18.10.2015: Freitagnacht hat das griechische Parlament das erste Maßnahmenpaket beschlossen, um die Auflagen des 3. Memorandums zu erfüllen. Dieses Paket beinhaltet Steuererhöhungen und Einschnitte bei den Renten, aber auch drastische Strafen für Steuerhinterziehung. * Griechenland überrascht mit Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr 2015. * EU unterzeichnet 35 Mrd.-Fond für "Arbeitsplätze und Wachstum in Griechenland".
In der Nacht von Freitag auf Samstag hat das griechische Parlament mit den Stimmen der Regierungskoalition das erste Gesetzespaket aus den "prior actions" des 3. Memorandums vom 12. Juli beschlossen. Die Gesetze sind eine der Voraussetzungen für die Auszahlung einer Tranche von 2 Mrd. Euro im Rahmen des 86 Milliarden Euro schweren Kreditprogramms für Griechenland. Die gesamte Opposition stimmte dagegen. Am Freitagabend waren einige Tausend – berichtet wird von ca. 3.000 – den Aufrufen der der Kommunistischen Partei nahestehenden Gewerkschaft PAME und der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes ADEDY zu einer Kundgebung in Athen gefolgt und hatten gegen die Kürzungen protestiert.
Das Gesetzespaket beinhaltet Steuererhöhungen, Einschnitte bei den Renten, aber auch drastische Strafen für Steuerhinterziehung. Beschlossen wurde ebenfalls, dass die Verjährungsfrist für Steuervergehen aus der "Lagarde-Liste" um ein Jahr verlängert wird.
Tsipras befasste sich in seiner Rede auch mit der Flüchtlingsfrage und den EU-Gipfel zu diesem Thema. Europa bewege sich zu langsam in dieser Frage, sagte er und kritisierte die fremdenfeindliche und konservative Position einiger Regierungen, die der Flüchtlingskrise mit dem Bau von Mauern oder mit Gewalt begegnen wollen.
In seiner Rede hob Premier Alexis Tsipras hervor, dass das Paket keine Maßnahmen beinhaltet , die nicht schon im August bekannt waren, als das Parlament der Vereinbarung mit EU, EZB, IWF und ESM zustimmte. "Es gibt keine neuen Maßnahmen, es sind schwierige Maßnahmen, die alle kannten als sie der Vereinbarung im August zustimmten", sagte er in Richtung der konservativen und sozialdemokratischen Opposition, die im August zugestimmt hatte, sich jetzt aber gegen die Gesetze aussprach. "Fünf Jahre lang machten sie, was ihnen die Gläubiger diktierten, ohne irgendeine Anstrengung, um die Memoranden zu verhandeln", fügte er hinzu.
Kampf gegen Steuerhinterziehung
Noch während der Parlamentsdebatte überraschte wurde die Vorlage um einen Punkt ergänzt: Die Verjährungsfrist für Steuerhinterzieher der sog. "Lagarde-Liste", eine Namensliste griechischer Steuerflüchtlinge, wird um ein Jahr verlängert. Da die Fälle zum Teil länger zurückliegen, wären Ende 2015 einige Fälle verjährt. Tsipras sagte dazu: "Falls irgendjemand glaubt, dass die Ermittlungen enden, sollte dies vergessen. .. Heute legen wir eine Änderung des Wirtschaftsministeriums vor, so dass diese Fälle für ein weiteres Jahr verfolgt werden." Er kündigte an, dass der Kampf gegen die Steuerhinterziehung verschärft werde. So wird die Hinterziehung von mehr als 50.000 Euro Mehrwertsteuer oder mehr als 100.000 Euro Einkommensteuer mit mindestens zwei Jahren Gefängnis und der Möglichkeit der Beschlagnahmung der Hälfte der Bankguthaben bestraft.
Kürzungen
Die Quadriga aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB), Europäischer Stabilitätsmechanismus (ESM) und Internationaler Währungsfonds (IWF) hatte verlangt, die Bedingungen für die Rückzahlung ausstehender Steuerschulden zu verschärfen und die Ratenzahlung abzuschaffen. Die erste Tsipras-Regierung hatte großen Erfolg und Zustimmung mit der Maßnahme erzielt, dass Steuerschuldner ihre Schuld in Raten zurückzahlen können. Insbesondere verschuldete kleine und mittlere Betriebe und Selbstständige machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Der jetzt beschlossene Regierungsentwurf kommt den Forderungen der Gläubiger entgegen, indem die Zinsen für diese Steuerschulden von 3 auf 5% erhöht werden.
