03.11.2010: Am Freitag setzen Gegner und Befürworter von S21 die Schlichtungsgespräche in Stuttgart fort, die der frühere CDU-Generalsekretär Heiner Geißler moderiert. Der Runde Tisch soll die Emotionen glätten und die Auseinandersetzung versachlichen. Darin sehen die Bauherren von S21 ihre Chance weiterzubauen. Nicht umsonst erklärt Bahnchef Grube, dass die Vermittlung auf keinen Fall gefährdet werden dürfe. (Stuttgarter Zeitung, 23. 10.) Ex-Bahnchef Mehdorn posaunt siegessicher, "dass nicht einmal die Grünen nach der Wahl das Projekt kippen. Schließlich gibt es jetzt Verträge, die gelten." (Zeit online, 25. 10.) Das heißt dann "die Bürger mitnehmen". Das Aktionsbündnis gegen S21 bildet mit den Gesprächen aber auch Gegenöffentlichkeit, die zu Gegenmacht führen kann, wenn es sich nicht auf nur fachliche Aussagen zur Machbarkeit von S21 einschränken lässt. Die S21- Macher fürchten die Fakten.
Der Tiefbahnhof ist nicht wirklich als Verkehrsprojekt geplant, sondern soll nur das Gleisfeld hinter dem Hauptbahnhof frei räumen, damit dort die Banken und Konzerne ein gigantisches Bau-, Immobilien und Spekulationsprojekt in Gestalt eines neuen Stadtteils realisieren können, an dem auch die beteiligten Politiker profitieren. Trotzdem wäre über die Fakten hinaus immer wieder einzufordern, was die Protestbewegung eben auch will: mehr reale Demokratie. Der Streit um S21 könnte sich zum Wendepunkt für demokratischen Fortschritt in ganz Deutschland entwickeln. Die Erleichterung des Volksentscheids in Baden- Württemberg ist da nur eines der Themen.
Auf der Demo gegen den Bahnhofsumbau in Stuttgart am Samstag, den 30. Oktober, spricht auch Joe Bauer, unter anderem durch seine pointierten Meinungsbeiträge in den "Stuttgarter Nachrichten" bekannt. Bei S21 geht es um "Landnahme für ein Immobiliengeschäft", sagt er "und nicht um die läppische Herausforderung, schneller von Punkt A nach Punkt B zu fahren. (...) Man hatte aber nie das Geld, die scheußliche Stadtautobahn zwischen Staatsgalerie und Museum (B 12) unter die Erde zu versenken. Stadtplanung und -entwicklung spielen in der Stadt keine Rolle. (...) Jetzt redet die Machtbacke von Kommunikationsfehler. Was für eine Lüge! Sie wollen keine Kommunikation. (...) Sie lassen lieber von Werbefritzen aus der Kreisliga Plakate hängen."
Nach der Demo überwanden Aktivisten der Parkschützer und von Robin Wood den Bauzaun im Schlossgarten und pflanzten auf dem von der Bahn gerodeten Grundstück Widerstandsbäumchen. Die Fantasie der Stuttgarter Bewegung gegen S21 ist noch lange nicht verbraucht.
Text :Rainer Grimm (Auszug aus seinem Artikel für die UZ vom 05.11.2011)
Foto: Bebauungsplan für das Gelände A1 (Werbung Bahn)