28.03.2023: Einen derart mächtigen Ausstand wie am gestrigen Montag hat es hierzulande seit Jahrzehnten nicht gegeben. Die Dienstleistungsgewerkschaften ver.di und die Eisenbahnergewerkschaft EVG legten das Land lahm. ++ Deutsche Bahn erhöhte Manager-Gehälter zum 1.1.2023 um bis zu 14 Prozent
Zwar sind Warnstreiks während der Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst nicht ungewöhnlich, doch diesmal weht ein deutlich rauerer Wind als bei früheren Tarifrunden. In den vergangenen Wochen haben sich laut ver.di rund 400.000 Beschäftigte an den Streiks beteiligt. Es geht um eine tabellenwirksame Lohnerhöhung um 10,5 Prozent, mindestens 500 Euro monatlich. Verknüpft wurde das auch mit den schwelenden Tarifkonflikten bei den Boden- und Servicediensten an den Flughäfen. Dort sorgten Arbeitsniederlegungen an einigen Tagen für die weitgehende Einstellung des Flugverkehrs in Deutschland. Auch der Hamburger Hafen wurde zeitweilig lahmgelegt. Mit dem gemeinsamen Streiktag von ver.di und Fridays for Future am 3. März wurde ein neues Kapitel in der Zusammenarbeit mit der Klimabewegung aufgeschlagen.
Fridays for Future und ver.di: "Seite an Seite für eine ökologische Verkehrswende" |
"Megastreik"
Aber alles ist nicht vergleichbar mit dem "Megastreik" am gestrigen Montag. Einen derart mächtigen Ausstand hat es hierzulande seit Jahrzehnten nicht gegeben, obgleich es sich dabei "nur" um Warnstreiks handelte. Durch den Schulterschluss mit der Eisenbahngewerkschaft EVG, die mit einer Forderung nach zwölf Prozent mehr Lohn und einem Mindestbetrag von 650 Euro pro Monat in die Tarifverhandlungen mit der Deutschen Bahn und rund 50 weiteren Schienenverkehrsbetreibern gegangen ist, haben die Warnstreiks enorme Schlagkraft erhalten.
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Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hatte die rund 230.000 Beschäftigten aller Eisenbahn- und Verkehrsunternehmen, in denen es derzeit Tarifverhandlungen gibt, zu dem bundesweiten Warnstreik aufgerufen. Die Gewerkschaft ver.di hatte die Beschäftigten an allen Flughäfen, in kommunalen Nahverkehrsbetrieben in sieben Bundesländern, in Teilen der kommunalen Häfen, der Autobahngesellschaft und der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zum Streik aufrufen.
"EVG-Warnstreik bringt Verkehr nahezu zum Erliegen."
Presseerklärung der Deutschen Bahn vom 27.3.2023
"EVG-Warnstreik bringt Verkehr nahezu zum Erliegen." Der Titel der offiziellen Presseerklärung der Deutschen Bahn gibt das Ergebnis des Verkehrsstreiks perfekt wieder. Fernverkehr und Regionalverkehr eingestellt, Nahverkehr steht in den bestreikten Bundesländern - Hunderte von Zügen blieben auf den Bahnhöfen stehen, nationale und internationale Flüge wurden nacheinander von den Abfluganzeigen gestrichen und Fähren nach Nordeuropa blieben in den Häfen liegen.
EVG-Vize Cosima Ingenschay : "Es war wirklich phänomenal"
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Eine der größten Arbeitsniederlegungen seit Jahrzehnten", so die Gewerkschaft ver.di. Am Montag zeigte sich, wer "systemrelevant" ist.
"Wir haben ein erstes wesentliches Ergebnis erreicht. Durch die Größe des Streiks haben die Arbeitgeber eindeutig erkannt, dass die Beschäftigten massenhaft auf unserer Seite stehen. Denn im öffentlichen Dienst werden sie von der Last der untragbar gewordenen Erhöhungen bei Strom, Gas und Lebensmitteln erdrückt. Und das betrifft alle, bis hin zu den mittleren Einkommen", betont der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke,
"Niemand musste zum Streik überredet werden, es ist Druck auf dem Kessel"
Frank Werneke, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di
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Am Ende des Tages meldete der ADAC, der deutsche Automobilclub, den Erfolg des Streiks wie folgt: "Mehr Verkehr auf unserem Autobahnnetz bei gleichzeitiger Lähmung des öffentlichen Verkehrs".
