Beitrag von Rainer Dörrenbecher zum Symposium zum 80. Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941.
Mit einer wissenschaftlichen Konferenz gedachte das FriedensNetz Saar am 19. Juni dem Beginn des Vernichtungskriegs des Hitler-Faschismus gegen die Sowjetunion.
In der Einladung zu der Konferenz heißt es:
″Die Nazis wollten die Bevölkerung teilweise ausrotten, der Rest sollte vertrieben werden und östlich des Ural in einem Satellitenstaat vegetieren. Leningrad und Moskau sollten von der Landkarte getilgt werden – es ging um die Vernichtung einer Weltanschauung und um Eroberungen im Interesse des deutschen Kapitals.
13 Millionen sowjetische Soldaten starben in diesem Krieg. Von den mehr als 3 Millionen sowjetischen Soldaten, die die Wehrmacht im Sommer 1941 gefangen nahm, waren 2 Millionen im Februar 1942 tot.
Es gibt in der modernen Geschichte keine vergleichbare Massentötung von Kriegsgefangenen. Insgesamt starben 27 Millionen Sowjetbürger als Opfer des deutschen Krieges zwischen 1941 und 1945, darunter waren 2,8 Millionen ermordete Menschen jüdischen Glaubens.
Allein aus der Sowjetunion verschleppten die deutschen Arbeitsverwaltungen mit Unterstützung der Wehrmacht innerhalb von 2 ½ Jahren 2,5 Millionen zumeist junge Männer und Frauen zur Zwangsarbeit ins Reichsgebiet. Sie mussten auch in den Röchlingschen Eisen- und Stahlwerken Sklavenarbeit verrichten.
Heute ist von einer Erinnerungskultur zu diesem Völkermord in Deutschland wenig zu spüren. Im Gegenteil werden Ressentiments im Rahmen eines neuen Kalten Krieges geschürt. Statt einer gemeinsamen Sicherheitspartnerschaft wird die militärische Aufrüstung vorangetrieben.″ [https://friedensnetzsaarblog.wordpress.com/2021/06/08/symposium-zum-80-jahrestag-des-uberfalls-deutschlands-auf-die-sowjetunion-am-22-juni-1941/]
In drei Vorträgen mit anschließender Diskussion wurden die oben angerissenen Aspekte vertieft. Referent*innen waren:
- Dr. Inge Plettenberg, Historikerin – Zwangsarbeit bei den Röchlingschen Eisen- und Stahlwerken
- Andreas Zumach, UNO-Korrespondent für die Tageszeitung (taz) – Aktuelle Herausforderungen für eine europäische Friedensordnung, vor allem die Beziehungen Deutschlands zu Russland
- Rainer Dörrenbecher - Vernichtungskrieg
Wir dokumentieren den Beitrag von Rainer Dörrenbecher, der die Vorgeschichte, die Triebkräfte und den Vernichtungskrieg selbst behandelt:
Der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion
Naturwissenschaft ist etwas anderes als Gesellschaftswissenschaft. Marxistische und Nichtmar-xistische, bzw. bürgerliche Geschichtswissenschaft unterscheiden sich wesentlich, können bei gleichen Forschungsobjekten zu unterschiedlichen, gegensätzlichen Wertungen und Schlussfolgerungen kommen. So ist es auch mit diesem Vortrag. Ich spreche als ein Vertreter der marxistischen Geschichtsauffassung. Ich bin kein Historiker, befasse mich ein bisschen mit der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit Bezug auf die Arbeiterbewegung und das Verhältnis Deutschland - Sowjetunion.
Auch in der kommunistischen Bewegung und innerhalb der Parteien gibt es zur Politik der Sowjetunion im Vorfeld des 2. Weltkrieges und in der Aufarbeitung der Geschichte der kommunistischen Bewegung unterschiedliche Betrachtungen. Und so gibt es dies zwischen der DKP hier im Saarland und dem gegenwärtigen Parteivorstand. Ich schicke das voraus, damit eventuell auf-tretende Widersprüche nachvollzogen werden können.
Der Angriff auf die Sowjetunion, der 2. Weltkrieg insgesamt, hat seine Vorgeschichte. Um mit dem preußischen General von Clausewitz zu sprechen, ist der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Dem entsprechend und aus marxistischem Selbstverständnis skizziere ich auch die politisch-ökonomischen Bedingungen, die diesen Krieg hervorbrachten.
Für den Vortrag habe ich entsprechende Literatur und Artikel genutzt und auch einiges wörtlich zitiert. Das ist in der schriftlichen Fassung kenntlich gemacht, im Vortrag des Verständnisses wegen nicht. Ein wichtiger Leitfaden ist das Begleitbuch des damaligen Pahl-Rugenstein Verlages zur sowjetisch - us-amerikanischen Fernsehserie der 70er Jahre "Der unvergessene Krieg".
Der 22. Juni 1941 - ein verdrängter Gedenktag
In der Friedensbewegung unseres Landes und darüber hinaus bis zu den regierungskompatiblen Parteien und bürgerlichen Medien ist der 1. September als Antikriegstag anerkannt, der Tag an dem 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen der 2. Weltkrieg begonnen wurde. Auch der 8. Mai, der Jahrestag, an dem mit der Unterzeichnung der Kapitulation des Deutschen Reiches der 2. Weltkrieg in Europa zu Ende war, ist in Teilen der Bevölkerung und politischen Kräfte unseres Landes als Tag der Befreiung im Bewußtsein. Es hatte 40 Jahre gedauert bis der konservative Bundespräsident Richard von Weizäcker zum Jahrestag 1985 auch für die BRD diesen Begriff benutzte und politisch "legalisierte". Das ist jetzt 36 Jahre her.
Schon 46 Jahre ist es her, dass in Helsinki die Schlussakte für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unterzeichnet wurde. Gegenwärtig sind wir von den Prinzipien dieses Dokuments im Verhältnis zu Russland entfernt wie nie. So ist es ganz gewiss kein Zufall, daß schlaue Leute in einer der oberen Etagen der Europäischen Union auf die Idee gekommen sind, ausgerechnet den 9. Mai zum »Europatag« zu deklarieren. Auch wenn es zunehmend in die Vergessenheit gedrängt wird: Der 9. Mai wurde in der Sowjetunion und wird in Russland und weiteren Nachfolgestaaten als Tag des Sieges über den Hitlerfaschismus begangen.
Ein dritter Gedenktag wurde 2019 mit großem Aufwand als internationales Ereignis begangen, der 6. Juni, der Jahrestag der Landung der Westalliierten 1944 in der Normandie. Fünf Jahre zuvor war dies noch eine gemeinsame Gedenkveranstaltung aller Alliierten des 2. Weltkrieges und ehemaliger Kriegsgegner. In 2019, zum 75. Jahrestag war der Präsident der Russländischen Föderation, des Nachfolgestaates der Sowjetunion, nicht eingeladen worden, des Landes, das die meisten Opfer dieses Krieges gebracht hatte und den weitaus bedeutendsten Anteil an der militärischen Zerschlagung des faschistischen Deutschland und der Befreiung Europas geleistet hatte.
Für - nicht nur - das offizielle deutsche geschichtliche Selbstverständnis ist dieser 6. Juni "der Anfang vom Ende des Nazi-Regimes." Doch für die damalige Zeit, 1944, war mit der Landung in der Normandie endlich die 2. Front eröffnet. Wenn dies nun die 2. Front war, dann gab es auch eine 1. Front. Diese Front war im Gedächtnis der Kriegsgeneration der Inbegriff der Schrecken des Krieges. Die zerstörten Häuser konnten wieder aufgebaut werden. Doch die Ehemänner, Söhne, Väter und Brüder, die im Krieg geblieben waren, waren nicht zu ersetzen; die weitaus meisten waren in Russland geblieben, im Russlandfeldzug, wie er genannt wurde.
