25.07.2018: Heute berichtet Aurélie: Es ist neun Uhr früh, trotzdem stehen dem Festival-Vater Baker schon die Schweißperlen auf der Stirn. Angestrengt begutachtet er das heutige Einsatzgebiet und raunt Anweisungen ins Funkgerät, es gibt heute viel zu tun im Öko-Garten. Sein ziegelrotes Hemd ziert der Che-Slogan « Soyons realistes – essayons l’impossible" – "Seien wir realistisch und versuchen das Unmögliche".
Unsere Brigade arbeitet heute, wie auch die letzten Tage, an der Befestigung der Gartenterrassen. Auf ihnen wird bald, dank dem Wissensschatz einer aus Portugal angereisten Eco-Farming-Gruppe, Obst und Gemüse in Permakultur angepflanzt.
Freiwilligenarbeit im Öko-Garten. |
Auf dem Gartengelände wurde außerdem vor einiger Zeit eine zugeschüttete Römerzisterne entdeckt – diese gilt es heute auszugraben und die unebenen Haine mit der geborgenen Erde aufzufüllen. So können die Nutzpflanzen mit gesammeltem Regenwasser aus der Zisterne bewässert werden. Für die Bewohner von Farkha ist die Zisterne ein wahrer Glücksfall – denn seit Unterzeichnung der Oslo-Verträge ist es der palästinensischen Bevölkerung der Westbank nicht gestattet, ohne israelische Genehmigung Brunnen zu bauen.
Nachhaltiges Bauen
Pünktlich zum Mittagessen erreichen Malinda und Anselm als letzte Genoss*innen der deutschen Delegation das Festival. Während auf dem Schulhof das Kinderfest vorbereitet wird, nehmen wir am Workshop "Green Building in Palestine" teil. Zwei Architekten stellen die Grundlagen nachhaltigen Bauens vor, und die Möglichkeiten, diese in Palästina umzusetzen. Dabei ist ihnen sowohl der Natur- und Klimaschutz, als auch die wirtschaftliche und politische Autarkie ein Anliegen. Zum Beispiel können Wasseraufbereitungsanlagen und natürliche Lüftungs- und Isolationssysteme auf einfache Weise den Wasser- und Energieverbrauch reduzieren, und damit auch die Abhängigkeit von israelischen Importen. Beim Erarbeiten von Schlüsselfragen in Kleingruppen werfen Kerem und ich bald die Frage auf, wie bei Einfuhrsperren, tagtäglichen Demolierungen und der ständig drohenden Zerstörung durch Krieg nachhaltige Architektur in Palästina überhaupt eine Rolle spielen kann. Yafa, eine Genossin aus Farkha, erwidert mit der Gegenfrage, weshalb wir uns dann überhaupt um irgendetwas kümmern sollten. Der Tatendrang der Jugendlichen, die hier in Farkha zusammenfinden, widerlegt täglich aufs Neue den scheinbaren Defätismus der palästinensischen Linken und die Unlösbarkeit des Konflikts.
Besatzung und Klassenkampf
Am Abend spreche ich mit Imad über das Verhältnis von Besatzung und Klassenkampf. Sein Vater hat die erste palästinensische Schriftstellergewerkschaft in Jerusalem gegründet und musste für seine politischen Gedichte vier Jahre im Gefängnis absitzen. Nach der Frage, ob die PPP (die Kommunistische Partei in Palästina, deren Jugendorganisation Trägerin des Farkha-Festes ist) den nationalen Befreiungskampf oder Klassenkampf priorisiert, erzählt er: "Das Eine hängt eng mit dem Anderen zusammen. Der Kapitalismus trägt auf verschiedenste Weisen dazu bei, dass die israelische Regierung die Besatzung aufrechterhalten kann. In den neunziger Jahren hat sich durch die Friedensverträge das kapitalistische Bankensystem in Palästina etabliert. Viele Menschen hier haben aus Unwissen oder Naivität Schulden aufgenommen, um sich ein Auto oder ein Handy zu kaufen. Aber um Kredite zurückzuzahlen braucht man eine Gehaltsstufe, die 85% der Arbeitsstellen in den besetzten Gebieten nicht einmal annähernd bieten. Dies hat zur Folge, dass vielen Haushalte durch die finanziellen Sorgen den Blick auf die Klassenfrage verlieren und die Probleme individualisiert werden. Manche Arbeiter*innen sind dadurch sogar gezwungen, ihr Geld im Siedlungsbau oder Arbeit in Siedlungen zu verdienen." Und er ergänzt: "Wir hatten und haben übrigens – obwohl verschiedene Kräfte auf beiden Seiten das anfeinden - ein sehr gutes Verhältnis zu unseren jüdisch-israelischen Genoss*innen."
Am nächsten Morgen weht ein leises Lüftchen durch den Öko-Garten, was die Hitze ein bisschen erträglicher macht. Wir bauen die Terrassenbefestigungen des letzten Tages weiter aus und langsam aber stetig verwandeln sich die Geröllhänge in schmucke rot-braune, von Steinmauern eingefasste Ebenen. Naheda, eine 17-jährige Genossin aus Jerusalem, ist die ganze Woche die Koordinatorin unserer Arbeitsgruppe. Mit scheinbar grenzenloser Energie hält sie die einzelnen Aufgaben im Blick, schleppt die schwersten Steine, hackt mit kräftigen Hieben den Boden und spornt jüngere Ausreißer mit Humor und Bestimmtheit immer wieder zum Durchhalten an. Bei Naheda merkt man, wieviel Stärke und Beharrlichkeit junge Aktivistinnen in Palästina an den Tag legen. Ähnlich wie der Klassenkampf ist ihr Kampf um Emanzipation eng verbunden mit dem Kampf der Selbstbestimmung der Gesellschaft in der sie lebt.
Frauenkampf
Drei kämpferische Frauen und Genossinnen berichten von ihren Erfahrungen . |
Dies macht auch der Vortrag zum Thema Frauenkampf von Sanaa Barghouti, Afaf Ghafasheh und Nada Twafir deutlich.Sie erzählen uns, wie die Freiwilligenarbeit der Jugendorganisationen während der ersten Intifada erheblich zum Kampf der Frauenrechte beigetragen hat. Owneh, eine 1973 von jungen Kommunist*innen gegründete Jugendorganisation hat es sich zum Ziel gesetzt, das Leben der ländlichen Bevölkerung durch Brigadearbeit zu verbessern. So wurden durch vereinte Kräfte der Jugendlichen die Straßenbeleuchtung und Transportwege ausgebaut, öffentliche Parks angelegt und mobile Krankenversorgung in die Dörfer gebracht. Die Bemühungen um ein besseres Leben wurden damals von der Fatah und islamistischen Kräften als Verrat am Widerstand und Normalisierung der Besatzung gebrandmarkt. Der Linken wurde außerdem vorgeworfen, sie würde durch das gemeinsame Arbeiten von Männern und Frauen "die Fundamente der Gesellschaft" angreifen. Die Bevölkerung jedoch hat sich der Bewegung massenweise angeschlossen. Frauen haben in diesem Kampf viele Rechte erkämpft, die heute durch den wachsenden politischen Islam in den palästinensischen Gebieten wieder angegriffen werden. Sie schließen mit den Worten, dass die Freiwilligenarbeit heute wieder von der Linken aufgegriffen werden muss, als ein elementarer Bestandteil des Widerstandes.
Auch wir schöpfen aus dieser Woche Kraft für die Kämpfe in Deutschland |
txt: Aurélie