06.10.2010: Das Drehbuch, das Dirk Metz geschrieben hat, ehemaliger Pressesprecher von Roland Koch und nun in Diensten von Ministerprädident Mappus, folgt einfachen Regeln, die auch schon in Hessen angewendet worden sind. Stärke, kein Zögern oder Nachgiebigkeit zeigen. Mit einem Paukenschlag Fakten schaffen. So war der Einsatz der Polizei geplant, die mit Wasserwerfern und Hundertschaften in voller Kampfausrüstung antrat, um den Schlossgarten für die Baumfällarbeiten zu räumen.
Dass zeitgleich eine Abschlusskundgebung der Schülerdemonstration auf diesem Gelände stattfinden sollte, passte nur zu gut in den Plan. Als der Einsatzleiter vor Ort angesichts der vielen jungen SchülerInnen den Einsatz abbrechen wollte, lautete der Befehl von oben: „Wasser marsch“. Es sollte ein Exempel statuiert werden, es sollte der Zeitplan eingehalten werden, auch weil eine eventuelle Gerichtsentscheidung zum Stopp der Baumfällarbeiten drohte.
Die politische Verantwortung für den brutalen Polizeieinsatz hat der Polizeipräsident von Stuttgart übernehmen müssen. "Es sind Fehler gemacht worden", räumte Stumpf ein. Aber er meinte damit nur das Verhalten eines Lastwagenfahrers, dessentwegen die Fahrzeugkolonne bei der Einfahrt in den Stuttgarter Schlossgarten ins Stocken geraten sei. "Zu vorsichtig", ja "übervorsichtig" sei der Mann gewesen, als er auf blockierende Demonstranten stieß, "es war eine menschliche Reaktion, stehen zu bleiben", fügte er hinzu. "Das war der Auslöser für alles weitere" (Zitat aus der Stuttgarter Zeitung)
Nach dem Schock des brutalen Polizeieinsatzen jetzt ein vordergründiges Dialogangebot und ein bisschen Baustopp. Im Schlossgarten sollen zunächst keine weiteren Bäume gefällt werden, dafür aber die Bäume vor dem schon abgerissenen Nordflügel des Bahnhofs. Der Abriss des Südflügels soll ebenfalls zunächst ausgesetzt werden, kein Wunder, wird er doch als Kaserne für die Polizei-Hundertschaften von auswärts genutzt. Wo noch vor einer Woche 100-jährige Platanen wuchsen, steht nun ein Zaun, wie er zur Absicherung von militärischen Anlagen gebaut wird. Auf NATO-Stacheldraht wird noch verzichtet, stattdessen wird versucht, mit neuem Rollrasen die Verwüstungen zu kaschieren. Ein neuer Weg wurde asphaltiert, damit die Stuttgarter demnächst am Zaun flanieren können.
Bahnchef Grube hat in der Bild am Sonntag erklärt, „ein Widerstandsrecht gegen einen Bahnhofsbau gibt es nicht!“. Baurecht statt Grundrecht. Und in seiner Regierungserklärung von heute legte Ministerpräsident Mappus noch nach:
„Schaden wir nicht demokratischen Institutionen, wenn Parlamentsabgeordnete demokratisch legitimierte Beschlüsse des Parlaments andauernd selbst aktiv in Frage stellen?“
„Haben Mitglieder des Hauses das Recht, hat irgendjemand in diesem Land das Recht, sich über den Rechtsstaat zu stellen und rechtlich einwandfreien Entscheidungen die Legitimation abzusprechen?“
Bundesminister Peter Ramsauer war da schon vorsichtiger. Im Bayerischen Rundfunk hat er zwar den Vorwurf zurückgewiesen, die Behörden hätten bei der Genehmigung von Stuttgart 21 mit geschönten Zahlen gearbeitet. "Ich weiß, dass nicht mit falschen Fakten gearbeitet worden ist", sagte er. "Wenn dem so wäre, dann wären alle Beschlüsse und Genehmigungen hinfällig."
Mappus hat in seiner Regierungserklärung nun Heiner Geissler als Moderator für einen runden Tisch vorgeschlagen. „Ich habe deshalb Herrn Bundesminister a. D. Dr. Heiner Geißler gebeten, Fachleute, Projektgegner und -befürworter an einen Tisch einzuladen“. Aber seine „Dialogagenda Stuttgart 21“ soll allein Fragen der Bebauung des Bahngeländes behandeln."Lassen Sie uns gemeinsam auf dem neuen Gelände von Stuttgart 21 eine neue Weißenhofsiedlung bauen: modellhaftes und vorbildliches Wohnen und Arbeiten im Kontext des beginnenden 21. Jahrhunderts."
Die 100.000 Demonstranten am Freitag und die 50.000 am Montag aber haben gezeigt, dass sie nicht in Schockstarre verfallen sind und sich nicht von Scheinangeboten blenden lassen werden. Und die Einschätzung in der Jungen Welt von heute, „so allmählich scheint den Regierenden im Ländle klarzuwerden, daß sie stures Beharren auf dem Fahrplan für den Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs Kopf und Kragen kosten könnte.“, wird wohl von den wenigsten geteilt werden. Die Schuldzuweisung für den Polizeieinsatz an die Stuttgart 21–Gegner, die Diffamierungen als Gewalttäter und das Gespenst von „linksextremistischen“ Drahtziehern, die versuchte Diffamierung von Gangolf Stocker als Altkommunisten in der Debatte zur Regierungserklärung, all dies spricht eine andere Sprache. Mappus bleibt bei seiner Rambo-Politik, er will vor allem das rechte Wählerpotential ansprechen und gleichzeitig den Widerstand auseinanderdividieren.
Text/Foto: mami
Ein ausführicher Bericht über die Freitagsdemonstration vom 01.10.10 in der UZ vom 08.10.10