Keine Bedeutung für das kollektive Gedächtnis hatten und haben immer noch die Toten und Verletzten der Sowjetunion. Die mediale Geschichtspropaganda des öffentlich rechtlichen Fernsehens in den vergangenen Jahrzehnten schweigt darüber.
In der Aufarbeitung und Vermittlung des Krieges gegen die Sowjetunion waren wir in der Alt-BRD, auch in anderen Ländern, schon einmal weiter. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre entstand eine 20-teilige us-amerikanisch- sowjetische Gemeinschaftsproduktion für das Fernsehen über den Krieg im Osten, den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion. Bei uns wurden 16 Folgen unter dem Titel "Der unvergessene Krieg" gezeigt. Dieser Titel traf jedoch eher die Bewusstseinslage in der Sowjetunion statt in der BRD; da war er ja vergessen. Millionen Bundesbürger*innen hatten diesen verdrängten Krieg erstmals bewusst wahrgenommen. Schulen hatten Teile im Unterricht genutzt. Es war die Zeit der "Entspannungspolitik".
Mit dem Zusammenbruch des Sozialismus sowjetischer Prägung in Europa, der Sowjetunion selbst und der Umwandlung der Unionsstaaten in einzelne unabhängige kapitalistische Staaten war eine neue politisch-ökonomische Grundlage entstanden. Der "Systemgegensatz", der Gegensatz zwischen der kapitalistischen Welt, formiert in der NATO, und der sozialistischen Welt, formiert im Warschauer Vertrag existierte nicht mehr. Alle Beziehungen, einschließlich der geistig-kulturellen, zwischen diesen Staaten wurden auf veränderter Grundlage entwickelt. Dies betraf auch die Betrachtung und Wertung der Geschichte.
Der unvergessene Krieg wurde wieder vergessen. Für das neue Einheitsdeutschland standen die eigenen Kriegsleiden im Vordergrund. Für die Geschichtsvermittlung der Leitmedien - geradezu berüchtigt Prof. Dr. Guido Knopp im ZDF - begann der Krieg erst mit den Bombardierungen deutscher Städte und dem Vormarsch der Roten Armee über die Reichsgrenze im Osten.
Einmal noch war der "Russlandfeldzug" Anlass politischer Debatten und öffentlicher Aktionen und Aktivitäten. 1995 wurde erstmals die Ausstellung "Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" gezeigt. Diese Ausstellung hatte heftige Reaktionen und Anfeindungen im bürgerlichen und militärischen Lager hervorgerufen. Neonazistische und militaristische Gruppen organisierten an den Ausstellungsorten Aufmärsche und Blockaden. In Saarbrücken wurde am 9. März 1999 frühmorgens auf das Gebäude der Volkshochschule ein Sprengstoffattentat verübt. Dabei wurde auch die benachbarte Schlosskirche beschädigt. Die Ermittlungen versanken in der Saar. Aufgetaucht sind Hinweise wieder in 2011 bei den Ermittlungen gegen die rechtsextreme Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) als mögliche Urheber dieses Anschlages. Informierten Menschen ist die Gründlichkeit dieses Ermittlungsgeflechts bekannt.
Diese Ausstellung räumte endgültig auf mit der Legende, die Wehrmacht sei im Krieg sauber gewesen, Kriegsverbrechen hätten nur die SS und Waffen-SS begannen. Erneut war der Nachweis erbracht, dass die Wehrmacht ebenfalls eine verbrecherische Organisation des faschistischen Regimes war. Nachgewiesen jetzt von einer bundesdeutschen Institution, dem Hamburger Institut für Sozialforschung, nachdem selbstverständlich entsprechende Forschungsergebnisse der Sowjetunion und der DDR bis dahin diffamiert und ignoriert worden waren.
Der Begriff ist seitdem "offiziell", u.a. bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Keine Geschichtsklitterung kann die Feststellung rückgängig machen, dass mit dem "Fall Barbarossa", wie die Reichs- und Wehrmachtsführung den Russlandfeldzug nannten, ein bisher beispielloser Vernichtungskrieg durchgeführt wurde. Es war ein Vernichtungskrieg gegen das sozialistische Gesellschaftssystem und den Staat und gegen die Menschen, die Völker der Sowjetunion. Dessen Beginn, der 22. Juni, der Jahrestag des Überfalls Deutschlands auf die Sowjetunion, der Beginn des "Russlandfeldzuges", ist hier weder ein Gedenktag der politischen Eliten, noch ist dieser Krieg im Bewusstsein unserer Generationen.
Ein Beispiel aktueller Geschichtsklitterung ist die Ende Mai in ZDF-Info gesendete Wiederholung einer siebenteiligen Dokumentation von 2018 über den 2. Weltkrieg. Der 5. Teil hat den Titel "Vernichtungskrieg". Er beginnt mit der Torpedierung us-amerikanischer Handelsschiffe vor New York durch deutsche U-Boote am 13. Januar 1942. Der Krieg im Osten kommt nach 20 Minuten, eine Episode. Die Geschichtspropaganda hat sich entsprechend der politischen Linie angepasst.
Seit dieser Woche ist eine Ergänzung notwendig. Bundespräsident Steinmeier erinnerte an den 22. Juni mit einer Ansprache und ehrte mit Kranzniederlegungen die sowjetischen Opfer. Auch die Fraktionen des Bundestages und die Bundesregierung haben im Rahmen einer vereinbarten Debatte an den Überfall des nationalsozialistischen Deutschlands auf die Sowjetunion vor 80 Jahren gedacht. Auch dieses offizielle Gedenken hat seine eigene Geschichte, die über diesen Beitrag hinausgeht.
Die Oststrategie des deutschen Imperialismus [1]
An allem waren nur Hitler und die Nazis schuld. Ja, es gab auch noch "willige Helfer" und viele, die "in das System verstrickt" waren. Wir kennen diese beschönigenden und verharmlosenden Begriffe zum Überdruss. Wollten nur Hitler und die Nazi-Führung den "Lebensraum im Osten" gewinnen? Wer wollte noch die Bodenschätze der Ukraine und des Kaukasus, das Kaspische Öl und zugehörige billigste Arbeitskräfte, den fruchtbaren Boden?
Ganz bestimmt hatte der »Führer« einen wesentlichen Anteil an der strategischen Planung des Überfalls auf die Sowjetunion. Seine alleinige Idee war jedoch das Ganze nicht.
Die wirtschaftliche Ausplünderung es europäischen Ostens gehörte schon seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zum politischen Programm der deutschen Großindustrie und des Finanzkapitals. Seit der Oktoberrevolution 1917 und dem Sieg der Bolschewiki im Interventions- und Bürgerkrieg ging es dabei nicht mehr nur um wirtschaftliche Interessen. Es ging auch darum, den ersten sozialistischen Staat der Erde zu zerschlagen. Hitlers Plan, die Sowjetunion zu überfallen, wurde von Anfang an von maßgeblichen Industrie und Finanzkreisen tatkräftig unterstützt. Er entsprach ihren eigenen Interessen. Die Vorgeschichte des 22. Juni 1941 begann nicht erst mit den Planungen im Vorjahressommer.
Der deutsche Imperialismus wird gelegentlich als "zu spät gekommener Imperialismus" bezeichnet. Eine Bezeichnung mit einer gewissen Berechtigung. Im bürgerlichen Allgemeinverständnis wird als Imperialismus die seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhundert betriebene Außenpolitik der europäischen Mächte betrachtet. Die Kolonialwelt war aufgeteilt und das erst 1871 zusammengeschlossene Deutsche Reich war zu kurz gekommen. Verglichen mit den Kolonialgebieten Englands und Frankreich, den wirtschaftlichen Konkurrenten, waren die deutschen wenig bedeutend.