Die Kapitalseite reagiert nervös auf diese für Deutschland ungewöhnlichen Streiks. Schon beim gemeinsamen Streiktag von ver.di und Fridays for Future hatte der Geschäftsführer der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände BDA, Steffen Kampeter, die Kooperation von ver.di mit Fridays for Future als "eine gefährliche Grenzüberschreitung" kritisiert. Politische oder auch nur quasi politische Streiks seien in Deutschland schlicht rechtswidrig, so der Kapitalvertreter.
Aus Redaktions- und Amtsstuben tönt es jetzt unisono, das Streikrecht werde missbraucht. Die Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, Karin Welge (SPD), meckerte, das Streikrecht werde "inflationär ausgereizt". Inflationär – ausgerechnet! Inflationär ist die Preisentwicklung, die die Löhne immer mehr entwertet. Das Monatsbulletin des Statistischen Bundesamtes "Destatis" stellt eine Inflationsrate von 8,7 Prozent fest. Demnach sind sowohl die Energiekosten um 19,1 Prozent gestiegen als auch die Lebensmittelpreise um 21,8 Prozent explodiert.
Vor allem Unions- und Grünen-Anhänger:innen für Einschränkung des Streikrechts
Vor allem Unions- und Grünen-Anhänger:innen fordern eine Einschränkung des Streikrechts - das geht aus einer repräsentativen Umfrage von Insa hervor. Laut dieser Umfrage halten es 53 Prozent der Grünen-Anhänger:innen und 45 Prozent der der Union Nahestehenden für richtig, im Bereich der kritischen Infrastrukturen das Streikrecht einzuschränken. Fast ein Drittel der Anhänger von CDU und CSU (30 Prozent) ist sogar für ein vollständiges Verbot von Arbeitsniederlegungen im Bereich der kritischen Infrastrukturen; bei potenziellen Wählern der Grünen sind es immerhin auch 13 Prozent. [1]
Deutsche Bahn erhöhte Manager-Gehälter zum 1.1.2023 um bis zu 14 ProzentFür Bahnchef Richard Lutz und den Konzernvorstand Berthold Huber ist das Gehalt bereits im März des vergangenen Jahres um zehn Prozent erhöht worden. Lutz kassiert damit 90.000 Euro mehr. Mit einem Jahresgehalt von 900.000 Euro schiebt er mehr als doppelt so viel wie Bundeskanzler Olaf Scholz ein. Jetzt zitiert das Onlineportal "Business Insider" aus Unterlagen der Bahn, dass die Vergütung der Manager zum 1. Januar 2023 "verlässlicher, krisenfester und damit attraktiver" gestaltet wurde. Verändert wird die Vergütungsstruktur, also das Verhältnis von Grundvergütung und variabler Vergütung. Im Klartext: Das Gehalt der Manager soll unabhängiger von Krisen werden – von den notorischen Zugverspätungen und den Kostenexplosionen bei Bauprojekten der Bahn sowieso. Allein die Grundgehälter der Bahn-Manager sollen um bis zu 14 Prozent angehoben werden. Und das betrifft nicht eine handvoll Top-Manager, sondern 3.000 leitende Angestellte. Eine solche Gehaltssteigerungen wünschen sich auch die 180.000 Bahn-Mitarbeiter, die von der Eisenbahngewerkschaft EVG vertreten werden. |
Anmerkungen
[1] Welt, 8.3.2023: Vor allem Unions- und Grünen-Anhänger für Einschränkung des Streikrechts
https://www.welt.de/politik/deutschland/article244162821/Mehrheit-der-Deutschen-spricht-sich-fuer-Einschraenkung-des-Streikrechts-aus.html