Analysen

05.09.2012:  Als Mohammed Mursi im Sommer dieses Jahres zum ägyptischen Staatpräsidenten gewählt wurde, war er für viele Menschen eher ein unbeschriebenes Blatt. Obwohl er der Kandidat der Moslem-Bruderschaft - der stärksten 'neuen' politischen Organisation in Ägypten war, hielten ihn nicht Wenige für politisch schwach und unbeholfen. Inzwischen zeigte er eine andere Seite, insbesondere als er vor einigen Wochen Feldmarschall Hussein Tantawi - Spitzenvertreter des machtvollen Militärblocks im Lande - als Verteidigungsminister absetzte. Jetzt legte er im Machtausbau zu Gunsten seiner politischen Orientierung nach.

Mursi hatte Tantawi am 12. August entlassen und durch Generalmajor Abdel Fattah al-Sisi ersetzt und dabei gleichzeitig eine Verordnung des Obersten Militärrates außer Kraft gesetzt und übergangen, die dem Militärrat eine Vorrechte gegenüber dem Präsidenten des Landes einräumte. Tantawi war 20 Jahre lang Verteidigungsminister unter dem früheren und im Januar 2011 gestürzten Staatspräsidenten Mubarak, sowie Vorsitzender des Obersten Militärrates gewesen, der - eng mit den USA verbandelt - versuchte, die Erhebungen in Ägypten zu seinen Gunsten zu gestalten.

Der neue Verteidigungsminister kündigte gestern nun an, dass insgesamt weitere 70 Generäle der ägyptischen Streitkräfte abgesetzt und in den Ruhestand geschickt würden. Das Gleiche gelte auch für sechs Mitglieder des Obersten Militärrates, diese würden jedoch weiter in den Streitkräften aktiv eingesetzt werden. Staatspräsident Mursi ordnete gleichzeitig an, den Chef des Generalstabs, Sami Anan, in den Ruhestand zu versetzen. Sein Nachfolger wird Sayyid Ahmed.

Gegen Tantawi und etliche andere Beamte des alten Mubarak-Regimes wurde am 22. August ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Richter Assem Kandil begründete das: "Ich klage sie alle der Tötung von Protestierenden während der vielen blutigen Protestaktionen nach dem Volksaufstand im letzten Jahr an, sowie der Verschwendung öffentlicher Gelder bei den Staatsausgaben für die Parlamentswahlen Ende des letzten Jahres."

Staatspräsident Mursi hat damit in kurzer Zeit die militärische Führung zu Gunsten seiner in den Parlamentswahlen im November 2011 siegreichen 'Freiheits- und Gerechtigkeitspartei' der Muslim-Bruderschaft neu ausgerichtet und de facto mehr Macht an sich gerissen, als sie Mubarak früher hatte. Parallel dazu ging Mursi jetzt den nächsten Schritt an, um auch die politische administrative Macht in die Hände seiner Machtgruppe zu bringen.

Anlass dazu bot ihm ein Zwischenfall im Gesundheitswesen des Dorfes Sansaft im Bezirk Monufiya vor 14 Tagen. Als der dort zuständige Gouverneur in einem staatlichen Krankenhaus mehreren hundert erkrankten Menschen ein Besuch abstattete, wurde er von aufgebrachten Bewohnern und Angehörigen eine Stunde lang festgesetzt. Erst dem Gouverneur zu Hilfe eilende Sicherheitskräfte konnten dann seine Freilassung bewirken.

Ursache der Volksempörung war die örtliche Massenerkrankung durch Infizierung mit verseuchtem Wasser. Zwar hatte schon ein Bericht des Gesundheitsamtes von Monufiya am 4. Juni des Jahres die zuständigen Behörden darauf hingewiesen, dass das Trinkwasser in dieser Region auf Grund von Bakterien und Pilzen nicht mehr genießbar sei. Aber von den Beamten war das mit stillschweigender Inaktivität hingenommen worden.

Zwei Tage nach dem Zwischenfall in Sansaft erklärte das Präsidialamt Mursis in knapper Form, dass die Infrastruktur des Landes einer politischen Reform unterzogen werden müssen, weil ähnliche Probleme auch in anderen Bezirken aufgetreten seien. Aus den Kreisen des Regierungskabinetts verlautete, dass eine Umbesetzung auf Ebene der Gouverneure zwingend sei, und dass davon etwa 20 Gouverneure betroffen seien.

Seit der Entmachtung des früheren Staatspräsidenten Mubarak, hat es schon zweimal solch größere Neubesetzungen dieser wichtigen administartiven Positionen gegeben. Im April 2011 wurden - noch unter Kontrolle des Militärrates - 18 von 27 und im August dann nochmals 11 von 27 Gouverneurspositionen neu besetzt. In der Vergangenheit war es bei solchen Gelegenheiten in der Regel üblich, die Ämter mit Militäroffizieren oder Polizeigenerälen im Ruhestand zu besetzen. Die jetzt geplanten Neubesetzungen wird Mursi jedoch allen Anzeichen nach mit eigenen Anhängern und Parteigängern der Moslem-Bruderschaft durchführen.