Ökonomisch betrachtet war das Deutsche Reich um die Jahrhundertwende keineswegs zu kurz gekommen. Deutschland hatte England und Frankreich in der Industrieproduktion überholt und spielte im Welthandel an der Spitze mit. Der Widerspruch zwischen wirtschaftlicher Stärke und international relativer politischer Schwäche drängte auf eine Lösung, auf eine Neuaufteilung der Welt.
Der Expansionsdrang des deutschen Imperialismus richtete sich aber nicht nur auf Afrika und andere Kolonialgebiete, sondern auf eine Erweiterung des Reichsgebiets, vor allem im Osten. Das neue Deutsche Kaiserreich sollte neben Polen das Baltikum bis St. Petersburg umfassen, so die Pläne des "Alldeutschen Verbandes", einer von den monopolistischen Industriekonzernen, Bankhäusern und des Landadels getragenen Organisation. Doch scheinen diese Pläne noch eher angelehnt an die Gebiete des Deutschen Ritterordens als an ökonomische Bedürfnisse.
Mit Beginn des 1. Weltkrieges erweiterten oben Genannte ihre Denkschrift um Weißrussland, die Ukraine mit dem industriellen Donbas, um die Schwarzmeerküste einschließlich der Krim, den Kaukasus und Baku, die Öl-Stadt am Kaspischen Meer. Hier standen nicht mehr altdeutsche Reichsvorstellungen im Vordergrund, sondern die wirtschaftlich entwickelten westlichen Gebiete des russischen Reiches und Gebiete mit reichen Bodenschätzen. Nach der Oktoberrevolution gelang es der Reichswehr die Rote Armee bis fast auf diese Grenzlinie zurückzudrängen. Wir wissen, der Griff nach der Weltmacht schlug fehl. Mit der bedingungslosen Kapitulation musste Deutschland die eroberten Gebiete wieder räumen.
Die Ergebnisse des 1. Weltkrieges brachten für Deutschland mit dem Versailler Vertrag territoriale und damit ökonomische und Bevölkerungs-Verluste, Reparationszahlungen und eine Einschränkung der Souveränität. Ziel des deutschen Imperialismus, der nationalistischen und konservativen Kräfte in Politik und Wirtschaft und selbstverständlich des Offizierskorps und Generalität, war die Rückgängigmachung dieses "Schandvertrages". Der Plan der Osterweiterung war gescheitert, aber nicht aufgegeben. Noch 1918 erklärte General von Seeckt, der spätere Oberbefehlshaber der Reichswehr der Weimarer Republik: "Wir müssen wieder mächtig werden, und sobald wir wieder die Macht haben, nehmen wir uns wieder zurück, was wir verloren haben."
Mit der Oktoberrevolution und der Niederlage der Konterrevolution und der imperialistischen Interventionsstreitkräfte in Russland war zugleich eine gravierende Änderung des europäischen Kräfteverhältnisses entstanden. Mit der Sowjetunion hatte sich eine gesellschaftspolitische Alternative und Gegenkraft zu den imperialistischen Ländern durchgesetzt. Die revolutionäre Nachkriegsphase, die sozialen Unruhen und das Erstarken Kommunistischer Parteien in einigen Ländern, besonders in und nach der Weltwirtschaftskrise, die Krise selbst, waren deutliche Anzeichen der Labilität kapitalistischer Staaten. Vor allem für die europäischen imperialistischen Länder war eine neue, für diese gemeinsame, Gefahr entstanden. Damit ist die politisch-ökonomische Situation, vor allem in Europa, wesentlich anders als vor dem 1. Weltkrieg.
Vor allem der wirtschaftliche Aufbau in der SU beförderte zunehmendes Interesse in der Arbeiterklasse und bei Intellektuellen. Arbeiterdelegationen wurden organisiert, es entstanden Patenschaften zwischen Betriebsbelegschaften. In der Ausstellung "Mon Trésor. Europas Schatz im Saarland" im Weltkulturerbe Völklinger Hütte wurde auch eine "Fahne aus Kolomna" gezeigt. Die Fahne wurde 1927 einer Arbeiterdelegation aus dem Saargebiet und dem Reich in der sowjetischen Stadt Kolomna von der Belegschaft des Lokomotivenwerkes überreicht. Die Delegation stand unter der Leitung von Albin Weiss, Geschäftsführers des Deutschen Metallarbeiter Verbandes, Völklingen. Dazu gibt es eine Broschüre der Peter-Imandt-Gesellschaft/Rosa Luxemburg Stiftung.
Die Geschichte der ersten deutschen Republik zeigt, dass die unheilvolle Allianz des Militär-Industriellen Komplexes nicht aufgelöst wurde. Auf Grundlage ihres bürgerlichen Charakters, der politisch-ökonomischen Macht des Monopolkapitals und gesellschaftlichen Stärke der reaktionären Strukturen gab es dafür auch keine Bedingungen.
Auch die kurze Phase der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und der Sowjetunion war nicht Ausdruck einer grundsätzlichen Neuorientierung deutscher Außenpolitik im Osten. Mit dem Vertrag von Rapallo von 1922 durchbrachen beide Staaten zu gegenseitigem Nutzen ihre außenpolitische Isolierung und entwickelten wirtschaftliche Beziehungen. Schon zwei Jahre zuvor, noch während des Bürgerkrieges, war es zu geheimen ersten Kontakten zwischen Reichswehr und Roter Armee gekommen. Das Feld gleichgerichteter Interessen war jedoch begrenzt. Zum Aufbau einer leistungsfähigen Rüstungswirtschaft und Armee war die Sowjetunion dringend auf technische Erkenntnisse, auch militärische Kenntnisse und Kapital angewiesen. Die Reichswehr-Generalität und deutsche Rüstungswirtschaft brauchte Möglichkeiten zur Umgehung der engen Bestimmungen des Versailler Vertrages.
Insgesamt erfolgten jedoch nur geringe Investitionen der Wirtschaft; die militärische Bedeutung der Zusammenarbeit war wahrscheinlich ebenfalls nicht sehr groß. Die von mir genutzten Quellen sind zurückhaltend in der Bewertung. Mit der zunehmenden Westorientierung der deutschen Außenpolitik nahm Ende der 20er Jahre diese Zusammenarbeit weiter ab und wurde schließlich eingestellt.
Die Politik der führenden europäischen Mächte England und Frankreich gegenüber Deutschland veränderte sich, Bestimmungen des Versailler Vertrages wurden modifiziert. Gemeinsame imperialistische Interessen gegenüber der Sowjetunion und gegenüber revolutionär-sozialistischen Kräften bestimmten zunehmend deren Politik. In mehreren europäischen Ländern setzten sich faschistische Regime durch (Italien, Ungarn, Deutschland); in Spanien führte die britisch-französische Duldung der faschistischen Allianz zum Sieg des Franco-Faschismus.
Auf der Grundlage der gemeinsamen Interessen als kapitalistische Staaten war eine antisozialistisch-antisowjetische Interessengemeinschaft entstanden. Unter diesen Bedingungen versuchte das imperialistische Deutschland seine Großmachtpläne zu entwickeln. Das betraf die imperialistischen Konkurrenten England und Frankreich, es betraf vor allem die Sowjetunion. Der europäische Osten bot als Wirtschaftsraum enorme Profite. Und auf der Grundlage der gemeinsamen imperialistischen Interessen ging es gegen den gemeinsamen gesellschaftspolitischen Gegner, den realen Sozialismus.
