16.05.2010: Die erste Tagung des zweiten Parteitages der Partei DIE LINKE am vergangenen Wochenende in Rostock war geprägt von der gewachsenen gesellschaftlichen Relevanz der Partei. Dafür stehen vor allem das hervorragende Abschneiden bei der Bundestagswahl, der Wahlerfolg im größten Bundesland des Westens, Nordrhein-Westfalen, aber auch die inhaltliche Bestätigung durch die weltweite systemische Krise des Kapitalismus. Das gewachsene Selbstbewußtsein wurde schon zu Beginn in den Reden der beiden scheidenden Vorsitzenden Lothar Bisky und Oskar Lafontaine deutlich, aber auch in der unaufgeregten Art,wie der Führungswechsel zu Gesine Lötzsch und Klaus Ernst vollzogen wurde.
Bisky und Lafontaine schrieben der Partei in ihren Abschiedsreden ins Stammbuch, wie sie sich die weitere Parteientwicklung vorstellen. Lafontaine brachte es auf den Punkt, indem er zu Ende seiner Rede sagte. “Unser Weg war erfolgreich und erfolgreiche Strategien gibt man niemals auf.” Im Leitantrag des Parteivorstandes wurde diese Strategie als Festhalten an den Kernpositionen der Partei beschrieben. Diese sind vor allem die Forderungen “Raus aus Afghanistan” und “Weg mit Hartz IV”. In seiner Rede entwickelte Lafontaine ein Krisenbekämpfungsprogramm, das er mit dem Kürzel KFW versah. K für Keynsianismus, F für Finanzmarktregulierung und W für Wirtschaftsregierung auf europäischer Ebene. In der momentanen Politik der Bankenrettungsprogramme sieht er den Keynsianismus erfüllt, der aber ohne Finanzmarktregulierung und europäische Wirtschaftsregierung nur immer weitere Krisen produziere.
Unter dem Dach des KFW entwickelten Bisky und Lafontaine eine Wirtschaftspolitik, die die Krisenlasten nicht auf die kleinen Leute abwälzen solle, wobei Bisky daraufhin wies, dass die zu entwickelnden Handlungsperspektiven keine Spaziergänge werden würden. Lafontaine stellte in seiner Rede wie schon auf dem ersten Parteitag in Cottbus die Eigentumsfrage, allerdings ohne klare Antworten zu geben. Bisky rief dazu auf, in der Programmdiskussion diese Frage jetzt klug zu diskutieren. Eine Diskussion, die kein deutscher Linker nur als Zuschauer verfolgen sollte,
Auf dem gesamten Parteitag - so auch bei den Vorsitzenden - spielte die Frage der Regierungsbeteiligung eine Rolle. Lafontaine stellte unter dem Beifall der Delegierten für Rot-Rot-Grün in NRW die Bedingung, dass der Sozialabbau vermittels des Bundesrates verbindlich gestoppt werden müsse. Die Antwort, was das konkret heißt, blieb er schuldig. Beide Reden wurden vom Parteitag stark beklatscht, vor allem die Lafontaines. Bei der Verabschiedung der beiden, die von Gregor Gysi moderiert wurde, zeigte sich, dass die Führungsstrukturen der Partei “Die Linke” - entgegen anderslautender Medienberichte - menschlich weitgehend intakt sind und das zumindest in dieser Phase des Erfolges Ost und West näher zusammengerückt sind. Der Parteitag dankte Bisky und Lafontaine mit stehenden Ovationen.
In der Debatte um den Leitantrag zeigte sich, dass zahlreiche Delegierte auf kapitalismuskritischeren Positionen als ihre Führung standen. Ein positives Element dieser Debatte ist auch, dass der Leitantrag des Parteivorstandes um eine Passage erweitert wurde, in der ein Diskurs im Mitte-Links-Spektrum der Gesellschaft gefordert wird, bei dem eine alternative Politik angesichts des Niedergangs des Neoliberalismus gefunden werden soll. TeilnehmerInnen des Diskurses sollen Parteien, GewerkschafterInnen, WissenschaftlerInnen, KünstlerInnen und andere progressive Kräfte des linken und linksliberalen Spektrums sein. Im Rahmen der Debatte sprach auch der Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der AntifaschistInnen, Heinrich Fink, der mit großem Applaus bedacht wurde.
Die momentane Geschlossenheit der Partei zeigte sich auch bei den Wahlen. In seiner Begründung der Wahlvorschläge für die neue Leitung fand Gregor Gysi solidarische Worte auch für die, die er nicht unterstützte. Welche das sind, gab er aber nicht preis. Die Wahlergebnisse bestätigten die kluge Vorauswahl der Parteiführung. Das beste Ergebnis erhielt die neue Parteivorsitzende Gesine Lötzsch mit über neunzig Prozent der abgegebenen Stimmen. Klaus Ernst Ergebnis fiel mit etwa 75 Prozent etwas ab, wohl vor allem, weil es mit dem Schaumburger Kreisvorsitzenden Weich einen überraschenden Gegenkandidaten gab. Mit ebenfalls etwa 75 Prozent wurde Sahra Wagenknecht zu einer von vier StellvertreterInnen gewählt.
Bei der KandidatInnenvorstellung hatte sie die Delegierten mit einer glänzenden Rede zu Beifallsstürmen hingerissen, wie sie sonst nur Lafontaine und Gysi erzeugen. Sie bekannte sich zu antikapitalistischen Positionen, zum Ziel des Sozialismus und erteilte einer Annäherung an die SPD - mit Bezug auf mögliche Regierungsbündnisse - eine Absage. Es komme stattdessen darauf an, diese dazu zu zwingen ihre neoliberalen Positionen zu revidieren.
Adi Reiher