13.02.2024: Nach der Wahlwiederholung in Berlin würde die Hessin Christine Buchholz in den Bundestag nachrücken. Doch diese lehnt ab. Als Grund nennt sie das Versagen der Linkspartei als Antikriegspartei. "Die Annahme des Mandats würde mich nun in einen ständigen Konflikt mit der Linie der Parteispitze und der Gruppe der Linken im Bundestag bringen."
Mehr als zwei Jahre nach der Wahl im September 2021 waren am Sonntag (11.2.) in 455 von 2.256 Berliner Stimmbezirken rund 550.000 Berliner:innen erneut zur Wahl aufgerufen, etwas mehr als ein Fünftel der Wahlberechtigten. Zu groß waren die Wahlpannen in einigen Berliner Wahlbüros 2021 gewesen, so dass das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass die Bundestagswahl in Berlin in Teilen wiederholt werden muss. .
Die Wahlbeteiligung bei der Wiederholungswahl in Berlin fiel extrem niedrig aus: Nur gut 50 Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Bei der ursprünglichen Bundestagswahl 2021 lag die Wahlbeteiligung bei 75,4 Prozent.
Aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung schickt Berlin nun vier Abgeordnete weniger in den Bundestag. Ein FDP-Mandat fällt weg. Von den drei übrigen geht je eins an andere Landesverbände der SPD, der Grünen und der Linken.
SPD und FDP verloren bei der Wiederholungswahl massiv, CDU und AfD gewannen stark hinzu.
Die Linkspartei konnte im Vergleich zur Wahl 2021 in den betroffenen Wahllokalen sowohl bei der Erst- als auch bei der Zweitstimme prozentual hinzugewinnen, verliert aber trotzdem ein Mandat, weil sie aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung 15.046 Stimmen weniger erhalten hat als vor zweieinhalb Jahren.
Wegen der für Laien kaum nachvollziehbaren Wahlarithmetik hat die Landesliste der hessischen Linkspartei dadurch gewonnen. Die hessischen Stimmen bilden jetzt einen größeren Anteil, so dass im Verhältnis zu Berlin dort ein Mandate zusätzlich vergeben wird, allerdings auf Kosten der Berliner Linken. Bislang hielt der Arbeits- und Gewerkschaftsexperte Pascal Meiser das Bundestagsmandat, das jetzt nach Hessen geht.
Nachrückerin wäre die frühere Linken-Abgeordnete Christine Buchholz, die 2021 den Einzug in den Bundestag knapp verfehlt hatte. Christine Buchholz saß von 2009 bis 2021 für die Linkspartei im Bundestag. In den zwölf Jahren als Parlamentarierin habe ihr Schwerpunkt in den Bereichen Krieg und Frieden sowie beim Kampf gegen rechts und speziell in der Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus gelegen, erklärt Buchholz.
Doch jetzt will sie nicht wieder in den Bundestag. Sie begründet dies mit dem Versagen ihrer Partei als Antikriegspartei:
"Die Entwicklungen der letzten Jahre haben mich wiederholt in Konflikt mit der mehrheitlichen Linie der Partei und der Fraktion gebracht“, schreibt Buchholz auf ihrer Internetseite (hier im Wortlaut]. "Das betrifft sowohl einen defensiven Umgang mit der Kritik an der NATO und der deutschen Rolle im Krieg um die Ukraine als auch ihr Versagen in der Kritik der deutschen Unterstützung für Israels Krieg in Gaza. Gerade vor dem Hintergrund der Mobilmachung gegen das mit über einer Million Geflüchteten überfüllte Rafah an der Grenze zu Ägypten wird das tödliche Ausmaß dieses Versagens deutlich."
Die Linkspartei werde "ihrer Aufgabe als Antikriegspartei in den aktuell entscheidenden Situationen nicht gerecht", heißt es weiter. "Die Annahme des Mandats würde mich nun in einen ständigen Konflikt mit der Linie der Parteispitze und der Gruppe der Linken im Bundestag bringen."
Gleichzeitig betont die Antikriegsaktivistin, die neue Wagenknecht-Partei BSW sei für sie "keine Alternative". Sie kritisiert an dieser Wahlformation, dass diese an die "Das-Boot-ist-voll-Rhetorik des rechten politischen Spektrums" anknüpfe. "Ihr Standortnationalismus schwächt eine linke und internationalistische Perspektive in gesellschaftlichen Bewegungen, darunter insbesondere der Gewerkschaftsbewegung."
Auch wenn sie das Bundestagsmandat nicht annehme, bedeute dies nicht, dass sie sich aus der Politik zurückziehe, so Buchholz. Sie werde weiterhin außerhalb des Parlaments gemeinsam mit anderen Linken gegen Krieg und das Erstarken des Faschismus wirken – etwa als Teil der Berliner Antikriegskoordination, bei Aufstehen gegen Rassismus und bei der Gruppe Sozialismus von unten,
Das Mandat geht nun an Jörg Cezanne aus Groß-Gerau, der für Die Linke bereits von 2017 bis 2021 als Abgeordneter im Bundestag saß und im Moment noch für das Bundestagsbüro der Linke-Vorsitzenden Janine Wissler arbeitet.