1923 ist Hitler sozusagen auf die politische Bühne getreten, mit dem dilettantischen Putschversuch in München. Die NSDAP war damals eine von vielen völkisch-nationalistischen Splitterparteien. Mit dem ehemaligen kaiserlichen General Ludendorff und dem monopolistischen Industriellen Fritz Thyssen waren allerdings die Bindungen und Verbindungen in die militaristischen und ökonomisch herrschen Kreise hergestellt. In seinem programmatischen "Mein Kampf" entwickelte Hitler danach seine gesellschaftspolitischen, ökonomischen und territorialen Vorstellungen. Neben seinem hemmungslosen und blindwütigen Antisemitismus hatte er die alldeutschen Eroberungspläne nach Osten übernommen, verbunden mit einem abgrundtiefen Hass gegen den Sozialismus, das gesellschaftliche System der Sowjetunion. Beides fügte sich bei ihm zu einem einheitlichen ideologischen Wirrwarr zusammen. Zitat aus "Mein Kampf": "Im russischen Bolschewismus haben wir den im zwanzigsten Jahrhundert unternommenen Versuch des Judentums zu erblicken, sich die Weltherrschaft anzueignen." Das ist zwar völlig irrational, das war aber auch völlig unwichtig. [2]
Anfang der 30er Jahre wuchs in den entscheidenden Kreisen des deutschen Industrie- und Finanzkapitals die Überzeugung, in Hitler den Mann und in der Nazi-Bewegung die Kraft gefunden zu haben, die eigenen politisch und ökonomischen Vorstellungen zu verwirklichen. Schon 1931 gab es eine erste Eingabe einiger Vertreter des großen Kapitals an den Reichspräsidenten, Hitler zum Reichskanzler zu ernennen. Diese repräsentierten jedoch noch nicht die wirtschaftliche Mehrheit des Monopolkapitals. Auf einer zweiten Eingabe im November 1932 war ein Großteil der Führung der deutschen Industrie- und Bankenwelt und des Großgrundbesitzes vertreten. Beide Dokumente sind erhalten und mehrfach veröffentlicht.
Was die Monopolbourgoisie an Hitler und der Nazi-Bewegung interessierte , war das antikommunistische und imperialistische Programm und die Fähigkeit Millionen Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren, also eine Massenbasis zur Unterstützung der eigenen Ziele. Auch hatte sich herausgestellt, dass eine Stabilisierung des kapitalistischen Systems ohne oder gar gegen die NSDAP nicht möglich war.
Einer der Initiatoren der zweiten Denkschrift, der Kölner Bankier von Schröder erklärte vor dem Internationalen Militärgerichtshof 1947 u.a.: "Die allgemeinen Bestrebungen der Männer der Wirtschaft gingen dahin, einen starken Führer in Deutschland an die Macht kommen zu sehen, der eine Regierung bilden würde, die lange Zeit an der Macht bleiben würde. … Ein gemeinsames Interesse der Wirtschaft bestand in der Angst vor dem Bolschewismus und der Hoffnung, dass die Nationalsozialisten - einmal an der Macht - eine beständige wirtschaftliche und politische Grundlage in Deutschland herstellen würden." [3]
Die Erwartungen des deutschen Großkapitals in die Hitlerregierung wurden nicht enttäuscht, innenpolitisch nicht und außenpolitisch nicht. Nachdem Deutschland Ende Oktober 1933 aus dem Völkerbund ausgetreten war, telegraphierte Alfred Krupp, Vorsitzender des Reichsverbandes der deutschen Industrie, an Hitler: "Auf dem vorgezeichneten Weg folgt Ihnen in unbeugsamer Entschlossenheit inmitten der deutschen Nation die deutsche Industrie." [4]
Das darf auch wörtlich verstanden werden. Kurze Zeit nach dem Anschluss Österreichs hatten die deutschen Aktiengesellschaften zwischen 60% bis 80% des Kapitals der österreichischen AGs übernommen. Und nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Prag folgte auf dem Fuß das deutsche Großkapital und übernahm die Wirtschaft.
Die Geschichtsschreibung unseres Landes bietet hier ein Grundverständnis an Verdrängungen. Konsequent wird die Rolle der großen Monopole der Stahl-, Elektro- und Chemieindustrie und der Banken im faschistischen System ausgeblendet, bzw. verharmlost. Die hauptsächlichen Entwicklungslinien der Aufrüstungsprogramme wurden vom Militär-Industrie-Komplex vorgegeben und dirigiert. Organisationen wie die "Reichsgruppe Industrie", oder später der "Wehrwirtschaftsstab" und die personellen Verflechtungen im Staats- und Parteiapparat wurden zu Garanten einer Politik, die den Krieg als unausweichliche Konsequenz beinhaltete.
Der Vorabend des Krieges - gegen den Sozialismus
Am 3. Februar 1933, also wenige Tage nach der Machtübergabe, erklärte Adolf Hitler bereits auf seinem Antrittsbesuch bei den Generälen in der Wohnung des Generals Hammerstein-Equord: "Wie soll politische Macht, wenn sie gewonnen ist, gebraucht werden? - Jetzt noch nicht zu sagen. Vielleicht Erkämpfung neuer Export-Möglichkeiten, vielleicht – und wohl besser – Eroberung neuen Lebensraums im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung." Was hier noch die politische Öffentlichkeit scheute, war jedoch existenzieller Teil des von Hitler in 'Mein Kampf' formulierten faschistischen Programmes:
- Vernichtung des Judentums als Teil eines notwendigen, gerechten Rassenkampfes
- Vernichtung des 'Marxismus', d.h. der kommunistischen, sozialistischen Arbeiterbewegung
- Zerschlagung des Bolschewismus (sprich: Sowjetunion) durch einen Eroberungskrieg
- Schaffung neuen 'Lebensraums im Osten Europas'
Das letzte Ziel bedeutete nach dem Willen der faschistischen deutschen Führung, dass die Volksgruppe der Slawen den Deutschen zunächst unterworfen und das eroberte Osteuropa von deutschen Siedlern ('Wehrbauern') nutzbar gemacht werden sollte. Nach Vernichtung ihrer Elite sollten die slawischen Völker für immer ein Reservoir an ungebildeten und gehorsamen Land- und Hilfsarbeitern stellen. Die eroberte Sowjetunion sollte in verschiedene Gebiete unter der Leitung von Reichskommissaren aufgeteilt werden. Einzig Weißrussen, Ukrainer und die baltischen Völker würden als lebenswerte Völker eingestuft, die Russen dagegen "durchaus niedergehalten werden" (Alfred Rosenberg). [5]
Sollten sich jemandem hier Ähnlichkeiten zu aktuellen politischen und militärischen Strategien der NATO aufdrängen, ist dies nicht meine Verantwortung.
Immer wieder kam Hitler bei politischen Anweisungen und Orientierungen der Wehrmachtsspitze und seiner faschistischen Führungselite auf das strategische Ziel 'Lebensraum im Osten' zu sprechen. In den zu erobernden Gebieten in Osteuropa wollte er mindestens 100 Millionen Deutsche sowie sonstige 'germanische' Einwanderer ansiedeln, dazu sollte mit dem Generalplan Ost ein Großteil der nordischen Slawen innerhalb dreier Jahrhunderte assimiliert, der Rest nach Sibirien vertrieben werden oder als Arbeitssklaven hinsterben. Die ab Frühjahr 1940 erarbeiteten Entwürfe, Planungen und Ansätze zur Umsetzung des Generalplans Ost zeigen, dass es sich hierbei um gnadenlos ernst gemeinte und verfolgte Ziele handelte, die dann nur am Verlauf des Krieges gegen die UdSSR ab Dezember 1941 scheiterten.
Aus diesem strategischen Ziel der Eroberung von Lebensraum im Osten (und der damit verbundenen Bildung des Germanischen Weltreiches) ergab sich zwangsläufig ein Vorgehen, wie es dann tatsächlich bis zum 22.6.1941 stattfand. Es setzte die Zerschlagung der UdSSR voraus. Dieses Ziel wiederum hatte die Annektion und Zerschlagung Polens zur Voraussetzung. Um Polen zu besetzen, war bei vorheriger Zerschlagung und Besetzung der Tschechoslowakei die militärisch optimalste und sicherste Ausgangslage geschaffen.
