Deutschland

Refugees fliehen vor Bombenupdate 30.08.2018: Prüfung der positiven Asylbescheide der Bremer Außenstelle des BAMF abgeschlossen: Von 18.315 positiven Bescheiden wurde nur in 165 Fällen ein »grobes Hinwegsetzen über Vorgaben« festgestellt.

24.08.2018: Nach vier Monaten bleibt vom »BAMF-Skandal« nichts übrig ++ über 99% der Asylbewiligungen sind rechtens ++ Ulla Jelpke: "Das Problem sind nicht die Anerkennungen, sondern die hohe Zahl fehlerhafter Ablehnungen" ++ neuer Leiter des BAMF kommt aus dem innersten Zirkel der CSU ++ »BAMF-Skandal« war Teil der politischen Offensive, mit der Gesellschaft und Politik weiter nach rechts gedrückt wurden

Wer erinnert sich noch. Mitte April der »Riesenskandal«. Tagelang werden Politik und Medien von einem Thema dominiert: Die Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) soll positive Asylbescheide ohne rechtliche Grundlage gegeben haben. Die amtsenthobene Leiterin Ulrike B. habe in Zusammenarbeit mit drei Anwälten in mindestens 1.200 Fällen unrechtmäßig Asyl erteilt. Ganze Busladungen von Asylbewerbern seien nach Bremen gebracht worden, um dort entscheiden zu lassen. Das Bundesinnenministerium äußerte, die Vorgänge in Bremen seien "hochkriminell und bandenmäßig" gewesen. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen wegen Korruption auf.

 

Wenn allein in Bremen 1.200 Asylanträge ohne Prüfung positiv entschieden wurden, so wurde suggeriert, wie viele Migrant*innen leben dann »unrechtmäßig« unter uns? Ungeprüft wurden sie aufgenommen, das können Terrorist*innen sein, Kriminelle ... Mit diesem Angstszenario wurde die Angelegenheit zu einer politischen Affäre aufgeblasen, die die politische Szene nach rechts verschob.

AfD und FDP forderten einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum BAMF. Selbst in der Linksfraktion machte sich Verunsicherung breit. Während sich Linkspolitiker*innen gegen einen Untersuchungsausschuss aussprachen, weil " zwei rechte Parteien, AfD und FDP, einen Untersuchungsausschuss fordern, um rechtspopulistische Stimmungsmache zu betreiben" (Katja Kipping) und so eine "noch restriktivere Flüchtlingspolitik" (Ulla Jelpke) durchsetzen wollen, zeigte sich die Fraktionsvorsitzende der LINKEN, Sahra Wagenknecht, offen für die Einsetzung des von AfD und FDP beantragten Untersuchungsausschusses. Wagenknecht sah bei der BAMF-Außenstelle Bremen sogar "organisierte Kriminalität" am Werke.


Ulla Jelpke"Denn den beiden Fraktionen geht es mitnichten um die konstruktive Behebung der Missstände im BAMF, deren erste Leidtragende die Asylsuchenden selbst sind. Vielmehr zielen sie auf eine Generalabrechnung mit der kurzfristigen Politik der offengehaltenen Grenzen von Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2015 – um so eine noch restriktivere Flüchtlingspolitik durchzusetzen."

Ulla Jelpke, MdB, DIE LINKE

   

 


Sahra Wagenknecht Bundestag"Aber wenn im Innenausschuss keine ernsthafte Aufklärung stattfindet und wir das Gefühl bekommen, dass weiter vertuscht und verschleppt wird, dann gäbe es ja nur noch das Instrument des Untersuchungsausschusses."
(
Sahra Wagenknecht , SPIEGEL ONLINE, 07.06.2018)

"Es geht offenkundig um organisierte Kriminalität und schwerwiegenden Betrug. Diese Vorgänge müssen schleunigst aufgeklärt werden.“
Sahra Wagenknecht, Berliner Morgenpost, 27.05.2018)

 

 

Was ist von den Vorwürfen und der Debatte übriggeblieben?

Innenminister Horst Seehofer entließ die Bamf-Chefin Jutta Cordt, ein Team von 70 Bamf-Mitarbeitern überprüfte seit Mai alle 18.000 positiven Entscheidungen aus Bremen bis zurück ins Jahr 2000.

Doch jetzt ist klar: Bislang hat die Prüfung kaum etwas ergeben.

Asyl wurde zurecht erteilt.

Ende Juli teilte das Innenministerium auf eine schriftliche Anfrage der Linken-Abgeordneten Ulla Jelpke mit, dass bislang lediglich in 17 Fällen Entscheidungen zurückgenommen oder widerrufen wurden; in 16 weiteren Fällen würden Rücknahme– oder Widerrufsverfahren noch laufen. Jelpke erklärte dazu, dass selbst bei diesen wenigen Fällen unklar sei, ob die Rücknahmen und Widerrufe einer gerichtlichen Prüfung standhalten. "Zudem sind Rücknahmen formale Verfahrensentscheidungen, die keinen Rückschluss auf Täuschungsversuche durch die Antragsteller zulassen“, so Jelpke

Auf eine erneute Anfrage von Ulla Jelpke muss das Innenministerium eingestehen, dass 99 Prozent der Migrant*innen zu Recht Schutz in Deutschland erhalten.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt: "Die Befürchtung, viele Flüchtlinge könnten zu Unrecht Schutz in Deutschland erhalten haben, lässt sich durch aktuelle Prüfzahlen nicht bestätigen. Demnach endeten im ersten Halbjahr 2018 von mehr als 43.000 abgeschlossenen Prüfverfahren nur 307 damit, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Geflüchteten den bereits gewährten Schutzstatus wieder entzog.

