18.08.2010: Ein Stillhalteabkommen mit Friedenspflicht, das ist das neue Verhandlungsangebot der Grünen in Baden-Württemberg an die CDU. In einer Zeit, in der die Protestaktionen auch in der Region immer stärker werden, in der die überregionalen Medien immer mehr über die Proteste berichten, wollen die Grünen den Protest auf der Strasse befrieden und stattdessen ein Mediationsverfahren mit Friedenspflicht einleiten. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Landtag, Winfried Kretschmann, hat diesen Vorschlag der CDU und den Verantwortlichen für Stuttgart 21 gemacht.
„Versöhnen statt graben“, so ist der Text überschrieben, den Boris Palmer, grüner OB in Tübingen, auf Vorschlag von Kretschmann erarbeitet hat (s. Anlage). Darin heisst es:
„Obwohl die jüngsten Großdemonstrationen bemerkenswert friedlich waren und fast den Charakter eines politischen Volksfestes hatten, lässt die Entwicklung der letzten Wochen und Monate befürchten, dass der Konflikt stetig eskaliert.“
„Nach einem "Waffenstillstand" und der Vereinbarung einer Friedenspflicht für beide Seiten wird eine Lenkungsgruppe installiert, in der Projektverantwortliche und Projektgegner paritätisch vertreten sind. Unter Leitung von zwei Schlichtern, die allseits anerkannt sind, erarbeitet die Lenkungsgruppe einvernehmlich den Fahrplan der Konferenz. Realistischerweise könnte dieser Fahrplan einen Zeitraum von vier Monaten umfassen, so dass ein Ergebnis zum Ende des Jahres 2010 vorliegt.“
Boris Palmer war 2004 OB - Kandidat der Grünen bei der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart. Gerade wegen seiner Haltung gegen Stuttgart 21 konnte er punkten. In der notwendigen Stichwahl zog er dann seine Kandidatur zurück. Die Grünen in Stuttgart liebäugelten damals wie heute mit einer Schwarz-Grünen Koalition im Land. Seine Wahlempfehlung für den CDU-Kandidaten Schuster sicherte dessen Wiederwahl im Zweikampf mit der Kandidatin der SPD, Ute Kumpf. Als Begründung für die Wahlempfehlung diente damals ein vages Versprechen von Schuster, sich im Falle erheblicher Mehrkosten bei Stuttgart 21 für einen Bürgerentscheid einzusetzen. Derselbe Schuster unterschrieb dann aber die Verträge zusammen mit dem damaligen Ministerpräsidenten Oettinger. Zwar wurden später 67.000 Unterschriften in Stuttgart für ein Volksbegehren gesammelt, das dann aber wegen der bereits unterzeichneten Verträge vom Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt wurde.
Von Winfried Kretschmann berichtet die Presse, dass der heute 62 Jahre alte Politiker zum Abschluss seines politischen Lebens noch gerne Finanzminister einer ersten schwarz-grünen Koalition geworden wäre. Nun ist wieder Wahlkampf in Baden-Württemberg. Im März 2011 wird der neue Landtag gewählt. Die Wahlprognosen sehen die Gründen bei 20% , die CDU bei 37 % , die SPD bei 25% und die FDP bei 7%. Auch die Linke könnte den Sprung ins Parlament schaffen. Auf Nachfrage hält auch heute der Landesverband die Koalitionsfrage offen. Die Unterstützung für die Jamaika-Koalition im Saarland durch den Landesverband Baden-Württemberg ist bekannt.
Auch die CDU sähe gerne eine Koalition mit den Grünen. Originalton Schuster in den Stuttgarter Nachrichten vom 13.08.10 : „Insbesondere bei den Grünen bin ich mir aber ziemlich sicher, dass sie das Projekt in der Zukunft konstruktiv begleiten werden. Schließlich geht es darum, wie die durch Stuttgart21 freiwerdenden 100 Hektar Innenstadtfläche auch ökologisch sinnvoll gestaltet werden.“
Die Grünen haben ein Interesse daran, Stuttgart 21 bis zum Wahltermin offen zu halten. So können sie sich weiterhin als selbsternannte politische Führer der Gegenbewegung darstellen, auch wenn sie sich nach dem Wahltermin dann den angeblichen Fakten „beugen“ müssten. Die von ihnen ins Spiel gebrachte Friedenspflicht soll ihr parlamentarisches Gewicht stärken und zeugt zugleich von ihrer Angst, den Druck von unten nicht mehr kanalisieren zu können. Insofern ist das Moratoriumsangebot an die CDU auch eine Auseinandersetzung mit dem Linken Flügel der Grünen in Baden-Württemberg.
Die Landesregierung will angeblich das Angebot der Grünen prüfen. Aber ganz sicher wird der Widerstand gegen Stuttgart 21 nicht nach der Pfeife der Grünen tanzen und wie ein Kaninchen auf die Verhandlungen starren. Mit ihrem Friedenangebot haben die Grünen aber bewusst einen Spalt in die Bewegung getrieben.
Text: mami