottarelli vor. Cottarelli war früher Mitarbeiter des Internationalen Währungsfonds (IWF) und 2013 Sparkommissar der Regierung unter Enrico Letta.
Matteo Salvini von der rechtsextremen, rassistischen Lega wiederum versteifte sich auf Savona als eine Art Kraftprobe gegen den Präsidenten und um Neuwahlen zu erreichen. Denn sämtliche Meinungsumfragen zeigen, dass die Lega stark zulegen wird. Alle Zeichen stehen dafür, dass die Italiener*innen in diesem Jahr ein zweites Mal an die Urnen gerufen werden – möglicherweise bereits im Juli.
Dazu erklärte Maurizio Acerbo:
"Die Wahlen Ende Juli zwischen den Sonnenschirmen wirken wie eine italienische Komödie, aber in Wirklichkeit stehen wir vor einer Tragödie. Sie töten die Demokratie in Italien. Vom Präsidenten der Republik über Salvini, Di Maio, Renzi und Berlusconi war die Republik noch nie so tief gefallen. Sie alle tragen eine große Verantwortung für diese Situation. Selbst die Diskussion über die Wahlen am 29. Juli - ein unmögliches Datum für die Einhaltung der Erfordernisse für die Wähler*innen im Ausland - macht unser Land zu einem Witz. Da wir Ende Juli nicht abstimmen können, werden wir dann Mitte August wählen?".
(Anm.: Mitte August – Ferragosto – haben Schulen und viele Betriebe geschlossen, ganz Italien ist im Urlaub)
Weder mit Cottarelli noch mit Salvini.
Lasst uns ein linksgerichtetes, populares, antiliberales Lager aufbauen
"Die Entscheidungen und Worte des Präsidenten der Republik wecken Wut und Bestürzung. Unsere ablehnende Haltung gegenüber Salvini und Di Maio hindert uns nicht daran, die Entscheidung des Präsidenten der Republik klar zu verurteilen.
Mattarellas Verhalten ähnelt eher einem Putsch als einer rigorosen Verteidigung der Verfassung. Die Verfassung sieht ein Verbot der Wiederherstellung der faschistischen Partei vor und nicht das Verbot der Infragestellung der europäischen Verträge oder der einheitlichen Währung.
Die Souveränität gehört nicht den von Mattarella erwähnten "Wirtschafts- oder Finanzakteuren" und "italienischen und ausländischen Investoren". Das Verhalten des Präsidenten und seine sehr schwere Intervention im Bereich der politischen Entscheidungen sind für uns unhaltbar.
Wir sind nicht überrascht, dass zwei unwahrscheinliche Verfechter des Konstitutionalismus, Renzi und Berlusconi, sofort Partei ergriffen haben, um Mattarella zu unterstützen. Diese Operation ist die Fortsetzung der Einmischung der EU, und wir hatten bereits seit einiger Zeit prophezeit, dass Cottarelli, der in Zeitungen und Fernsehen allgegenwärtig ist, der neue Monti sein würde, der mit Hilfe von Zinserhöhungen durchgesetzt wird. Gerade weil wir immer Partei ergriffen haben, um die konstitutionelle Demokratie zu verteidigen, können wir zu dieser Operation und zur Ernennung eines Mannes aus dem Internationalen Währungsfonds nur NEIN sagen.
Diejenigen, die die Verfassung verteidigen, können sich nicht für eine unkritische Verteidigung von Mattarella einsetzen. Wir weigern uns, zwischen Pest und Cholera zu wählen, zwischen Salvini und Di Maio einerseits und Renzi und Berlusconi andererseits. Das sind zwei verschiedene Versionen des Neoliberalismus.
Wir stehen auf der Seite der Demokratie und der Verfassung, wo wir immer standen.
Die politische Führungsklasse von Mitte-Rechts und Mitte-Links, die seit den 1990er Jahren strategische Entscheidungen fällt, ist nun delegitimiert und bringt die Institutionen selbst in Verruf.
Der Präsident der Republik übernimmt wie sein Vorgänger die Rolle des Garanten nicht der Verfassung, sondern eines ständigen Ausnahmezustands.
Die Forderung der Lega nach Amtsenthebung von Präsident Mattarella erfolgt nicht auf Basis der Verfassung, und das Verhalten von M5S und Lega, ausgehend von der Wahl eines politisch unhaltbaren Premiers, hat zu diesem Ergebnis beigetragen. Mattarella hat Salvini sicherlich ein großes Geschenk gemacht, der sich nun als Verteidiger der Italiener*innen aufspielen kann und der M5S versucht, mit noch größerer Lautstärke zu konkurrieren.
Wir haben immer die Tatsache angeprangert, dass die sogenannte »Selbststeuerung« nicht mit der Demokratie vereinbar ist und sie sowohl formal als auch materiell in eine Krise bringt.
Welchen Sinn hat es, abstimmen zu können, wenn die grundlegenden Entscheidungen bereits festgelegt sind? Und wie kann die Verbindung zwischen republikanischen Bürger*innen und Institutionen gestärkt werden, wenn unsinnig, strenge Vorschriften die Rechte der Bürger*innen schrittweise reduzieren?
Wir hätten uns gewünscht, dass Mattarella Nein zur Ernennung eines rassistischen, fremdenfeindlichen Demagogen wie Salvini zum Innenministerium gesagt hätte. Aber seine Intervention im Namen der 1992 in Maastricht geborenen postdemokratischen Ordnung ist nicht annehmbar und akzeptabel.
Wir erinnern uns an ihn als Verteidigungsminister zur Zeit des Krieges im ehemaligen Jugoslawien, und es ist für uns ganz klar, dass er dazu neigt, den internationalen Rahmen über die Verfassung zu stellen.
Wir erinnern mit Stolz an unser langjähriges Votum gegen die europäischen Verträge und unseren Kampf für ein anderes Europa, nicht im Namen des Nationalismus, sondern im Namen der Demokratie und der Verteidigung und Ausweitung der Rechte. Bauen wir ein antiliberales, linkes und volksverbundenes Lager für die Verwirklichung der Verfassung auf - und damit gegen die europäischen Verträge und als Alternative zu allen bestehenden politischen Zentren. Weder mit Cottarelli noch mit Salvini".
28. Mai 2018
Partito della Rifondazione Comunista – Sinistra europea
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