22.12.2017: Strategie von Rajoy gescheitert ++ nach der Wahl sind die Verhältnisse ähnlich wie vor der Wahl ++ Unabhängigkeitsparteien haben die Mehrheit ++ Neoliberale werden stärkste Partei ++ der rote Gürtel wird orange ++ Linke zwischen den Blöcken eingeklemmt ++ Elisenda Alamany (En Comú-Podem): "Die Rechte, welche Farbe sie auch trägt, hat die Mehrheit."
Unabhängigkeitsparteien verteidigen die Mehrheit
"Die Unabhängigkeitsbewegung hat die Wahl gewonnen und Rajoy hat verloren", kommentierte die Listenzweite der Esquerra Republicana de Catalunya (ERC), Marta Rovira, das Wahlergebnis vom gestrigen Donnerstag in Katalonien. Und weiter: "Trotz der polizeilichen, juristischen und medialen Offensive, mit Oriol Junqueras, Quim und den beiden Jordis (Anm.: die führenden Persönlichkeiten der Unabhängigkeitsbewegung Jordi Sànchez und Jordi Cuixart) im Gefängnis und mit einer Regierung im Exil haben die BürgerInnen für die Republik gestimmt."
Mit der Absetzung der katalanischen Regionalregierung und dem Haftbefehl gegen Minister wollte Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien schwächen. Diese Strategie ist gescheitert. Bei der von Rajoy erzwungenen Wahl am 21. Dezember gewannen die Unabhängigkeitsparteien ca. 100.00 WählerInnen dazu. Dieser Stimmenzuwachs setzt sich allerdings auf Grund der Rekordbeteiligung von 81,95% nicht in Mandate um. Im Gegenteil. Der Block der Unabhängigkeitsparteien - JxCAT, ECR und CUP -verliert zwei Mandate, behält aber die Mehrheit.
Die Unabhängigkeitsparteien haben in einer für sie sehr ungünstigen Situation - der Listenführer von JxCAT Carles Puigdemont und vier Ex-Minister im Exil in Belgien sowie andere Kandidaten im Gefängnis wie auch der Spitzenkandidat der ERC, Ex-Vizepräsident Oriol Junqueras - ihre Fähigkeit zum Widerstand gegen die Zentralregierung in Madrid bewiesen.
Entgegen den Prognosen wurde die erst zur Wahl gegründete Liste JxCAT (Junts per Catalunya, dt.: Zusammen für Katalonien) von Carles Puigdemont mit 34 Mandaten vor ihrem Partner ERC stärkste Kraft im Unabhängigkeitslager. Puigdemont hatte eine "transversale" Liste mit Vertretern der nichtparteiförmigen Unabhängigkeitsbewegung zusammengestellt - so kandidierte auf dem zweiten Platz nach Puigdemont der in Untersuchungshaft sitzende Präsident der Unabhängigkeitsbewegung ANC Jordi Sànchez - und auf den Namen seiner Partei, die in einer Krise steckende konservative PDeCAT, verzichtet. Der einzige Programmpunkt: Die Wiederherstellung der "legitimen Regierung" Kataloniens.
Mit einer Differenz von nur 12.000 Stimmen liegt die im Wahlkampf als Favorit gehandelte linksrepublikanische ERC (Esquerra Republicana de Catalunya, dt.: Republikanische Linke Kataloniens) knapp dahinter. Sie kommt auf 32 Abgeordnete. Während JxCAT vor allem in den Provinzen punktete, hat die ERC ihre Positionen in den größeren Städten wie Barcelona, Terrassa, Sabadel.
"Die Unabhängigkeitsbewegung hat die Wahl gewonnen und Rajoy hat verloren." |
Verlierer ist die CUP (Candidatura d'Unitat Popular, dt.: Kandidatur der Volkseinheit), die konsequent die einseitige Unabhängigkeitserklärung verficht und mit der Unabhängigkeit die Forderung nach weitreichenden sozialen Umwälzungen verbindet. Sie kommt nur noch auf vier Abgeordnete, vorher zehn. Trotzdem zeigt sich ihr Listenführer Carles Riera zufrieden über die absolute Mehrheit des Unabhängigkeitsblocks. "Die Republik des 1. Oktober hat diese Wahl gewonnen", sagte er und wies darauf hin, dass in der "republikanischen Mehrheit" die zwei linken Parteien CUP und ERC mehr Abgeordneten als die JxCAT haben.
Zusammen kommen die drei Parteien auf eine knappe Mehrheit von 70 Mandaten im 135-köpfigen Parlament.
Die Sozialistische Partei Kataloniens PSC gewinnt 80.000 Stimmen und ein Mandat dazu, landet aber weit abgeschlagen von ihrem verkündeten Wahlziel der Präsidentschaft.