Das Gesetzespaket enthält aber auch harte Austeritätsmaßnahmen wie die Kürzung von Renten und schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalter auf die 67 Jahre im Allgemeinen, und auf 62 Jahre für alle Menschen, die 40 Jahre gearbeitet haben. Dieser Regulierung werden in den nächsten Wochen weitere Veränderungen des gesamten Rentensystems folgen.
Ein zweites Paket vor dem November
Bereits für Montag hat die Regierung den lange erwarteten Gesetzesentwurf über Medienlizenzen angekündigt, der auf harten Widerstand der griechischen Oligarchie stößt.
Anfang November muss das Parlament ein zweites Maßnahmepaket beschließen, damit eine weitere Milliarde freigegeben wird. Das Konfliktpotential dieses Pakets ist wesentlich größer als bei dem jetzt beschlossenen. Es geht dabei um die ausstehenden Bankkredite und die Möglichkeit der Zwangsersteigerung von Hypothekenschulden, was von der Regierung bisher kategorisch abgelehnt wird. Außerdem steht dann die schrittweise Abschaffung der Steuerbegünstigungen für Landwirte auf der Tagesordnung, eine Bedingung der Quadriga, die die landwirtschaftliche Produktion noch weiter zerstören würde. Im Wahlprogramm hat SYRIZA deshalb versprochen, die Einkommen der Landwirte zu schützen.
Großes Konfliktpotential liegt auch in der eigentlich längst überfälligen Fusion aller Pensions- und Rentenkassen zu einem einheitlichen Rentensystem.
Beide Maßnahmepakete sind Bedingung, damit der Fond für die Rekapitalisierung der Banken – eine Voraussetzung für die geplante Beendigung der Kapitalverkehrskontrollen im ersten Quartal 2016 und die Sicherung der Spareinlagen der griechischen Bevölkerung – freigegeben wird.
Das "35 Mrd.- Wunderpaket"
Der Regierung kommt zu Hilfe, dass das Krisenland entgegen den Prognosen der EU mit einem Wirtschaftswachstum überrascht. Die EU hatte eine Vertiefung der Rezession in Griechenland erwartete. Entgegen diesen Prognosen hat Griechenland in den ersten beiden Quartalen 2015 ein leichtes Wachstum erzielt (+0,8% im ersten Quartal und +1,4% im 2. Quartal 2015 gegenüber 2014). Am 15. Oktober hat die Europäische Kommission bekanntgegeben, dass der Fond für "Arbeitsplätze und Wachstum in Griechenland" vom Europäischen Parlament und dem Europäischen Rat beschlossen wurde. Bereist morgen könne es in Kraft treten, versichert die Kommission.
EU-Kommissionspräsiden Juncker hatte dieses "35 Mrd. Euro Wunderpaket" bereits im Juni angekündigt, damals als eines der Lock- und Erpressungsinstrumente, mit denen die griechische Regierung zur Unterzeichnung der Vereinbarung gebracht werden sollte. Als die griechische Regierung das Memorandum unterschrieb, kündigte Juncker an,das Versprechen einzuhalten und das Paket zu schicken. "Das Paket ist unterwegs, unterwegs, unterwegs, .. oder hat Juncker das Paket verloren?", schrieben griechische Zeitungen, nachdem es nach dem 12. Juli still um diesen Fond wurde.
Aber jetzt kommt das Paket doch noch an, auch wenn es Schäuble nicht ins Konzept passt: Griechenland wird mehr als 35 Mrd. EUR erhalten, die im EU-Haushalt im Rahmen der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds für die Jahre 2014-2020 für das Land vorgesehen sind. 800 Millionen werden nächste Woche bezahlt, teilte die EU-Kommission mit; mindestens 1,4 Mrd. werden für 2015 und 1 Mrd. im Jahr 2016 freigegeben. Im Unterschied zu sonst üblichen Programmen muss Griechenland keinen Eigenanteil an der Finanzierung von Investitionen leisten. Insgesamt werde der griechische Staatshaushalts um rund 2 Mrd. EUR im Jahr 2015 entlastet, heißt es. Der griechischen Regierung kann dieses Programm dabei helfen, die Investitionstätigkeit anzukurbeln und im nächsten Jahr die im Wahlprogramm versprochenen 150.000 Arbeitsplätze zu schaffen.
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