10.04.2015: Die Berliner VVN-BdA hat anlässlich des 70. Jahrestag der Befreiung am 8. Mai 2015 eine Berliner Erklärung verfasst. Die zentrale Forderung ist, den 8. Mai als Tag der Befreiung auch in Berlin und ganz Deutschland als offiziellen Gedenktag zu begehen, wie es in Mecklenburg-Vorpommern bereits Realität ist und in Brandenburg 2015 eingeführt werden soll. 40 Jahre hat es gedauert, bis ein Präsident der Bundesrepublik den 8. Mai als Tag der Befreiung anerkannt und gewürdigt hat. Bis dahin hatte die Sicht der Nazis, der Profiteure, Mitläufer und Zuschauer das offizielle Vokabular geprägt: Zusammenbruch, Kapitulation, Niederlage, Besatzung, Stunde Null, Neubeginn. Mit Weizsäckers Rede wurde die Perspektive der Verfolgten des Naziregimes „gesellschaftsfähig“. Das sollte auch in Berlin endlich offiziell gewürdigt und umgesetzt werden.
Berliner Erklärung zum 8. Mai 2015:
8. Mai 1945 – Tag der Befreiung!
Am 8. Mai 1945 wurde nahezu ganz Europa von Faschismus und Krieg befreit. In Deutschland empfanden vor allem die Überlebenden des Holocaust, der Konzentrationslager und Zuchthäuser und ihre Angehörigen, die befreiten Zwangsarbeiter_innen den 8. Mai als den lang ersehnten Tag der Befreiung. Aber auch wir alle, die wir heute leben, verdanken die Chance eines Lebens in Frieden, Freiheit und Vielfalt den alliierten Streitkräften. Die Rote Armee und die sowjetische Bevölkerung hatten die größte Last des Krieges zu tragen. Mit besonderer Dankbarkeit erinnern wir an die Befreierinnen und Befreier, die Soldatinnen und Soldaten der Roten Armee, die gemeinsam mit polnischen Kombattantinnen und Kombattanten Berlin befreiten. Unvergessen bleibt der Beitrag, den der deutsche antifaschistische Widerstand in Deutschland, in der Emigration, in Partisanenverbänden und in den Streitkräften der Antihitlerkoalition geleistet hat. Wir erinnern auch an jene Berlinerinnen und Berliner, die sich z.B. mit dem Hissen von weißen Fahnen der Aufforderung zum Endkampf entzogen.
Mehr als 55 Millionen Menschen fielen Naziterror, Holocaust und Vernichtungskrieg zum Opfer. Sie bezahlten den deutschen Griff nach der Weltherrschaft mit unvorstellbarem Leid und ihrem Leben. Für die Befreiung Berlins gaben noch über 50.000 Rotarmisten ihr Leben. Bis zur bedingungslosen Kapitulation am 2. Mai erschossen im Berliner Stadtgebiet Wehrmacht, Gestapo und SS politische Häftlinge, Deserteure und „Verräter“. Zuvor waren Zehntausende Insassen der Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück und ihrer Außenlager auf Todesmärsche geschickt worden.
In nahezu allen von Nazideutschland besetzten Ländern wurden der 8. und/oder 9. Mai gesetzliche Feiertage, dies war auch in der DDR der Fall. 40 Jahre hat es gedauert, bis ein Präsident der Bundesrepublik den 8. Mai als Tag der Befreiung anerkannt und gewürdigt hat. Bis dahin hatte die Sicht der Nazis, der Profiteure, Mitläufer und Zuschauer das offizielle Vokabular geprägt: Zusammenbruch, Kapitulation, Niederlage, Besatzung, Stunde Null, Neubeginn. Mit Weizsäckers Rede wurde die Perspektive der Verfolgten des Naziregimes „gesellschaftsfähig“. Ein Tag der Erinnerung und Mahnung wurde der 8. Mai jedoch in der Bundesrepublik nicht.
Auch in diesem Jahr weigert sich die Bundesregierung den 8. Mai als staatlichen Gedenktag zu begehen, der in Mecklenburg Vorpommern bereits Realität ist und in Brandenburg 2015 eingeführt werden soll.
