09.11.2023: Jeremy Corbyn aufgrund seiner "Haltung zum Nahen Osten" von der Konferenz "Europa den Räten" in Berlin von der Volksbühne ausgeladen ++ Veranstalter Rosa-Luxemburg-Stiftung respektiert die Entscheidung des Theaters ++ Die Podiumsgäste Ines Schwerdtner, Raul Zelik und Sebastian Friedrich protestieren
Der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, wurde aufgrund seiner "Haltung zum Nahen Osten" von der Konferenz "Europa den Räten" in Berlin ausgeladen.
Die dreitägige Konferenz (8. - 11 Nov.) der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) in Kooperation mit der Volksbühne Berlin will sich neben den ganz akuten Europa-Themen unserer Zeit auch der Frage widmen: Wie könnte eine EU aussehen, die nicht von Bürokraten und unnahbaren Delegierten, sondern von den Bürgern aktiv mitbestimmt wird? "Wir brauchen den großen Ratschlag über ein Europa von unten: lebendige Debatten auf Augenhöhe und aktive Vernetzung. Wir wollen zuhören, verstehen und Pläne schmieden für ein anderes Europa in einer veränderten Welt", heißt es in der Einladung zur Konferenz. (https://www.volksbuehne.berlin/#/de/reihen/europa-den-raeten)
Bei der Konferenz kommen Aktivist:innen, Gewerkschafter:innen und Politiker:innen wie Carola Rackete, Martin Schirdewan, Klaus Dörre, Gesine Schwan, Clara Bünger, Gregor Gysi, Hans-Jürgen Urban, Ines Schwerdtner, der schottischen Gewerkschaftler Tom Rigby zu Wort.
Ursprünglich war der ehemalige Vorsitzende der britischen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, zur Konferenz eingeladen. Doch plötzlich bekamen die Veranstalter kalte Füße und es war Schluss mit der "lebendigen Debatten auf Augenhöhe " mit Corbyn und dem "zuhören, verstehen und Pläne schmieden".
Er wird "aufgrund der aktuellen Ereignisse im Nahen Osten leider nicht teilnehmen", erklärte Krunoslav Stojaković, Referent bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die pro-palästinensischen Positionen seien angesichts des aktuellen Krieges zwischen Israel und Gaza zu einem Problem geworden, wie Stojaković weiter erläuterte. Das sei nicht auf Initiative der Rosa-Luxemburg-Stiftung, sondern der gastgebenden Volksbühne passiert.
Lena Fuchs, Pressesprecherin der Volksbühne, bestätigte dies: "Aufgrund der Haltung, die Jeremy Corbyn aktuell zum Nahost-Konflikt vertritt, haben wir entschieden, ihm keine Öffentlichkeit in der Volksbühne zu bieten."
"Grund für die Entscheidung der Volksbühne war im Ursprung nicht seine aktuelle Positionierung zur Situation in Nahost, sondern Äußerungen in der Vergangenheit, die sich nicht ausreichend von antisemitischen Positionen distanziert haben“, heißt es von der Volksbühne. Umso mehr verwundert die kurzfristige Ausladung.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die seit Jahren mit Jeremy Corbyn als einem wichtigen Vertreter der Linken in Großbritannien und weltweit zusammenarbeitet, habe die Entscheidung des Theaters respektiert.
Jeremy Corby war im September 2015 in einer Urwahl zum neuen Vorsitzenden der Labour-Partei gewählt worden. Unter seiner Führung bewegte sich die Labour-Partei nach links und erlebte einen erheblichen Zustrom neuer Mitglieder. Die konsequente linke Politik Corbyns stieß auf wachsenden Widerstand der etablierten Kräfte in Großbritannien und der rechten Kräfte innerhalb der Labour-Partei. Sie warfen ihm die Duldung von Antisemitismus in der Partei und eine linksradikale Agenda bei der Wirtschafts- oder Sicherheitspolitik vor. Im Ergebnis einer massiven Kampagne, in deren Zentrum der Vorwurf des Antisemitismus stand, wurde Corbyn im Frühjahr 2020 durch den rechten Keir Starmer als Parteivorsitzender ersetzt. Keir Starmer entzog Corbyn die Fraktionsführung und verhindert, dass Corbyn bei der nächsten Wahl als Labour-Kandidat antreten kann.
Wie ist nun die Haltung von Jeremy Corbyn zum "aktuellen Nahost-Konflikt", der die Veranstalter der Konferenz dazu führt, "ihm keine Öffentlichkeit in der Volksbühne zu bieten". Er fordert einen sofortigen Waffenstillstand, die Freilassung der Geiseln, die Aufhebung der Blockade und eine Untersuchung des Verbrechens des Völkermords in Gaza durch den Internationalen Strafgerichtshof ICC.
https://twitter.com/jeremycorbyn/status/1722280930511933906
"Menschen in Gaza sterben in der Dunkelheit. Dieser unvorstellbare Schrecken kann nicht ungeschehen gemacht werden – und die Geschichte wird denen nicht vergeben, die sich geweigert haben, das Leben von Israelis und Palästinensern gleichwertig zu behandeln.
