20.06.2012: Es vergeht kaum ein Tag, an dem in den Medien und in der Presse nicht neue Szenarien und Prognosen über die von der Bundesregierung propagierten "Energiewende" ausgebreitet werden. Bisher einzig greifbares Ergebnis dieser Merkelschen "Chefsache": Die Strompreise steigen - und mit ihnen die Zahl der Hartz-IV-Empfänger, denen die Stromzufuhr abgeklemmt wird. Drei Viertel der deutschen Bevölkerung halten den Ausstieg aus der Kernenergie für richtig. Hinsichtlich der Entwicklung der Energiepreise ist die Bevölkerung aber zu recht mehr als skeptisch. 75 Prozent geben nach der jüngsten Umfrage des Allensbach-Instituts (FAZ vom 20.6.12) an, dass die Strompreise für sie in den vergangenen sechs Monaten gestiegen seien; besonders von den Kosten betroffen waren demnach Bevölkerungskreise mit einem monatlichen Haushaltsnettoeinkommen unterhalb von 1750 Euro.
Vor einigen Tagen hatte Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) der "Bild"-Zeitung gegenüber noch einmal klar gestellt, dass er Stromrabatte für Bedürftige ablehne – aber er hatte einen praktischen Rat zur Hand: "Wenn der Preis um 3 Prozent steigt, bleibt die Rechnung die alte, wenn man gleich viel Strom einspart".
Wer die Energiewende nach den Vorstellungen von Konzernen und bürgerlichen Parteien bezahlen soll ist also klar. "Starker Anstieg der Strompreise erwartet" heißt es unisono von Regierung und Grünen (FAZ 20.6.12.) und von Eon-Chef Theyssen (spiegel-online 7.6.12). Derzeit beträgt der Zuschlag auf die Stromrechnung, mit dem Energie aus Wind und Sonne nach dem EEG (Erneuerbare-Enegiegien-Gesetz) in das Netz eingespeist werden, 3,6 Cent je Kilowattstunde. Sowohl Regierung als auch Grüne gehen davon aus, dass sich der Zuschlag bald auf über 5 Cent verdoppeln dürfte, damit das Ziel, bis zum Jahr 2020 mindestens 35 Prozent des Stroms aus regenerativer Energie zu gewinnen, auch erreicht wird. Allein das würde einen Normalhaushalt pro Jahr um 50 bis 100 Euro zusätzlich belasten.
Bei allen Stromkonzernen wird das Energiekonzept gegenwärtig neu justiert. Der Energiekonzern RWE (70.000 Beschäftigte und mehr als 50 Milliarden Euro Umsatz.) forciert dabei am offensichtlichsten einen deutlichen Strategiewechsel. Am 1.Juli wird Peter Terium Nachfolger von Jürgen Großmann auf dem Vorstandsvorsitz. Aber schon jetzt lässt er in Gesprächen mit Konzernmanagern und mit Journalisten durchblicken, wie er in Zukunft die Essener Konzernzentrale positionieren möchte. Sätze wie "RWE wird keine Kernkraftwerk mehr bauen" oder "In absehbarer Zeit wird RWE kein Großprojekt mehr auflegen" fallen dabei in deutlicher Regelmäßigkeit. Mit RWE schwenkt damit einer der lange Zeit größten Verfechter der Atomkraft auf eine neue Linie ein. RWE gehört demnach zu dem Lager der Energiekonzerne, die davon ausgehen, dass der Ausstieg aus der Atomenergie in Deutschland Bestand haben wird – ebenso wie die bleibende Skepsis an der Atomenergie weltweit. Die finanziellen Risiken derartiger Großprojekte scheinen schlicht zu groß; massive Verzögerungen beim Bau neuer AKWs in Frankreich und Finnland hatten zuletzt gezeigt, wie riskant die Investitionen in die Technologie sind. So will sich RWE nun nicht mehr in dem Kernkraftwerksbau im Ausland engagieren. Erst vor einigen Wochen hatte RWE Pläne für den Neubau von Kraftwerken in Großbritannien begraben. Für die lange Zeit üppig geflossene Profite aus der Atomkraft muss jetzt schnell Ersatz geschaffen werden.
Und wer es zuerst schafft, das Pferd zu wechseln, wird auch bei einer CDU/FDP moderierten Energiewende (unter Beibehaltung der Stromversorgungsdiktate von RWE, EON, EnBW, Vattenfall) in Zukunft am wenigsten Sorgen um seine Extraprofite haben müssen.
So ist es auch den Stromkonzernen nicht entgangen, dass regenerative Energie in Deutschland wesentlich stärker als erwartet Strom aus konventionellen Kraftwerken verdrängt hat. Deshalb will sich RWE nach Aussagen des neuen Vorstandsvorsitzenden viel stärker als bisher im Solargeschäft engagieren - in Deutschland, aber vor allem aber auch in Südeuropa und Nordafrika.