Die Volkspartei (Partido Popular, PP) von Rajoy wird für die Anwendung des Artikles 155 und die Aufhebung der Autonomie abgestraft und fährt das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschchte in Katalonien ein. Sie verliert acht Mandate und kommt mit 4,24% der Stimmen nur noch auf drei Abgeordnete.
Der rote Gürtel wird orange
Stärkste Partei werden die neoliberalen Ciudadanos (C's) mit 25,37% der Stimmen und 37 Mandaten (+12). Sie profilierten sich am stärksten als Gegner der katalanischen Unabhängigkeit und als einzige Alternative zum Block der Unabhängigkeitsparteien. Die Ciudadanos gewannen in wichtigen Städte wie L'Hospitalet, Terrassa, Sabadell oder Badalona. Selbst in Barcelona liegen die C's an erster Stelle, der "rote Gürtel" von Barcelona, traditionell die Hochburg der Sozialisten, trägt jetzt die Farbe der Ciudadanos: orange.
Linke eingeklemmt
Das Wahlergebnis wiederspiegelt die tiefe Spaltung der katalanischen Gesellschaft in der Frage der Unabhängigkeit. Die Linke wurde in dieser Polarisierung zwischen den beiden Polen eingeklemmt. Die Konzeption, mit der Losung "Nein zum Artikel 155, Nein zur Unabhängigkeit", aber der Anerkennung des Rechts der Katalanen auf Entscheidung, die Blöcke zu überwinden und die soziale Frage ins Zentrum zu stellen, ist nicht aufgegangen.
"Die Rechte, welche Farbe sie auch trägt, hat die Mehrheit. Darüber müssen wir nachdenken." Elisenda Alamany, En Comú-Podem |
"Die Verteidigung der Interessen der arbeitenden Klasse, der Kampf für die sozialen Rechte, das ist die beste Weise, Katalonien zu verteidigen", hatte Xavier Domènech, Spitzenkandidat von En Comú-Podem, als Linie des Wahlkampfs ausgegeben. Alberto Garzón, Bundeskoordinator der Vereinigten Linken (Izquierda Unida IU) hatte diese Orientierung massiv unterstützt: "Wir denken, dass man die soziale Frage ganz oben anstellen und daran erinnern muss, dass die Kürzungen im Bereich der Gesundheit und der Bildung von der PDeCAT und der katalanischen Rechten gemacht worden sind." Ziel war eine "Regierung der Linken", die weder den "Block der Unabhängigkeit" noch den "Block gegen die Unabhängikeit" widerspiegelt, sondern sich auf "soziale Fragen" konzentriert.
"In Katalonien haben die Rechten gewonnen. Sie verhüllen sich mit verschiedenen Fahnen und Symbolen, aber sie haben die selbe Ideologie." |
Das Ergebnis ist ernüchternd. En Comú-Podem kommt mit 7,4% auf acht Mandate (davon sieben in Barcelona), drei weniger im Vergleich zu dem Wahlbündnis Catalunya Sí que es Pot bei der Wahl 2015. Selbst in Barcelona mit der populären Bürgermeisterin Ada Colau kann En Comú-Podem nicht dazu gewinnen. Die Hoffnungen, eine "neue Mehrheit" und gemeinsam mit der ERC und der PSC eine Regierung für ein soziales Programm und die Zurückweisung der Kürzungen zu bilden, haben sich zerschlagen.
Xavier Domènech anerkannt noch am Wahlabend die Niederlage. "Das sind nicht die Ergebnisse, die wir erhofften und uns wünschten", sagte er.
Domènech: "Die Menschen haben gegen die einseitige Unabhängigkeitserklärung und gegen den 155 votiert. Es gab eine leidenschaftliche Abstimmung gegen den Unilateralismus der sich bei den Ciudadanos konzentriert und auf der anderen Seite bei Junts per Catalunya mit dem Legitimationsbild des Präsidenten im Exil. Die Bevölkerung entscheidet, aber ich glaube, dass das Ergebnis es sehr viel schwieriger macht, die Zukunft aufzubauen, die wir in Katalonien brauchen. Wir werden in die Opposition zu den rechten Junts per Catalunya und Ciudadanos gehen, um diese Zukunft aufzubauen. Eine Zukunft, die über die sozialen Politiken spricht und in der die Menschen in den Mittelpunkt gestellt werden."
"Mich besorgt, dass ein Teil der popularen Klassen für eine Option gestimmt hat, die eindeutig neoliberal ist." Xavier Domènech, En Comú-Podem |
Die Listenzweite, Elisenda Alamany, äußerte zu dem Wahlergebnis: "Die Rechte, welche Farbe sie auch trägt, hat die Mehrheit. Darüber müssen wir nachdenken." Domènech ergänzt: "Alle progressiven Kräfte des Landes müssen jetzt nachdenken und überlegen, weil die Gesamtheit dieser Kräfte nicht vorangekommen ist, sondern zurückgedrängt worden ist. Die Tatsache, dass die ERC und die CUP auf der einen Seite und die PSC auf der anderen sich an den beiden Blöcken beteiligt haben, hat den Weg für die Rechte eröffnet."
