23.10.2010: Alle Fakten auf den Tisch. Mit diesem Ziel sind die Projektgegner gestern in das von Heiner Geissler moderierte Gespräch mit Bahn und Landesregierung gegangen. Heute haben wieder 50.000 auf der Straße demonstriert. Eine klare Ansage der Projektgegner, dass parallel zu den Gesprächen im Saal die Mobilisierung der Öffentlichkeit weitergeht. Zeitgleich zur Demonstration der Projektgegner hatten die Befürworter zu einer Kundgebung aufgerufen. Ließ Ministerpräsident Mappus vor 3 Wochen noch die Polizei mit Wasserwerfern aufmarschieren, so ließ er heute die CDU anrücken. Über Werbeagenturen wurde dafür nicht nur in Stuttgart plakatiert und die CDU-Kreisverbände organisierten die Fahrt nach Stuttgart. Neben Bahnchef Grube sprach der ehemalige Ministerpräsident Teufel, die Staatsministerin Tanja Gönner, der Fraktionsvorsitzende der FDP Hans-Ulrich Rülke und Wolfgang Drexler (SPD, Landtagsvizepräsident), der früher Sprecher des umstrittenen Bahnprojekts Stuttgart 21 war. 10.000 Teilnehmer zählten die Veranstalter.
Der erste Faktenaustausch am Freitag im Stuttgarter Rathaus lässt noch keinen Schluss zu, ob es mehr als ein Medienspektakel ist, das als Teil des CDU-Wahlkampfes die Stimmung in der Bevölkerung für Stuttgart 21 und für die CDU drehen soll. Bahnchef Grube jedenfalls machte auf der Kundgebung noch einmal deutlich, dass er Stuttgart 21 durchzuziehen will, unabhängig vom Ausgang der Gespräche.
Bei der ersten Gesprächsrunde waren die Gegner von Stuttgart 21 inhaltlich gut vorbereitet und konnten für sich einen ersten Punktgewinn verbuchen. Es ging vor allem um die Leistungsfähigkeit des alten Stuttgarter Bahnhofs und bei der Neubaustrecke um die Verlagerung des LKW-Verkehrs auf die Schiene. Doch unbeeindruckt von den Fakten, die der frühere Leiter des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Hopfenzitz, als Fachmann für die Projektgegner vorbrachte, wiederholte Grube heute die widerlegten Argumente der Bahn von gestern.
Nach der Wirtschaftslichkeitsberechnung gefragt, bat die Verkehrsministerin von Baden-Württemberg, Tanj Gönner, gestern erst um etwas mehr Zeit bis zum Nachmittag, gab aber auch dann keine Antwort. Heute wiederholte Grube wieder die Lüge von den exakt berechneten Kosten und der Wirtschaftlichkeit. Und auch die Aussage, dass ein Scheitern des Projekts Stuttgart 21 das internationale Ansehen Deutschlands gefährden würde, fehlte nicht in seiner Rede.
Die FAZ schreibt: „Die Befürworter setzen auf die Kraft von Sachargumenten; die Gegner werden dann im Vorteil sein, wenn sie während der Gespräche neue, gegen das Projekt sprechende Details enthüllen können: technische Probleme oder zusätzliche Kosten. Das werden die Befürworter nach Kräften zu verhindern versuchen – sie haben den besseren Apparat und das Herrschaftswissen. Aus Sicht der Befürworter wäre viel gewonnen, wenn die Bürger durch die Schlichtung bei den Themen Geologie und Mineralwasser wieder Vertrauen zu den Planern bekommen würden. Ein Erfolg wäre es auch, wenn es gelänge, für die Bauphase einen „Baubegleitkreis“ einzurichten und für die Gestaltung des erweiterten Schlossgartens ein intensives Verfahren zur Bürgerbeteiligung zu verabreden.“ (FAZ, 22.10.2010)
Der Faktencheck vom Freitag wurde 7 Stunden lang im Fernsehen übertragen und konnte auch im Internet verfolgt werden. Im Stuttgarter Rathaus wurden die Gespräche in den großen Sitzungssaal übertragen. Dutzende Übertragungswagen verschiedener Fernsehsender waren angerückt. Ministerpräsident Mappus hielt sich diesmal staatsmännisch zurück und griff nicht selber in die Diskussion ein. Seine Hoffnung ist, mit diesem Dialog vom Polizeieinsatz abzulenken und wieder die Meinungsführerschaft zu erreichen. Zum Ende dieser Woche kann er nicht zufrieden sein, im Gegenteil. Die Zweifel am Sinn dieses Projektes und an der Bezahlbarkeit werden auch überregional immer größer.
Aber das Stuttgart 21-Kartell lässt sich von Fakten nicht beeindrucken. Ihre Profitinteressen sind die wichtigsten Fakten, und es wird notwendig sein, auch diese am Runden Tisch aufzuzeigen.