17.03.2023: Zum 20. Jahrestag des Überfalls der USA und Großbritanniens auf den Irak untersuchen Medea Benjamin und Nicolas Davies den Einfluss der Neocons auf die Außenpolitik der USA.
Am 19. März jährt sich zum 20. Mal die Invasion der USA und Großbritanniens im Irak. Jahrestag des Einmarsches der USA und Großbritanniens in den Irak. Dieses einschneidende Ereignis in der kurzen Geschichte des 21. Jahrhunderts belastet nicht nur die irakische Gesellschaft bis zum heutigen Tag, sondern überschattet auch die aktuelle Krise in der Ukraine und macht es den meisten Menschen im globalen Süden unmöglich, den Krieg in der Ukraine durch dasselbe Prisma zu sehen wie die Politiker der USA und des Westens.
Zwar konnten die USA 49 Länder, darunter viele im Globalen Süden, dazu bewegen, sich ihrer "Koalition der Willigen" anzuschließen, um den Einmarsch in den souveränen Irak zu unterstützen, doch nur Großbritannien, Australien, Dänemark und Polen stellten tatsächlich Truppen für die Invasionstruppe, und die vergangenen 20 Jahre katastrophaler Interventionen haben viele Länder gelehrt, sich nicht an das schwächelnde US-Imperium zu binden.
Heutzutage lehnen die Länder des globalen Südens mit überwältigender Mehrheit die Bitten der USA ab, Waffen in die Ukraine zu schicken, und zögern, die westlichen Sanktionen gegen Russland zu befolgen. Stattdessen rufen sie dringend zur Diplomatie auf, um den Krieg zu beenden, bevor er zu einem ausgewachsenen Konflikt zwischen Russland und den Vereinigten Staaten eskaliert, der die existenzielle Gefahr eines weltumspannenden Atomkriegs birgt.
Die Architekten der US-Invasion im Irak waren die neokonservativen Gründer des Project for a New American Century (PNAC), die glaubten, dass die Vereinigten Staaten die unangefochtene militärische Überlegenheit, die sie am Ende des Kalten Krieges erlangt hatten, dazu nutzen könnten um die amerikanische Weltmacht bis ins 21. Jahrhundert zu verlängern. Die Invasion des Irak würde der Welt die "umfassende Dominanz" der USA demonstrieren, basierend auf dem, was der verstorbene Senator Edward Kennedy als "Aufruf zum amerikanischen Imperialismus des 21. Jahrhunderts, den kein anderes Land akzeptieren kann oder sollte" verurteilte.
Kennedy hatte Recht, und die Neocons lagen völlig falsch. Mit der militärischen Aggression der USA gelang es zwar, Saddam Hussein zu stürzen, aber es gelang nicht, eine stabile neue Ordnung zu schaffen, sondern sie hinterließ nur Chaos, Tod und Gewalt. Das Gleiche gilt für die US-Interventionen in Afghanistan, Libyen und anderen Ländern.
Für den Rest der Welt hat der friedliche wirtschaftliche Aufstieg Chinas und des globalen Südens einen alternativen Weg der wirtschaftlichen Entwicklung geschaffen, der das neokoloniale Modell der USA ablöst. Während die Vereinigten Staaten ihren unipolaren Vorteil durch Billionen-Dollar-Militärausgaben, illegale Kriege und Militarismus verspielt haben, bauen andere Länder im Stillen eine friedlichere, multipolare Welt auf.
Und doch gibt es ironischerweise ein Land, in dem die "Regimewechsel"-Strategie der Neocons erfolgreich war und in dem sie sich hartnäckig an die Macht klammern: die Vereinigten Staaten selbst. Selbst als der größte Teil der Welt vor den Folgen der US-Aggression zurückschreckte, festigten die Neocons ihre Kontrolle über die US-Außenpolitik und infizierten und vergifteten sowohl demokratische als auch republikanische Regierungen mit ihrem Wundermittel der "Außergewöhnlichkeit".
Unternehmensnahe Politiker und Medien versuchen gerne, die Übernahme und anhaltende Vorherrschaft der Neocons in der US-Außenpolitik zu übertünchen, aber die Neocons sind in den oberen Rängen des US-Außenministeriums, des Nationalen Sicherheitsrats, des Weißen Hauses, des Kongresses und einflussreicher, von Konzernen finanzierter Denkfabriken bestens vertreten.
