25.01.2020: Ausgerechnet im antikommunistischen »heartland« USA lässt sich beobachten, wie eine sozialistische Alternative für viele neu denkbar wird. Sarah Leonard von den Democratic Socialists of America erklärt, wie das möglich war - und warum Bernie Sanders der einzige Kandidat ist, der wirkliche Veränderung verspricht.
There is an alternative
Von Sarah Leonard [1]
Wenn wir uns 2010 als Sozialist*innen bezeichneten, war das für die meisten noch ein Schock. Selbstverständlich gab es auch vor der Occupy-Bewegung schon vereinzelt junge Sozialist*innen in den USA, sie waren aber in kleinen Zeitschriftenprojekten verstreut und letztlich bedeutungslos. Occupy bildete dann 2011 den Auftakt für eine Reihe von neuen sozialen Bewegungen, die ein neues Feld öffneten: Auf die Besetzung des Zuccotti-Parks folgte Black Lives Matter (2013), die demokratisch-sozialistische Wahlkampagne zur Unterstützung von Bernie Sanders (2016) und nun die globale Bewegung gegen den Klimawandel.
Occupy machte Redeweisen wie die von den »99 Prozent« populär, mit denen Klassenverhältnisse plötzlich in einer Sprache verhandelt wurden, die für viele zugänglicher war. Die Besetzer*innen nannten den Gegner beim Namen, die Wall Street, und schafften es, viele politische Einzelkämpfer*innen zusammenzubringen.
Fast zwangsläufig wandte sich diese nach 1989 politisierte Generation bald dem Sozialismus zu. Für sie war nicht der Kommunismus, sondern der Kapitalismus das offensichtlich unterdrückerische Regime. Letzteren verbanden sie nicht mit Freiheit, sondern mit privater Verschuldung, prekären Beschäftigungsverhältnissen und der höchsten Inhaftierungsrate weltweit. Die meisten hatten genau das getan, was ihre Eltern und die Politik ihnen geraten hatten – und trotzdem landeten sie in einer Sackgasse: Die Perspektive eines sozialen Aufstiegs entpuppte sich als leeres Versprechen, und ihr Protest dagegen wurde von der Polizei niedergeschlagen.
Die Democratic Socialists of America (https://www.facebook.com/demsocialists) verstehen sich als eine ökosozialistische Organisation mit verschiedenen politischen Plattformen innerhalb der Organisation. Bei dem im August 2019 stattgefundenen Konvent der Democratic Socialists of America wurde festgestellt, dass die Zahl der Mitglieder innerhalb von zwei Jahren von etwa 15.000 auf fast 60.000 Mitglieder angewachsen und das Durchschnittsalter von über 60 Jahren auf 33 Jahre gesunken ist. Fast 100 Mitglieder der Democratic Socialists of America sind inzwischen auf fast allen Regierungsebenen im Amt, von den lokalen Schulbehörden bis zum US-Kongress, wo die beiden DSA-Mitglieder Alexandria Ocasio-Cortez aus New York und Rashida Tlaib aus Michigan zu national anerkannten politischen Persönlichkeiten geworden sind. Einmütig beschloss der Konvent eine Resolution zur Unterstützung eines progressiven grünen New Deals zur Bewältigung der Klimakrise. Bereits im April 2019 war beschlossen worden, Bernie Sanders als Kandidaten für das Präsidentenamt zu unterstützen. Der Konvent beschloss darüber hinaus, dass keine weitere Demokrat*in für das Amt des Präsidenten unterstützt wird, wenn Bernie Sanders nicht die Nominierung der Demokratischen Partei für das Amt des Präsidenten erhält. Zudem wurden Entscheidungen zugunsten der politischen Unabhängigkeit von der Demokratischen Partei getroffen. Zur internationalen Politik wurden einige Anträge beschlossen, um Sanders in Richtung einer linksgerichteten internationalen Position zu bewegen. |
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"Ich bin glücklich eine gefährliche Frau zu sein"eingefügt durch kommunisten.de |
Die Erfahrung mit Polizeigewalt bildete die Grundlage für eine besondere Solidarität zwischen Occupyaktivist*innen und Black Lives Matter, einer Bewegung, die in Reaktion auf die zahlreichen ungestraften Morde an Schwarzen entstanden ist. Black Lives Matter wird von einem breiten Spektrum getragen, nicht wenige verstehen sich aber auch als antikapitalistisch.
