17.01.2024: Bundesregierung stellt sich im Völkermordprozess an die Seite Israels. ++ Namibia: Deutschland zieht keine Lehren aus seiner Geschichte
Namibia hat Deutschland scharf dafür verurteilt, dass es Israel bei der Verteidigung gegen die Völkermordvorwürfe vor dem Internationalen Gerichtshof IHG unterstützt, und erinnerte an die Rolle Deutschlands beim ersten Völkermord an den Völkern der Herero und Nama in den 1900er Jahren.
Es war zwar Zufall, dass der Verhandlungsbeginn beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag über Südafrikas Klage gegen Israel wegen Völkermordes in Gaza am 12. Januar mit dem 120. Jahrestag des Beginns des deutschen Völkermordes an den Herero und Nama auf dem Gebiet des heutigen Namibia zusammenfiel.
Bezeichnend allerdings, dass die Bundesregierung zu diesem Jahrestag kein Wort verlor, sich aber am selben Tag zum Richter im Prozess gegen Israel wegen des Vorwurfs des Völkermords vor dem Internationalen Gerichtshof IGH aufspielte. Ohne im Geringsten auf die Argumente der südafrikanischen Anklage einzugehen wies die deutsche Regierung Südafrikas Völkermordvorwurf pauschal zurück. "Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage." So, als hätten die südafrikanischen Juristen, die an diesem Tag ihre Klage in Den Haag vortrugen, den ganzen Tag nur Blödsinn geredet und als brauche man gar kein IGH-Urteil abzuwarten, um das zu wissen.
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Hebestreit teilte in einer Presseerklärung mit, dass Berlin "den gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermordes entschieden zurückweist. Er entbehrt jeglicher Grundlage". In der Erklärung wird die südafrikanische Anklage als eine "politische Instrumentalisierung" der UN-Völkermordkonvention bezeichnet, die Deutschland ablehnt. Er fügte hinzu, dass Deutschland "deshalb als dritte Partei in der Hauptverhandlung vor dem Internationalen Gerichtshof sprechen wird".[1]
"Entbehrt jeglicher Grundlage", teilt die Regierung eines Landes mit, das für zwei Völkermorde verantwortlich ist, ohne im geringsten auf die stichhaltigen Argumente in der 84-seitigen Anklageschrift Südafrikas [siehe hier] oder die mündlichen Erläuterungen der süüdafrikanischen Anwälte vor dem Internationalen Gerichtshof einzugehen, die zumindest den Verdacht und die Möglichkeit eines Völkermordes durch Israel begründen. (siehe kommunisten.de: Südafrika beschuldigt Israel vor dem Internationalen Gerichtshof des "Völkermords" in Gaza)
Gaza, ein Friedhof für Kinder
Die Bundesregierung ignoriert die Flächenbombardierungen des Gazastreifens, bei denen seit Beginn des israelischen Vernichtungskrieges am 7. Oktober – von Berlin in Putinscher Diktion verharmlosend als "Operation Israels im Gazastreifen" bezeichnet - mehr als 24.000 Palästinenser:innen ermordet wurden, davon über 10.000 Kinder und 7.000 Frauen. Getötet wurden durch die israelische Armee 337 Ärzt:innen und medizinische Mitarbeiter:innen sowie 142 UN-Mitarbbeiter:innen. 117 Journalist:innen wurden zumindest zum Teil gezielt ermordet. Achttausend weitere Menschen werden vermisst und sind vermutlich unter den Trümmern umgekommen. Über 60.000 Menschen sind verwundet und können kaum medizinisch versorgt werden, weil die meisten Krankenhäuser und 121 Ambulanzen gezielt zerstört wurden. 131 Einrichtungen der UNO wurden in Grund und Boden gebombt. Gaza wurde in eine Mondlandschaft verwandelt – "Wir werden Gaza zu einer Insel aus Ruinen machen", hatte Israels Premier Netanjahu am 8. Oktober angekündigt. Fast zwei Millionen Menschen wurden von der israelischen Armee in die Flucht getrieben und leiden unter der israelischen Hungerblockade. Der israelische Kriegsminister Gallant bezeichnet die Palästinenser:innen in Nazi-Rhetorik als "menschliche Tiere" und andere Minister erklären offen, die Palästinenser:innen aus Gaza vertreiben zu wollen.
