05.04.2017: Rund 14 Tage vor dem ersten Wahlgang in Frankreich am 23. April scheint die Präsidentenwahl so gut wie gelaufen. Jedenfalls wenn es nach den Umfragen geht. Demnach soll der nächste französische Staatspräsident Emmanuel Macron heißen. Die Frage ist allerdings, ob es nach den Umfragen gehen wird. Überraschungen sind noch möglich. Beim gestrigen großen TV-Duell hat Jean-Luc Mélenchon stark gepunktet.
Nach allen Umfragen wird der nächste französische Staatspräsident Emmanuel Macron, Kopf der Bewegung "En marche!", heißen. Allerdings haben sich Umfragen in der Vergangenheit mehrfach als irreführend erwiesen. Die Institute betonen aber auch selbst immer wieder, dass sie keine Prognosen liefern, sondern bestenfalls Momentaufnahmen der Wählerstimmung zum Zeitpunkt der Befragung. Diese können sich aber nach allen Erfahrungen bis zum tatsächlichen Wahltag noch erheblich verändern.
Die "Unentschiedenen" werden entscheiden
Es kommt hinzu, dass das Vorfeld der diesjährigen Präsidentenwahl von einer außergewöhnlich hohen Zahl von "Unentschlossenen" gekennzeichnet ist. Nach der letzten veröffentlichten Umfrage, die vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos-Sopra Steria vom 31.März – 2. April bei mehr als 14 000 Befragten für das "Centre de recherches de Sciences Po" (Cevipof - das führende französische Institut für Politikwissenschaft) in Partnerschaft mit der Tageszeitung "Le Monde" und der Jean-Jaurès-Stiftung durchgeführt worden ist, sind 64 % der Wählerinnen und Wähler selbst so kurz vor dem ersten Wahlgang noch immer "unentschieden", ob sie überhaupt zur Wahl gehen und wem sie dann die Stimme geben sollen. Etwa 30 % neigen eher zur Nichtbeteiligung, 34 % geben an, dass sie sich ihrer Entscheidung noch nicht sicher sind. Das kann nur als ein Signal dafür gewertet werden, dass viele diesmal eigentlich von keinem der antretenden Kandidaten voll und ganz positiv überzeugt sind. Viele neigen dazu, statt dessen zu überlegen, wen sie für das kleinere Übel halten oder wer ihnen aussichtsreich genug erscheint, um ihm eine "nützlich Stimme" zu geben, die nicht "verloren" ist, auch wenn sich die Zustimmung zu dem betreffenden Kandidaten eigentlich in Grenzen hält. Laut den Befragungsergebnissen ist die Zahl der "Unentschlossenen" unter den ganz jungen Altersgruppen, in den traditionellen Arbeitervierteln, bei von Armut und Ausgrenzung Betroffenen und bei den traditionellen Linkswählern am größten.
Das heißt aber auch, dass es angesichts dieser hohen Zahl von Unentschiedenen bis zum Wahltag tatsächlich noch große Überraschungen geben kann. Die geplanten TV-Runden können das Wählerverhalten noch erheblich beeinflussen, aber natürlich auch die öffentlichen Kundgebungen, Versammlungen und Diskussionsrunden der verschiedenen Kandidaten und die "Öffentlichkeitsarbeit vor Ort", die ihre Anhänger in den kommenden Tagen noch absolvieren.
So hat bei der gestrigen "Großen Debatte" im Fernsehen Jean-Luc Mélenchon am besten abgeschnitten. 25 Prozent der TV-Zuschauer meinen, dass sein Aufritt der Überzeugendste aller Kandidaten gewesen sei.
Jean-Luc Melenchon | 25 |
Emmanuel Macron | 21 |
Francois Fillon | 15 |
Marine Le Pen | 11 |
Benoit Hamon | 9 |
Auch bezüglich der Zustimmung zu seinem politischen Projekt konnte er punkten. Hier liegt er in der Umfrage gleichauf mit Emmanuel Macron.
Macron contra Le Pen?
Nach der von "Le Monde" am 4. April veröffentlichten Umfrage ist die Anführerin des rechtsextremen "Front National", Marine Le Pen, mit 25 % Zustimmung nach wie vor vorn. Aber mit ihr gleichauf liegt jetzt der Ex-Wirtschaftsminister von Staatschef Hollande, Emmanuel Macron, mit seiner Bewegung "En marche!", ebenfalls 25 %. Andere Umfrageinstitute kamen Ende März mit minimalen Unterschieden auf die gleichen Ergebnisse. So liegt bei der Umfrage von BFMTV Macron mit 25,5 % vor Le Pen mit 24 %.
