29.09.2010: Arbeitgeberpräsident Hundt sieht zwar noch nicht die nationale Sicherheit bedroht, aber doch schon die „nationale und internationale Reputation als rechtssicherer und verlässlicher Wirtschafts- und Investitionsstandort. Deshalb forderte er ultimativ, das Projekt „Stuttgart 21“ wie geplant zu realisieren. Wir erwarten, dass die politischen Entscheidungsträger ohne „Wenn und Aber“ zu diesem Projekt stehen.“ Den tausenden Demonstranten in Stuttgart gegen das Projekt, - allein am Montag waren es wieder über 15.000 bei der 45. Montagsdemonstration -, warf er vor, „den Boden des Rechtsstaates zu verlassen“. Seit Bundeskanzlerin Merkel Stutgart 21 zur Chefsache und die Landtagswahlen im März 2011 zum Volksentscheid erklärt hat, läuft die Propagandamaschinerie von CDU und Industrie auf Hochtouren. Es vergeht nun Tag mehr, wo nicht in der örtlichen und überregionalen Presse vehement für Stuttgart 21 geworben wird bei gleichzeitiger Kriminalisierung der Gegenbewegung.
Es geht der Politik nicht mehr nur allein um den Bahnhof. Arbeitgeber und CDU wollen deutlich machen, wer hier im Land das Sagen hat. „Stuttgart 21 steht auch dafür, ob wir uns in Deutschland dem Druck eines Teils der Öffentlichkeit beugen“, so Hundt vor der Landesvereinigung der Baden-Württembergischen Arbeitgeberverbände. Er kann sich dabei der Unterstützung von Joachim Gauck sicher sein, der in der ARD-Sendung "Beckmann" erklärte: "Und diese Entscheidungen jetzt nicht zu vollziehen, das wäre ja fast eine Straftat. Die Politiker, die jetzt sagen, ich baue einfach nicht weiter, die dürfen das gar nicht tun, wenn sie sich selbst ernst nehmen."
Ein Moratorium bei den Bauarbeiten wird von Politik und Industrie kategorisch abgelehnt. Der neu ernannte Projektsprecher Andriof (CDU) verkündete stattdessen, dass noch im Oktober die ersten Bäume im Schlosspark gefällt werden sollen. Aber der Widerstand hat in Stuttgart und außerhalb schon eine solche Breite und Qualität erreicht, dass es gelingen kann, der Politik ihre Grenzen aufzuzeigen.
Unter der Losung „Bildung statt Prestigebahnhof „ hat die "Jugendoffensive gegen Stuttgart 21" für Donnerstag zu einem Schüler- und Jugendstreik aufgerufen. In dem Aufruf heißt es:
„Während es einen Sanierungsstau an Stuttgarter Schulen gibt, mittlerweile 328 Millionen €, halten Bund, Land und Stadt an Stuttgart 21 fest.
Deshalb soll das Geld für Stuttgart 21 für die Sanierung von Schulen, zur Einstellung von mehr LehrerInnen, zur Abschaffung von Studiengebühren, für die Schaffung von 10.000 Ausbildungsplätzen im öffentlichen Dienst von Baden Württemberg und für die Übernahme aller Auszubildenden genutzt werden!“
Die Gewerkschaft ver.di in Baden-Württemberg fordert ebenfalls einen sofortigen Baustopp. Aus der Resolution des ver.di Landesbezirksvorstandes:
„Wir sehen, auch angesichts erheblich steigender Kosten für Stuttgart 21 und insbesondere mit Blick auf die Schuldenbremse ab 2016, die große Gefahr, dass das Projekt zu Lasten sozialer und gerechter Politik für alle geht. Gerecht geht anders!
Wir teilen das Anliegen der Protestierenden, die sich dagegen wehren, dass Politik zunehmend als alternativlos dargestellt wird. Alternativlos haben wir satt: So heißt es seit Jahren: Der Sozialstaat müsse abgebaut werden wegen der Globalisierung. Die Rente mit 67 müsse eingeführt werden wegen der Demografie. Stuttgart 21 müsse gebaut werden wegen bestehender Verträge. Die Protestierenden in Stuttgart spüren, dass dies vorgeschoben ist. Wir wehren uns, weil Politik gegen unsere Interessen und gegen Mehrheiten durchgeführt wird, sei es in der Atompolitik, beim Sparpaket oder eben bei Stuttgart 21.
Es geht um die zentrale Frage: Wem gehört die Stadt, wem gehört dieses Land?“
Grußwort von Frank Bsirske (Vorsitzender der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di) an die Volksversammlung gegen Stuttgart 21:
„Liebe Gegnerinnen und Gegner von ‚Stuttgart 21?,
mit großer Sympathie verfolge ich Euren Widerstand gegen das milliardenverschlingende Projekt ‚Stuttgart 21?. Hier werden die Euros nur so rausgeworfen, für einen Bahnhofsumbau, dessen Nutzen mehr als zweifelhaft ist – Milliarden, die an anderer Stelle zur Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur dringend benötigt und sinnvoll eingesetzt werden könnten, jetzt aber an ein abwegiges Projekt gebunden sind.
Die Regierungsparteien versuchen, stur an ‚Stuttgart 21? festzuhalten. Sie fürchten sich vor einem Erfolg des Bürgerprotestes. Ihr gebt darauf mit Eurem kreativen, unbeugsamen und sehr ansteckenden Widerstand die richtige Antwort – und zugleich ein Vorbild bürgerschaftlichen Engagements.
Ich wünsche Euch viel Erfolg. Oben bleiben!“
Mehr Informationen unter GewerkschafterInnen gegen Stuttgart 21
Text: mami
In der Anlage:
Protestbewegung und Widerstandskultur gegen Stuttgart 21 und Gewerkschaften
Von Christa Hourani, Mitglied im Sekretariat der Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken
Reader zum 12. bundesweiten Kongress der Initiative zur Vernetzung der (24./25.- September 2010 in Stuttgart)