"Israel ist ein demokratischer Staat mit sehr humanitären Prinzipien, die ihn leiten. Da kann man sicher sein, dass die israelische Armee auch bei dem, was sie macht, die Regeln beachten wird, die sich aus dem Völkerrecht ergeben. Da habe ich keine Zweifel." |
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In Südafrika und den arabischen Ländern ist man über Deutschlands Arroganz irritiert. Namibias Präsident hat in einer vernichtenden Stellungnahme den deutschen Schritt verurteilt, im Namen Israels als dritte Partei in der Verteidigung aufzutreten und Deutschland vorgeworfen, es sei nicht in der Lage, "Lehren aus seiner schrecklichen Geschichte zu ziehen". Er bezieht sich dabei auf den Völkermord, den Deutschland im letzten Jahrhundert in seinem Land an den Herero und Nama verübt hat. Zwischen 1904 und 1908 wurden mehr als 70.000 Menschen von den deutschen Kolonialtruppen ermordet. Die deutschen Massaker in Namibia werden heute als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts bezeichnet. Im Jahr 2021 räumte Deutschland offiziell ein, in Namibia einen Völkermord begangen zu haben.
"Es ist besorgniserregend, dass die deutsche Regierung den gewaltsamen Tod von mehr als 23.000 Palästinensern im Gazastreifen und verschiedene Berichte der Vereinten Nationen ignoriert, die in beunruhigender Weise auf die Binnenvertreibung von 85% der Zivilisten im Gazastreifen angesichts des akuten Mangels an Lebensmitteln und lebenswichtigen Dienstleistungen hinweisen, und sich dafür entschieden hat, vor dem Internationalen Gerichtshof die völkermörderischen und grausamen Handlungen der israelischen Regierung gegen unschuldige Zivilisten im Gazastreifen und in den besetzten palästinensischen Gebieten zu verteidigen", heißt es in der Erklärung Namibias, die auf X veröffentlicht wurde.[2]
"Deutschland kann sich nicht moralisch zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Völkermord bekennen, einschließlich der Sühne für den Völkermord in Namibia, und gleichzeitig das Pendant zu Holocaust und Völkermord in Gaza unterstützen."
Der namibische Präsident Hage Geingob fordert den ehemaligen Kolonialherrn seines Landes auf, seine "unzeitgemäße Entscheidung, als Dritter zur Verteidigung und Unterstützung der völkermörderischen Handlungen Israels vor dem Internationalen Gerichtshof zu intervenieren", zurückzunehmen.
Video: Germany should condemn all genocides
Penohole Brock, Beraterin für Transitional Justice, spricht über Deutschlands Versäumnis, alle Völkermorde zu verurteilen, während es Israel im Völkermordprozess vor dem IGH unterstützt.
https://www.facebook.com/watch/?v=7076016935851932
Erklärung der Bundesregierung zur Verhandlung am Internationalen Gerichtshof
Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Hebestreit, teilt mit:
Pressemitteilung 10
Freitag, 12. Januar 2024
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung (BPA)
Am 7. Oktober 2023 haben Terroristen der Hamas unschuldige Menschen in Israel brutal überfallen, gequält, getötet und entführt. Das Ziel der Hamas ist es, Israel auszulöschen. Israel verteidigt sich seitdem gegen den menschenverachtenden Angriff der Hamas.
Angesichts der deutschen Geschichte und des Menschheitsverbrechens der Shoa sieht sich die Bundesregierung der Konvention gegen Völkermord besonders verbunden. Diese Konvention ist ein zentrales Instrument des Völkerrechts, um das "nie wieder" umzusetzen. Einer politischen Instrumentalisierung treten wir entschieden entgegen.
Wir wissen, dass verschiedene Länder die Operation Israels im Gazastreifen unterschiedlich bewerten. Den nun vor dem Internationalen Gerichtshof gegen Israel erhobenen Vorwurf des Völkermords weist die Bundesregierung aber entschieden und ausdrücklich zurück. Dieser Vorwurf entbehrt jeder Grundlage.