Deutlich abgeschlagen ist der Kandidat der rechtskonservativen "Republikaner", François Fillon, der lange Zeit als aussichtsreichster Gegenkandidat von Frau Le Pen gehandelt worden war. Er kommt jetzt laut der oben genannten Umfrage für Cevipof mit 17,5 % nur noch auf den dritten Platz und hat damit wohl kaum noch eine Chance, in den zweiten Wahlgang zu kommen. Er hat sich durch seine Betrugs- und Bereicherungsaffären mit Scheinarbeitsverhältnissen auf Staatskosten für seine Frau und seine Kinder, die mittlerweile Gegenstand eines gerichtlichen Ermittlungsverfahrens sind, selbst disqualifiziert, zumal außerdem noch bekannt wurde, dass er sich von reichen "Freunden" teure Luxusanzüge und Luxusuhren schenken ließ und dass er sich gegen Bezahlung von 45 000 € als Vermittler von Geschäften für einen libanesischen Milliardär betätigte.
Für den zweiten Wahlgang am 7. Mai sagt die Cevipof-Umfrage bei einem "Duell" von Le Pen contra Macron einen 61- zu 39-%-Sieg für Macron voraus. Andere Umfragen kommen zu fast gleichen Zahlen. Der frühere Investment-Banker Macron beim Pariser Bankhaus Rothschild war vom sozialdemokratischen Staatschef Hollande zwar zum Wirtschaftsminister gemacht worden, hat aber nach seinen politischen Vorstellungen nichts mit der Sozialdemokratie zu tun. Er präsentiert sich gelegentlich als "Sozialliberaler" und "Mann der Mitte", der die "Rechts-Links-Spaltung" der französischen Gesellschaft überwinden will, weil sie "historisch überholt" sei, ist aber in Wirklichkeit eigentlich nur ein "Wirtschaftsliberaler". Zu seinem Credo gehören die neoliberalen Doktrinen der Förderung der Unternehmergewinne und der Deregulierung der Schutzvorschriften des Arbeitsrechts sowie der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Dienste als Weg zum "wirtschaftlichen Wiederaufstieg" Frankreichs. Laut seinen Erklärungen will er in fünfjähriger Amtszeit den Staatshaushalt um 60 Milliarden reduzieren, um die "Stabilitätskriterien" der EU einzuhalten, und dafür 500 000 Staatsbedienstete in Verwaltung und öffentlichen Diensten einsparen. Macron war einer der maßgeblichen Initiatoren für das "Arbeitsgesetz" (Loi travail oder Loi El Khomri), das im letzten Jahr wegen der drastischen Verschlechterungen im Arbeitsrechts so große Proteste von Gewerkschaften und Jugendverbänden ausgelöst hatte, und er will auf diesem "Weg" weitergehen, um im Intersse4 der Unternehmerprofite die "Arbeitskosten", Löhne und Sozialbeiträge als "Lohnnebenkosten" zu senken. Faktisch würde mit seiner Wahl das Signal also auf die Fortsetzung der Politik gesetzt, die in den letzten fünf Jahren unter Hollande so breite Ablehnung und die Forderung nach einer politischen Kurswende hervorgerufen hatte.
Keine gemeinsame Linkskandidatur
Eine aussichtsreiche gemeinsame Kandidatur der Linken durch eine Zusammenführung der beiden Wählerblöcke der "Sozialisten" (Parti Socialiste – PS) unter Benoît Hamon und der alternativen Linken ("La France Insoumise") unter Jean-Luc Mélenchon ist auch in den letzten Wochen nicht zustande gekommen, obwohl keiner der beiden allein wohl kaum Aussicht hat, in den zweiten Wahlgang zu kommen. Laut der oben erwähnten Cevipof-Umfrage hat Mélenchon aber den PS Kandidaten Hamon inzwischen an Wählerzustimmung deutlich überholt: er kommt auf 15 %, Hamon auf 10 %.
Eine erneute Initiative des PCF-Nationalsekretärs Pierre Laurent, ein Treffen zwischen Hamon, Mélenchon, dem früheren grünen Spitzenkandidaten Jadot und ihm selbst zustande zu bringen, blieb ohne Erfolg. Sowohl Mélenchon wie Hamon verweisen darauf, dass es angesichts der hohen Zahl von mutmaßlichen Nichtwählern und Unentschlossenen immer noch möglich sei, so viele von ihnen zu mobilisieren, dass sie eine reale Chance haben, ihre Stimmanteile noch erheblich über den in den Umfragen angegebenen Stand zu steigern.
Dass eine gemeinsame Linkskandidatur nicht zustande kam, liegt allerdings nicht nur an der persönlichen Rivalität zwischen den beiden Spitzenkandidaten. In erster Linie dürfte dafür wohl verantwortlich sein, dass Hamon im Einklang mit der PS-Parteispitze ganz selbstverständlich davon ausging, dass ihnen nach wie vor die Führungsrolle im Lager der Linken zukommt, obwohl die PS mittlerweile faktisch gespalten ist. Zahlreiche führende PS-Politiker wie der frühere Regierungschef Manuel Valls, Verteidigungsminister Le Drian, die Mehrheit der übrigen Minister unter Hollande und ein erheblicher Teil der Abgeordneten der bisherigen PS-Parlamentsfraktion haben inzwischen öffentlich erklärt, dass sie nicht den Kandidaten ihrer eigenen Partei, nämlich Hamon, sondern Emmanuel Macron unterstützen werden, obwohl Valls und andere bei der von der PS veranstalteten Vorwahl noch feierlich versprochen hatten, auf jeden Fall den Sieger dieser PS-Vorwahl als Parteikandidaten zu unterstützen. Hamon sagte dazu, dass er eine so große Zahl von Überläufern nach rechts nicht erwartet hätte.
