27.03.2011: 20 000 GewerkschafterInnen des belgischen Gewerkschaftsbundes FGTB und 10 000 Mitglieder der Christlichen Gewerkschaften Belgiens haben am Donnerstag den 24. März anlässlich der Zusammenkunft der 27 Staats- und Regierungschefs der EU in Brüssel gegen den "Euro-Pakt" demonstriert, der von diesem EU-Gipfel am gleichen Tag bis spät in die Nacht beraten und schließlich auch beschlossen wurde. Während die Anhänger des FGTB in mehreren Demonstrationszügen durch die Stadt zu einer gemeinsamen Kundgebung in der Nähe des EU-Tagung zogen, versammelten sich die christlichen Gewerkschafter im Heysel-Ausstellungspark im Norden der Stadt. Beiden Manifestationen gemeinsam war jedoch das Anliegen, sich gegen die mit dem "Euro-Pakt" beabsichtigte weitere Abwälzung der Krisenlasten auf die arbeitende Bevölkerung und das Ingangsetzen einer neuen Spirale des Lohn- und Sozialdumpings in der EU zu wehren.
"Dieses Europa wollen wir nicht - wir wollen ein solidarisches Europa", "Wir brauchen keinen Pakt für Wettbewerb und keinen Pakt zum Sparen, sondern einen Pakt für Solidarität", "Ein asoziales Europa - nein danke!" und "Wir sind keine Schafe - Nein zum Sparzwang" lauteten einige der Transparente, die in den überaus lebendigen und bunten Demonstrationszügen des FGTB mitgeführt wurden.
Bereits am Samstag hatten in Lissabon Zehntausende unter Losungen wie "Sie wollten Sklaven und bekommen Rebellen", "Mit Prekarität gibt es keine Freiheit" gegen das Sparprogramm und wachsende Prekarisierung demonstriert.
Am Sonntag waren in Madrid 20 000 Menschen dem Aufruf der Vereinigten Linken gefolgt und protestierten gegen die unsozialen Maßnahmen der Zapatero-Regierung. (Fotostrecke)
Schon am Freitag hatten in Graz 10.000 Menschen gegen die von der steirischen Landesregierung vorgesehenen drastischen Kürzungen im Landesbudget protestiert. Die Alternative zu den brutalen Kürzungen zeigte die Landtagsabgeordnete der KPÖ Claudia Klimt-Weithaler auf: „Ein mutiger Schritt wäre es, endlich eine sozial gerechte Besteuerung großer Vermögen und Finanztransaktionen einzuführen!" (siehe "Es reicht! Für Alle")
Euro-Demo des EGB am 4 April in Budapest
Der Europäische Gewerkschaftsbund ruft für den 4. April zusammen mit den sechs ihm angeschlossenen ungarischen Mitgliedsorganisationen zu einer großen gemeinsamen Demonstration europäischer Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in der Hauptstadt Ungarns unter der Losung "Nein zum ungerechten Pakt für den Euro - Für ein soziales Europa, gerechte Bezahlung und gute Arbeit" auf. Anlass ist der an diesem Tag dort stattfindende "Europäische Rat der Wirtschafts- und Finanzminister" (ECOFIN) unter ungarischem Vorsitz. Der Demonstrationszug soll vom Heldenplatz (Hösök tere) quer durch die Stadt zum Oktogon-Platz im Stadtzentrum gehen.
In dem Aufruf des EGB zu der Demo heißt es unter anderem: "Die europäischen Regierungen haben mit sozialer Kälte auf die Wirtschafts- und Finanzkrise reagiert: Sie sparen auf Kosten sozialer Standards, kürzen Gehälter und werben für Lohnzurückhaltung. Damit bedrohen sie den sozialen Zusammenhalt in ganz Europa. Wir haben diese Krise nicht verursacht. Wir sind gegen eine Ideologie, die den Wettbewerb zum Allheilmittel des gesellschaftlichen Lebens macht. Um die Finanzmärkte zu beruhigen, haben die Regierungen öffentliche Ausgaben gekürzt. Der Finanzsektor kam ungeschoren davon. Das muss sich ändern! Nicht die ArbeiternehmerInnen sollten für die Krise zahlen, sondern Spekulanten und Banken."
Der Aufruf endet mit der Losung: "Europa regieren meint: Mehr Beschäftigung, mehr Gerechtigkeit und Solidarität - Nein zum Kaputtsparen".