Die Bundesregierung unterstützt den Internationalen Gerichtshof in seiner Arbeit, so wie sie es seit vielen Jahrzehnten tut. Die Bundesregierung intendiert, in der Hauptverhandlung als Drittpartei zu intervenieren.
Namibische Präsidentschaft
Namibia lehnt Deutschlands Unterstützung der völkermörderischen Absichten des rassistischen israelischen Staates gegen unschuldige Zivilisten in Gaza ab.
Auf namibischem Boden beging Deutschland 1904-1908 den ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, bei dem Zehntausende unschuldiger Namibier unter unmenschlichsten und brutalsten Bedingungen starben. Die deutsche Regierung hat den Völkermord, den sie auf namibischem Boden begangen hat, noch immer nicht vollständig wiedergutgemacht.
Angesichts der Unfähigkeit Deutschlands, Lehren aus seiner grausamen Geschichte zu ziehen, hat Präsident Hage Geingob seine tiefe Besorgnis über die schockierende Entscheidung zum Ausdruck, die die Regierung der Bundesrepublik Deutschland gestern, am 12. Januar 2024, mitgeteilt hat, in der sie die moralisch gerechtfertigte Anklage Südafrikas vor dem Internationalen Gerichtshof zurückgewiesen hat, wonach Israel einen Völkermord an den Palästinensern in Gaza begeht.
Es ist besorgniserregend, dass die deutsche Regierung den gewaltsamen Tod von mehr als 23.000 Palästinensern im Gazastreifen und verschiedene Berichte der Vereinten Nationen ignoriert, die in beunruhigender Weise auf die Binnenvertreibung von 85% der Zivilisten im Gazastreifen angesichts des akuten Mangels an Lebensmitteln und lebenswichtigen Dienstleistungen hinweisen, und sich dafür entschieden hat, vor dem Internationalen Gerichtshof die völkermörderischen und grausamen Handlungen der israelischen Regierung gegen unschuldige Zivilisten im Gazastreifen und in den besetzten palästinensischen Gebieten zu verteidigen.
Deutschland kann sich nicht moralisch zur Konvention der Vereinten Nationen gegen Völkermord bekennen, einschließlich der Sühne für den Völkermord in Namibia, und gleichzeitig das Pendant zu Holocaust und Völkermord in Gaza unterstützen.
Verschiedene internationale Organisationen, wie Human Rights Watch, sind zu dem erschreckenden Schluss gekommen, dass Israel in Gaza Kriegsverbrechen begeht.
Präsident Geingob bekräftigt seinen Aufruf vom 31. Dezember 2023: "Kein friedliebender Mensch kann das Gemetzel an den Palästinensern in Gaza ignorieren". In diesem Sinne appelliert Präsident Geingob an die deutsche Regierung, ihre unangebrachte Entscheidung, vor dem Internationalen Gerichtshof als Drittpartei zur Verteidigung und Unterstützung der völkermörderischen Handlungen Israels aufzutreten, zu überdenken.
Windhoek, 13. Januar 2024
Quelle: https://twitter.com/NamPresidency/status/1746259880871149956
eigene Übersetzung
Anmerkungen:
Die verfahrenseinleitende Klageschrift ist auf der Website des Gerichtshofs abrufbar:
https://www.icj-cij.org/sites/default/files/case-related/192/192-20231228-app-01-00-en.pdf
Auszüge aus Südafrikas Völkermordanklage gegen Israel in deutscher Sprache: https://www.jungewelt.de/artikel/467099.v%C3%B6lkerrecht-der-schwerste-vorwurf.html
- Wird der Internationale Strafgerichtshof Israel des Völkermords schuldig sprechen?
- 13. Januar: Globaler Aktionstag für Waffenstillstand und Solidarität mit Palästina
- Südafrika beschuldigt Israel vor dem Internationalen Gerichtshof des "Völkermords" in Gaza
- Staats- und Regierungschefs der Welt müssen den Mut finden, Israel und die USA dort zu treffen, wo es weh tut
- Retter in Gaza leiden unter dem Leid derer, die sie nicht retten konnten
- CNN besuchte ein Krankenhaus in Gaza: "ein Blick in die Hölle"
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- UN-Berichterstatterin: Völkermord in Gaza
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