Wir brauchen dringend einen Waffenstillstand, die Freilassung der Geiseln und ein Ende der Blockade."
Jeremy Corbyn, 27.10.2023
In der Zeitschrift Jacobin hat Corbny am 13. Oktober seine Überlegungen dargelegt. (zum Artikel hier: https://jacobin.de/artikel/jeremy-corbyn-ich-verurteile-die-gewalt-gegen-alle-zivilisten)
"Wir müssen Angriffe auf die Zivilbevölkerung grundsätzlich kritisieren und zurückweisen – egal, ob es palästinensische oder israelische Zivilisten sind und egal, wer sie angreift. Dass eine solche Haltung offenbar als kontrovers wahrgenommen wird, zeugt von der Bosheit einer medialen und politischen Klasse, die jegliche Aufrufe zum Frieden ignoriert, verdreht oder verurteilt. …
Möglicherweise stehen wir gerade am Beginn der absoluten Zerstörung Gazas – und seiner Bevölkerung. Es ist kein Krieg zwischen zwei Staaten. Der Kampf wird als israelische Antwort auf einen nichtstaatlichen Akteur dargestellt, aber er ist auch eine Reaktion gegen das palästinensische Volk an sich. Was sich jetzt abspielt, ist kein Konflikt unter Gleichen, sondern das systematische Aushungern, die Unterdrückung und Zerstörung einer unbewaffneten Zivilbevölkerung. (..)
Der einzige Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden ist ein Ende der Besatzung. Solange dies nicht erreicht ist, werden wir weiterhin den Verlust von israelischen und palästinensischen Menschenleben beklagen müssen.""
Jeremy Corbyn in Jacobin, 13.10.2023
Die Ausladung von Jeremy Corbyn ist Ausdruck eines McCarthyschen Klimas der Zensur, Unterdrückung und Einschüchterung, das den Meinungskorridor immer enger macht und jede Kritik an der israelischen Regierung unter dem Vorwurf des Antisemitismus verfolgt.Das (siehe kommunisten.de zum Rauswurf des Fußballers Anwar El Ghazi und der Entlassung der Integrations-Staatssekretärin in Schleswig-Holstein, Marjam Samadzade, wegen israelkritischen Posts: "Rauswurf wegen israelkritischem Post: Steh für das Richtige ein")
Rauswurf wegen israelkritischem Post: "Steh für das Richtige ein" |
"Wir fordern eine offene und respektvolle Diskussionskultur, eine lebendige Debatte, die auch kontroverse Standpunkte zulässt"
Ines Schwerdtner, Raul Zelik und Sebastian Friedrich
Ines Schwerdtner, Raul Zelik und Sebastian Friedrich, die als Referent:innen zum Kongress eingeladen sind, protestieren in einer gemeinsamen Stellungnahme gegen die Ausladung von Corbyn. Ines Schwerdtner und RaulZelik tragen diese Kritik im Kongress vor, Sebastian Friedrich sagte seine Teilnahme aus Protest komplett ab:
"Wir als Podiumsgäste des Kongresses 'Europa den Räten' haben gerne die Einladung angenommen, da es dringend einen Ratschlag für ein Europa von unten braucht - gerade in Zeiten der Rechtsentwicklung, der Klimakrise und in denen an immer mehr Fronten Menschen sterben.
Das Massaker vom 7. Oktober hat auch uns zutiefst erschüttert. Es ist klar, dass die reaktionäre Hamas kein positiver Bezugspunkt für eine internationalistische Linke sein kann. Sie steht für das Gegenteil einer befreiten Gesellschaft.
Trotzdem braucht es gleichzeitig auch eine Debatte über die vom israelischen Staat begangenen Kriegsverbrechen. Für uns bewegen sich Jeremy Corbyns Standpunkte innerhalb des Spektrums eines pluralistischen linken Diskurses.
Wir sind besorgt über die Streitkultur in der deutschen Linken und der deutschen Öffentlichkeit und finden das Vorgehen der Volksbühne, die auf die Ausladung hingewirkt hat, sehr bedenklich für ein pluralistisches linkes Theater.
Wir fordern eine offene und respektvolle Diskussionskultur, eine lebendige Debatte, die auch kontroverse Standpunkte zulässt. Nur so kann ein Europa von unten begründet werden.
Sebastian Friedrich, Ines Schwerdtner und Raul Zelik (8.11.2023)