Doch letztlich war es 2016 die Kampagne zur Unterstützung von Bernie Sanders im Vorwahlkampf der Demokraten gegen Hillary Clinton, die den Sozialismus, wenn auch in einer vagen Form, plötzlich populär machte. Sanders mag ein eher alter weißer Mann sein, der in den Augen seiner Gegner*innen die alte Arbeiterklasse verkörpert und zu Fragen von race und gender wenig zu sagen hat. In den Vorwahlen gelang es ihm dennoch, die Stimmen junger Wähler*innen zu gewinnen.
Und auch wenn die Kritik zum Teil berechtigt ist, unterstützt Sanders seitdem aktiv junge Frauen of Color wie etwa Alexandria Ocasio-Cortez. Auch die Tatsache, dass eine wachsende Zahl von jungen linken Politiker*innen, die die gesamte Vielfalt der Bevölkerung repräsentieren, keine Angst mehr hat, sich in der Öffentlichkeit als Sozialist*innen zu bezeichnen, ist mit Sanders Verdienst. Die Democratic Socialists of America haben seit seiner Kampagne massiven Zulauf und sind bundesweit auf etwa 50.000 Mitglieder gewachsen. In den vergangenen Wahlkämpfen haben sie sich als recht mobilisierungsstark erwiesen. Viele Kandidat*innen sind inzwischen bereit, offensiv als Sozialist*innen anzutreten, und setzen auf ihre Unterstützung.
Times They Are a-Changin’: Bernie Sanders |
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Wie die Chancen für eine sozialistische Politik in den USA stehen, wird sich in den Primaries der Demokraten 2020 erweisen. Die beiden wichtigsten parteiinternen Rivalen von Sanders sind Joe Biden, ein nicht mehr ganz frischer zentristischer Demokrat, und Elizabeth Warren, die beliebte Senatorin und Juraprofessorin in Harvard. Warren und Sanders sind Verbündete im Senat und teilen viele politische Überzeugungen. Während Sanders sich jedoch seit Beginn seiner politischen Karriere als Sozialist versteht, beschreibt Warren sich als «kapitalistisch bis auf die Knochen«. Wie kann es sein, dass zwei Kandidat*innen mit einem so unterschiedlichen Selbstverständnis in so vielen Dingen einer Meinung sind?
Bislang gehen Sanders und auch die jungen Sozialist*innen Amerikas mit dem Konzept Sozialismus recht flexibel um. Sanders verweist häufig auf den New Deal und scheint die Rückkehr zu einer keynesianischen Wirtschaftspolitik zu propagieren. Viele Junge teilen seine Position, andere vertreten deutlich radikalere Politiken.
"Dadurch, dass der Begriff Sozialismus Bestandteil des politischen Diskurses geworden ist, ist es uns bereits gelungen, die Politik in den USA nach links zu verschieben."
Der Begriff Sozialismus diente zunächst dazu, den Diskursrahmen zu verschieben. Über Jahre konnten die Republikaner fortschrittliche Sozialpolitiken delegitimieren, indem sie sie als sozialistisch labelten. Die offensive Bezugnahme auf Sozialismus gibt nun vielen Linken innerhalb wie außerhalb der Demokratischen Partei ein gewisses Selbstbewusstsein und verleiht ehemals marginalen Positionen ein neues Charisma. Angesichts einer demokratischen Präsidentschaftskandidatin, die auf dem Papier ähnliche Positionen vertritt wie Sanders, den Kapitalismus aber befürwortet, fühlen sich viele Sozialist*innen angespornt, ihre Vorstellungen vom Sozialismus für das 21. Jahrhundert zu konkretisieren.
"... Angesichts dieser Herausforderung haben fortschrittliche Kräfte in den Vereinigten Staaten, einschließlich neuer Organisationen junger Menschen, die sich um ihre Zukunft in einem sich erwärmenden Planeten sorgen, begonnen, sich um die Strategie zu scharen, die in der Resolution 109 des Repräsentantenhauses, dem "Green New Deal", dargelegt wurde und die von der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez und über 90 anderen Mitgliedern des Kongresses unterstützt wird.
