01.04.2017: Pünktlich zu Frühjahrsanfang schlagen die „Fünf Weisen“, der Sachverständigenrat der Bundesregierung zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR), den Ton an, nach dem im kommenden Jahr zur Konjunkturentwicklung gesungen werden soll. Der erste Satz ihrer diesjährigen Prognose lautet: „Der Aufschwung der deutschen Wirtschaft setzt sich weiter fort.“
Zu dieser positiven Entwicklung trügen „die weiterhin gute Lage am deutschen Arbeitsmarkt, ein leicht positiverer Ausblick für die internationale Konjunktur, eine prozyklische deutsche Fiskalpolitik sowie die unverändert expansive Geldpolitik der EZB bei“. Deutschland würde 2017 auf ein Wachstum von 1,4 % und 2018 auf 1,6% kommen.
Die Zahlen des Statistischen Bundesamts, die der SVR dann nachschiebt, mischen in den kräftig-klaren Dur-Ton der Eingangsfanfare schon graue Moll-Töne. So ist das Bruttoinlandsprodukt 2016 noch mit 1,9 % gewachsen, fällt aber 2017 auf 1,4 % zurück. Auch 2015 lag es mit 1,7 % darüber. Auch nach den „Weisen“, der wissenschaftlichen Wirtschafts-propagandaabteilung der Regierung, flacht das Wachstum ab. Der bisherige Haupttreiber, die inländischen Konsumausgaben – private und staatliche – sackt von 2,5 % Wachstum auf 1,4 % ab. Die Wachstumsimpulse des Außenhandels verkehren sich ins Negative. Der Außenbeitrag sinkt, auch wenn der positive Leistungsbilanzsaldo – der Überschuss der Export- über die Importwerte – immer noch um weltmeisterliche 7,5 % zunimmt.
Die großen Wirtschaftsinstitute bewegen sich alle auf der Linie der „Weisen“, wenn auch mit Variationen. So spricht das DIW in Berlin – getragen vom Land Berlin und von der Bundesregierung – von einem starken Start ins Jahr, aber die Aussichten seien nur verhalten. Im späteren Jahresverlauf seien „deutliche Risiken erkennbar“. „Die Zeichen für einen kräftigen Jahresauftakt stehen gut. Die weiteren Aussichten aber bleiben wackelig. Mit dem privaten Verbrauch wird die bisherige Triebfeder der guten wirtschaftlichen Entwicklung an Schwung verlieren. Und das in einem äußerst unsicheren internationalen Umfeld.“
Nicht nur gehen die Entgelte der ArbeitnehmerInnen von 3,5 auf 2,5 % zurück (IMK, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, ein Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung), auch die Inflation springt nach übereinstimmender Expertenansicht auf 2%. Die Inlandsnachfrage wird so erheblich gedämpft in einer Zeit, da die globalen Märkte aus der Sicht der Exportnation unter Druck geraten. Die Nachfrage wackelt in ihren beiden Teilen, dem Inland wie dem Ausland.
Auch das IW sieht diese Gefahren. Das IW, Institut der deutschen Wirtschaft, trägt den Namen zu Recht, denn es gehört den großen Unternehmerverbänden. Auch sie sind besorgt über die hohe politische Unsicherheit für die aktuelle konjunkturelle Entwicklung. Das G20-Treffen Mitte März habe keine politische Beruhigung mit sich gebracht. Nach wie vor stehe das Gespenst des Protektionismus im Raum, und es bewege sich weiter ins Rampenlicht. Doch, so freuen sich die Wissenschaftler des Unternehmerlagers, „diese Eskalation von Verunsicherungen scheint derzeit jedenfalls noch keinen konjunkturellen Flurschaden anzurichten“. Sie stellen eine „Konjunkturampel“ vor, bei der es in den Regionen Deutschland, Euroraum, USA und China durchgängig aufwärts geht, am steilsten im Euroraum, dann in Deutschland und China, auch in den USA. (IW, Institut der deutschen Wirtschaft: IW-Kurzberichte 25.2017) Ihren Konjunkturausblick überschreiben sie: Gute Konjunktur trotz schlechter Politik?
Dass die Politik die Gefahren produzieren könnte und produziert, und nicht etwa die „Märkte“, ist unter den Instituten ausgemachte Sache. Vor allem: „Die von Präsident Trump geforderten protektionistischen Maßnahmen bilden eine Gefahr für das globale Handelssystem und ein Risiko für die Weltwirtschaft.“ (SVR, S. 7) Trump hatte in seiner Antrittsrede erklärt, Protektionismus werde für die USA „zu großem Wohlstand und Stärke führen“. Der Internationale Währungsfonds (IWF) sieht in diesem Kurs Washingtons „ein Attentat auf den ökonomischen Weltfrieden“ und befürchtet eine „geopolitische Rezession“. (Spiegel, 13/2017). Ungerührt von solchen Einreden des IWF und der EU propagiert die Trump-Regierung weiter ihre Ideen einer Grenzausgleichsteuer für Importe, der Einführung von Strafzöllen und der Revision der geplanten und schon beschlossenen Handelsabkommen. Für den Exportüberschussweltmeister Deutschland, der seine Weltmeister-Politik auf Kosten der anderen Volkswirtschaften weiterführen will, in der Tat eine Bedrohung.
