10.12.2019: Am gestrigen Montag (9.12.), wenige Tage vor der ersten Lesung des Mietendeckel-Gesetzes im Berliner Abgeordnetenhaus, mobilisierte die Immobilienlobby auf die Straße. Um die 1.000 Lobbyist*innen, Vermieter*innen, Chefs aus der Baubranche und ihre Angestellten, die den Vormittag bezahlt freibekommen haben, versammelten sich vor dem Brandenburger Tor, um gegen den vom rot-rot-grünen Berliner Senat beschlossenen Mietendeckel zu protestieren.
Mit einem wahren Gruselbild von rot-rot-grün (Foto oben) hatten die Berliner »Haus und Grund« und andere Initiativen und Verbände der Immobilienwirtschaft zu der Demo aufgerufen. Mit dabei vor dem Brandenburger Tor, der Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus Sebastian Czaja sowie der Berliner CDU-Chef Kai Wegner.
Unter die Demonstrierenden hatten sich auch einige elegant gekleidete Gegendemonstrant*innen mit ihren Schildern gemischt. Ihre Sprüche wie "Die Häuser denen, die sie kaufen", "Mehr Kapitalismus wagen" waren nur schwer zu unterscheiden von den ernst gemeinten Losungen. Erschien das Schild mit dem Bild von Kim Jong Un und der Losung "Mietendeckel stoppen – alle Wege der Regulierung führen nach Pjöngjang" erst als Satire, so rief dann tatsächlich ein Kundgebungsredner den Versammelten zu: "Der Weg nach Pjöngjang ist nichts für Berlin." Und aus der Menge tönte es: "Wir wollen keinen Sozialismus!"
In den Redebeiträgen war dann häufig von enttäuschten Rendite-Erwartungen die Rede und davon, dass nicht mehr gebaut wird, wenn die Rendite nicht stimmt. Verschwiegen wurde, dass die Wohnungskonzerne auch bisher nicht bauten - so hat die Deutsche Wohnen in den vergangenen fünf Jahren weniger als 100 Wohnungen in Berlin gebaut -, sondern ihre Gelder zum größten Teil in den An- und Verkauf existierender Wohnungen investierten.
Kein Wunder, dass die Kampagne der Immobilienlobby auf wenig Resonanz bei den Berliner Mieter*innen stößt. Für ihre Unterschriftensammlung gegen den Mietendeckel findet sie nicht einmal genügend Leute, die freiwillig Unterschriften sammeln, so dass sie lt. einer inzwischen deaktivierten Stellenanzeige Leute sucht, die für 13 Euro die Stunde die Unterschriften beibringen.
CDU und FDP wollen verhindern, dass der Mietendeckel in Kraft tritt
Ernster zu nehmen, als dieser klägliche Versuch, auf der Straße gegen den Mietendeckel zu mobilisieren, sind die Blockaden aus dem politischen Establishment und dessen juristischen Angriffe.
Die CDU- und FDP-Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus sucht nach Wegen, um den Mietendeckel nach der Beschlussfassung umgehend zu kippen. z.B. mit einer einstweiligen Anordnung durch ein Gericht. Hilfestellung erhält sie aus dem von Horst Seehofer (CSU) geführten Bundesinnenministerium. In einer gezielten Aktion stach das Innenministerium ein internes Rechtsgutachten an die Presse durch.
In dem internen Papier wird der geplante Mietendeckel als grundgesetzwidrig eingeschätzt. Die Mietpreisbegrenzung sei bereits durch den Bund "umfassend und abschließend geregelt" worden. Solche Entscheidungen des zuständigen Bundesgesetzgebers dürften nicht durch Einzelentscheidungen eines Landes "verfälscht werden", die "Gesetzgebungskompetenz der Länder" sei daher "gesperrt". Zudem greife der Gesetzentwurf in die vom Grundgesetz geschützte Eigentumsfreiheit der Wohnungseigentümer*innen und ihre Vertragsfreiheit ein.
"Das Innenministerium führt eine politische Kampagne gegen den Mietendeckel", kritisiert die Mietenspezialistin der Linksfraktion im Bundestag, Caren Ley.
Unterstützung erhält die Immobilienlobby auch von Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier. Für den Immobilienverband GdW erstellte er ein Gutachten, in dem sowohl die Landeskompetenz Berlins als auch die Rechtmäßigkeit einer Mietabsenkung bestritten wird.
