16.10.2020: Die deutsche Luftwaffe trainierte diese Woche mit Nato-Partnern in einer geheimen Bündnisübung die atomare Verwüstung Europas ++ Sevim Dagdelen: "Statt immer neuer Drohungen und Ultimaten braucht es endlich eine Entspannungspolitik im Verhältnis zu Russland!"
Vor 10 Jahren forderte der Bundestag, dass die letzten US-Atomwaffen auf deutschem Boden verschwinden sollen. Heute sind sie immer noch da – und sie werden sogar modernisiert. Die alten US-Atombomben vom Typ B61-3 und B61-4 werden durch die neuen B61-12 ersetzt, die lenkbar sind und Ziele dadurch viel genauer treffen können. Experten befürchten, dass mit der neuen Generation von Atomwaffen die "nukleare Schwelle" eher überschritten wird.
15 bis 20 Atombomben, die genaue Zahl ist geheim, sollen im Luftwaffenstützpunkt Büchel gelagert sein. Hier ist das "Taktische Luftwaffengeschwader 33" der Bundeswehr stationiert. Käme es zu einem Atomkrieg würden deutschen Tornado-Kampflugzeugen die Atombomben ans Ziel fliegen und abwerfen. Die Codes zum Scharfmachen der Atombomben kennen nur US-Militärs, ihr Abwurf aber wäre die Aufgabe deutscher Soldaten. "Nukleare Teilhabe" heißt dieses Modell, mit dem der Nicht-Atomwaffenstaat Deutschland die Atombomben der USA einsetzen kann. Die bislang in Büchel stationierten Bomben haben eine Sprengkraft zwischen 50 und 170 Kilotonnen, was dem Vier- bis Dreizehnfachen der Sprengkraft der 1945 über Hiroshima abgeworfenen Bombe mit 13 Kilotonnen entspricht. Weitere US-Atomwaffen sollen in Italien, Belgien, der Türkei und den Niederlanden lagern.
"Steadfast Noon" heißt die geheime Nato-Bündnisübung, mit der die deutsche Luftwaffe gemeinsam mit niederländischen, belgischen und italienischen Kampflugzeugen die atomare Verwüstung Europas übt.
Dieses Atomkriegsmanöver findet in einer Zeit statt, in der die Gefahr eines auch mit Atomwaffen geführten Krieges als deutlich höher als in den vergangenen drei Jahrzehnten gewertet wird, weil Rüstungsbegrenzungsabkommen zwischen den USA und Russland von der Trump-Regierung aufgekündigt worden sind.
So hat die US-Regierung mit Rückendeckung der Nato-Partner im Sommer 2019 den INF-Vertrag über den Verzicht auf landgestützte atomwaffenfähige Mittelstreckensysteme in Europa aufgekündigt. Es ist damit zu rechnen, dass es auf diesem Gebiet zu einem neuen Rüstungswettlauf kommt. Die USA arbeiten bereits an einem neuen mobilen bodengestützten Mittelstreckensystem, das in Zeiten des INF-Vertrags illegal gewesen wäre.
Am 5. Februar 2021 endet der New-Start-Vertrag zur Begrenzung strategischer Atomwaffen, das letzte große Abrüstungsabkommen zwischen Russland und den USA. Zwar sprechen Washington und Moskau über eine Verlängerung des Abkommens, aber der russische Außenminister Lawrow hat zuletzt wenig Hoffnung geäußert, dass mit Washington unter Präsident Donald Trump eine Einigung erzielt werden kann.
Auch im Weltraum hat ein gefährliches Wettrüsten begonnen. Im März 2018 verkündete Donald Trump eine neue militärische Weltraumstrategie. "Meine neue nationale Strategie begreift das All als Kampfgebiet, genau wie die Luft und das Meer. Wir könnten auch eine Space Force haben, die wäre zu entwickeln." Er benannte 30 Jahre nach Ende des kalten Kriegs auch wieder reale Gegner: Russland und China.
Im Jahr 2014 hatten Vertreter Chinas und Russlands einen Vertragsentwurf vorgelegt, mit dem im Weltraum stationierte Waffensysteme geächtet werden sollten. Doch dieser wurde vor allem von den USA abgelehnt, weil er der erklärten Dominanz des US-Militärs in allen Bereichen inklusive des Alls entgegensteht.
Brisanz erhält das Atomkriegsmanöver auch vor dem Hintergrund wachsender politischer Spannungen mit Russland. Die Bundesregierung und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) profilieren sich als Scharfmacher gegen Moskau. Auf Druck der Bundesregierung und Frankreichs sind im Fall Alexej Nawalny einseitige EU-Sanktionen gegen Russland in Kraft getreten, die offenbar das Ziel verfolgen, die deutsch-russischen Beziehungen komplett gegen die Wand zu fahren.
Die Sprecherin für Abrüstungspolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Sevim Dagdelen dazu: "Die Initiierung einer Eiszeit durch die Bundesregierung in den Beziehungen zu Russland entspricht zwar der Konfrontationspolitik von US-Präsident Donald Trump, kann aber weder im Interesse der deutschen Bevölkerung noch der Menschen in Europa sein. Statt immer neuer Drohungen und Ultimaten braucht es endlich eine Entspannungspolitik im Verhältnis zu Russland!"