Nur in 0,7 Prozent der untersuchten Fälle
widerrief das Amt

Nur in 0,7 Prozent der untersuchten Fälle widerrief das Amt also den Schutzbescheid. 99,3 Prozent der überprüften Flüchtlinge behielten das Recht, bleiben zu dürfen. Das geht aus der Bilanz hervor, mit der das Bundesinnenministerium eine Anfrage der linken Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke beantwortete." (Süddeutsche Zeitung, 20.8.2018)

Zu der inzwischen abgeschlossenen Prüfung der Anerkennungen der Bremer BAMF-Außenstelle nennt das Innenministerium keine Zahlen. Die niedrige Widerrufsquote sei jedoch "ein Indiz für die Qualität und Richtigkeit" der BAMF-Entscheidungen, schreibt das Ministerium.

"brandgefährliche Hetze ohne Grundlage"

"Die Zahlen entlarven die Behauptungen, im BAMF gäbe es erhebliche Sicherheitsmängel und Asylsuchende würden zahlreich über ihre Identität täuschen oder zu Unrecht anerkannt werden, als brandgefährliche Hetze ohne Grundlage. Die geforderte Prüfung der Anerkennungsbescheide hat nun ergeben: Nichts davon ist wahr.

"Es wird von politisch interessierter Seite" immer wieder der Eindruck erweckt, es gebe erhebliche Sicherheitsmängel im BAMF. Nichts davon ist wahr. Gerade mal ein Prozent der aktuell überprüften Anerkennungsbescheide wurde widerrufen und auch im schriftlichen Verfahren werden Anerkennungen fast ausnahmslos bestätigt. Hinweise auf Sicherheitsgefährdungen in diesen Fällen hat die Bundesregierung offenkundig keine“, kommentiert die innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke, die Antwort der Bundesregierung auf ihre Kleine Anfrage zur ergänzenden Asylstatistik für das erste und zweite Quartal 2018 (BT-Drucksache 19/3451).

Jelpke kritisiert, dass das eigentliche Problem nicht die Anerkennungen, sondern die hohe Zahl fehlerhafter Ablehnungen sei, die in zehntausenden Fällen von den Gerichten korrigiert werden müssen. So wurden im Jahr 2017 über 32.500 der negativ entschiedenen Asylentscheide von Gerichten wieder einkassiert – insgesamt 44 Prozent der Entscheide, gegen die Geflüchtete geklagt haben. 4.500 Fehlentscheidungen hat das BAMF von sich heraus korrigiert.

Refugees BAMF Buchholz

Christine Buchholz (MdB, DIE LINKE), April 2018, Facebook

 

Ulla Jelpke: "Nicht die Anerkennungen, sondern die hohe Zahl fehlerhafter Ablehnungen, die in zehntausenden Fällen von den Gerichten korrigiert werden müssen sind das eigentliche Problem. Eine fehlgeleitete und ressentimentgeladene Debatte um angeblich zu laxe Zustände im BAMF hat von der hohen Zahl fehlerhafter Ablehnungen abgelenkt. Grund dafür sind gewisse Dienststellen mit deutlich überdurchschnittlichen Ablehnungsquoten. Die Ablehnungsbescheide aus diesen Ländern müssen zwingend erneut geprüft und gegebenenfalls abgeändert werden. Das würde nicht nur die Gerichte entlasten sondern auch die Arbeit des BAMF aufwerten. Die fehlerhafte Versagung von Flüchtlingsschutz ist absolut inakzeptabel."
(Ulla Jelpke, "Die Zahlen zeigen es: Nicht Asylanerkennungen sondern Ablehnungen sind das Problem", 20. 8 2018)

Von den Vorwürfen blieb nichts übrig, aber ....

... das BAMF hat eine neue Leitung, die vermutlich die Ablehnungsquote in den Höhe treiben wird. Denn seit dem 21. Juni 2018 leitet Hans-Eckhard Sommer das BAMF. Sommer zählt zum innersten Zirkel der CSU. Er war Büroleiter bei Stoiber, Referent bei Beckstein, Kassenprüfer der Partei, Abteilungsleiter im bayrischen Innenministerium. "Eine zu Seehofer loyalere Figur ist kaum denkbar. Er bringt die passende geistige Grundausstattung mit, um Flüchtlinge künftig noch stärker als Sicherheitsproblem zu behandeln", kommentierte Christian Jakob in der taz den Wechsel an der BAMF-Spitze.