Er stellt einen weitreichenden und radikalen Plan für den wirtschaftlichen Wiederaufbau der USA, die Ausweitung der Demokratie und wichtige Schritte zur Erreichung eines »gerechten Übergangs« zu einer ökologisch nachhaltigen Wirtschaft dar. … Der Green New Deal, obwohl er kein Rezept für den Sozialismus ist, ist eine beeindruckende Kombination aus fortschrittlichen demokratischen und sozialen Programmen, und er verdient die volle Unterstützung unserer Partei. ... " Beschluss des 31. Parteitags der Kommunistischen Partei der USA (CPUSA) am 5. Juli 2019 |
In diesen Debatten spielen verschiedene Fragen eine Rolle. Zum einen die Anliegen der Wähler*innen, aber auch transformationstheoretische Überlegungen und langfristige Visionen für eine gerechtere Gesellschaft. Sanders’ Anhängerschaft ist tendenziell jünger und diverser und kommt eher aus der traditionellen Arbeiterklasse, während Warren eher weiße Wähler*innen mit höherer formaler Bildung und besseren Jobs anspricht. Der Aufbau einer sozialistischen Bewegung erfordert eine Basis, die ungefähr so zusammengesetzt ist wie die Anhängerschaft von Sanders. Gleichzeitig sind viele höher Qualifizierte von Abwärtsmobilität betroffen. Sie teilen zunehmend die Interessen der eher traditionelleren Sektoren der Arbeiterklasse und sind damit potenziell ein wertvoller Teil dieser Bewegung.
Die Frage, wie sich eine solche Bewegung aufbauen lässt, hängt derzeit mit der Frage zusammen, wie sich die beiden Kandidat*innen politisch positionieren. Sanders hat ein antagonistisches Verhältnis zur bestehenden Parteiführung und würde wahrscheinlich versuchen, die Demokratische Partei ernsthaft umzukrempeln und Außenstehende ins Weiße Haus zu holen. Was aber am wichtigsten ist: Sanders steht dafür, dass Kräfteverhältnisse nur mit einer breiten Bewegung verschoben werden können. Warren hingegen ist zwar bekannt für ihre fachliche Expertise sowie gute politische Programme und sie verurteilt »korrupte« Bankiers und Manager*innen, findet aber, dass die Wirtschaft bei der Bewältigung großer Krisen wie dem globalen Klimawandel ein wichtiger Partner ist. Immer mehr Sozialist*innen stehen in diesen Fragen inzwischen auf Sanders’ Seite.
"Eine sozialistische Perspektive muss sich von dem sozialdemokratischen Diskurs verabschieden"
Mit den Debatten über die Unterschiede zwischen Sanders und Warren beginnt endlich eine ernsthafte Diskussion darüber, was für eine sozialistische Zukunft wir eigentlich wollen. Beispielsweise haben kleinere programmatische Differenzen in sozial- und bildungspolitischen Fragen eine Debatte darüber angestoßen, ob soziale Güter wie etwa Bildung oder Gesundheitsversorgung nur besser zugänglich sein oder grundsätzlich dekommodifiziert werden sollten. Eine sozialistische Perspektive muss sich endlich von dem sozialdemokratischen Diskurs verabschieden, es gelte, die »Mittelschicht wieder zu stärken«. Vielmehr sollten Sozialist*innen sich dafür einsetzen, dass wesentliche soziale Güter und Dienste gar nicht mehr marktförmig organisiert werden.
Dadurch, dass der Begriff Sozialismus Bestandteil des politischen Diskurses geworden ist, ist es uns bereits gelungen, die Politik in den USA nach links zu verschieben. Jetzt, da Forderungen wie »Medicare für alle« unhinterfragt zur Programmatik der Demokraten gehören, können wir unsere politischen Visionen weiter konkretisieren und klarmachen, dass wir Größeres im Sinn haben, als nur die sozialpolitischen Errungenschaften des letzten Jahrhunderts wiederzubeleben. Zu sehen, wie viele junge Menschen derzeit an sozialistischen Ideen festhalten, macht Hoffnung auf eine zukunftsfähige sozialistische Politik.
Aus dem Englischen von Britta Grell
[1] Sarah Leonard lebt in New York und ist aktiv bei Democratic Socialists of America (DSA).
übernommen von Zeitschrift Luxemburg: https://www.zeitschrift-luxemburg.de