PNAC-Mitbegründer Robert Kagan ist Senior Fellow an der Brookings Institution und war ein wichtiger Unterstützer von Hillary Clinton. Präsident Biden ernannte Kagans Frau Victoria Nuland, eine ehemalige außenpolitische Beraterin von Dick Cheney, zu seiner Unterstaatssekretärin für politische Angelegenheiten, der vierthöchsten Position im Außenministerium. Dies geschah, nachdem sie die führende Rolle der USA beim Staatsstreich in der Ukraine im Jahr 2014 gespielt hatte, der zum Zerfall des Landes, zur Rückgabe der Krim an Russland und zu einem Bürgerkrieg im Donbass führte, in dem mindestens 14.000 Menschen starben.
Nulands offizieller Vorgesetzter, Außenminister Antony Blinken, war 2002, während der Debatten über den bevorstehenden US-Angriff auf den Irak, Stabschef des Senatsausschusses für auswärtige Beziehungen. Blinken half dem Ausschussvorsitzenden, Senator Joe Biden, Anhörungen zu choreografieren, die die Unterstützung des Ausschusses für den Krieg garantierten, indem er alle Zeugen ausschloss, die den Kriegsplan der Neocons nicht voll unterstützten.
Es ist nicht klar, wer in Bidens Regierung wirklich die außenpolitischen Fäden in der Hand hält, während diese auf einen Dritten Weltkrieg mit Russland zusteuert und einen Konflikt mit China provoziert und dabei Bidens Wahlkampfversprechen, "die Diplomatie zum wichtigsten Instrument unseres globalen Engagements zu machen", mit Füßen tritt. Nuland scheint bei der Gestaltung der US-Kriegspolitik (und damit auch der ukrainischen) weit über ihren Rang hinaus Einfluss zu haben.
"Seit den 1950er-Jahren wurden die USA in fast jedem regionalen Konflikt, an dem sie beteiligt waren, in die Schranken gewiesen oder besiegt. Doch in der 'Schlacht um die Ukraine' waren die Neocons bereit, eine militärische Konfrontation mit Russland zu provozieren, indem sie die Nato gegen die vehementen Einwände Russlands erweiterten, weil sie der festen Überzeugung sind, dass Russland durch die finanziellen Sanktionen der USA und die Waffen der Nato besiegt werden wird."
Jeffrey D. Sachs, Berliner Zeitung, 30.06.2022 https://www.berliner-zeitung.de/wirtschaft-verantwortung/die-ukraine-ist-die-neueste-katastrophe-amerikanischer-neocons-li.242093
eingefügt von kommunisten.de
Klar ist, dass der größte Teil der Welt die Lügen und die Heuchelei der US-Außenpolitik durchschaut hat und dass die Vereinigten Staaten jetzt die Früchte ihres Handelns ernten, indem sich der globale Süden weigert, weiterhin nach der Pfeife des amerikanischen Rattenfängers zu tanzen.
Auf der UN-Generalversammlung im September 2022 plädierten die Staats- und Regierungschefs von 66 Ländern, die eine Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren, für Diplomatie und Frieden in der Ukraine. Und dennoch ignorieren die westlichen Staats- und Regierungschefs ihre Bitten und beanspruchen ein Monopol auf moralische Führung, das sie endgültig am 19. März 2003 verloren haben, als die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich die UN-Charta zerrissen und im Irak einmarschierten.
In einer Podiumsdiskussion zum Thema "Verteidigung der UN-Charta und der regelbasierten internationalen Ordnung" auf der jüngsten Münchner Sicherheitskonferenz wiesen drei der Podiumsteilnehmer - aus Brasilien, Kolumbien und Namibia - die Forderungen des Westens nach einem Abbruch der Beziehungen ihrer Länder zu Russland ausdrücklich zurück und sprachen sich stattdessen für den Frieden in der Ukraine aus.