Zwar darf das Bundesinnenministerium nicht mehr behaupten, dass die Vorgänge in Bremen "hochkriminell und bandenmäßig" gewesen seien - Anfang August entschied das Verwaltungsgericht zu Gunsten der abgesetzten Leiterin der Bremer BAMF-Außenstelle Ulrike B. -, aber die Ermittlungen gegen Ulrike B. laufen weiter.

In der Presse wird ernsthaft debattiert, ob man Flüchtende besser retten oder ertrinken lassen soll – ohne dass es einen Aufschrei gibt. (ZEIT ONLINE, "Sollen wir sie sterben lassen?", 5.7.2018)

Schiffe mit Flüchtenden erhalten keine Genehmigung zum Einlaufen in Häfen, Seenotretter*innen werden wie Kriminelle behandelt. Die ersten "Anker-Zentren" genannten Internierungslager für Flüchtende sind eröffnet. …

Der »BAMF-Skandal« war Teil der politischen Offensive, mit der Gesellschaft und Politik weiter nach rechts gedrückt und Stimmung gegen Geflüchtete gemacht wurde.

"Drei Jahre nach der Flüchtlingskrise ist die Unmenschlichkeit der Faschisten in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es braucht gar nicht mehr die AfD für den täglichen Rassismus, die Relativierung von Nazi-Verbrechen, den täglichen Whataboutismus und Trumpismus. Der deutsche Innenminister spricht jetzt ihre Sprache. Der deutsche Facebook-Nutzer tut es auch", kommentierte Matthias Schwarzer in der Neuen Westfälischen. (Matthias Schwarzer, Neue Westfälische, 11.7.2018)
https://www.nw.de/nachrichten/meinung/22189114_Spott-ueber-Abschiebungen-und-Suizide-Ihr-widert-mich-an.html

"Anker-, Auffang- oder Transferlager vor oder an den europäischen Grenzen oder dubiose »Transferverfahren« bezeugen die Bereitschaft vermeintlich zivilisierter Gesellschaften, sich mit leichter Hand von Essentials eines humanen Asyl-, Migrations- und Flüchtlingsrechtes zu verabschieden. Und durch die Kriminalisierung von Initiativen wie »Lifeline«, die Flüchtende durch Seenotrettungsmaßnahmen schlichtweg das Leben retten, verschleudern europäische Regierungen den letzten Rest an moralischem Kapital", schreibt das IGM-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban in einem Artikel. (Hans-Jürgen Urban, Epochenthema Migration: Die Mosaiklinke in der Zerreißprobe?, Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2018)

Der BAMF-Skandal, der keiner war, hat zu dieser Entwicklung beigetragen.


update 30.08.2018:

Prüfung der positiven Asylbescheide der Bremer Außenstelle des BAMF abgeschlossen: Von 18.315 positiven Bescheiden wurde nur in 165 Fällen ein »grobes Hinwegsetzen über Vorgaben« festgestellt.

Als noch offiziell unbestätigtes Ergebnis sind lediglich grobe Unregelmäßigkeiten herausgekommen. Wie gemeldet wurde, hätten BAMF-Prüfer bei den 18.315 positiven Bescheiden, die das Bremer Amt seit 2000 erlassen habe, in nur 165 Fällen ein "grobes Hinwegsetzen über Vorgaben", also beispielsweise eine unterlassene Sicherheitsüberprüfung, festgestellt. Wirklich zurückgenommen sind bislang im gesamten Komplex nur 13 Asylentscheidungen, an denen die im Skandal verdächtigten Anwaltskanzleien gearbeitet hatten.

"Es ist der Eindruck erweckt worden, Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten hätten zu Unrecht Schutz bekommen. Diese Vorurteile hat auch der zuständige Bundesinnenminister durch sein Handeln bestärkt. Wir erwarten jetzt, dass der Innenminister sich öffentlich positioniert und deutlich macht, dass Menschen aus Kriegs- und Krisengebieten Schutz brauchen."
Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro-Asyl
 

 

Von einem "hochkriminell und bandenmäßig" Vergehen oder gar von "organisierter Kriminalität und schwerwiegenden Betrug" der Bremer Außenstelle kann keine Rede mehr sein. Trotzdem laufen die Ermittlungsverfahren der Bremer Staatsanwaltschaft gegen die abgesetzte ehemalige Leiterin Ulrike B. und einige Anwälte weiter.

Zu dem Vorwurf der Schmiergeldzahlungen sagt der Anwalt von Ulrike B. in einem Interview mit Radio Bremen: "Nicht ein Pfennig. Das bestätigt bisher auch der Durchsuchungsbefehl, da wird das nicht behauptet. Ihre Kontounterlagen sind geprüft worden. Es gibt keine Zahlung zwischen den Anwälten und ihr."

Katja Kipping, Ko-Vorsitzende von DIE LINKE, mahnt eine Entschuldigung bei den betroffenen Mitarbeiter*innen und der gefeuerten Präsidentin des BAMF an.

 Bamf Bremen Kipping Twitter


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