Schon erklärten Vertreter der Moslem-Bruderschaft, dass ihren Anhängern ein erklecklicher Teil der neuen Ämterbesetzung zufallen müsse. Man habe genügend qualifizierte Kandidaten. Presseberichten gaben an, dass das Führungsbüro der Moslem-Bruderschaft bereits 50 Kandidatenvorschläge zur Auswahl an Staatspräsident Mursi gegeben habe. Angeblich werde er 8 Gouverneure aus dem Kreis der Freiheits- und Gerechtigkeitspartei und 5 aus dem Kreis der Salafi Nour Partei ernennen. Mahmud Hussein, der Generalsekretär der Bruderschaft und Mitglied des Führungsbüros betonte zwar das Vorrecht des Präsidenten zur Ernennung der Gouverneure, fügte aber hinzu: "Wir als große politische Fraktion haben das Recht, in den verschiedensten Positionen vertreten zu sein."

Der frühere Gouverneur von Sharqiya, Ali Azzazy, ein Anhänger Nassers, der im Juni aus Protest gegen die Wahl Mursis zurück getreten war, vertrat in der Presse die Einschätzung, dass die Ernennung der neuen Gouverneure auf Basis der Loyalität gegenüber der Moslem-Bruderschaft erfolgen wird, und dass die Islamisten danach mindestens 60% der lokalen Regierungsmacht beherrschen würden: "Die Bruderschaft hat einen vollständigen Plan zum Durchsetzen ihrer Hegemonie auf der administrativen Ebene."

Diese Ebene ist in Ägypten stark zentralisiert. Das Land hat derzeit 27 Gouvernements mit 199 Stadtparlamenten und 4.496 Gemeindeparlamenten. In der Verwaltungsstruktur nehmen die vom Staatspräsidenten und Ministerpräsidenten ausgewählten und ernannten Gouverneure (mit Ministerrang) eine herausragende Stellung ein. Die Gouverneure bestimmen und ernennen in Abstimmung mit dem Ministerpräsidenten die Verwaltungschefs der Städte (Bürgermeister), Distrikte und Dörfer. Das Innenministerium bestimmt die Dorfoberhäupter, falls die übergeordneten, ernannten Führungen mit der Lage vor Ort zu wenig vertraut sind. Andere Ministerien ernennen ebenfalls Vertreter für Verwaltungseinheiten der Gouvernements, etwa im Bildungsbereich, Gesundheitswesen oder in Einheiten der inneren Sicherheit.

Neben dieser ernannten Verwaltungsstruktur, gibt es noch die gewählten Volksvertretungen, die eigentlich die Leistungen der ernannten Exekutive überwachen sollen. Nach dem Sturz Mubaraks wurden sie entmachtet und aufgelöst, weil ihre Wahlen durch die Nationale Demokratische Partei Mubaraks systematisch verfälscht wurden. Allerdings haben sie nach ihrer Neubildung immer noch kaum Macht, eine demokratische Kontrollfunktion wahrzunehmen. So etwa haben sie kein Recht, den von oben ernannten Verwaltungschefs das Vertrauen zu entziehen oder ihre Finanzverwaltung zu überwachen - eine wahre Quelle zur Bildung von Netzwerken der Korruption, der Vetternwirtschaft und für alle möglichen Interessenkonflikte.

Rechtliche Grundlage ist das Gesetz 43/1979, das Gemeindeverwaltungsrecht - noch aus der Zeit vor Mubaraks Amtsantritt. Die Moslem-Bruderschaft tritt vorerst für den Beibehalt dieses Gesetzes ein. Obwohl es einige politische Diskussionen und Überlegungen in Ägypten im Zusammenhang mit der Gestaltung einer neuen Verfassung (Abstimmung im Oktober geplant) zu Reformen dieser oben beschriebenen Exekutivstruktur gibt, halten die meisten Vorschläge an der Sonderstellung der Gouverneure und ihrer Ernennung durch den Staatspräsidenten fest. Ein von der Moslem-Bruderschaft angedachte zukünftige Wahl der Leiter der Exekutive von Distrikten und Gemeinden geht einher mit der Selbstgewissheit, dass man auf dieser Ebene zumindest im Nil-Delta und in Oberägypten solche Wahlen dominieren würde.

Mursis Revirement auf der Gouverneursebene ist jedoch für den Machtausbau der Moslem-Bruderschaft der sicherere Weg, denn: "Ein Gouverneur bildet das Haupt der exekutiven Autorität und vertritt den Präsidenten; da ist es sehr schwer vorstellbar, unter ihnen ernannte Verwaltungsbeamte zu haben, die sich gegen den Präsidenten stellen," wie der Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kairo, Mustafa Kemal al-Sayed, sich kürzlich ausdrückte.

Text: hth  /  Quelle: PressTv, Egypt Independent

Foto: Jonathan Rashad (Protestaktion 28.4.2012 vor dem Verteidigungsministerium)


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