Zu dem enttäuschenden Abschneiden von En Comú-Podem gibt Domènech zudem zu Bedenken, dass Catalunya en Comú eine neue Partei sei und das erste Mal zu Wahlen angetreten ist. Catalunya en Comú (CatComú) wurde erst im April diesen Jahres durch den Zusammenschluss von Barcelona en Comú (die Plattform von Ada Colau), ICV, EUiA (die Regionalorganisation von Izquierda Unida) und Equo gegründet. Mit dabei sind bekannte Mitglieder von Podem Catalunya, aber auf persönlicher Basis, da sich Podem Catalunya im letzten Moment gegen eine Mitgliedschaft in CatComú entschieden hat. Der Parteiführung gehören Ada Colau und Xavier Domènech an.
Anfang November hatte sich dann Podem Catalunya, die Regionalorganisation von Podemos, in einer Mitgliederentscheidung mit 72% der eingeschriebenen Mitglieder für eine Wahlallianz mit Catalunya en Comú entschieden. Vorangegangen waren heftige interne Auseinandersetzungen und eine Abspaltung um den bisherigen Generalsekretär Albano Dante Fachin. Acht Mitglieder der Leitung von Podem Cataluny traten zurück. Sie hatten eine Kandidatur innerhalb des Unabhängigkeitsblocks und die Zusammenarbeit mit der ERC favorisiert. Weitere Spannungen traten auf, als Ada Colau die kommunale Zusammenarbeit mit der PSC aufkündigte, weil deren Dachorganisatuion, die PSOE, Rajoy bei der Anwendung des Artikles 155 unterstützt.
Wie weiter?
Der spanische Ministerpräsident Rajoy hat bereits vor der Wahl mit der Verlängerung bzw. Wideranwendung des Artikels 155 und der Absetzung einer zukünftigen katalanischen Regierung gedroht. "Heutige und künftige Regierungen wissen jetzt, was der Artikel 155 ist", sagte er für beim traditionellen Weihnachtsempfang seiner Partido Popular in Madrid. "Spanien ist eine Nation, die die Instrumente hat, um sich gegen jeden zu verteidigen, der gegen sie arbeitet", drohte er in Richtung Barcelona.
Zwar haben weder ERC noch JxCAT die Forderung nach einseitiger Unabhängigkeit im Wahlkampf wiederholt, aber trotzdem ist klar, dass diese Parteien nicht vom Ziel der Unabhängigkeit abrücken.
Marta Rovira von der ERC forderte noch am Wahlabend Rajoy zur Einrichtung eines "Tisches des Dialogs und der Verhandlung" auf. "Respektieren Sie das demokratische Mandat", sagte sie in Richtung Rajoy.
Rovira gratulierte auch En Comú-Podem zum Einzug in das Parlament. "Ich bin überzeugt, dass wir Möglichkeiten finden, um gemeinsam eine Republik aufzubauen", so Rovira. Ziel der ERC sei soziale Gerechtigkeit, gleiche Chancen und wirtschaftlicher Aufschwung. "Unsere Prioritäten sind, die schlimmen Folgen des 155 zu überwinden, dafür zu arbeiten, dass die politischen Gefangenen das Gefängnis verlassen, und dass die Regierung aus dem Exil nach Katalonien zurückkehren kann", sagte sie.
Der Unabhängigkeitsblock ist auf die vier Stimmen der CUP angewiesen. Die CUP hatte jedoch im Wahlkampf erklärt, dass sie keine Regierung unterstützen werde, die sich nicht verpflichtet, "ungehorsam gegenüber dem spanischen Staat" zu sein, um "die katalanische Republik aufzubauen". "Wir gehen nicht ins Parlament, um die Autonomie oder die autonomen Institutionen wieder zu erlangen", hatte ihr Spitzenkandidat Carles Riera bei der Vorstellung des wahlprogrammes verkündet. Der "einzige mögliche Weg" zur Unabhängigkeit ist "die Einseitigkeit und der Ungehorsam", so Riera.
siehe auch
- Spaniens Linke und Katalonien
- Rajoy gegen Katalonien und gegen die Demokratie
- Pablo Echenique: "Separatisten und Rajoy provozieren absichtlich einen gesellschaftlichen Bruch"
- Pablo Iglesias: "Manche sprechen von militärischer Intervention"
- Rajoy bleibt auf Konfrontationskurs
- 'Stillstand' in Katalonien
- "Votarem" – "Wir wollen wählen"
- Katalonien vor dem Referendum
-
Spanien: Eskalation im Konflikt um Unabhängigkeitsreferendum