19.04.2011: Sonntagnachmittag 17. April, 15 Uhr in Winterbach nahe bei Stuttgart. Über 1 300 Menschen setzen in einer kurzfristig einberufenen antifaschistischen Demonstration ein entschlossenes Zeichen gegen Naziumtriebe, faschistische Gewalt und internationaler Solidarität. Der Protestzug war geprägt von einer Vielfalt an politischen Spektren und vereinte sämtliche Altersgruppen, zahlreiche Initiativen, Parteien, Organisationen.
„Ein Remstaldorf im Schockzustand“, so der Titel eines Berichts der Stuttgarter Nachrichten vom 12. April 2011. Was war bzw. ist geschehen? In Winterbach, einer Gemeinde mit knapp 8 000 Einwohnern nahe bei Stuttgart, trafen sich ausländische Mitbürger (Türken und Italiener) in einem Gartengrundstück zu einem Grillabend. Von einer Übermacht Neonazis wurden sie überfallen; mit Äxten, Schlagwaffen und Messern traktiert, verletzt und gejagt. Vier flüchteten in die Büsche, fünf schlossen sich in die Gartenhütte ein. Darauf hin zündeten die Neonazis vermutlich mit einem Brandbeschleuniger die Hütte an. Kurz bevor diese explodierte entgingen sie durch ihre Flucht ins Freie in allerletzter Sekunde dem Feuertod. Sie hatten nur noch „die Wahl zwischen Pest und Cholera“ wie es der zuständige Polizeisprecher, formulierte.
Umso unverständlicher, die Polizei wusste von der Zusammenrottung der Neonazis auf dem benachbarten Gartengrundstück eines gewalttätigen der Polizei bekannten Neonazis. Sie ließ diese aber einfach gewähren. Mehr noch. Dieser Tage drang ans Licht der Öffentlichkeit, dass in Korb, hier ist ebenfalls das Landratsamt und die Polizeidirektion Waiblingen zuständig, zwei Landesparteitage der NPD und ein Nationalkongress der Jungen Nationalen stattfanden, streng geheim gehalten von Polizei, Landrat und Bürgermeister. Nicht einmal der Gemeinderat wurde informiert. Dazu der Landrat Johannes Fuchs (FDP) er habe nichts „vertuschen wollen“, sondern es ginge bei der Entscheidung um die Frage „wie … angemessen mit der rechten Szene umzugehen wäre.“
Nazigewalt entgegentreten. Naziaufmarsch am 1. Mai in Heilbronn verhindern
Diese „Angemessenheit“ der Vertuschung, Verharmlosung, Duldung und Unterstützung der neofaschistischen Szene sei „ein Skandal“, sagte auf der Kundgebung der Vertreter der DGB Ortsverbände im Rems Murr Kreis, Walter Burkhardt. „Eine solche Behördenpraxis in Abstimmung mit der Polizei ist unter keinen Umständen zu akzeptieren. Nirgendwo dürfen Faschisten geduldet werden. Wir dürfen nicht zulassen, dass ausländische Mitbürger, Gewerkschafter, politisch Andersdenkende oder Behinderte, Opfer von faschistischer Gewalt werden.“ In dieser Akzeptanz faschistischer Betätigung sehe er „einen klaren Verstoß gegen das Potsdamer Abkommen, welches ein Verbot bzw. eine Bestrafung jeder faschistischen Betätigung forderte“.
Jochen Dürr, Sprecher der VVN Baden Württemberg, erinnerte in seiner Rede an den Schwur von Buchenwald und stellte die Verbindung her zwischen „Stiefelfaschisten“ und Thilo Sarrazins „Überfremdung“ Pamphlets. Sekundiert von den Massenmedien hätte er „eine neue Runde des Rassismus eingeleitet.“ Anhand von Zahlen und Fakten wies er nach, dass Rassismus und Ausländerfeindlichkeit längst die Mitte der Gesellschaft erreicht habe. Von der neuen Landesregierung forderte er eine die Initiative für ein Verbot der NPD. „Als ersten Schritt müssen die V-Leute abgeschaltet werden.“
Die Demonstration zeigte, der eingangs erwähnte „Schockzustand“ ist überwunden und weitere Aktionen werden folgen. Dazu der Sprecher der Initiative „Kein Nazizentrum in Weiler, noch anderswo: „Dieses kraftvolle Zeichen des solidarischen Zusammenhaltes gegen die Naziumtriebe im Rems-Murr-Kreis muss Ausgangspunkt für eine langfristige gemeinsame Arbeit sein.“ Die Mitveranstalter der Demonstration riefen dazu auf, den für Süddeutschland geplanten Naziaufmarsch am 1. Mai in Heilbronn zu verhindern. Dass ausgerechnet am 1. Mai, dem Kampftag der Internationalen Arbeiterklasse Nazis mit ihren Hetzparolen und dem zynischen Motto „Fremdarbeitinvasion stoppen“ aufmarschieren dürfen, „ist eine üble Provokation“, so Walter Burkhardt. „Das dürfen wir nicht hinnehmen. Das sind wir den Opfern der Naziherrschaft schuldig. Deshalb kein Fußbreit Boden den Faschisten. Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen.“
Text: Dieter Keller Foto: Initiative Kein Nazizentrum in Weiler