26.01.2011: Die ersten Montagsdemonstrationen im neuen Jahr mit wiederum mehreren tausend Menschen, die vielfältigen phantasievollen Aktivitäten, die politischen und kulturellen stets proppevollen Veranstaltungen, die immer neu entstehenden Arbeitskreise und Unterstützungs-Initiativen sowie die vielfältigen "Schwabenstreiche" zeigen: Der Widerstand gegen das Milliardengrab Stuttgart 21 (S21) ist ungebrochen.
Er "geht weiter, steckt an, animiert und inspiriert", so begrüßte Volker Lösch, Regisseur und Mitglied der künstlerischen Leitung am Schauspielhaus Stuttgart, die mehr als 7 000 Menschen auf der ersten Montagsdemonstration 2011. Das sei so, "weil der Kampf um S21 für so viel mehr steht als nur für S21! Es ist auch…ein Kampf um die Beschaffenheit unserer Gesellschaft, ein Kampf darum, wie unser Gemeinwesen in der Zukunft aussehen soll! Es geht also um nicht weniger - als um alles! Gegen ein auf Egoismen beruhendes Wirtschaftsystem - das das Gemeinwesen ausbluten lässt! Gegen die drohende Privatisierung weiter Teile der Öffentlichkeit … gegen rücksichtsloses Wirtschaftswachstum!"
Zur Erinnerung: Die Idee eines neuen Bahnhofs entstand nicht aus einer bahn- oder verkehrspolitischen Notwendigkeit heraus, sondern aus der Frage: Wie kann der Wegfall des Bahngeländes und der Gleisanlagen von cirka 100 Hektar bei einer Untertunnelung des Bahnhofes für Immobilien- und Spekulationsgeschäfte genutzt werden. Es ist in der Hauptsache ein Immobilienprojekt mit Gleisanschluss und soll die Privatisierung der Bahn weiter forcieren.
Milliardengrab und Goldgrube
Weder der äußerst brutale Polizeieinsatz am "Schwarzen Donnerstag", dem 30. September letzten Jahres, noch der "Schlichtungs"spruch "S21 plus" des alten CDU-Strategen Geißler konnten den Widerstand brechen. "S21 plus" wurde der Bahn AG, den anderen Profiteuren und den Tunnelparteien auf dem Silbertablett als Geschenk präsentiert und von diesen begeistert aufgegriffen. Die Gegnerinnen und Gegner von S21 und Befürworter des Kopfbahnhofes 21 haben sehr schnell dieses abgekartete Spiel mit den Tunnelbetreibern durchschaut. Sie lassen sich nicht von Geißler in Geiselhaft nehmen. Geißler hat sich nicht von der Vernunft, nicht von den Interessen der Mehrheit leiten lassen, sondern seinen Auftrag im Interesse der CDU und der Profiteure des Projekts erfüllt. "S21 plus" ist ein unsinniges Projekt, noch verteuert. Mehr Geld wird zum Fenster rausgeschmissen. Mit jedem Kubikmeter mehr Erdaushub und Tunnelbau werden zusätzliche Profite hochgescheffelt. Deren größer werdende Goldgrube wird somit zum noch größeren Milliardengrab für die Bevölkerung. Deshalb bleibt es bei den Forderungen eines sofortigen Bau- und Vergabestopps und einer verbindlichen Bürgerbefragung.
Das bisherige Konzept, S21 mit allen Mitteln bis hin zur brutalen Gewalt durchzusetzen und den Widerstand durch die Arroganz der Macht zu schwächen, ist nicht aufgegangen. Jetzt wird eine "beweglichere" Taktik angewandt. Die Kriminalisierung des Widerstandes und Einschüchterung von Aktivist/Innen. Rund tausend Verfahren gegen S21-Gegnerinnen und -Gegner sind eingeleitet. Darunter alleine sieben gegen den Bündnissprecher, Gangolf Stocker. Er wurde am Donnerstag letzter Woche vom Amtsgericht Stuttgart zu einer Geldstrafe von 1 500 Euro wegen angeblichen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz verurteilt. Doch das Gegenteil ist der Fall. Mit geradezu schikanösen Auflagen und Verordnungen wird das Grundrecht auf Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit außer Kraft gesetzt - Gangolf wird z. B. vorgeworfen, er habe nicht verhindert, dass an einem Infotisch Aufkleber gegen S21 verkauft wurden. Bei der Verurteilung wurde ihm zum Vorwurf gemacht, er sei bei der Großdemonstration am 27. August 2010, als einzelne Teilnehmer nach der Demonstration in die Bannmeile des Landtages friedlich eindrangen, für die polizeiliche Einsatzleitung nicht erreichbar gewesen. Stocker zur Einzelrichterin: Wenn sie mich verurteilen, dann bitte nicht im Namen des Volkes. Als die Amtsrichterin ihr Urteil mit dieser Formel sprach, gab es im vollbesetzten größten Sitzungssaal des Amtsgerichtes Rufe: "Wir sind das Volk und oben bleiben."
