17.04.2013: Bei der diesjährigen Veranstaltung zum Gedenken an die Massaker der Nazi-Wehrmacht 1944 in Cumiana (Italien), nahm erstmals auch Bayerns Innenminister Herrmann teil. Für das Erlanger Friedensbündnis, das ebenfalls Teil der deutschen Delegation war, brachte Isa Paape in ihrem Redebeitrag zum Ausdruck: Mahnung und Gedenken sind bei solchen Anlässen für Deutsche heute nicht mehr möglich, ohne auch die Morde des NSU zu erwähnen und Konsequenzen daraus zu ziehen.
Nach dem Besuch der eindrucksvollen Basilika St. Micele bei Turin – hoch oben auf einen Berggipfel gebaut (sie hat Umberto Ecco, der sich hier oft aufhielt, zu seinem Buch 'Der Name der Rose' inspiriert) – fahren wir in einer Linkskurve an einem Gedenkstein vorbei, auf dem Fotografien an ein Dutzend von der deutschen Wehrmacht erschossene Menschen erinnern. Es handelt sich um die Opfer von Massakern an der italienischen Zivilbevölkerung durch die Nazi-Soldateska auf ihrer Flucht im Frühjahr 1944 aus Oberitalien. In den piemontesischen Bergen lassen sich noch viele Spuren des Kampfes der italienischen Partisanenverbände gegen die Faschisten finden.
Cumiana, ein kleines Städtchen im Piemont, nahe bei Turin: Am 3.4.1944 werden hier 51 völlig willkürlich aufgegriffene Bürger von der deutschen SS erschossen. 51 von insgesamt 150 Geiseln, die gefangen genommen worden waren, um von einer Einheit der italienischen Partisanen u.a. zwei deutsche Unteroffiziere freizupressen.
Erlangen im Jahr 2000. Durch die italienische Justiz wird bekannt, dass der seit Jahrzehnten in der Stadt lebende Anton Renninger als Offizier verantwortlich für das Massaker in Cumiana war. Aufgrund einer neuen Aktenlage hatte die Turiner Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erhoben, eine Entscheidung, zu der sich trotz gleichen Kenntnisstands kein deutscher Staatsanwalt je durchringen konnte. - Renninger stirbt jedoch wenige Monate später, so dass der geplante Prozess nie stattfindet.
Das Erlanger Friedensbündnis hat unmittelbar nach Bekanntwerden der Anklage den Kontakt zur Stadt Cumiana im Piemont aufgenommen und in einem Brief Entsetzen, Mitgefühl und Solidarität zum Ausdruck gebracht. Seit dem Jahr 2002 sind bei der jährlich stattfindenden Gedenkfeier in Cumiana regelmäßig Vertreter der Stadt Erlangen und Repräsentanten des Friedensbündnisses eingeladen. Im Jahr 2009 wurde zwischen dem 7.000 Einwohner zählenden Cumiana und der Großstadt Erlangen ein Freundschaftsvertrag geschlossen.
Und noch viel mehr ist in den letzten Jahren ist viel passiert. Es gibt einen regen Austausch zwischen Schülergruppen, Sportlern, allen möglichen Vereinen der beiden Städte. Regelmäßig findet auch eine Friedensradfahrt, organisiert von Rennradlern beider Städte, statt. Dieses Jahr werden sie sich im Sommer in Erlangen treffen und gemeinsam nach Prag radeln. Erfreulich ist auch, dass es viele Jugendliche sind, die sich treffen. - Und dass die historische Verantwortung "... heute und in Zukunft dafür einzutreten, daß die Bürger beider Städte in Frieden leben können ...", wie es das Erlanger Friedensbündnis einmal formuliert hat, praktisch gelebt wird.
Zum diesjährigen 69. Jahrestag der Gedenkfeierlichkeiten an die NS-Massaker in Cumiana war sogar der Bayerische Innenminister Joachim Herrmann angereist. Ein besonderes Gewicht. Weitere Delegationsmitglieder waren neben der Erlanger Bürgermeisterin Birgit Aßmus und einer Stadträtin, Mitgliedern des Alpenvereins Erlangen und einer Amateur-Fotografengruppe, sowie Isa Paape für das Erlanger Friedensbündnis.
Während sowohl von der Erlanger Stadtspitze als auch von Bayerns Innenminister Herrmann die Chance leider nicht genutzt wurde, in ihren Grußworten die Morde des NSU zu erwähnen, äußerte sich in ihrer Ansprache als erste deutsche Rednerin Isa Paape dazu:
"... In wenigen Tagen beginnt in München der Prozess gegen den so genannten 'Nationalsozialistischen Untergrund', kurz NSU. Diese Terrorgruppe hat in Deutschland in den vergangenen Jahren 10 Menschen ermordet und bei einem Bombenanschlag über 20 verletzt. Die Motivation der Verbrecher war Ausländerhass, die Opfer überwiegend Menschen mit türkischen oder griechischen Wurzeln. Diese Mordserie ist unfassbar. Und unfassbar ist auch, dass die ermittelnden Behörden durch schwer wiegende Fehler die Aufklärung jahrelang verzögerten, dass Teile der Politik und der Medien die Gefahren der neofaschistischen Szene klein reden. Und unfassbar scheint uns, dass Teile der bundesdeutschen Geheimdienste offensichtlich verstrickt waren in diese Geschehnisse. Für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger wird Deutschland wieder zu einem unsicheren Ort, weit entfernt davon, Heimat zu sein oder zu werden. Ich fürchte mich auch davor, dass das Bild Deutschlands im Ausland geprägt sein könnte von den Nachrichten über diesen nationalsozialistischen Terror ..."
Isa Paape widerlegt diese nicht unbegründete Furcht mit der Schilderung der realen Situation in Deutschland. Millionen Menschen in Deutschland verteidigen heute das friedliche Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft aktiv. Sie beweisen täglich ihre Solidarität mit den Angegriffenen und stellen sich in vielen Orten und Städten unter dem Motto 'Bunt statt braun' den Neonazis (und einer nach wie vor nicht verbotenen NPD) in den Weg.
Sie skizziert am Ende die durch die Krise in ganz Europa sich verschärfenden Gefahren von sozialer Ausgrenzung, Nationalismus und Rassismus:
"... Haben wir also nichts gelernt? - Ich glaube doch: Die Kontakte zwischen unseren Städten Cumiana und Erlangen, zwischen Schülerinnen und Schülern, Radfahrern, Bergsteigern, Foto-Amateuren, Tänzerinnen und Tänzern und so vielen anderen zeigen, wie es anders geht. Sie alle machen Hoffnung auf ein anderes Europa. Ein solches Europa zu bauen, in dem der Mensch des Menschen Freund sein kann, ist eine schöne Aufgabe und große Verantwortung. Das sind wir schuldig, den hier Ermordeten, das schulden wir uns, unseren Kindern und Enkelkindern. - Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!"
Text/Foto: Werner Lutz