Gutachten zum Berliner Mietendeckel. Auch Mietabsenkung ist rechtmäßig
Eine dem entgegengesetzte Position beziehen die renommierten linken Staatsrechtler Andreas Fischer-Lescano, Christoph Schmid und Andreas Gutmann. In einem Gutachten für die Rosa-Luxemburgstiftung begründen sie die Verfassungsmäßigkeit des Berliner Mietendeckels.
Andreas Fischer-Lescano kritisierte am Montag (9.12.) auf einer Pressekonferenz das Gutachten von Hans-Jürgen Papier. Zu der Frage, ob die Bundesregierung die Mietpreisbegrenzung "abschließend geregelt" habe, meinte Fischer Lescano: "Wenn das so einfach wäre, dürfte es auch keine Landesversammlungsgesetze geben, weil es schon ein entsprechendes Bundesgesetz gibt." Der Bund regele die Mieten im Zivilrecht, die Länder könnten sie seit der Föderalismusreform 2006 öffentlich-rechtlich regeln. Wichtig für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit sei, dass die Berliner Regel der bundesrechtlichen Mietpreisbremse nicht widerspreche, sondern deren Wirkung verstärke.
Und tatsächlich wird mit dem Mietendeckel z.B. ein Schlupfloch gestopft, mit dem Vermieter*innen die bisher bestehenden Mietenregulierungen umgehen konnten. "Möbliertes Wohnen" war nämlich bisher von Mietpreisbremse und anderen Regulierungen ausgenommen. Im Ergebnis reichte es, wenn Vermieter*innen eine billige IKEA-Couch, einen Tisch und ein paar Stühle in eine Wohnung stellten, um absolut überteuerte, aber auf dem Markt realisierbare Mieten zu verlangen. Damit ist mit dem Berliner Mietdeckel-Gesetz jetzt Schluss.
Auch anders als die Mietpreisbremse der Großen Koalition, bei der Verstöße lediglich als Ordnungswidrigkeiten gelten und somit für die Vermieter*innen quasi folgenlos bleiben, bekommen Vermieter*innen, die gegen den Mietendeckel verstoßen, ein handfestes Problem: ihnen droht eine Strafzahlung von bis zu 500.000€. So sieht es aus, wenn eine Regierung ernst macht, mit der Durchsetzung von Mieterschutz.
Aber nicht nur ein Mietstopp, sondern auch die Absenkung bereits bestehender Mieten sei verfassungsgemäß, argumentieren die drei Juristen. "Die Kompetenz des Landesgesetzgebers für die Festsetzung einer Mietenobergrenze bliebe unvollständig, wäre es den Länder untersagt, auch bereits bestehende Mietverträge zu beschränken", heißt es in dem Rechtsgutachten [1]
Mietenbewegung wird Ausschlag geben
Das jetzt beginnende juristische Tauziehen ist nur ein Aspekt der Auseinandersetzung. Ausschlaggebend wird sein, ob die Mietenbewegung sich als eigenständiges Kraftzentrum in der Stadt Berlin weiter festigen und die öffentliche Debatte weiter nach links verschieben kann.
"Dass der Mietendeckel jetzt kommt, wäre ohne diese politischen Prozesse der Hegemoniebildung durch eine breite und in den Kiezen verankerte Mietenbewegung undenkbar gewesen. Dass er nun so kommen soll, wie er derzeit geplant ist, ist nicht zuletzt ein Erfolg der Regierungsarbeit der LINKEN. Denn er enthält alle vier von der Partei geforderten Bausteine und geht damit weit über das hinaus, was die SPD Anfang des Jahres vorgeschlagen hatte", schreibt Moritz Warnke in einer Bewertung des Berliner Mietendeckels. [2]
Die weitere Auseinandersetzung um das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« wird auch die Debatte um den Mietendeckel stark beeinflussen.
Fußnoten
[1] Andreas Fischer-Lescano, Christoph Schmid und Andreas Gutmann: Rechtsgutachten "LANDESKOMPETENZEN FÜR MASSNAHMEN DER MIETPREISREGULIERUNG"
https://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/Studien/Studien_8-19_Mietpreisregulierung_web.pdf
[2] Moritz Warnke: Berliner Mietendeckel. 4 Bausteine für ein Halleluja!
https://www.zeitschrift-luxemburg.de/berliner-mietendeckel-4-bausteine-fuer-ein-halleluja/
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