11.08.2010: Bei der Demonstration am vergangenen Samstag gegen Stuttgart 21 haben die Organisatoren erstmals Zählgeräte eingesetzt und 16182 Teilnehmer gezählt. Die Polizei sprach danach von 12.000 Teilnehmern - nachdem sie die Zahl mehrfach nach oben korrigieren musste. Auf der Kundgebung sprach auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Hermann Scheer und stellte sich damit gegen die Politik der SPD-Fraktion, die das Projekt weiterhin verteidigt. Dass sich immer mehr SPD-Politiker gegen das Projekt Stuttgart 21 aussprechen, liegt wohl auch daran, dass eine von der SPD in Auftrag gegebene Umfrage eine knappe Mehrheit für Rot-Grün bei den Landtagswahlen im März 2010 ermittelt hat.
Zur 38. Montagsdemo kamen laut Veranstalter fast 10.000 Menschen an den mit einem Bauzaun gesicherten Nordflügel des Hauptbahnhofs, die Polizei sprach von "mehr als 5000". Dies wäre die stärkste Beteiligung bei den bislang 38 Montagsdemonstrationen in Stuttgart. Mit Nils Büttner trat erstmals ein Kulturhistoriker auf, der im aktiven Landesdienst steht. Der Professor an der Stuttgarter Kunstakademie kritisierte den geplanten Abriss der Seitenflügel des denkmalgeschützten Bonatzbaus als einen "Akt des Vandalismus". Was von der Bahn an Eingriffen geplant sei, "macht aus einem weltweit geschätzten Kulturdenkmal eine trostlose Shopping-Mall mit Gleisanschluss“.
Nach Informationen des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 sollen bereits nächste Woche Abbruchfahrzeuge am Nordflügel vorfahren. Einen sofortigen Baustopp und einen Volksentscheid über das 4,1 Milliarden Euro teure Bahnprojekt verlangen inzwischen immer mehr Sozialdemokraten. Klaus Riedel, SPD-Fraktionschef in Waiblingen, forderte in einem offenen Brief die Parteispitze im Land zur "Umkehr bei Stuttgart 21 auf, bevor der erste Stein am Bahnhof fällt".
Der Bauzaun am Nordflügel des Hauptbahnhofs ist inzwischen ein politisches Gesamtkunstwerk geworden. In den Stuttgarter Nachrichten heißt es dazu: „Bunt, bissig und manchmal fernab der Schiene des guten Geschmacks - der plakative Protest der S 21-Gegner will provozieren. Am vor dem Nordflügel des Bahnhofs aufgestellten Gitterzaun prangen die schrillen Bildchen, Karikaturen, entstellten Plüschtiere und Spruchbanner. Viele Reisende bleiben stehen, um einen Blick auf die kreative Klagemauer zu werfen. Für manche ist der schnöde Bauzaun gar zur Pilgerstätte geworden und nicht selten entbrennen hier Diskussionen zwischen Befürwortern und Gegnern.“
Zwei Mitglieder bei den Stuttgarter Anstiftern, haben inzwischen eine Initiative gestartet, die ein Moratorium zu Stuttgart 21 und einen Volksentscheid über das umstrittene Bahnprojekt fordert. Ihr "Stuttgarter Appell" wurde am vergangenen Samstag in einer Anzeige in der Stuttgarter Zeitung veröffentlicht. Neben Künstler, Autoren, Wirtschaftsgrößen haben bis Dienstagmorgen rund 13.500 Menschen den Aufruf im Internet unterzeichnet.
Am kommenden Freitag soll von 20 Uhr an zum ersten Mal eine Menschenkette um das gesamte Bahnhofsareal herum gebildet werden. Auch dazu erwarten die Initiatoren wieder mehrere Tausend Teilnehmer.
Der Stuttgarter Finanzbürgermeister Michael Föll, CDU, hat mittlerweile seine Mitgliedschaft im Beirat des Stuttgarter Baukonzerns Wolff&Müller "mit sofortiger Wirkung" niedergelegt. Die rechtlichen Bedenken des Haupt- und Personalamts der Stadtverwaltung gegen den Nebenjob teilt Föll aber "ausdrücklich nicht".
Text/Fotos: mami
NDR extra 3 : Was kommt nach Stuttgart 21