04.05.2017: Griechenlands Finanzminister Tsakalatos meldet "weißen Rauch" + Schäuble widerspricht, obwohl sich Gläubiger fast auf der ganzen Linie durchgesetzt haben + Beteiligung des IWF weiter offen + Hauptproblem ist der "kommunistische Premierminister" sagt Manfred Weber, Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europaparlament + griechische Regierung beschließt Gegenmaßnahmen zum Schutz der Ärmsten
Es gibt noch offene Fragen zu dem Verhandlungsergebnis der Gläubiger mit Griechenland, meldete CSU-Vize Manfred Weber aus Washington. Weber ist Fraktionsvorsitzender der Europäischen Volkspartei im Europaparlament. In Washington hatte er sich mit IWF-Chefin Christine Lagarde getroffen, um mit ihr über die Beteiligung des Internationalen Währungsfonds am Kreditprogramm für Griechenland zu sprechen. Nach dem Gespräch sagte er: "Das Hauptproblem Griechenlands ist, dass es einen Kommunisten als Premierminister hat."
Webers's Aussage wurde von Katerina Sokou, griechische Korrespondentin in Washington, verbreitet:
Damit wird einmal mehr klar: Die griechische Regierung mag noch so viele Zugeständnisse machen, es bleibt das Ziel von Wolfgang Schäuble und Co., die Linksregierung in Athen zu delegitimieren und zu stürzen.
So lassen sich auch die jüngsten Querschüsse von Schäuble gegen die Vereinbarung der Gläubiger mit Athen erklären.
Tsakaltos: weißer Rauch
Am Dienstag (2.5.2017) hatte Griechenlands Finanzminister Euclid Tsakalatos in den frühen Morgenstunden gemeldet: "Die Verhandlungen sind abgeschlossen, es gibt weißen Rauch." Nach Marathon-Verhandlungen haben sich Griechenland und seine Gläubiger auf ein Bündel neuer Kürzungsmaßnahmen geeinigt, die den Weg für die Freigabe der nächsten Kredittranche Griechenland öffnen.
Der Euro-Rettungsfond ESM (Europäische Stabilitätsmechanismus) bestätigte diese Meldung von Tskalatos. Über Twitter @ESM_Press teilte der ESM am 2. Mai mit:
Schäuble: keine Einigung
Doch umgehend kam aus Berlin ein demonstratives Dementi. Das Bundesfinanzministerium erklärte, die Überprüfung des Hilfsprogramms für Griechenland sei noch nicht beendet.
Dabei haben sich die Gläubiger nahezu auf der ganzen Linie durchgesetzt, auch wenn Athen von einem "Kompromiss" spricht.
Athen wird gezwungen, einem Kürzungspaket in Höhe von gut 3,6 Milliarden Euro zuzustimmen, das allerdings erst 2019 (Rentenkürzungen) bzw. 2020 (Senkung des Steuerfreibetrags) in Kraft treten soll. Unter anderem wird Athen gezwungen
- den Steuerfreibetrag von 8.636 Euro Jahreseinkommen für Singles auf 5.681 Euro bzw. 6.700 Euro für Familien zu senken. Für Beschäftigte, RenterInnen und Bauern mit Niedrigeinkommen bedeutet dies eine neuerliche Belastung von 650 Euro im Durchschnitt.
- Renten über 700 Euro im Monat im Durchschnitt um 9% (max. 18%) zu kürzen. Von den 2,6 Millionen RentnerInnen sind von dieser neuerlichen Kürzung 900.000 betroffen.
- die Steuerminderung für medizinische Kosten zu streichen. Dies trifft insbesondere chronisch Kranke, die wegen der Kürzungen im öffentlichen Gesundheitswesen gestiegene private Ausgaben verkraften müssen.
- die finanzielle Heizkostenunterstützung für besonders einkommensarme Gruppen um 56 Millionen zu kürzen.
- im nationalen Gesundheitswesen EOPYY eine erneute Kürzungen in Höhe von 188 Millionen Euro vorzunehmen.