In der bürgerlichen Geschichtsschreibung wird die Vorgeschichte des 2. Weltkrieges, wird die Politik Englands und Frankreichs gegenüber dem faschistischen Deutschland als "Appeasement-Politik" bezeichnet. Damit werden die sog. Beschwichtigungspolitik und das Entgegenkommen der beiden Länder bezeichnet. Der Begriff ist dadurch ja zu einem Eigennamen geworden.
Diese Appeasement-Politik wird als ein ernsthaftes Bemühen der Westmächte betrachtet, durch territoriale Zugeständnisse an Deutschland einen Krieg zu verhindern. Die Reichsregierung seinerseits bemühte sich, vor allem Großbritannien für ein Stillhalteabkommen zu gewinnen. Es gibt auf der diplomatischen Ebene viele Beispiele, dass die britische Regierung einer militärischen Ostexpansion, einer Annexion Polens und weiterer Gebiete im Osten nicht akzeptieren würde.
Winston Churchill berichtet in seinen Memoiren über ein Gespräch mit von Ribbentrop im Jahr 1937; beide waren zur damaligen Zeit noch keine Minister. Von Ribbentropp habe erklärt: "Es sei … unerlässlich, dass England Deutschland in Osteuropa freie Hand gewähre. Deutschland müsse für seine wachsende Bevölkerung Lebensraum haben. Deshalb müssten Danzig und Polen Deutschland einverleibt werden. Weißrussland und die Ukraine seien für die künftige Existenz Großdeutschlands mit seinen siebzig Millionen Einwohnern unentbehrlich. Mit weniger könne man sich nicht abfinden. Man erwarte von Großbritannien nur, dass es sich nicht einmische."
Churchill erklärte allerdings, er sei sicher, "dass die britische Regierung nicht zustimmen würde, Deutschland freie Hand in Osteuropa zu gewähren. Es war durchaus wahr ... wir hassten den Kommunismus so sehr wie Hitler, aber er könne sicher sein, dass … Groß-Britannien sich niemals in einem solchen Ausmaße an den Geschicken des Kontinents desinteressiert zeigen würde, dass dies Deutschland in die Lage versetzen könne, die Vorherrschaft in Ost- und Zentraleuropa zu erringen." [6]
Ein Stillhalteabkommen war also nicht zu erreichen. Doch offensichtlich hielt die deutsche Führung nicht viel von diesen britischen Garantien.
Von Juli 1936 bis April 1939 kämpfte das spanische Volk gegen den Faschismus und für eine fortschrittliche soziale Republik. Wir wissen um den Verlauf, die militärische und wirtschaftliche Hilfe Deutschlands und Italiens für Franco, den als Nichteinmischung verschleierten Boykott der spanischen Republik durch Frankreich und Großbritannien und schließlich den Sieg des Faschismus. In diesem Krieg zeigten die genannten bürgerlich-demokratischen Regierungen, dass sie eher den Sieg des Faschismus akzeptierten, als eine volksdemokratische Republik, möglicherweise verbündet mit der Sowjetunion. Nicht die Regierungsbulletins und internationalen Vereinbarungen, dieses Verhalten in der Praxis konnte und wurde sowohl von Deutschland wie der Sowjetunion für die weitere internationale Politik berücksichtigt. Erstmals zeigte sich, dass die antikommunistische Grundeinstellung der beiden Länder wesentlich bestimmender war, als ihre demokratischen oder gar antifaschistischen Beteuerungen.
Die Reichsregierung setzte konsequent nach der Annexion Österreichs ihre Einverleibungspolitik fort. Mit der "Sudetenkrise" wurde das Sudetenland aus der Tschechoslowakei ausgegliedert und an das Reich angeschlossen. Die Tschechoslowakei hatte mit England und Frankreich und der UdSSR Bündnisverträge; die Sowjetunion betonte ihre Bündnistreue, England und Frankreich drängten die CSR die Gebietsabtretung zu akzeptieren. Im Münchener Abkommen wurde die Prager Regierung nicht einmal gefragt. Ein halbes Jahr später besetzte die Wehrmacht die gesamte CSR, ohne Folgen.
Diese "Beschwichtigungspolitik" war sozusagen gescheitert. Weder durch Zugeständnisse noch durch Bündnisverträge und Androhungen von Widerstand hatte sich die faschistische Regierung beeindrucken lassen. Sie hatten gute Gründe auf ein Nichteingreifen zu vertrauen, solange sie Richtung Sowjetunion operierten. Die faschistischen Achsenmächte Deutschland und Italien betrieben Stück für Stück ihre außenpolitische Expansion.
Mit dem Überfall Deutschlands auf Polen erfolgte zwar eine Kriegserklärung Englands und Frankreichs an Deutschland. Frankreich mobilisierte und besetzte sogar Saarbrücken und Teile des von der Wehrmacht geräumten Saargebietes. Bis Mai 1940 fand dann der "Sitzkrieg" statt, in Frankreich "drôle de guerre" (komischer Krieg) genannt. Beide Länder ließen ihren Verbündeten Polen im Stich. Erst mit dem Überfall Deutschlands auf Luxemburg, Belgien, die Niederlande und dann Frankreich befanden sich diese Länder mit Deutschland im realen Krieg.
Die marxistische Geschichtswissenschaft hat eine andere Sicht dieser Entwicklungen und andere Schlussfolgerungen. Die Oktoberrevolution und die Niederlage der Konterrevolution und der imperialistischen Interventionsstreitkräfte in Russland hatte eine gravierende Änderung des europäischen Kräfteverhältnisses zur Folge. Mit der Sowjetunion hatte sich eine gesellschaftspolitische Alternative und Gegenkraft zu den kapitalistischen Ländern durchgesetzt. Die revolutionäre Nachkriegsphase, die sozialen Unruhen und das Erstarken Kommunistischer Parteien in einigen Ländern, besonders in und nach der Weltwirtschaftskrise, die Krise selbst, waren deutliche Anzeichen der Labilität kapitalistischer Staaten. Vor allem für die europäischen Länder war eine neue, für diese gemeinsame, Gefahr entstanden. Damit ist die politisch-ökonomische Situation, vor allem in Europa, wesentlich anders als vor dem 1. Weltkrieg.
Der britische Historiker Eric Hobsbawn (†2012) vertritt die Ansicht, die Regierungen Englands und Frankreichs wollten selbst nach der Besetzung Polens zumindest vorrübergehend am Status Quo festhalten. "Immerhin sah es für die meisten britischen und französischen Politiker so aus, als könnten sie bestenfalls einen wenig zufriedenstellenden und einen auf Dauer unhaltbaren Status Quo bewahren. Und hinter allem stand die Überlegung: Wenn der Status Quo sowieso nicht zu halten ist, dann wäre der Faschismus letztlich vielleicht sogar besser als seine Alternative: soziale Revolution und Bolschewismus." [7]
Nach Hobsbawn u.a. traten die Widersprüche der Westmächte und Deutschlands in den Hintergrund. Wesentlicher für die bürgerlichen Politiker der beiden Länder in diesem Zeitraum war die Vernichtung der Sowjetunion als gesellschaftliche Alternative. Der bürgerliche Begriff der "Appeasement-Politik" des britischen Premier Chamberlain sagt nur die halbe Wahrheit, verschleiert das antisowjetischen Wesen dieser Politik.
Es war deutlich zu erkennen, für die Westmächte waren faschistische Herrschaftssysteme unwesentlich, solange diese sich gegen den Sozialismus als politische Bewegung und als reale Gesellschaftsordnung richteten. Auch deren Interventionskriege gegen Sowjetrussland waren noch bei allen in Erinnerung. Das hatte gravierende Auswirkungen auf die Politik sowohl der Sowjetunion wie auch Deutschlands.