Trotz dieser deutlichen Schwächung des PS-Lagers war Hamon aber nicht bereit, seine Kandidatur zugunsten des besser platzierten Mélenchon zurückzuziehen und sich mit diesem und den anderen Kräften der alternativen Linken auf einen "Pakt der linken Mehrheit" zu verständigen, wie es die Kommunisten vorschlugen. Hamon beschränkte sich auf Aufrufe an Mélenchon, im Namen der Zusammenführung der Linkskräfte zu seinen Gunsten zurückzutreten. In dem Bestreben, die auseinanderdriftende PS so weit wie möglich zusammenzuhalten und auch den rechten Parteiflügel in seine Kandidatur zu integrieren, blieben manche Aussagen Hamons hinsichtlich künftiger politischer Vorhaben eher unpräzise und fragwürdig. Von den alternativen Linken, die einen echten Bruch mit dem bisherigen Kurs unter Hollande-Valls wollen, befürchten deshalb, dass mit Hamon eine Wiederholung der Erfahrung drohen könnte, dass der PS Kandidat zwar im Wahlkampf eine "Änderung" der Politik verspricht, aber dies nach der Wahl unter dem Druck der Unternehmer, der Rechten und der EU ebenso rasch wieder vergessen könnte, wie dies bei Hollande der Fall gewesen war.
Vor diesem Hintergrund hat es Mélenchon, für den auch die französischen Kommunisten (PCF) zur Stimmabgabe aufrufen, mehrfach abgelehnt, seine Kandidatur zugunsten von Hamon zurückzuziehen. Zu dem von ihm mit Unterstützung der PCF und anderer Linksformationen initiierten "Marsch für eine VI. Republik" am 18. März in Paris kamen trotz schlechten Wetters immerhin rund 130.000 Teilnehmer – die größte Demonstration im anstehenden Wahlkampf und ein deutliches Signal der Stärke. (Video)
In einem Interview erklärte Mélenchon, er halte Hamon zwar für eine "gute Person", aber dieser repräsentiere nun einmal die PS. Er sehe es nicht als seine Aufgabe an, nur die Linke zu sammeln, sondern das Volk zusammenzubringen. Er wolle nicht die "Gerichte alter Art", die ungenießbare Suppe der Parteiembleme. Auf einer Kundgebung vor 5.000 Menschen in Le Havre erklärte er, es gehe ihm nicht um irgendein "Arrangement", sondern er wolle "bis zu Ende" das Ziel zu verfolgen, für das er sich von Anfang an engagiert hat, nämlich eine Wende zu einer anderen Politik durchzusetzen.
Die Präsidentenwahl ist nicht alles…
Damit dürfte es aber ziemlich unwahrscheinlich geworden sein, dass bereits mit der jetzt anstehenden Präsidentenwahl ein Signal für die Durchsetzung einer solchen linken Alternative gesetzt werden kann. Umso mehr zeigt sich aber, dass die Kommunisten recht hatten, als sie schon vor Beginn des heißen Wahlkampfs betonten, dass der Ausgang der nach der Präsidentenwahl anstehenden Parlamentswahl im Juni genauso wichtig sei wie die Frage, wer an die Staatsspitze gewählt wird. Wer immer der nächste französische Staatspräsident wird, er ist darauf angewiesen, eine Mehrheit im Parlament zu finden, um eine Regierung installieren zu können und Gesetzesvorhaben zu beschließen. Eine starke Parlamentsfraktion der alternativen Linken kann da auch in der Oppositionsrolle eine bedeutende Rolle spielen, sowohl zur Demaskierung von reaktionären und antisozialen rechten Vorhaben und neuen Angriffen auf die Lebensverhältnisse der arbeitenden Menschen wie auch als Stimme und Sprachrohr außerparlamentarischer Aktionen und Bewegungen von Gewerkschaften und Bürgerinitiativen im Parlament und der Öffentlichkeit.
txt: Georg Polikeit
siehe auch
- Frankreichs politische Landschaft in Bewegung
- Interview mit Pierre Laurent: "Unsere Verantwortung ist, uns zu einigen, um einen neuen Weg zu öffnen"
- Frankreich: Parteilinker ist Spitzenkandidat der Sozialistischen Partei
- Frankreich: Übersicht zum aktuellen Stand der KandidatInnen-Auswahl
- Interview mit Pierre Laurent (PCF): Sammlung der Linkskräfte bleibt die Schlüsselfrage
- PCF-Mitglieder wollen mehrheitlich für Mélenchon stimmen
- PCF-Konferenz für Nominierung eines eigenen Kandidaten