- bis zu 40% der Kohlekraftwerke des öffentlichen Stromversorgers Public Power Corp (PPC) zu privatisieren. Die Regierung in Athen hat sich lange dagegen gewehrt. Noch im März warf Innenminister Panos Skourletis den Verhandlungspartnern aus der EU und vom Internationalen Währungsfonds (IWF) vor, dass ihr Dringen auf eine Privatisierung des größten griechischen Stromversorgers PPC über die Vereinbarungen des laufenden dritten Kreditpakets hinausgehe. Ihr Ziel sei der Verkauf von Kohlekraftwerken zu einem niedrigen Preis zugunsten von Konkurrenten aus dem In- und Ausland. "Das ist ein Angriff auf PPC-Teile, um geschäftlichen Interessen europäischer und heimischer Rivalen zu dienen, und zwar zu einem demütigenden Preis", hatte der Minister noch kürzlich geäußert.
Erfolg gegen die Forderungen des IWF - Bei den Arbeitsrechten konnte sich der IWF mit seiner Forderung nach Zulassung von Aussperrungen und einer uneingeschränkten Zulässigkeit von Massenentlassungen nicht durchsetzen – es bleibt bei einer Obergrenze von 5% -, allerdings wird das Veto-Recht und die Zustimmungspflicht des Arbeitsministeriums zu Massenentlassungen abgeschafft.
Ein wichtiger Erfolg der griechischen Seite ist, dass ab September 2018 die Gewerkschaften wieder kollektive Tarifverhandlungen führen dürfen. Mit dem 1. Memorandum war den griechischen Gewerkschaften dieses in Europa selbstverständliche Recht genommen worden.
Arbeitsministerin Effi Achtsioglou hatte kürzlich gesagt: "Jeder in Europa, unabhängig davon, was in Griechenland und den Verhandlungen passiert, diskutiert die Frage der Tarifverhandlungen und diesen einzigartigen Ausnahmezustand für unser Land." Für den IWF stehen die weitere interne Abwertung, weitere Beschneidung der Arbeitsrechte und die Unterminierung der europäischen sozialen Normen im Zentrum. Für den IWF und die neoliberalen Kräfte in Europa dient Griechenland als Vorbild für das, was in ganz Europa bezüglich der Arbeitsbeziehungen geschehen muss, so Achtsioglou. Insofern hat Griechenland in diesem Punkt einen nicht zu unterschätzenden Erfolg erzielt.
Die Experten der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB), des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und des Internationalen Währungsfonds (IWF) sollen nun ihren Bericht – das sogenannte Staff Level Agreement – der Eurogruppe vorlegen, damit die nächste Kredittranche des 86 Milliarden Euro schweren Kreditpaketes aus dem 3. Memorandum freigegeben wird.
Das griechische Parlament soll Mitte Mai die Vereinbarung in Gesetze umsetzen.
Tsipras: Maßnahmen werden nur umgesetzt, wenn Schuldenfrage geklärt ist
Die griechische Regierung steht unter dem Druck, im Juli 7,4 Milliarden Euro Schulden zurückzahlen zu müssen, im August noch einmal 1,4 Milliarden. Ohne neue Kredite ist das wohl unmöglich - auch wenn in Athen das Gerücht umgeht, dass die Regierung für den Ernstfall bereits Rücklagen horte.
Außerdem will die SYRIZA-geführte Regierung im Jahr 2018 die Zwangsjacke der Auflagen aus dem Kreditprogramm abstreifen. "Das Land muss aus der Vormundschaft kommen", sagte Premierminister Tsipras im griechischen Fernsehen.
Athen verbindet mit diesem Kürzungsprogramm die Milderung der untragbaren Schuldenlast. Premier Alexis Tsipras bekräftigt, dass die Regierung dem Parlament zwar die ab 2019 bzw. 2020 wirksamen Kürzungen zur Beschlussfassung vorlegen werde, aber diese nur umgesetzt werden, wenn es eine Reduzierung der Schuldenlast gibt. Wörtlich sagte Tsipras am 25. April 2017 in einem Interview mit dem TV-Sender ANT1: "Wir werden natürlich über die Maßnahmen abstimmen, um die Frage der Schulden klar zu bekommen. Aber ich habe keine Angst zu sagen: Die Maßnahmen werden nicht umgesetzt, solange die Schuldenfrage nicht geklärt ist."
Parallelprogramm
Zudem sollen die Härten der neuen Kürzungsmaßnahmen mit einem staatlichen 'Parallelprogramm' in einer jährlichen Höhe von 600 Millionen teilweise neutralisiert werden. Dieses 'Parallelprogramm' beinhaltet u.a. Mietzuschüsse, Zuzahlung bei Arzneien, Schulspeisung, Programme zur Bekämpfung der Kinderarmut, ein öffentliches Investitionsprogramm zur Schaffung von Arbeitsplätzen und der Orientierung auf eine alternatives Wachstumsmodell (Parallelprogramm). Tsipras sagte, dass die Maßnahmen des Parallelprogramms "die Abwesenheit des Sozialstaates, der eigentlich existieren sollte, wettmachen sollen". Mit Parallelprogrammen werden bereits jetzt die allerschlimmsten sozialen Härten für besonders verwundbare Bevölkerungsgruppen gemildert.