Hitler machte nie ein Hehl draus, dass alles, was er tue, gegen Russland gerichtet sei, " … wenn der Westen zu dumm und zu blind ist, um das zu begreifen, bin ich gezwungen, mich mit den Russen zu verständigen, den Westen zu zerschlagen, um danach, nach seiner Zerschlagung, mit konzentrierter Kraft gegen die Sowjetunion vorzugehen. Ich brauche die Ukraine, damit wir nicht wieder dem Hunger ausgesetzt werden, wie im letzten Krieg." [8]
Seit der Stabilisierung des Faschismus in Deutschland hatte die sowjetische Regierung den Westmächten mehrfach Bündnisverträge angeboten, um eine deutsche Expansion zu verhindern. Auch nach dem Münchener Abkommen, als sich andeutete, dass Hitler als nächstes nach Polen greifen würde, wiederholte Stalin das Angebot an die Westmächte, gemeinsam gegen Hitler vorzugehen. Zögerlich, hinhaltend und keineswegs zielführend hatten die Westmächte nach der Besetzung der CSR mit der Sowjetunion Verhandlungen aufgenommen. Nicht ohne Gründe hatte Stalin keinerlei Vertrauen in diese Verhandlungen und die beiden Regierungen. Die Sowjetunion hatte deshalb aus eigenem Sicherheitsinteresse parallel mit Hitlerdeutschland Verhandlungen über einen Nichtangriffsvertrag geführt.
Der zeitliche Ablauf ist bemerkenswert. Der Abschluss des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages wurde bekanntgegeben zwei Tage, nachdem die Verhandlungen der UdSSR mit England und Frankreich ergebnislos zu Ende gegangen waren. Diese Verhandlungen waren vor allem von England - trotz der drohenden Kriegsgefahr - lange verzögert worden; die nach Moskau gesandten Diplomaten hatten keine Vollmachten zur Ausarbeitung eines Abkommens, alle Vorschläge enthielten einseitige Verpflichtungen für die UdSSR ohne klare Gegenverpflichtungen der Westmächte.
Dem Nichtangriffsvertrag folgten ein deutsch-sowjetisches Wirtschaftsabkommen und der deutsch-sowjetische Grenz- und Freundschaftsvertrag, einschließlich der geheimen Zusatzprotokolle.
Günter Judick, der inzwischen verstorbene Leiter der ehemaligen Geschichtskommission der DKP, wertete dies so: "Der Vertrag hatte das Ziel, die UdSSR so lange wie möglich aus dem bevorstehenden Krieg heraus zu halten. Stalin glaubte wohl, so noch mindestens ein Jahr Zeit zu gewinnen, um das Land auf die Verteidigung einzustellen. So wurde in den folgenden Monaten seitens der Sowjetunion auch alles vermieden, was aus militärischer Sicht als provozierend hätte gewertet werden können. Und die UdSSR nutzte den Zerfall der europäischen Bündnisstrukturen zur Verlagerung ihrer Grenzen. Der Westen Belorusslands und die westliche Ukraine, die 1920 von Polen okkupiert worden waren, wurden nach dem 17. September 1939 von sowjetischen Truppen besetzt. Sie wurden der Sowjetukraine und Belorussland angeschlossen. Die Rote Armee rückte auch in die Baltischen Republiken ein, die ihren Rückhalt bei den Westmächten verloren hatten. … Auch diese wurden in Sowjetrepubliken umgewandelt. Aus heutiger Sicht war der Geländegewinn für die UdSSR zwiespältig. Die neu gewonnenen Gebiete wurden in relativ kurzer Frist von der Nazi-Armee überrollt. Und in der Endphase der Sowjetunion war der wieder entfachte Nationalismus ein wichtiges Element zur Zerstörung der UdSSR." [9]
Schon der Abschluss des Nichtangriffsvertrages der Sowjetunion mit dem faschistischen Deutschland war nicht unproblematisch. Die Existenz von geheimen Zusatzprotokollen des für ein sozialistisches Land unwürdigen, ja völlig unannehmbaren "Grenz- und Freundschaftsvertrages" wurde Jahrzehnte von der sowjetischen Parteiführung und Regierung geleugnet.
Der Nichtangriffsvertrag führte zu heftigen Auseinandersetzungen in der Komintern. Es dauerte Monate, bis die sowjetische Begründung akzeptiert wurde und zugleich in den besetzten Ländern der Widerstand durch die kommunistischen Parteien unterstützt bzw. entwickelt wurde. [9.1]
Schlimmste Folgen ergaben sich aus dem Stalinschen Selbstverständnis der Verträge für Antifaschisten und ihre Familien, die aus Deutschland und besetzten Ländern in die Sowjetunion geflüchtet waren. Schon seit 1936 waren auch deutsche Emigranten, ob als Arbeitskräfte in die Sowjetunion emigriert oder als Antifaschisten, Zielscheibe des stalinistischen Terrors geworden. Neben den vielen, die diesem zum Opfer fielen, wurden viele weitere Antifaschistinnen und Antifaschisten auf Anfrage Deutschlands ausgeliefert.
Mit dem Wirtschaftsvertrag, der wenig bekannt war, sicherte sich Nazi-Deutschland wichtige Basisprodukte für die Kriegsführung im Westen. Die Warenlieferungen rollten noch bis zum letzten Tag vor dem deutschen Überfall über die Grenze. Aus kommunistischer Sicht ist dies heute nicht nachvollziehbar. Bei aller Verärgerung über, wichtiger, selbst bei konsequenter Berücksichtigung der antisowjetischen Politik der Westmächte hätte nicht ignoriert werden dürfen, dass der Hauptgegner des faschistischen Deutschland die Sowjetunion selbst war.
Der Krieg gegen die Sowjetunion - ein Eroberungskrieg zur Vernichtung des Sozialismus als Staat, Gesellschaft und Weltanschauung und rassistischer Völkermord
Die Vernichtungsbefehle
Unmittelbar nach dem Sieg im Westen ging die faschistische Führung zielstrebig an die Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion. Nach dem Scheitern der Offensivpläne gegen England im Herbst 1940 gab Hitler im Dezember die Anweisung zur Planung des "Fall Barbarossa".
Am 30. März 1941 legte er seine Ziele und Pläne des Krieges gegen die UdSSR dar: "Unsere Aufgaben hinsichtlich Russlands: die Streitkräfte zerschlagen, den Staat vernichten. Der Krieg gegen Russland ist ein Kampf zweier Ideologien. Tod dem Bolschewismus… Unsere Aufgabe ist der Vernichtungskrieg". Tage vor dem Überfall erläuterte er: "Grundsätzlich kommt es also darauf an, den riesenhaften Kuchen handgerecht zu zerlegen, damit wir ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können." (Der Nürnberger Prozess, Bd. II, S. 101) [10]
Wirtschaftliche Ziele, wie die Eroberung des wichtigen Donez Gebietes und des Kaukasus und der Öl-Region Baku waren Bestandteile der militärischen Planung. Ab dem 3. Kriegsjahr sollte die Lebensmittelversorgung aller Streitkräfte durch Russland gesichert werden. Einkalkuliert war, dass Millionen Menschen in Russland verhungern würden.
Im Mai 1941, ein Monat vor dem Überfall, entstanden die ersten einer Reihe von kriegsverbrecherischen Wehrmachtsbefehlen: die »Richtlinien für die Behandlung politischer Kommissare« und der Befehl zur »Behandlung feindlicher Landeseinwohner im Operationsgebiet des Unternehmens ‚Barbarossa‘«. Beide Befehle kosteten Millionen Menschen das Leben.
Der »Kommissarbefehl« besagte, dass jeder Soldat, der als Kommunist betrachtet wurde, nicht als Kriegsgefangener zu behandeln sei, sondern sofort zu erschießen sei. Der zweite Befehl richtete sich gegen die Zivilbevölkerung; jeglicher, auch passiver Widerstand, ist »mit der Waffe sofort und unnachsichtig mit den äußersten Mitteln niederzuschlagen.« Dazu sollten auch kollektive Maßnahmen angewandt werden. Bisher strafbare Handlungen einzelner Soldaten gegenüber der Zivilbevölkerung wurden ausdrücklich außer Strafe gesetzt. Die Befehle stellten geradezu einen Freibrief zu Mord, Vergewaltigung und Raub dar.