Selbst die Stuttgarter Nachrichten, stramme Befürworter von S21 fragen: "Will man hier den Vormann des Protestes weich kochen?" Doch Gangolf Stocker, der in Berufung geht, lässt sich nicht weich kochen. "Da muss mehr kommen um mich einzuschüchtern." Die DKP fordert: Macht Schluss mit der Kriminalisierung des Widerstandes. Schluss mit der Aushöhlung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit. Sie fordert die Einstellung aller Verfahren gegen S21-Gegnerinnen und -Gegner!
Untersuchungsausschuss eine Farce
Eine Farce oder ähnlich skandalös sind der Verlauf und die Ergebnisse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Landtags zum "Schwarzen Donnerstag." Es wurden die Strukturen und Aktionen des Widerstandes gegen S21 untersucht und nicht das brutale Vorgehen der Polizei. Die Opfer wurden von den "Tunnelparteien" zu Tätern erklärt. Dem Noch-Ministerpräsidenten Mappus und weiteren Mitgliedern seines Gruselkabinett, die verantwortlich für den brutalen Einsatz sind, wurde eine Bühne bereitet, nicht um sich zu entschuldigen, sondern um ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Nicht um die Verantwortung für den brutalen Polizeieinsatz zu übernehmen und auch nicht um personelle Konsequenzen zu ziehen. Die Rufe "Mappus weg" werden immer stärker. Die Gegner von S21 und für den Kopfbahnhof K21 wollen dabei nicht wie ein "Kaninchen auf die Schlange starren", sondern die Proteste ins ganze Land tragen. Es wird bis zur Landtagswahl noch drei Großdemonstrationen (am 29. Januar, am 19 Februar und am 19. März) in Stuttgart geben. Dann sind in allen 70 Wahlkreisen dezentrale Aktionen am 5. Februar und 5. März geplant. Unabhängig vom Wahlergebnis am 27. März ist wichtig, dass die Proteste auch danach fortgeführt werden. Die Abwahl der 57 jährigen CDU Herrschaft in Baden Württemberg wäre ein historischer Erfolg, aber noch keine Garantie, dass S21 nicht gegraben, sondern begraben wird.
Um nochmals Bezug auf Volker Lösch zu nehmen: Es geht bei S21 nicht nur um die Verhinderung eines Milliardengrabs, sondern um weit mehr. Es geht um die Zukunft unseres Landes und gegen ein auf Egoismus beruhendes Wirtschaftssystem. S21 zeigt: Die Profitinteressen dieser kapitalistischen Gesellschaft stehen in tiefem Widerspruch zu den Gegenwartsund Zukunftsinteressen der Mehrheit der Bevölkerung. Um dieses "weit mehr", um mehr Demokratie und Bürgerrechte dauerhaft zu erreichen, ist es notwendig, die Macht- und Eigentumsverhältnisse einzuschränken und schließlich zu überwinden. Nur so können sie uneingeschränkt und selbst ihre Geschicke in die eigenen Hände nehmen. Notwendig ist letztlich eine Gesellschaft, in der die Menschen im Mittelpunkt aller Dinge stehen und nicht der Profit. Für diese Gesellschaft, den Sozialismus zu kämpfen, wie es die DKP tut, lohnt sich für das Volk. Dieses "weit mehr" mit den tagespolitischen Forderungen im Widerstand gegen S21 dialektisch zu verbinden, ist die ureigenste Aufgabe der Kommunistinnen und Kommunisten. Anknüpfend an die Erfahrungen, die die Menschen hier machen, sind dafür überzeugende Argumente und Antworten notwendig.
Text: Dieter Keller (Vorabdruck aus der UZ vom 28.01.2011)