Allerdings setzt dieses neue Parallelprogramm voraus, dass ein Primärüberschuss von über 3,5% erreicht wird. Alexis Tsipras meinte in dem Interview, dass "der 3,5% Überschuss kein leerer Traum ist". Die griechische Statistikbehörde ELSTAT hat für 2016 einen Primärüberschuss - Differenz zwischen den Staatseinnahmen und den Staatsausgaben ohne Berücksichtigung des Schuldendienstes – von 3,9% bekanntgegeben – deutlich mehr als die prognostizierten 0,5%.
Der zu erzielende Primärüberschuss ist auch der Streitpunkt zwischen Schäuble und dem IWF. In der 2015 geschlossenen Vereinbarung zwischen Griechenland und den Euro-Geldgebern zum dritten Kreditprogramm wurde nur erklärt, dass der Überschuss "mittelfristig" über 3,5 Prozent liegen muss, nachdem das Programm im Sommer 2018 ausgelaufen ist. Wie lange "mittelfristig" sein muss, ist aber offenkundig nicht geklärt. Schäuble hatte durchblicken lassen, dass ein Überschuss von 3,5 Prozent über einen langen Zeitraum gehalten werden sollte.
Der Internationale Währungsfonds (IWF), der auf einen raschen Schuldenerlass für Griechenland drängt, hält dagegen offenbar einen niedrigeren Wert für ausreichend. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert aus einem internen IWF-Papier, wonach Griechenland 2018 einen Primärüberschuss von 2,2 Prozent und 2019 bis 2021 von je 3,5 Prozent erreichen kann. Danach sollte er aber auf 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung reduziert werden, schlug der IWF vor. Der IWF stütz sich dabei auf Untersuchungen, die belegen, dass es völlig unrealistisch ist, dass ein Land auf längere Zeit einen Primärüberschuss von 3,5% erreichen kann.
Schäuble: SYRIZA aus der Regierung drängen
Schäuble will auf der einen Seite den IWF an Bord holen – das war sein Versprechen an den Bundestag für die Zustimmung zum Kreditprogramm -, andererseits die Entscheidung über Schuldenminderung unbedingt auf die Zeit nach der Bundestagswahl hinauszögern. Diese wahltaktischen Überlegungen stehen im Einklang mit dem strategischen Ziel, die linksgeführte Regierung in Athen mit dem "Kommunisten als Premierminister" zu stürzen. Dass der Abschluss der Überprüfungen und die Zusage für die nächste Kredittranche ständig verzögert werden, gehört zu dieser Strategie, weil so die wirtschaftliche Konsolidierung zusätzlich gestört und die Unsicherheit über die weitere Entwicklung angeheizt wird.
Auch SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat Martin Schulz hat im Kampf gegen die linksgeführte Regierung in Athen den Schulterschluss mit Schäuble und der Bundesregierung gefunden. Gegenüber der Financial Times sagte er auf die Frage ob Griechenland in der Euro-Zone gehalten werden könne, das hänge davon ab, "in welchem Umfang Reformen umgesetzt" würden. Damit sei Schulz auf die Linie Merkels und ihres "Falken", Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), umgeschwenkt, hieß es in der Zeitung aus London. (FT, 11.4.2017) Schulz nimmt damit die Argumentation seines Vorgängers Sigmar Gabriel auf, der gegenüber der Bild Zeitung gesagt hatte: "Und wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen." (Bild, 14.6.2015)
siehe auch
- Tsipras: Ein "Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten" oder ein "Europa der vielfältigen Möglichkeiten"?
- Rede von Alexis Tsipras am 23. März in Rom
- FAQ „Grexit – Rückkehr zur Drachme“?
- Varoufakis: Auf den Bruch vorbereiten
- Musste Tsakalotos 100mal schreiben: "Dies ist keine 13. Rentenzahlung"?
- Griechenland: Streik gegen IWF und Schäuble
- 2. Parteitag von Syriza: "Die kritischen Fragen"