22.08.2010: Letzter Höhepunkt in der Widerstandskette: 30.000 Demonstranten am Freitag- Abend in der Stuttgarter Innenstadt - mitten in der Urlaubszeit! Heute wurden Hundertschaften mit Helm und Schlagstöcken hochgerüsteter Bereitschaftspolizei angekarrt, um den Abrissbagger am Hauptbahnhof vor der aufgebrachten Bevölkerung zu "schützen".
Doch selbst wenn die "S 21"-Betreiber den Abriss des Hbf.-Nordflügels mit Brachial-gewalt durchsetzen könnten, würde es ihnen nichts nützen. Im Gegenteil: Der Zorn der übergroßen Mehrheit der Stuttgarter Bevölkerung (über 70 % bei allen Befragungen gegen das Prestigeprojekt, jüngste Umfrage des "Stuttgarter Wochenblatts": ü-ber 90 % für sofortigen Baustopp und Bürgerbefragung!) wird mit jedem Gewaltakt weiter hochgeschaukelt. Abrissbagger und Polizeigewalt sind die Antwort der "demokratischen Parteien" auf die längst besseren Argumente der Projektgegner. Doch das verfängt immer weniger: Statt Resignation breitet sich Informiertheit und ein neues Selbstbewusstsein aus, aus Wut wird entschlossener, kreativer und zählebiger Widerstand! Man sollte die Schwaben nicht unterschätzen; Wenn sie mal in Bewegung sind, dann aber richtig.
Ausstrahlung des Schwabenprotestes
Das ist vielversprechend und strahlt bereits jetzt sowohl in die Fläche aus (in über 30 Orten gibt es bereits täglich 19.00 Uhr den "Schwabenstreich" gegen "S 21", 1 Minute ohrenbetäubender Lärm als unüberhörbarer Protest - man hörte bereits von solchem sogar in Berlin!), als auch in andere Bereiche des demokratischen und sozialen Protests!
Bereits jetzt gibt es eine Initiative "Gewerkschafter gegen S 21", erste Betriebsverteilaktionen von Protestmaterial fanden schon statt. Wenn der Widerstand von Randbereichen der Arbeiterklasse in den Kern der Klasse übergreift und ganze Betriebsbelegschaften erfasst, dann wäre kein Halten mehr!
"Ihr kriegt uns nicht mehr los! Wir Euch schon!" lautete eine Losung von "Parkschützern", die sich mittlerweile nicht nur als Bahnhofschützer sondern auch als Demokratieschützer verstehen (über 15.000 haben sich als solche erklärt!). Denn längst ist klar, dass die sog. "demokratischen Mehrheiten" für S 21 erschlichen wurden durch falsche Fakten, durch z.T. bewusste Irreführung der Parlamente (siehe Geheim-Gutachten des schweizerischen SMA-Instituts, seit 2008 unter Verschluss der CDU/ FDP-Landesregierung und jetzt vom BUND veröffentlicht).
Und immer klarer wird, dass der tiefe Sinn des Milliardenprojektes "S 21" nicht ver-kehrspolitisch festgemacht werden kann, denn 3 Minuten angebliche Zeitersparnis für Fernreisende von Paris nach Bratislawa (!?) werden mehr als zunichte gemacht durch Verschlechterungen für den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr. Hier liegt auch das tiefere Interesse für Autokonzerne wie Daimler an diesem Prestige-Projekt. Und die offiziell mit ca. 6 - 7 Mrd. Euro veranschlagten Projektkosten, die sich nach aller Erfahrung auf das Doppelte bis Dreifache steigern werden, wirken wie ein "Staubsauger" gegen alle anderen, sinnvollen Verkehrsprojekte, wie auch gegen Schulsanierungen, Krankenhaus-, Kita- und andere Sozialprojekte. Mit der Erhöhung der Stuttgarter Kita-Gebühren wird u.a. auch "S 21" finanziert.
"S 21" - ein Stamokap-Projekt
Der tiefe Sinn von "S 21" besteht in der Bedienung von Monopolinteressen: großen Baukonzernen, Tunnelbohrfirmen (ganz "zufällig" sitzt Lothar Späth im Aufsichtsrat einer solchen!), Banken und der mächtigen Immobilien-Spekulations-Lobby, der heute schon der Gier-Schaum vor dem Maul hängt in Anbetracht der durch "S 21" freiwerdenden riesigen Filet-Baugrundstücke in der Stuttgarter Innenstadt. Dass die bürgerlichen Parteien wie CDU, FDP usw. mit diesen Interessengruppen durchverfilzt sind, hat sich schon ziemlich rumgesprochen, - dass aber auch die SPD-Spitzen im Landtag und Gemeinderat diesem Klüngel ihre Seelen verkauft haben, und mit Ex-Landtags-Fraktionsvorsitzendem Drexler sogar den Projektsprecher von "S 21" stellen, das stinkt zum Himmel.
Doch aufgestachelt durch den Massenprotest lassen sich immer weniger (Rest-) So-zialdemokraten dies gefallen. In der SPD rumort es gewaltig - in Anbetracht der bevorstehenden Landtagswahlen (März 2011) wird eine Kurskorrektur gefordert. Wenn die SPD als Projektbefürworter fällt, dann fällt das ganze Projekt! Die Umfragen zur Landtagswahl sehen seit Jahrzehnten erstmals eine Mehrheit links von CDU/ FDP!
"Bahnhof und Park erhalten - Kapitalismus abreißen!"
Aber gegen die Gefahr einer parlamentarischen Vereinnahmung regen sich nicht nur die radikaldemokratischen "Parkschützer" mit der Verteidigung von weiteren Formen des zivilen gewaltfreien Widerstands, - es hat sich jetzt auch eine "antikapitalistische Plattform gegen S 21" gebildet, in der neben anderen Gruppen auch DKP-Mitglieder mitarbeiten. Mit dem Transparent "Bahnhof und Park erhalten - Kapitalismus abreißen" ist sie bereits in der Aktion aufgetreten, eine Vertiefung der antikapitalistischen Enthüllungen, sozialen Argumentations-Ketten und Entwicklung von Aktionen soll folgen.
Man darf gespannt sein, was alles noch aus dem Widerstand gegen das Prestige-Stamokap-Projekt "S 21" erwachsen wird. Auswirkungen auf die Herbstaktionen der Gewerkschaften und Sozialbewegungen sind voraussehbar.
Text: Klaus Mausner Fotos: CR