24.01.2025: Makaber: Im CDU – Grüne regierten Schleswig-Holstein wird am 27. Januar der Internationalen Holocaust-Gedenktag am Täterort, der Marineschule in Flensburg-Mürwik, begangen.
Am 27. Januar 1945, vor 80 Jahren, befreite die Rote Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Im Jahr 1996 bestimmte der damalige Bundespräsident Roman Herzog den 27. Januar als nationalen Gedenktag; 2005 erklärte die Vollversammlung der Vereinten Nationen den 27. Januar zum Internationalen Holocaust-Gedenktag.
Die diesjährige Gedenkveranstaltung der Landesregierung Schleswig-Holsteins sorgt im Vorfeld für erheblichen Wirbel. Der Landtag hatte 2001 mit dem jährlichen Gedenken des 27. Januar 1945 begonnen. Zudem wird – wie in einigen anderen Bundesländern – der 8. Mai 1945 als offizieller Gedenktag begangen: als Tag der bedingungslosen Kapitulation, des Zusammenbruchs der NS-Gewaltherrschaft, der Befreiung vom Faschismus in Europa.
Anlass für die politische Kontroverse ist dabei vor allem der Ort der diesjährigen Gedenkfeier, die Marineschule in Flensburg-Mürwik. Eben dort residierte Karl Dönitz noch bis zum 23. Mai 1945 als Hitler-Nachfolger und „geschäftsführender Regierungschef des Deutschen Reiches“ über den Tag der Kapitulation (8. Mai) hinaus. Die britische Armee verhaftete ihn dort am 23. Mai. Dönitz wurde im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher am 1. Oktober 1946 wegen der Planung eines Angriffskrieges und Kriegsverbrechen zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Die SPD-Fraktion im Kieler Landtag und die Landesarbeitsgemeinschaft Gedenkstätten und Erinnerungsorte in Schleswig-Holstein halten es für „nicht nachvollziehbar, das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes – zentrale Aufgabe des 27. Januar – am ausgewiesenen Täterort Mürwik zu praktizieren.“
In einem „Offenen Brief“ der Landesarbeitsgemeinschaften heißt es u.a. weiter:
„Völlig unverständlich ist für uns die Entscheidung, zum 80. Jahrestag des Kriegsendes vollständig auf eine eigene Landtagsveranstaltung am 8. Mai zu verzichten. Gerade an diesem Datum gilt es auch der Entwaffnung eines vielfach verbrecherischen Militärs zu gedenken. Wir unterstützen die Aufarbeitung der NS-Zeit an der Marineschule – Reflexion der Tätergeschichte an diesem herausragenden, aber bislang unentwickelten schleswig-holsteinischen Erinnerungsort.
Wir protestieren aber gegen die Verkürzung des Gedenkens und die unreflektierte Vermischung beider Gedenktage. Wir fordern den Landtag auf, beide Gedenktage, den 27. Januar und den 8. Mai, gemäß ihrer historischen und erinnerungskulturellen Bedeutungen zu begehen.“
Der Schoß war fruchtbar...
Ein kurzer Blick auf Schleswig-Holstein aus Anlass des 80. Jahrestages der Befreiung: Bereits bei den Reichstagswahlen vom 31. Juli 1932 – ein halbes Jahr vor der Machtübertragung an die Nazis – entschieden sich mehr als die Hälfte aller schleswig-holsteinischen Wähler für die NSDAP, während es im Reichsdurchschnitt deutlich unter 40 Prozent waren. Und: Die Schleswig-Holsteiner wussten genau, was sie mit dem „Nationalsozialismus“ erwartete. „Mitten in ihrem Land, in dem zu Oldenburg gehörenden ‚Landesteil Lübeck‘ mit dem ‚Regierungssitz‘ Eutin, konnten sie schon seit Mai 1932 miterleben, was nationalsozialistische Machtübernahme konkret bedeutete. Sie konnten mit eigenen Augen sehen, wie aus prügelnden SA-Männern urplötzlich offiziell prügelnde Hilfspolizisten wurden, die sich sofort an die Verfolgung von Sozialisten und Kommunisten, aber auch an die Entmachtung konservativer Honoratioren machten. Sie wünschten ihn sich offenbar genau so, wie er sich ihnen darstellte. Diese Vermutung wird durch die hohe Zahl nationalsozialistischer Parteimitglieder bestätigt: In keiner anderen Region Deutschlands war die Mitgliederdichte im Jahre 1935 so hoch wie in Schleswig-Holstein“[1]
1945 wurde der Norden als letzter Teil des Reiches von den Alliierten befreit. Im äußersten Norden, in Flensburg, führte der Hitler-Nachfolger Dönitz samt seinem Stab ungerührt die Regierungsgeschäfte weiter – bis über den letzten Tag hinaus, nämlich bis zum 23. Mai. In seinem Tross befand sich die geschäftsführende Reichsregierung mit allen Hilfskräften, dazu das Oberkommando der Wehrmacht, insgesamt weit mehr als 1500 Personen.
Verhaftung von Karl Dönitz am 23. Mai 1945
Hier bildete sich daher relativ schnell und wirkungsvoll ein neues altes Nazi- Netzwerk (die sog. „Rattenlinie Nord“). „Dieses umfasste, um nur einen Teil zu nennen, das Landessozialministerium, die Spitze der Landespolizei, wesentliche Teile der Landesjustiz und sogar den Chef der schleswig-holsteinischen Staatskanzlei, der für Personalfragen zuständig war. Ergebnis: Im Oktober 1947 waren in der britischen Zone bereits 70-80 Prozent der Richterstellen mit ehemaligen NSDAP-Mitgliedern besetzt.“
Neitzel: „Wir brauchen Soldaten als Kämpfer und Krieger“
Passend zum Veranstaltungsort findet die Gedenkveranstaltung der CDU-Grünen-Landesregierung ausdrücklich in Kooperation mit der Bundeswehr statt. Als Redner konnte der Militärhistoriker Sönke Neitzel gewonnen werden, Professor für Militärgeschichte an der Uni Potsdam und medienpräsent in der Sendung „zdf-History“. 2020 legte er mit „Deutsche Krieger: Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte“ sein Standartwerk vor und begründete damit die militärpolitische „Zeitenwende.“
Für den Historiker Wolfram Wette bedient der „Bellizist“ und „Revisionist“ Neitzel mit einer „wissenschaftlich eingefärbten Krieger-Nostalgie“ darin die Rede vom „Ernstfall Krieg“.[2] Und in einer Radio-Sendung des WDR wird Neitzel mit dem bemerkenswerten Satz wahrgenommen: „Wir brauchen Soldaten als Kämpfer und Krieger, müssen das Kriegshandwerk wieder lernen.“.[3]
Zu dieser Gedenkveranstaltung fällt mit nur das Zitat des Malers Max Liebermann anlässlich der Machtübertragung an Hitler ein: „Ich kann gar nicht so viel fressen wie ich kotzen möchte.“
txt: Günther Stamer
Anmerkungen
[1] Karl Heinrich Pohl, Überlegungen zur „Vergangenheitsbewältigung“ in Schleswig-Holstein nach 1945. In: Demokratische Geschichte 17. Malente 2006, S. 210 / 213
[2] „Deutsche Krieger – Kämpfen, töten, sterben. Der Militärhistoriker Sönke Neitzel plädiert für die Rückkehr der Bundeswehr zu kriegerischen Traditionen. In: Frankfurter Rundschau-online, 10.2. 2021.
[3] Gespräch von Jörg Thadeusz mit Sönke Neitzel am 26.11.2020 WDR 2 Talk-Radio