18.04.2018: Hunderttausende in Barcelona für Freilassung der politischen Gefangenen ++ Staatsanwaltschaft eröffnet Verfahren gegen Bürgermeister*innen ++ Oberster Gerichtshof Spaniens kritisiert deutsches Gericht: mit oder ohne Gewalt, es ist Rebellion
Am Sonntagnachmittag (15.4.) haben Hunderttausende Menschen in Barcelona für die Freilassung der politischen Gefangenen demonstriert. Sie trugen katalanische Fahnen sowie Plakate mit Aufschriften wie "Keine Geiseln mehr!" oder "Freiheit" und forderten, dass die in andere europäische Länder geflüchteten katalanischen Politiker*innen unbehelligt nach Spanien zurückkehren können. Die Proteste richten sich auch gegen die Versuche der spanischen Regierung und Justiz, eine friedliche Bewegung nicht nur wegen Aufruhr und Rebellion zu kriminalisieren, sondern nun auch wegen »Terrorismus«. Das Ministerium für Staatsanwaltschaft definiert die Blockaden von Straßen und Schienen als »Terror« und will die »Komitees zur Verteidigung der Republik« (CDR) deshalb vor Gericht bringen.
Nach Polizeiangaben beteiligten sich etwa 315.000 an der Demonstration in Barcelona, die Veranstalter sprechen von 500.000. Zeitgleich gingen in Pamplona/Navarra 50.000 Menschen für die Freilassung baskischer politischer Gefangener auf die Straße.
Aufgerufen zu der Demonstration in Barcelona hat die Plattform »Raum für Demokratie und Zusammenleben«. Der Plattform gehören neben den zwei wichtigsten zivilgesellschaftlichen Organisationen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung Assemblea Nacional Catalana (ANC) und Òmnium Cultural unter anderem die katalanischen Sektionen der großen Gewerkschaften CCOO und UGT sowie Sport-, Schauspieler-, Eltern- und Bauernverbände an. Die Demonstration wurde auch von Organisationen und Menschen unterstützt, die gegen eine Abspaltung Kataloniens sind. "Die Mehrheit der Katalan*innen ist sich unabhängig von ihrer politischen Position einig darüber, dass Untersuchungshaft nicht gerechtfertigt ist", sagte der Vorsitzende des katalanischen Verbandes der Gewerkschaft UGT, Camil Ros.
Angefangen hatte die juristische Verfolgung politischer Gegner*innen vor knapp sechs Monaten mit der Inhaftierung der Vorsitzenden des ANC und von Òmnium Cultural, Jordi Sànchez und Jordi Cuixart. Cuixart und der inzwischen in die Politik gewechselte Sànchez, dessen Wahl zum katalanischen Präsidenten gerade von der spanischen Justiz entgegen unverbindlicher Auflagen des UNO-Menschenrechtskomitees zum zweiten Mal ausgehebelt wurde, sind immer noch im Gefängnis. Auf diese Weise hat die Zentralregierung bisher die Wahl einer Regionalregierung verhindert und hält Katalonien unter ihrer Zwangsverwaltung.
Praktisch die ganze ehemalige Regierung von Carles Puigdemont wird verfolgt. Inzwischen sitzen insgesamt neun führende Persönlichkeiten der Unabhängigkeitsbewegung in Untersuchungshaft. Sieben weitere ranghohe katalanische Politiker*innen konnten vor der Verfolgung durch die spanische Justiz ins Exil fliehen. Sie halten sich in Belgien, Schottland und der Schweiz auf. Ihnen wird unter anderem Rebellion, Untreue und umstürzlerisches Verhalten vorgeworfen.
Die Audiencia Nacional, das spanische Sondergericht für politische Verfahren, hat auch gegen Josep Trapero, den abgesetzten Chef der katalanischen Autonomiepolizei Mossos D'Esquadra, ein Verfahren wegen Rebellion eingeleitet. Das Vergehen: Er hat Demonstrant*innen beim Referendum am 1. Oktober 2017 nicht ausreichend verprügeln lassen.
Verfahren gegen Bürgermeister*innen
Ungeachtet der breiten Proteste eskalieren spanische Regierung und Justiz den Konflikt noch weiter. Gestern (17.4.) hat die Oberste Staatsanwaltschaft Kataloniens Ermittlungen gegen diejenigen Bürgermeister*innen eröffnet, die am 1. Oktober 2017 für das Referendum öffentliche Räume zur Verfügung gestellt haben.
Die Staatsanwaltschaft wandte sich auch an die katalanische Regionalpolizei Mossos D'Esquadra, dass diese über die Aktivitäten der Gemeinderäte aussagen müsse, und wenn sie dies verweigern würde, mit einer Festnahme rechnen müsste.
Oberstes Gericht Spaniens kritisiert deutsches Gericht
Das Oberste Gericht Spaniens hat die Entscheidung der deutschen Justiz, den ehemaligen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont nicht an Spanien auszuliefern, kritisiert. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hatte Anfang des Monats einen Auslieferungshaftbefehl gegen Puigdemont wegen des aus Spanien erhobenen Vorwurfs der Rebellion abgelehnt. Der in Betracht kommende Straftatbestand des Hochverrats sei nicht erfüllt, weil es an dem Merkmal der "Gewalt" fehle, begründete das Oberlandesgericht seine Entscheidung.
Polizei mit Gummigeschossen gegen Wähler*innen |
Gestern erklärten die Richter des "Tribunal Supremo" ihre Unterstützung für den Ermittlungsrichter Pablo Llarena, der den internationalen Haftbefehl für Puigdemont wegen »Rebellion« ausgestellt hat. Da Puigdemont als Regierungschef die Regierungsgewalt innehatte, sei ausdrückliche Gewalt, die in anderen Fällen für unumgänglich für »Rebellion« gehalten wird, nicht notwendig, um Puigdemont der »Rebellion« anzuklagen. Als "Gewalt" wird von den Madrider Richtern unter anderem die Tatsache bezeichnet, dass die damalige katalanische Regionalregierung von Puigdemont "zwei Millionen Menschen zur illegalen Stimmabgabe" verleitet habe.
mehr zum Referendum Votarem" – "Wir wollen wählen" |
Damit ist das Unabhängigkeitsreferendum vom 1. Oktober 2017 gemeint. Gewalt ging jedoch damals nur von der spanischen Polizei aus, die durch eine brutale Knüppelorgie das Referendum verhindern wollte.
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