23.05.2023: Haushoher Sieg der konservativen Nea Dimokratia (ND) von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis ++ Syriza weit abgeschlagen ++ Mitsotakis schließt Koalitionsregierung kategorisch aus und strebt Neuwahl an ++ Tsipras: "Wir bereiten uns auf die nächste Schlacht vor"
Fiasko für Syriza. Fast 41 Prozent der Stimmen entfielen am Sonntag auf die konservative Regierungspartei Nea Dimokratia (ND) von Regierungschef Kyriakos Mitsotakis, die damit noch einmal um etwa einen Prozentpunkt besser abschnitt als bei den Wahlen vor vier Jahren, bei denen Mitsotakis an die Regierung kam. Ungewöhnlich deutlich ist der Erfolg auch in der Fläche. Mit einer einzigen Ausnahme wurde die ND in allen Wahlbezirken stärkste Kraft.
Obwohl die Regierung von Mitsotakis in den vergangenen vier Jahren lediglich mäßig gute Arbeit leistete, konnte Nea Dimokratia einen Stimmengewinn verbuchen. In den vier Jahren seiner Regierungszeit hat er wirklich alles getan, um sich bei denen zu bedanken, die ihn bei seinem überraschenden und unvorhersehbaren Aufstieg an die Spitze der ND unterstützt haben. Aber auch, um neue Freunde im inneren Kreis der griechischen Milliardäre zu gewinnen. Allein bei öffentlichen Aufträgen, die fast alle ohne Wettbewerb vergeben wurden, hat er in nur zwei Jahren 24,3 Milliarden an Freunde verteilt. Noch viel mehr, wenn man die Privatisierungen, die großzügigen Steuerbefreiungen, die Zerstörung geschützter Ortschaften durch Windkraftanlagen und ganz allgemein eine Politik mitzählt, die das Land durch Dekrete zerstört, um es in einen riesigen Touristenort zu verwandeln, in dem die Einheimischen zu Dienern gemacht werden.
Mitsotakis und seine Freunde machen Geschäfte, aber das Land riskiert einen neuen Bankrott. Die Schulden belaufen sich inzwischen auf 400 Milliarden, die Exporte sind eingebrochen, und nichts deutet darauf hin, dass sich Griechenland von der Krise erholt hat.
Die Wähler:innen ignorierten auch das verheerende Zugunglück in Tempi Ende Februar mit fast 60 Toten, das Mitsotakis’ Ruf als Modernisierer Griechenlands zeitweilig arg angekratzt hatte sowie den seit einem Jahr andauernden Abhörskandal und belohnten die "Stabilität", die ND ihnen versprochen hatte. Die Enthüllungen der "New York Times“, die kurz vor der Wahl lückenlos sogenannte "Pushbacks“ filmisch dokumentiert hatte, also illegale Rückführungen von Flüchtlingen, wirkten sich nicht negativ auf die Popularität des Ministerpräsidenten aus, im Gegenteil. Diese Politik scheint ihn eher noch gestärkt zu haben.
Mitsotakis konnte - auch mit Hilfe der extrem regierungsfreundlichen Medien - die Griech:innen davon überzeugen, dass der große Konkurrent, die linke Syriza für "Chaos" stehe. Er vermittelte der Öffentlichkeit fast wie ein Ultimatum: "Stabilität oder Chaos". Und er hatte Erfolg damit.
Die Wahl war eine emotionale Flucht der Wähler:innen aus dem Jahrzehnt der Krise hin zu einer mythischen wirtschaftlichen Entwicklung, angeführt von einem "starken Führer", einem Garanten für Stabilität.
Syriza landete weit abgeschlagen auf dem zweiten Platz. Statt der erhofften mehr als 30 Prozent kam "Syriza - Progressive Allianz" nur auf 20 Prozent - knapp 12 Prozent weniger als 2019. Der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras konnte die Wähler:innen nicht davon überzeugen, dass er eine "Koalition der progressiven Kräfte" schmieden könnte, da weder die sozialdemokratische Pasok noch die Kommunistische Partei mit Syriza regieren wollen.
Insgesamt gelang am Sonntag fünf Parteien der Einzug ins Parlament in Athen. Auf dem dritten Platz landet die sozialdemokratische Pasok mit 11,4 Prozent (8,1 Prozent). Den Sprung über die Drei-Prozent-Hürde ins Parlament schaffte auch die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) mit 7,2 Prozent und die ultrarechte Elliniki Lysi mit 4,5 Prozent.
Die Linkspartei Mera25 des ehemaligen Finanzministers Giannis Varoufakis scheiterte mit 2,4 Prozent an der Wahlhürde.
Die Wahlbeteiligung war erneut gering: Nur 56,5 Prozent der Berechtigten gingen wählen.