Es handelte sich dabei nicht um SS-Befehle, es waren Befehle des Oberkommandos der Wehrmacht. Allerdings gingen die Mordpläne und Taten der SS darüber hinaus. Sie hatten die Auslöschung der gesamten »jüdisch-bolschewistischen Führungsschicht« zum Ziel. Die SS-Einsatzgruppen rückten unmittelbar hinter der Front in die eroberten Gebiete ein und begannen mit dem Terror gegen die Zivilbevölkerung.
Zusammenbruch der Verteidigung - Stalins Verantwortung
Am 22. Juni 1941überfielen das faschistische Deutschland und seine Verbündeten Finnland, Rumänien, Italien, Slowakei und Ungarn die Sowjetunion. Nur wenige Einheiten der sowjetischen Truppen hatten Verteidigungsstellungen bezogen, auf eigene Verantwortung, entgegen den Anweisungen aus Moskau. Auf einen Überfall waren sie nicht eingestellt. Viele Divisionen erhielten erst, als sie bereits im Kampf standen den Befehl, die Truppen in die Gefechtsbereitschaft zu versetzen.
Es ist die persönliche Verantwortung Stalins, dass alle Warnungen seiner militärischen Kommandeure, von befreundeten Diplomaten, von Kundschaftern und von Überläufern, die den Angriffsbefehl schon erteilt bekommen hatten, ignoriert wurden. Das Land war in vielfacher Hinsicht immer noch nicht auf den Krieg vorbereitet. Auch Marschall Schukow, Stalins militärischer Stellvertreter, der in seinen Memoiren sehr zurückhaltend ist, bestätigt dies. Die Rote Armee war wie in Friedenszeiten organisiert, ein Konzept für einen defensiven Verteidigungskampf und eine entsprechende Vorab-Organisation der Militärstreitkräfte fehlte völlig; die Militärkräfte waren gelähmt durch strikte Befehle, nur nach Anweisungen aus Moskau zu handeln. Die Erinnerungen der sowjetischen Marschälle und anderer Militärführer sind voll solcher Beispiele.
Neben dieser militärischen Unterlegenheit kam vor allem das Fehlen militärischer Führungskader auf Seiten der Roten Armee hinzu. Zwischen 1937 und 1939 waren große Teile des Offizierskorps der Roten Armee Opfer des Stalinschen Terrors, über 40.000 Offiziere, weit mehr, als in die Verschwörung Tuchatschewskis einbezogen waren. Und auch die im Westen neu besetzten Gebiete waren wenig stabil – innerhalb von drei Monaten gingen diese mit den dort stationierten Soldaten der Roten Armee an das faschistische Deutschland verloren.
Im September 1941 kam es in London nach Vorgesprächen zu einer Interalliierten Konferenz, an der Vertreter Englands und der UdSSR und aller von Deutschland besetzten Länder teilnahmen. In der Erklärung wurde darauf hingewiesen, dass die Völker und alle Staaten, die gezwungen sind, einen ihnen aufgezwungenen Krieg gegen Deutschland zu führen, "die schnellste und entschiedenste Zerschlagung der Aggressoren erreichen müssen, indem sie für die weitest gehende Lösung dieser Aufgabe alle ihre Kräfte mobilisieren und einsetzen". Das Mobilisieren all dieser Kräfte dauerte, wie bekannt, fast 3 Jahre, bis Anfang Juni 1944. [11]
Nicht nur die kommunistische Geschichtswissenschaft geht davon aus, dass es weniger Probleme der militärischen Mobilisierung waren, als dass vielmehr der politische Wille zu einer früheren Eröffnung der zweiten Front unterentwickelt war. Erst nachdem die Sowjetunion den Angriff der deutschen und verbündeten Truppen vor Moskau zum Stehen gebracht hatte, begannen die Regierungen Englands und der USA allmählich dazu überzugehen, die Sowjetunion durch Lieferung von Kriegsmaterial und Waffen zu unterstützen.
Vernichtungskrieg
Der 2. Weltkrieg war in sein entscheidendes Stadium getreten. Die Sowjetunion war ideologisch der Hauptfeind des Faschismus und das ökonomische Potential des Landes und sein Territorium waren die Grundlage der faschistischen Weltmachtpläne. Zugleich war sich die faschistische Führung bewusst, dass dieser Gegner der weitaus schwerste sein würde. Neben den rassistischen und politischen Beweggründen hatte die Vernichtungsstrategie auch militärische Beweggründe.
Die deutsche Führung wollte mit ihrem Krieg gegen die Sowjetunion nicht nur das verhasste sozialistische System zerschlagen, sie wollte auch seine »biologische Grundlage« vernichten. Die Nahrungsmittelbeschaffung aus den besetzten Gebieten kalkulierte allein für den Winter 1940/41 20 bis 30 Millionen Hungertote.
Die Soldaten der Wehrmacht hatten bei ihren Gelöbnissen dem Führer Treue bis in den Tod gelobt. Und dieser hatte ihnen auf den Eroberungsweg mitgegeben: "Wir müssen vom Standpunkt des soldatischen Kameradentums abrücken. Der Kommunist ist vorher kein Kamerad und nachher kein Kamerad. Es handelt sich um einen Vernichtungskampf." [12]
Ende Juni war Minsk erobert, die deutschen Truppen schienen unaufhaltsam. Panik drohte in Moskau und den anderen sowjetischen Städten. Am 3. Juli wandte sich Stalin in einer Rundfunkansprache an die Völker der Sowjetunion. Diese Rede wurde auf allen großen Plätzen, Fabriken und Verwaltungen durch Lautsprecher übertragen. Die Menschen blieben stehen, die Arbeit ruhte um Stalin zuzuhören. Seine Rede rüttelte die Menschen auf, gab ihnen Mut und trug dazu bei, das Entsetzen vor dem scheinbar übermächtigen Angreifer zu überwinden.
Die größten Opfer erlitt die Zivilbevölkerung durch die deutsche Luftwaffe. Systematisch wurden Dörfer und Städte bombardiert und die nach Osten flüchtenden Menschen auf Straßen und Bahnhöfen. In Belorussland fielen ca. 2 Millionen und in der Ukraine über 4 Millionen Sowjetbürger dem Besatzungsterror und der rassistischen Vernichtung zum Opfer; allein in Minsk wurden 300.000 Einwohner ermordet. Das ist in etwa die Einwohnerschaft des Regionalverbandes.
Das System der Vernichtung von Widerstandskämpferinnen und Kämpfern und »rassisch Minderwertigen» wurde ständig gesteigert, vor allem gegen die jüdische Bevölkerung der besetzten Gebiete der Sowjetunion. Mehr als 1,3 Million Jüdinnen und Juden wurden ermordet, die jüdische Bevölkerung der besetzten Gebiete wurde ausgerottet. Bis in die Gegenwart wird verdrängt, dass an der Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine westukrainische Nationalisten und ebenso in den baltischen Ländern nationale SS-Einheiten beteiligt waren. Und ignoriert wird, dass in der gegenwärtigen Ukraine und in den baltischen EU-Mitgliedsländern diese faschistischen Einheiten als nationale Befreier gewürdigt werden. [13]
Wehrmacht und SS standen in ihrem Krieg gegen den »jüdischen Bolschewismus« Seite an Seite. Die Abgrenzung ihrer Aufgaben, für die Wehrmacht das »Niederringen des Feindes« und für die SS die »politisch-polizeiliche Bekämpfung des Feindes« war von Anfang an rein theoretisch. Die Formel von »jüdischem Bolschewismus«, den es auszurotten gelte, entsprach dem fanatischen Antikommunismus und latenten Antisemitismus großer Teile des Offizierskorps.