Deutsch-französische Gewerkschaftserklärung
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die fünf größten französischen Gewerkschaftsbünde CGT, CFDT, UNSA, CFTC und Force Ouvrière haben in einer auf Pressekonferenzen am 22. März in Paris und am 24. März in Berlin veröffentlichten gemeinsame deutsch-französische Gewerkschaftserklärung gegen den von den EU-Spitzen verabschiedeten "Euro-Pakt" Stellung genommen. Der Titel der Erklärung lautet: "Europa braucht keinen Merkel-Sarkozy-Wettbewerbspakt, sondern einen politischen Kurswechsel für ein faires und gerechtes Europa".
In dem Text heißt es unter Bezugnahme auf die in dem von Merkel und Sarkozy verfochtenen "Wettbewerbspakt" enthaltenen Orientierungen u. a.: "Wir sprechen uns nachdrücklich gegen eine Wirtschaftsregierung aus, die auf einem verengten Konzept von Wettbewerbsfähigkeit basiert und auf stagnierende oder sogar sinkende Löhne setzt. Die Vorschläge zur Senkung der Mindestlöhne, zur Abschaffung der Indexierungssysteme und die Nichtberücksichtigung der Inflation sind Angriffe auf die Rechte von ArbeitnehmerInnen und auf die Autonomie der Sozialpartner im Bereich der Tarifverhandlungen...Wir sprechen uns gegen eine "Europäischen Schuldenbremse", gegen eine wachstumshemmende Austeritätspolitik (Sparzwangpolitik, d.Red.) und gegen den Vorschlag für eine automatische Anpassung der Rentensysteme an die demographische Entwicklung aus." Staatliche Zielvorgaben für die Tarifverhandlungen, wie sie in dem Euro-Pakt vorgesehen sind, oder gar staatlich verordnete Lohnkürzungen werden entschieden abgelehnt.
Als "unabdingbare" Forderungen benennt die Erklärung deshalb u. a. die Wahrung der Tarifautonomie, die Abschaffung prekärer Arbeitsverhältnisse durch existenzsichernde nationale Mindestlöhne und die "Austrocknung des Niedriglohnsektors" sowie die Einhaltung des Prinzips "gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort, unabhängig vom Status des Arbeitsnehmers (Leiharbeiter, Saisonarbeiter)". In Europa dürfe es ""keine sozial benachteiligten ArbeitnehmerInnen zweiter Klasse geben". Ferner wird gefordert, dass "statt wachstumshemmender Austeritätspolitiken und europäischer Schuldenbremse ein ambitioniertes Innovations- und Investitionsprogramm zur flächendeckenden Förderung nachhaltiger Zukunftsinvestitionen beschlossen wird, um Europa mit moderner Infrastruktur, zukunftsfähigen Industrien, qualitativ hochwertigen Dienstleistungen sowie Bildungsangeboten zu versorgen".
Annelie Buntenbach: Frontalangriff auf die Rechte der ArbeiternehmerInnen
Namens des DGB hat Annelie Buntenbach, Mitglied des Geschäftsführenden Bundesvorstands, auf der Pressekonferenz in Berlin u.a. unter Bezugnahme auf den inzwischen vom EU-Rat verabschiedeten "Euro-Pakt" erklärt: "Mit diesem Pakt haben Frau Merkel und Herr Sarkozy einen Frontalangriff auf die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in ganz Europa gestartet. Dagegen setzen wir uns zur Wehr." Europa brauche dringend einen Kurswechsel. "Ein Festhalten an der falschen Politik, zugunsten der ungeregelten Kräfte des Marktes gefährdet die Stabilität des Eurosystems und führt zu massiven ökonomischen, politischen und sozialen Verwerfungen für alle beteiligten Länder." Darüber hinaus sei der Pakt auch eine "Attacke auf das demokratische Europa", denn da handelten selbstherrlich die Regierungschefs. Der deutsche Bundestag sei von der Bundeskanzlerin nicht einmal vorab informiert worden. Das EU-Parlament und die nationalen Parlamente würden von den Staats- und Regierungschefs der EU "mehr und mehr auf die Zuschauerbank gesetzt". Das sei eine gefährliche Entwicklung, gegen die sich die europäischen Gewerkschaften zur Wehr setzen werden.
txt: Georg Polikeit / lm