05.04.2013: Zehntausende marschierten durch die Straßen von Tunis, genau dort wo vor zwei Jahren Hunderttausende aufmarschiert waren und einen Diktator aus dem Amt gejagt hatten: Die Avenue Bourgiba entlang, vorbei an dem verhassten Innenministerium, das noch immer von Stacheldrahtrollen bewehrt ist und wo es damals die ersten Toten gegeben hatte. Für einige Stunden scheint der aufrührerische Geist des 'arabischen Frühlings' auch in diesem bunten Demonstrationszug zur Eröffnung des elften Weltsozialforums (WSF) spürbar zu sein. Und er prägt auch das Ergebnis dieser großen weltweiten Diskussionsveranstaltung.
Das elfte Weltsozialforum hatte im Verlauf der vergangenen Woche mehr als 50.000 Menschen aus 127 Ländern in Tunis versammelt. Mit mehr als 1.000 Seminaren, Foren und Diskussionszirkeln sowie mit einer Vielzahl kultureller Veranstaltungen bot das Programm des WSF in Tunis das ganze Spektrum der Globalisierungskritik. Die Ursachen und Perspektiven der revolutionären Entwicklungen in Nordafrika nahmen einen besonderen Raum ein. Die Diskussionen um die weltweite Krise des neoliberalen Systems machten deutlich, dass physische Armut nicht länger eine Massenerscheinung nur in den Ländern des Südens wäre. Die gemeinsame Betroffenheit habe die Notwendigkeit des gemeinsamen globalen Widerstands offenkundig gemacht.
Ein weiterer thematischer Schwerpunkt wurde in einer Vielzahl von Veranstaltungen zu Problemen des Klima- und Umweltschutzes sichtbar. Natürlich haben die Gastgeber und der Arabische Frühling das Forum stark geprägt: Auf vielen Veranstaltungen wurde hitzig über Demokratie diskutiert, über Folgen der Kolonialisierung, über Frauenrechte, über Würde und Migration – viele Themen, die auf dem Weltsozialforum weitgehend neu waren oder aber nur eine Nebenrolle spielten.
Von den Veranstaltern wird das WSF in Tunis als außerordentlicher Erfolg gewertet. "Dieses globale Treffen in Tunis hat nicht nur die Überlebensfähigkeit der Sozialforumsidee bestätigt, sondern auch eine neue Dynamik des weltweiten Widerstands gegen die dramatische Armutspolitik der Herrschenden sichtbar gemacht. Der aufrührerische Geist des arabischen Frühlings hat auch die sozialen Bewegungen im Rest der Welt erreicht", heißt es in einer Erklärung von Attac Deutschland. Das globalisierungskritische Netzwerk war mit 37 anderen Organisationen aus Deutschland mit eigenen Aktivitäten auf dem Forum dabei, darunter die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die evangelische Entwicklungsorganisation 'Brot für die Welt' aber auch Bildungseinrichtungen wie die TU Berlin oder die Universität Hildesheim.
Die internationale Gewerkschaftsbewegung war mit rund 40 Organisationen eindrucksvoll vertreten. Ihr Spektrum reichte von den großen italienischen, französischen, britischen und brasilianischen Dachverbänden CGIL, CGT, TUC und CUT bis zum tunesischen UGTT, einem der Mitorganisatoren des Forums und zahlreichen Gewerkschaftsgruppen des afrikanischen Kontinents.
In einer Erklärung der 'Versammlung der Sozialen Bewegungen' heißt es: "Gemeinsam kämpfen die Völker aller Kontinente gegen die Vorherrschaft des Kapitals, die sich hinter dem illusorischen Versprechen wirtschaftlichen Fortschritts und politischer Stabilität versteckt.
Wir, die sozialen Bewegungen kämpfen:
- Gegen die transnationalen Konzerne und ihr Finanzsystem,
- Für Klimagerechtigkeit und Nahrungsmittelsouveränität,
- Gegen Gewalt gegen Frauen,
- Für Frieden und gegen Krieg, Kolonialismus, Besatzung und Militarisierung unserer Länder."
Text: Hugo Braun (UZ vom 5.5.13) Foto: Amine Ghrabi
Weitere Informationen:
Internationale Webseite World Social Forum 2013 (englisch)
Das deutschsprachige Informationsportal zur weltweiten Sozialforum-Bewegung