Wir fordern, dass der 8. Mai als Tag der Befreiung von Faschismus und Krieg endlich auch in Berlin und in ganz Deutschland ein offizieller Gedenktag wird, um den Tag zu feiern, den der als Jude und Kommunist verfolgte Kämpfer der Résistance, Peter Gingold, 1945 in Paris als „Morgenröte der Menschheit“ erlebt hat..
Wir verlangen, dass die hoch betagten sowjetischen Kriegsgefangenen und die Opfer von Wehrmachtsmassakern entschädigt und die letzten noch lebenden deutschen Kriegsverbrecher angeklagt und verurteilt werden.
Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und gesellschaftliche Ausgrenzung haben Konjunktur. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Übergriffen auf Flüchtlinge. Zugleich wird antifaschistische Gegenwehr kriminalisiert. Der rasante Aufstieg neofaschistischer und rechtspopulistischer Kräfte in nahezu allen europäischen Ländern verlangt entschiedenen Widerstand.
Der Wiedereintritt Deutschlands in die Reihe kriegführender Länder stellt einen Bruch mit dem Nachkriegskonsens „Nie wieder Krieg von deutschem Boden“, dar – der wichtigsten Lehre aus der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert. In vielen Ländern der Welt toben Kriege, sind gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung deutsche Waffen – und oft auch deutsches Militär – beteiligt.
Wir erinnern am 8. Mai an die Hoffnung der Befreiten auf eine Welt ohne Kriege, Elend und Unterdrückung und treten für eine neue Welt des Friedens und der Freiheit ein, wie es die befreiten Häftlinge von Buchenwald geschworen haben:
Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!
Wir unterstützen den Friedensappell ehemaliger sowjetischer Kriegsgefangener vom 1. September 2014, die zur Versöhnung zwischen Ukrainern und Russen aufrufen: „Besinnt Euch! Erstickt Euren Hass, redet miteinander statt aufeinander zu schießen! Hört auf uns, die in faschistischen Lagern das wenige Brot miteinander teilten. Benehmt Euch wie Mitglieder einer Familie, in der man sich streitet im Bewusstsein gegenseitigen Respekts und sich wieder verträgt. Macht endlich Frieden miteinander!“
März 2015, Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e.V [VVN-BdA]
Erstunterstützer_innen der Berliner Erklärung zum 8. Mai
Stand 8.4.2015
Verfolgte des Naziregimes und Widerstandskämpfer_innen:
Ralf Bachmann, als Jude verfolgt
Dr. Hans Coppi, im Frauengefängnis Barnimstraße zur Welt gekommen
Vera Friedländer, als Jüdin verfolgt, Zwangsarbeiterin bei Salamander
Dr. Peter Kirchner, als Jude verfolgt
Dr. Peter Tichauer, überlebte im Exil in der Sowjetunion, und Ehefrau Brigitte
Lore Diehr, illegal tätig in Berlin-Pankow
Volkmar Harnisch, als 18-Jähriger wg. Hochverrats und Wehrkraftzersetzung zu Gefängnis verurteilt
Marianne Kaufhold, als Jüdin verfolgt
Fritz Schmid, illegal tätig in Berlin-Pankow
Peter Neuhof, als Jude verfolgt und Zwangsarbeiter
Werner Knapp, Soldat in der tschechoslowakischen Auslandsarmee in Frankreich
Organisationen:
Verdi Berlin
DGB-Jugend Berlin Brandenburg
Landesverband Deutscher Sinti und Roma Berlin-Brandenburg
Förderverein zum Gedenken an die Naziverbrechen um das und auf dem Tempelhofer Flugfeld (THF 33-45)
NaturFreunde Berlin
Die Linke Berlin, Landesvorstand
LAG Antifaschismus DIE LINKE Berlin
Aktives Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e.V und Koordinierungsstelle Stolpersteine Berlin
Personen:
Dr. Peter Fischer und Eva Fischer
Christa Dewey, Hinterbliebene des Widerstandskämpfers Rudolf Dewey
Elsa Rentmeister, Tochter eines von den Nazis ermordeten Widerstandskämpfers
Eberhard Radczuweit
Dr. Bruno Osuch
Christine Richter
Klaus Lederer, Landesvorsitzender die LINKE Berlin
Die zentrale Kundgebung der Berliner VVN-BdA zum Tag der Befreiung vom Faschismus findet am
8. Mai 2015 um 18.00 am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park statt.
Quelle: Berliner VVN-BdA