28.07.10: Die Finanzen der Kommunen und Städte befinden sich im freien Fall. Die Handlungsfähigkeit der Kommunen und die kommunale Selbstverwaltung wird immer weiter ausgehölt. Michael Gerber, DKP-Stadtrat in Bottrop, fordert die Streichung aller kommunalen Schulden. Der Münchner Stadtkämmerer Ernst Wolowicz (SPD) ruft für breite gesellschaftliche Bündnisse zur Rettung der Handlungsfähigkeit der Kommunen auf.
Mit einem stadtweiten Aktionstag unter dem Motto "Rettet die Kommunen" hat das Bündnis "München sozial - wir halten die Stadt zusammen" in allen Stadtteilen über die Konsequenzen der von der Bundesregierung beabsichtigten Streichung der Gewerbesteuer aufgeklärt. Als Totengräber verkleidete Mitarbeiter der im „ Feierwerk“ eingebundenen "Südpolstation" trugen symbolisch die Gewerbesteuer zu Grabe (Foto). Insgesamt 21 durch einen Wegfall der Gewerbesteuer besonders betroffene Bündnismitglieder wie A24, BISS, Caritas, Feierwerk, h-team u. a., deren Einrichtungen und Betriebe vor allem für einkommensschwache Bevölkerungsgruppen einen wichtigen Beitrag zur deren Lebensbewältigung leisten, klärten mit Plakaten, Ständen und publikumswirksamen Aktionen über die drohende Verödung der sozialen Landschaft der Landeshauptstadt auf.
Allein bei der Caritas beteiligten sich 20 Einrichtungen an der Aktion, die oft mit außerordentlich kreativen Mitteln um die Aufmerksamkeit des Publikums warb. Die Belegschaft von „Dynamo“ bastelte mit viel Kreativität aus alten Fahrradschläuchen „Finanzlöcher“ und legte diese vor ihrem Betrieb aus, andere Einrichtungen bauten Infostände vor ihren Geschäftsräumen auf und informierten im persönlichen Gespräch das Laufpublikum. Entgegen den Beteuerungen der Regierungskoalition, die den Wegfall der wichtigsten Einnahmequelle der Städte und Kommunen mit nur unwesentlichen Mehrbelastungen für den einzelnen Bürger realisieren zu können behauptet, hatte Bündnispartner Ver.di auf einer in Massen verbreiteten Postkarte vorgerechnet, dass nur mit einer 4 bis 5 prozentigen Erhöhung der Mehrwertsteuer, einer Erhöhung der Lohnsteuer um je 2000 Euro oder einer Anhebung der Kindergartengebühren auf das Doppelte Ausgleich geschaffen werden könne. Oder die Landeshauptstadt, der erst am 11. Juni für außerordentliche Leistungen im Sozialbereich vom Bündnis das Qualitätssiegel "Soziale Stadt München" verliehen worden war, müsste die Schließung von Sportanlagen, Beratungsstellen, Jugendzentren und ähnlichen für eine angemessene Lebensqualität unverzichtbaren Einrichtungen vornehmen.
Ernst Wolowicz, Stadtkämmerer der Landeshauptstadt München weist immer wieder darauf hin, dass die Handlungsfähigkeit der Kommunen ständig weiter zurück geht. Wolowicz: „Die kommunale Selbstverwaltung wird durch das Wegbrechen der finanziellen Basis und dem fiskalisch bedingten Druck zu Privatisierungen immer mehr ausgehöhlt. Über das finanzielle Schicksal der Kommunen entscheiden in Wahrheit immer weniger die Gemeinde- und Stadträte, immer mehr sind die Kommunen Objekte von Entscheidungen in der Wirtschaft (z.B. in den Finanzmärkten) und von finanzwirksamen Entscheidungen von Bundestag und Bundesrat, an deren Zustandekommen die Kommunen kaum beteiligt sind, deren Konsequenzen sie aber ausbaden müssen.“
Wolowicz beklagt, dass der „Beitrag der Vermögensbesitzer und Unternehmen am Steueraufkommen in Deutschland im Vergleich zu den OECD-Staaten und den EU 16-Staaten weit unterdurchschnittlich, der Anteil der LohnsteuerzahlerInnen weit überdurchschnittlich ist: der Anteil der Steuereinnahmen aus der Besteuerung von Kapitalerträgen am BIP liegt mit 7,3 % an drittletzter Stelle in der EU-16. Der Anteil der Unternehmenssteuer-Einnahmen am BIP ist mit 1,4 % mit weitem Abstand der niedrigste innerhalb der EU-16.“ (Ernst Wolowicz, 26.02.2010)
Michael Gerber, Fraktionsvorsitzender der DKP im Bottroper Stadtrat, weist darauf hin, dass selbst die Streichung aller freiwilligen Leistungen die Städte nicht aus der Vergeblichkeitsfalle rettet. So habe z.B. Bottrop jährliche freiwillige Leistungen in Höhe von ca. acht Mio. Euro. Die Neuverschuldung in diesem Jahr und auch den folgenden Jahren betrage dagegen 45 bis 52 Mio. Euro. Er sagt: „Die Abwälzung finanzieller Lasten auf die kommunale Ebene ist Bestandteil der gesamten Umverteilung von unten nach oben! Ziel der neoliberalen Politik ist es den Handlungsdruck auf die Städte immer weiter zu erhöhen, damit möglichst auch noch die letzte kommunale Dienstleistung privatisiert wird. Es ist eine Form des Klassenkampfes der Herrschenden! Den Bürgern wird es jedoch als "Sachzwang" verkauft.“
Gerber weist darauf hin, dass mit der Überschuldung die Banken den entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Städte ausüben. Damit die überschuldeten Kommunen wieder handlungsfähig werden, „brauchen wir nicht nur ein Zinsmoratorium - denn auch in späteren Jahren werden überschuldete Städte nicht in der Lage sein ihre Altschulden und Kassenkredite zurück zu zahlen“ sagt er. „Notwendig ist eine Streichung aller Schulden! Unsere Forderung nach einem Zinsmoratorium muss daher ersetzt werden durch die Forderung nach einer Streichung aller kommunalen Schulden. Einziger Gewinner der öffentlichen Verschuldung sind die Banken und Finanzhaie. Die Großbanken haben in den letzten Jahrzehnten an den Schulden der Gemeinden riesige Gewinne gemacht. Unsere Forderung muss deshalb sein, dass die Schulden der Städte auf Kosten der Banken gestrichen werden.“
Der Münchner Stadtkämmerer ruft auf: „Wir brauchen breite gesellschaftliche Bündnisse zur Rettung der Handlungsfähigkeit der Kommunen. Auch für die Kommunen gilt derzeit besonders der Satz «Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.»“
txt: lm
foto: newsletter Juli 2010 München sozial