Der SVR (mit einer Mehrheit von vier Stimmen, der fünfte Weise, Peter Bofinger, gab sein seit Jahren übliches abweichendes Minderheitenvotum ab) fuhr postwendend schweres Geschütz gegen Trump auf: „Importzölle würden gegen internationales Handelsrecht verstoßen. Eine Infragestellung der Welthandelsorganisation (WTO) durch die Vereinigten Staaten würde das internationale Handelssystem aus den Angeln heben“. (SVR, a.a.O.) An der Tatsache der hohen deutschen Exportüberschüsse kommt der SVR nicht vorbei. Er tritt der Kritik daran entschieden entgegen. „Die in jüngster Zeit verstärkt geäußerte Kritik am hohen deutschen Leistungsbilanzüberschuss sowie die daraus abgeleiteten Empfehlungen hält der Sachverständigenrat für nicht stichhaltig. Statt darauf abzuzielen, den Leistungsbilanzsaldo um seiner selbst willen zu vermindern, sollte die Wirtschaftspolitik durch angebotsseitige Maßnahmen Investitionsanreize im Inland setzen und dadurch das Produktionspotential stärken.“ (SVR, Pressemitteilung 20.3.2017)
Im Klartext heißt dies: Der Leistungsbilanzüberschuss ist zwar offenkundig da. Aber er sollte „nicht um seiner selbst willen“ (was immer das auch heißt) vermindert werden. Auf keinen Fall aber durch die empfohlene Erhöhung der Inlandsnachfrage, was vor allen Dingen hieße: der Lohnquote. Umgekehrt wird für diese Weisen ein Schuh daraus: Es sollen „Investitionsanreize im Inland“ gesetzt werden. Was bedeutet, die Lohnquote soll gesenkt werden. Dies führe zu einem erhöhten Hereinströmen von Auslandskapital, das stärke das Produktionspotential und mindere den Leistungsbilanzüberschuss.
Dies sind keine wirtschaftswissenschaftlichen Aussagen, sondern dummes Propagandazeug einer trotz aller Mängel und Risiken weiter auf neoliberalen Kurs setzenden Politik. Bofinger hat in seinem Minderheitenvotum eine Grafik vorgelegt, nach der Einkommen und Konsum der privaten Haushalte in den letzte zehn Jahren um rund 10% gesunken sind. Das machte die deutschen Produkte auf den globalen Märkten relativ billiger; und minderte zugleich die interne Nachfrage. Beides weist deutsche Unternehmen auf den globalen Markt als ihr wesentliches Wachstumsfeld. Wenn die interne Nachfrage nicht gestärkt wird, gibt es für Kapital – ob es aus dem Ausland kommt oder hier zu Hause ist – „Investitionsanreize im Inland“ nur insofern, als die in Deutschland relativ billig hergestellten Produkte in den Export gehen. Der SVR-Rat würde also, wenn er funktionierte, den Exportüberschuss erhöhen. Er würde aber nicht funktionieren. Das heute von Deutschland aus operierende Kapital hat bereits, wie der SVR selbst feststellen muss, eine relativ hohe Sparrate, d.h. seine Profite sind höher als die Möglichkeiten einer profitablen Anlage in der deutschen Realwirtschaft. Eben deshalb erleben wir den gewaltigen Kapitalexport und die Platzierung der Profite in Finanzanlagen. Die SVR-Empfehlungen laufen daraus hinaus, das Produktionspotential zu erhöhen, indem gleichzeitig die Inlandsnachfrage weiter drastisch eingeschränkt wird. Ein sich selbst torpedierendes Unternehmen.
Nehmen wir die Schlagzeilen „Der Aufschwung setzt sich weiter fort“ oder „Die Konjunktur bleibt robust“ mit der gebührenden Skepsis. In der inländischen Verwendung sinken die Werte in allen drei Abteilungen: bei den privaten Konsumausgaben, den staatlichen Konsumausgaben und den Bruttoanlageinvestitionen. Der Außenbeitrag wird geringer und die internationalen Konflikte spitzen sich zu. Das Bruttoinlandsprodukt ist die Summe von Konsum, Investitionen, Staatsausgaben und dem Außenbeitrag. Der bisherige Außen-Überschuss muss reduziert werden, womit – ceteris paribus, wenn alle anderen Faktoren gleichbleiben – das BIP kleiner wird. Eine rationale Konjunkturpolitik müsste demnach auf die Erhöhung der Löhne und Gehälter und der sinnvollen staatlichen Ausgaben setzen. Den höchsten Zuwachs erhält in den nächsten Jahren aber der Rüstungsetat. Ansonsten gilt das Prinzip der „schwarzen Null“, eine Deckelung der staatlichen Ausgaben. Für eine solche Zukunft muss man wirklich schwarzsehen.
Vorveröffentlichung aus: isw-wirtschaftsinfo Nr. 51: Bilanz der Großen Koalition.
(Erscheint 14. April 2017)