Im Rücken der Front waren Wehrmacht, SS und SD zu engster Zusammenarbeit verpflichtet, bei der Partisanenbekämpfung wie bei der Vernichtung der jüdischen Bevölkerung. Die Propaganda vom »jüdischen Bolschewismus« machte es einfach. Juden und Kommunisten waren als Bandenmitglieder zu erschießen, der Rest waren Untermenschen, ohne Würde, ohne Recht auf Leben.
Bedrückend für uns heute ist das Bewusstsein der faschistischen Führer, wie des Statthalters in Belorussland Wilhelm Kube: "Allein mein Name muss jeden Belorussen und Russen in Schrecken versetzen." Er starb durch eine Partisanen-Bombe. [14]
Die Blockade Leningrads und der Krieg der Partisanen
Es ist nicht Aufgabe meines Beitrages die Etappen des Großen Vaterländischen Krieges darzustellen. Zwei will ich aber ansprechen.
Da wäre die Belagerung Leningrads. Schon Ende September 1941 war Leningrad von deutschen und finnischen Truppen eingeschlossen. 900 Tage dauerte die Blockade. Eine Eroberung Leningrads hätte für die deutsche Führung wie für die sowjetische Führung und Bevölkerung große Bedeutung gehabt. Ihre Verteidigung wurde zu einem Symbol des sowjetischen Widerstandes. Allein in Leningrad kamen mehr Menschen um, als England und die USA im 2. Weltkrieg Opfer erlitten hatten. Die allermeisten Opfer Leningrads verhungerten. Das war auch das Ziel der Angreifer. Mit dem ersten deutschen Luftangriff waren die wichtigsten Lebensmittellager zerstört worden. Nach dem Führerbefehl sollte die Bevölkerung vernichtet werden. Erst im Januar 1943 konnte die Rote Armee den Belagerungsring durchbrechen. Doch es dauerte noch ein weiteres Jahr bis die deutsch-finnischen Belagerer endgültig besiegt waren und Leningrad wieder frei war.
Unter den Bedingungen des deutschen Besatzungsregimes wurde der Widerstand organisiert. Für die deutschen Eroberer wurde auch das Hinterland zur Front. Aus kleinen Partisanengruppen wurden Partisanenverbände, aus den Verbänden wurde eine Partisanenarmee, deren Einheiten in Absprache mit der Roten Armee operierte.
Für die Faschisten waren die Partisanen »Banden«, ihre Bekämpfung »Bandenbekämpfung«. Ende 1942 kämpften 120.000 Männer und Frauen gegen das Besatzungsregime, dessen erklärtes Ziel und Praxis der Völkermord war. Allein den sog. »Strafaktionen« der Besatzer fielen über eine Million ukrainischer, weißrussischer und russischer Zivilisten zum Opfer. Im Führerbefehl von Ende 1942 wurde ausdrücklich auch die Ermordung von Frauen und Kindern angeordnet.
Der Kampf der Partisanen, er wird bei uns bis heute diffamiert. In der »Illustrierten Geschichte des 2. Weltkrieges« von 1978 heißt es zum Partisanenkrieg in der SU: "Es ist ein grausamer, heimtückischer Kampf, fern jeden Völkerrechts, fern jeder Humanität." Der Satz bezieht sich auf die Partisanen, nicht auf Wehrmacht und SS. [15] Auch in 2021 hat sich diese Sichtweise nur in der Wortwahl geändert. Wikipedia stellt ganz objektiv fest: "Im Allgemeinen war der Partisanenkrieg durch zahlreiche Verstöße gegen das Kriegsrecht gekennzeichnet." [16]
Der Partisanenkrieg in der Sowjetunion war nicht weniger legitim, wie die militärischen Aktionen der Résistance, der italienischen, griechischen, jugoslawischen und sonstiger Partisanen. Er war ein Krieg des Volkes gegen einen brutalen, keinerlei Menschlichkeit wahrenden Aggressor.
Im Rahmen dieses Beitrages muss ich auch verzichten, die Organisation des Widerstandes darzustellen. Hinweisen möchte ich auf einen Bereich, der in der traditionellen kommunistischen Geschichtsschreibung überhöht wurde und in der bürgerlichen ignoriert wird, auf die Rolle der Mitglieder der KPdSU und des Komsomol und der Parteiorganisationen. In vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens mobilisierten und organisierten die Parteiorganisationen die Menschen. Vor allem in den beiden ersten Kriegsjahren hatten in der Roten Armee die Politischen Kommissare als politische Stellvertreter der Kommandeure eine wichtige Rolle gespielt. Auch bei der Organisierung der Partisanengruppen und - Verbände hatten im allgemeinen Kommunistinnen und Kommunisten die Initiative ergriffen.
Schlussbemerkung
Der »Plan Barbarossa« hatte Osteuropa in Schutt und Asche versinken lassen, Gebiete entvölkert und nicht fassbare Menschenopfer gefordert. Auch in den westlichen und nördlichen okkupierten Ländern waren viele Menschenleben zu betrauern und materielle Schäden zu beklagen. Doch nicht zu vergleichen mit der Situation in der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern.
Ohne jeden Zweifel hatte die Sowjetunion die Hauptlast im Kampf gegen das faschistische Deutschland getragen. Die Hauptlast - ein so schön nichtssagender Begriff. An der Ostfront waren mehr als 2 Drittel der deutschen Truppen eingesetzt, über 3 Millionen Soldaten, ohne die Anfangsverbündeten. Kaum ein Deutscher weiß heute, dass 27 Millionen [17] sowjetischer Menschen zwischen 1941 und 1945 ihr Leben verloren. Keinerlei Vorstellung gibt es zu der Verwüstung des Landes, der Zerstörung der Lebensgrundlagen, der Lebensmittelversorgung über den Tag des Sieges hinaus.
Die Erfahrung des Großen Vaterländischen Krieges grub sich tief ein in das Bewußtsein der Völker der Sowjetunion, der Menschen. Nur wenige Familien hatten keine Angehörige verloren. Kein Dorf, keine Stadt der westlichen SU, wo die deutschen Truppen nicht verbrannte Erde, Massengräber und hungernde Menschen zurückgelassen hätten.
Die Alt-BRD hatte es nie geschafft, die schwere Hypothek dieser Zeit aufzuarbeiten. Die neue BRD hat die alte Oststrategie des deutschen Imperialismus als Führungskraft der Europäischen Union wieder aufgenommen.
Quellen:
[1] Text-Grundlage: Der Krieg im Osten, Pahl-Rugenstein Verlag 1981, Seiten 18ff
[2] zitiert nach: Der Krieg im Osten, Pahl-Rugenstein Verlag 1981; Seite 35
[3] zitiert nach: Die Wahrheit über Hitler, Weltkreis-Verlag 1978, S. 49
[4] zitiert nach: Der Krieg im Osten, Pahl-Rugenstein Verlag 1981; Seite 43
[5, 6] zitiert nach "Der 22. Juni 1941 begann schon 1924", www.kommunisten.de, 22.6.2011
[7] Das Zeitalter der Extreme, dtv, 2007; S.201)
[8] zitiert nach: Kein europäischer, sondern Weltkrieg, Bruno u. Tatjana Mahlow; UZ 8.5.2020
[9] Günter Judick zu 8. Mai aktuell, www.kommunisten.de, 2.5.2015
[9.1] siehe Horst Schumacher "Die Kommunistische Internationale (1919-1943)", Dietz Verlag, Berlin 1979
[10, 11] zitiert nach UZ, 28.06.2016; uberspace.de |
[12] Der Krieg im Osten, Pahl-Rugenstein Verlag 1981; Seiten 101
[13] Zitate aus Der Krieg im Osten, Pahl-Rugenstein Verlag 1981; Seiten 83 ff;
[14] ebenda, S. 132
[15] desgl. S. 129
[16] Zweiter Weltkrieg – Wikipedia