Erklärung von Christine Buchholz
Warum ich das Bundestagsmandat nicht annehme
Am 11. Februar fand in Berlin eine Wiederholungswahl statt. Aufgrund des bundesdeutschen Wahlsystems hat der Verlust des Mandats des Abgeordneten Pascal Meiser aus Berlin dazu geführt, dass ich ein Mandat erhalten habe. Ich werde dieses Mandat nicht antreten.
Im Frühjahr 2021 hat mich die hessische LINKE zum vierten Mal für ihre Landesliste nominiert. Ich hatte in den 12 Jahren davor als Mitglied des Bundestags meinen Schwerpunkt in den Bereichen Krieg und Frieden sowie im Kampf gegen rechts, speziell in der Auseinandersetzung mit antimuslimischem Rassismus.
Die Entwicklungen der letzten Jahre haben mich wiederholt in Konflikt mit der mehrheitlichen Linie der Partei und der Fraktion gebracht. Das betrifft sowohl einen defensiven Umgang mit der Kritik an der NATO und der deutschen Rolle im Krieg um die Ukraine als auch ihr Versagen in der Kritik der deutschen Unterstützung für Israels Krieg in Gaza. Gerade vor dem Hintergrund der Mobilmachung gegen das mit über einer Million Geflüchteten überfüllte Rafah an der Grenze zu Ägypten wird das tödliche Ausmaß dieses Versagens deutlich. DIE LINKE wird ihrer Aufgabe als Antikriegspartei in den aktuell entscheidenden Situationen nicht gerecht. Die Annahme des Mandats würde mich nun in einen ständigen Konflikt mit der Linie der Parteispitze und der Gruppe der LINKEN im Bundestag bringen. Ich sehe dort momentan keinen Raum für meine Positionen in diesen Fragen.
Die Wagenknecht-Partei BSW ist für mich keine Alternative. Ihre Argumentation für eine Begrenzung der Migration knüpft an die "das Boot ist voll"-Rhetorik des rechten politischen Spektrums an. Ihr Standortnationalismus schwächt eine linke und internationalistische Perspektive in gesellschaftlichen Bewegungen, darunter insbesondere der Gewerkschaftsbewegung.
Die Ablehnung des Mandats heißt nicht, dass ich mich aus der politischen Aktivität zurückziehe. Ich bringe meine Kraft und mein ehrenamtliches Engagement dort ein, wo ich außerhalb des Parlaments gemeinsam mit anderen aus der LINKEN und darüber hinaus gegen Krieg und das Erstarken des Faschismus wirken kann – zum Beispiel in der Antikriegskoordination in Berlin, bei Aufstehen gegen Rassismus und bei der Gruppe Sozialismus von unten.
12. Februar 2024
Quelle: https://christinebuchholz.de/2024/02/12/warum-ich-das-bundestagsmandat-nicht-annehme/
Redebeitrag in der Generaldebatte auf dem Bundesparteitag der Partei Die Linke in Augsburg, 17.11.2023:
Wir alle sind in tiefer Trauer über das, was passiert ist seit dem 7. Oktober in Israel und Palästina. Und deswegen ist es wichtig, dass wir darüber sprechen, darüber diskutieren und auch darüber diskutieren, was es bedeutet zu sagen, es ist #ZeitfürHaltung.
Ich möchte einen zweiten Aspekt beleuchten. Vor ein paar Tagen habe ich ein Video gesehen von einer Ärztin von Ärztin ohne Grenzen, die über ihre Arbeit im Gaza-Streifen seit dem 7. Oktober berichtet hat. Permanente Bomben. Keine Sicherheit. Verbrennungen werden mit Essig behandelt, für Kinder gibt es keine schmerzstillenden Medikamente mehr. Das ist der Alltag des Krieges, der Alltag des Grauens. Wir müssen sehr deutlich sagen, wer den dichtbesiedelten Gazastreifen bombardiert, nimmt Massaker in Kauf. Es gibt keinen sauberen Krieg.
Und wenn Olaf Scholz sich gegen einen sofortigen Waffenstillstand ausspricht und sich beruhigt damit, dass die rechte israelische Regierung das Völkerrecht schon einhalten wird. Wenn die Rüstungsexporte verzehnfacht werden. Dann ist das skandalös, es ist eiskalt und es zeigt die Doppelstandards in der Außenpolitik dieser Bundesregierung.
Medico International hat es in einem Papier "Stoppt den Horror" sehr deutlich benannt:
Die Abriegelung des Gaza-Streifens ist völkerrechtswidrig. Die Bombardierung ziviler Infrastruktur ist ein Kriegsverbrechen.
Und ja, ich glaube es ist wichtig, um zu verstehen was passiert in Israel und Palästina, dass wir es einordnen in die Geschichte und Kontext der Besatzung. Und das ist keine Relativierung. Das auszusprechen halte ich für wichtig für eine Linke. Demoverbote und pauschale Vorwürfe des Antisemitismus müssen wir zurückweisen.
Gleichermaßen stellen wir uns gegen Antisemitismus wie gegen antimuslimischen Rassismus und jede andere Form von Rassismus. Wir wollen, dass alle Menschen sich sicher fühlen können. In Israel, in Palästina und auch hier in Deutschland.
Und deswegen heißt für mich #ZeitfürHaltung: mehr Solidarität und weniger Staatsräson.