Mit markigen Sprüchen hatte der noch amtierende RWE-Vorsitzende Jürgen Großmann in der Öffentlichkeit bis zuletzt Stimmung gegen den Einsatz der Solarenergie hierzulande gemacht: Solarstrom im regenreichen Deutschland zu produzieren sei ungefähr so sinnvoll "wie Ananaszüchten in Alaska", lästerte Großmann. Der Neue, Peter Terium, sieht das offensichtlich anders. Denn das deutsche Solargeschäft wächst rasant. Allein von Januar bis Ende April wurden dreimal mehr Fotovoltaik-Anlagen auf deutschen Dächern installiert als noch vor Jahresfrist. Und RWE will als Einstieg ins regenerative Auslandsgeschäft 120 bis 150 Millionen Euro in ein kombiniertes Solar- und Windparkprojekt der Wüstenstrominitiative Desertec in Marokko investieren.
RWE-Rivale Eon setzt ebenfalls auf Diversifikation im Bereich des "grünen Stroms". Zum einen verfolgt man aber im Gegensatz zu RWE auch nach dem deutschen AKW-Ausstieg internationale Neubaupläne für Atomkraftwerke weiter. So plant der Düsseldorfer Konzern im nordfinnischen Pyhäjoki an der Ostsee seit Ende 2011 den Neubau eines neuen Atomkraftwerks. Andererseits ist es aber auch vorsichtig engagiert im Bereich Offshore-Windparks ("alpha ventus" vor Borkum mit 12 Windkraftanlagen) und bei Biomasse-Kraftwerken.
Der insgesamt lukrativste Sektor für kräftig sprudelnder Profite wird in Zukunft wohl der Bereich der Offshore-Anlagen in der Nordsee sein, in denen alle großen Strom- und andere Konzerne zur Zeit investieren (so auch z.B. Siemens und ABB).
Ein weiterer führender Betreiber ist die im württembergischen ansässige Windreich AG. Dieses Unternehmen entwickelt seit 1999 Windparks, sorgt für Genehmigungen und Finanzierungen und betreibt die Anlagen teilweise selbst. Im nächsten Jahr soll in der Nordsee der Windpark "Global Tech 1" fertig sein, dass von einem Konsortium betrieben wird, in dem neben Windreich u.a. die Stadtwerke München und die Heag Südhessische r beteiligt sind. Das ist ein Offshore-Park vor Juist mit 80 Windkraftanlagen. Auf der unlängst stattgefundenen Bilanzpressekonferenz konnte die Windreich AG vermelden, dass der Jahresüberschuss binnen Jahresfrist von 2,3 auf 10 Millionen Euro gestiegen sei. Gleichzeitig bemängelte der Gründer und Geschäftsführer des Unternehmens, Willi Balz, laut FAZ (19.6.12 ) die negativen Schlagzeilen zur Windkraft und zu den Offshore-Windkraftanlagen. Er wehrte sich gegen Berichte, wonach der notwendige Netzanbau an zu hohen Kosten scheitern könnte. Der Übertragungsbetreiber Tennet habe schließlich schon 5 Milliarden Euro in die Netzanbindung der deutschen Nordsee investiert und entsprechende neuen Netzanschlüsse geschaffen - drei der Anschlüsse seien für Windparks von Windreich reserviert. Insgesamt gehe er davon aus, dass die Vorbehalte bald ausgeräumt seien – er sei optimistisch und bereite mit seinem Unternehmen den Börsengang vor.
Diese wenigen Meldungen aus der bürgerlichen Presse der vergangenen Tage zum Thema "Energiewende" machen deutlich, dass die großen Absahner die gleichen Konzerne sind, die schon durch den Atomstrom Superprofite eingefahren haben.
Widerstand dagegen entwickeln muss letztlich heißen, gesellschaftliche Bündnisse und Bewegungen zu schmieden, die auf eine Einschränkung und Überwindung der Macht der großen Energiekonzerne zielen. Zu fordern sind:
- Sofortige und endgültige Abschaltung aller Atomkraftwerke
- Finanzierung der Energiewende durch Abschöpfen der Gewinne der großen Energie-Konzerne.
- Rekommunalisierung der Energiewirtschaft. In den nächsten Jahren laufen die Konzessionen für viele Energienetze aus und könnten von Städten und Gemeinden zurück in kommunale Trägerschaft geholt werden.
- eine Preisgestaltung für Energie, die vor allem Großverbraucher stärker belastet und Geringverdiener entlastet
Ziel muss die Überführung der großen Energiekonzerne in Gemeineigentum unter demokratischer Kontrolle sein.
Text: gst Foto: Nuon