Mitsotakis schließt Koalitionsregierung kategorisch aus und strebt Neuwahl an
Obwohl Nea Dimokratia (ND) mit deutlichem Vorsprung die Parlamentswahl gewonnen hat, könnte schon Ende Juni abermals gewählt werden. Der Wahlsieger Mitsotakis schließt eine Koalitionsregierung kategorisch aus. Bereits am Tag nach der Wahl teilte er der griechischen Staatspräsidentin Katerina Sakellaropoulou seine Absicht mit, keine Sondierungsgespräche mit anderen Parteien führen zu wollen. Mitsotakis will keine Koalitionsregierungen, er will das Land allein und ungestört ausplündern. Doch die 146 Sitze im Parlament reichen nicht für die absolute Mehrheit, für die 151 Sitze notwendig wären. Deshalb strebt Mitsotakis nun eine möglichst schnelle Neuwahl an. Denn die nächsten Wahlen finden nach einem neuen Wahlsystem statt, durch das die Gewinner-Partei bis zu 50 Bonus-Sitze bekommen kann.
Tsipras: "Wir bereiten uns auf die nächste Schlacht vor".
(übernommen von il manifesto)
Den ganzen gestrigen Tag über klingelten die Telefone in der Pressestelle der Syriza-Zentrale in Athen unaufhörlich. Bis zum späten Nachmittag ging niemand ran. Bis dahin gab es nur sehr wenige Kommentare zu der überwältigenden und unerwarteten Niederlage. Alexis Tsipras hatte sich erst am Sonntagabend hinter verschlossenen Türen geäußert, als die Wahlniederlage bereits feststand: "Das Ergebnis der Wahlurne ist äußerst negativ für Syriza", sagte er, "Kämpfe sind manchmal siegreich und manchmal sind sie Niederlagen.
Unmittelbar danach kündigte er ein Führungstreffen an, das am Abend begann und bis zum späten Montagnachmittag dauerte. "Wir haben keine Zeit mehr. Wir müssen sofort die notwendigen Änderungen vornehmen, um die besten Voraussetzungen für die nächste Wahlschlacht zu schaffen, die entscheidend und endgültig ist", fügte er hinzu und bezog sich dabei auf die Neuwahlen am 25. Juni. Vor seiner kurzen Rede im Syriza-Büro hatte er Kyriakos Mitsotakis zu seinem Sieg gratuliert.
Die vor dem Büro versammelten und von der Niederlage schwer enttäuschten linken Wähler:innen wiesen darauf hin, dass der Schwachpunkt des Wahlkampfes der Verlust an Glaubwürdigkeit war, mit zahlreichen Fauxpas im Vorfeld der Wahlen, die geschickt aufgebauscht und im Fernsehen massenhaft wiederholt wurden. Einige Syriza-Kader griffen das beruhigende Bild einer rosigen Zukunft voller Geld und politischer Stabilität auf, das Mitsotakis während seiner Kampagne dank seiner totalen Dominanz in den Medien verkauft hatte.
Mit anderen Worten: Die Wahl war eine emotionale Flucht der Wähler aus dem Jahrzehnt der Krise hin zu einer mythischen wirtschaftlichen Entwicklung, angeführt von einem "starken Führer", einem Garanten für Stabilität. Ein Narrativ, das weit von der Realität des Landes entfernt ist, das sich aber als verführerisch für eine verwirrte, am Rande der Verzweiflung stehende Wählerschaft erwies.
Am späten Montagnachmittag, am Ende der außerordentlichen Sitzung des Exekutivbüros, räumte Tsipras an, dass sich das Verhältniswahlrecht als Bumerang erwiesen habe: "Es sollte der Zusammenarbeit zwischen progressiven und linken Kräften dienen, aber es wurde gegen Syriza eingesetzt". Jetzt müsse Syriza "eine neue Strategie und eine neue Ausrichtung entwickeln, um zu verhindern, dass der Ministerpräsident unkontrollierbar dominiert". Es ist klar, dass es Syriza auch darum geht, ihre Rolle als erste Oppositionspartei zu verteidigen und die Abwanderung von Wählern zur sozialdemokratischen Pasok-Partei zu stoppen. Eine Flucht, die nach Ansicht von Experten auch nach rechts geht.
Das Exekutivbüro hat beschlossen, dass die Ursachen für die Niederlage vom morgigen Zentralausschuss untersucht werden sollen. Diese Entscheidung folgt auf eine Reihe von kritischen Stellungnahmen zur Strategie während des Wahlkampfes. Es scheint, dass einige auch Fragen zur Führung der Partei aufgeworfen haben, obwohl es im Moment keinen Kandidaten zu geben scheint, der Tsipras ersetzen könnte.