Der brasilianische Außenminister Mauro Vieira rief alle Kriegsparteien dazu auf, "die Möglichkeit einer Lösung zu schaffen. Wir können nicht weiter nur von Krieg reden". Die kolumbianische Vizepräsidentin Francia Márquez führte aus: "Wir wollen nicht weiter darüber diskutieren, wer der Gewinner oder der Verlierer eines Krieges sein wird. Wir sind alle Verlierer und am Ende ist es die Menschheit, die alles verliert".
Die Premierministerin von Namibia, Saara Kuugongelwa-Amadhila, fasste die Ansichten der Staats- und Regierungschefs des Globalen Südens und ihrer Bevölkerung zusammen: "Wir konzentrieren uns auf die Lösung des Problems, nicht auf die Abwälzung der Schuld", sagte sie. "Wir setzen uns für eine friedliche Lösung dieses Konflikts ein, so dass die ganze Welt und alle Ressourcen der Welt darauf konzentriert werden können, die Lebensbedingungen der Menschen auf der ganzen Welt zu verbessern, anstatt sie für den Erwerb von Waffen, das Töten von Menschen und die Schaffung von Feindseligkeiten auszugeben."
zum Thema Münchner Kriegskonferenz: "Wir sind im Kriegsmodus“. Die Ukraine muss gewinnen |
Wie reagieren nun die amerikanischen Neocons und ihre europäischen Vasallen auf diese äußerst vernünftigen und sehr populären Führer aus dem globalen Süden? In einer beängstigenden, kriegerischen Rede sagte der Chef der EU-Außenpolitik, Josep Borrell, auf der Münchner Konferenz, dass der Westen "das Vertrauen und die Zusammenarbeit mit vielen Menschen im so genannten Globalen Süden wieder aufbauen" könne, indem er "dieses falsche Narrativ einer Doppelmoral entlarvt".
Aber die Doppelmoral zwischen den Reaktionen des Westens auf Russlands Invasion in der Ukraine und jahrzehntelanger westlicher Aggression ist kein falsches Narrativ. In früheren Artikeln haben wir dokumentiert, wie die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten zwischen 2001 und 2020 mehr als 337.000 Bomben und Raketen auf andere Länder abgeworfen haben. Das sind durchschnittlich 46 pro Tag, tagein, tagaus, 20 Jahre lang.
Die Bilanz der USA ist vergleichbar, bzw. übertrifft bei weitem die Illegalität und Brutalität der russischen Verbrechen in der Ukraine. Dennoch sind die USA nie mit Wirtschaftssanktionen der Weltgemeinschaft bestraft worden. Sie wurden nie gezwungen, ihren Opfern Kriegsentschädigungen zu zahlen. Sie liefern Waffen an die Aggressoren und nicht an die Opfer der Aggression in Palästina, Jemen und anderswo. Und die führenden Politiker der USA - darunter Bill Clinton, George W. Bush, Dick Cheney, Barack Obama, Donald Trump und Joe Biden - wurden nie wegen des internationalen Verbrechens der Aggression, Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt.
Wenn wir den 20. Jahrestag der verheerenden Irak-Invasion begehen, sollten wir uns den Führern des Globalen Südens und der Mehrheit unserer Nachbarn auf der ganzen Welt anschließen und nicht nur sofortige Friedensverhandlungen zur Beendigung des brutalen Krieges in der Ukraine fordern, sondern uns auch für den Aufbau einer echten, auf Regeln basierenden internationalen Ordnung einsetzen, in der für alle Nationen, einschließlich unserer eigenen, dieselben Regeln gelten - und dieselben Konsequenzen und Strafen für die Verletzung dieser Regeln.
Medea Benjamin ist Mitbegründerin von CODEPINK und der internationalen Menschenrechtsorganisation Global Exchange. Seit mehr als 30 Jahren setzt sie sich für soziale Gerechtigkeit ein.
Folgen Sie Medea Benjamin auf Twitter: https://twitter.com/medeabenjamin
Nicolas J. S. Davies ist ein unabhängiger Journalist, ein Rechercheur für CODEPINK und der Autor von Blood On Our Hands: the American Invasion and Destruction of Iraq.
Der Artikel wurde von LA Progressive übernommen. Er erschien dort am 15. März unter dem Titel "The Not-So-Winding Road from Iraq to Ukraine"
https://www.laprogressive.com/war-and-peace/iraq-to-ukraine
eigene Übersetzung