Meinungen

Anmerkungen von Rainer Dörrenbecher zu der Entschließung des deutschen Bundestages am 30. November 2022

 

Eine persönliche Vorbemerkung

Das Thema Ukraine hat mich aus familiären Gründen vor einiger Zeit beschäftigt, unabhängig von den politischen Entwicklungen. Meine Mutter war eine "Russlanddeutsche". Geboren war sie als Bürgerin der Ukrainischen SSR, deutscher Nationalität, in einem deutschen Bauerndorf, östlich von Dnepropetrowsk, heute Dnipro. In den letzten 10 Jahren ihres Lebens hat sie oft über ihr Leben "zu Hause" gesprochen. Auch über die Kollektivierung und die Zwangsmaßnahmen gegen die Deutschen nach 1935, Verhaftungen, Verschleppungen und Ermordungen. Unsere Familie war davon ebenfalls betroffen. Sie erwähnte auch die Hungerkatastrophe, aber nicht in den bekannten, behaupteten Auswirkungen; möglicherweise waren sie weder als Volksgruppe/Nationalität, noch als Familie besonders betroffen.

Der "Holodomor" - ein politischer Kampfbegriff

Die Hungerkatastrophe 1932/33 in der Sowjetunion ist ein schwieriges Thema, das von politischen und entsprechend geschichtswissenschaftlichen Kräften unterschiedlich interpretiert wird. Die ukrainisch-nationalistische Position des "Holodomor" als Genozid ist eine politische Wertung, selbst durch die bürgerlichen Geschichtswissenschaft nicht belegt - außer es werden nur Ereignisse und Meinungen angeführt, um diese Wertung zu bestätigen.

In Deutschland hat sich schon zu Jahresbeginn 2008 der Botschafter der Ukraine in einem Schreiben an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages zum Thema "Holodomor" gewandt und um Unterstützung gebeten. In Russland wird die Einordnung des "Holodomor" politisch und geschichtswissenschaftlich als Völkermord nach ethnischen und nationalen Kriterien abgelehnt. Im Frühjahr 2008 nahm die Duma eine Erklärung zur Hungerkatastrophe von 1932/33 an, in der die Ukraine als eines von mehreren Opfern der Hungerkrise genannt wurde. Die Genozidthese wird dort als "antirussische Schuldzuweisung" bezeichnet.[1]

Die Regierungsparteien SPD, Grüne, FDP und die CDU/CSU Bundestagsfraktion haben am 30.Nov. 2022 im Bundestag eine Resolution verabschiedet, in der die Hungerkatastrophe 1932/1933 in der Sowjetunion für das Gebiet der Ukraine zum Völkermord (Genozid) erklärt wurde. Für die Abgeordneten handelt es sich um eine "gezielt herbeigeführte Hungersnot". "Aus heutiger Perspektive (liege) eine historisch-politische Einordnung als Völkermord nahe." Im antikommunistischen und antirussischen Selbstverständnis der Abgeordneten "handele (es) sich beim Holodomor um eine gewollte und geplante Hungersnot".[2] Schon Anfang Februar, vor der russischen Aggression, hatte die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am "Holodomor-Mahnmal" in Kiew einen Kranz niedergelegt.

Der Zeitpunkt der Entschließung ist bewusst gewählt.

Diese Entschließung reiht sich ein in die fortgesetzte Kampagne einer Mobilisierung der öffentlichen Meinung zur Unterstützung der Ukraine und des nationalistischen Selbstverständnisses der Ukraine. Der Zeitpunkt der Entschließung ist bewusst gewählt. Mit der Entwicklung des Feindbildes Russland bei uns wurde das Thema in Politik und Geschichtswissenschaft aufgegriffen. Jetzt wurde es auf den Punkt gebracht. Die Entschließung soll die Geschichte der Sowjetunion und Russlands als Nachfolgestaat diffamieren und die ukrainische Bevölkerung fortgesetzt als besonderes Opfer russischen Großmachtstrebens darstellen. Der neue Botschafter der Ukraine Oleksij Makejew spricht dann auch in diesem Zusammenhang von "der heutigen russischen genozidalen Kriegsführung",[3] einer Fortsetzung des Stalinschen Genozids.

In der Entschließung werden auch die Hungertoten in Kasachstan und Russland erwähnt und auf die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion verwiesen. Man will sich ja keine zu offensichtliche moralische Blöße geben. In der Ukraine wird der "Holodomor" mit dem Holocaust gleichgesetzt, nicht nur in nationalistischen Kreisen. Diese Gleichsetzung ist offizielle Auffassung.[4] In Deutschland verbietet sich politisch eine derartige Gleichsetzung, doch verglichen wird der "Holodomor" mit dem Holocaust von der etablierten Politik und Medien und wird in dessen Nähe gerückt.

"Holodomor" als Deckmantel zur Relativierung der Verbrechen der Ukrainische Aufstandsarmee

An der Debatte und Abstimmung im Bundestag nahmen der neue Botschafter der Ukraine und der Vorgänger und jetzige Vize-Außenminister Andrij Melnyk teil. Letzterer ist bekannt als Verehrer des Anführers Stepan Bandera und der ukrainischen Nationalisten und Kollaborateure während der deutschen Besatzung; er ist ein Leugner deren Teilnahme an Kriegs- und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Die "Ukrainische Aufstandsarmee" (UPA) war beteiligt an der Ermordung der dortigen jüdischen Bevölkerung, an Pogromen gegen die polnische und prosowjetische Bevölkerung. Der "Holodomor" ist der Deckmantel mit dem diese Verbrechen relativiert werden. A. Melnyk zumindest als faschistoid zu bezeichnen, dürfte keine Übertreibung sein. Sein Aufstieg vom Botschafter zum Vize-Außenminister ist für das gesellschaftspolitische Selbstverständnis der Ukraine bezeichnend.

Seit der "orangenen Revolution" 2004 und wieder verstärkt nach dem "USA-Maidan", fälschlich Euro-Maidan genannt, 2013/14 entwickelten die ukrainische Regierung und Exilgruppen eine internationale Kampagne zur Anerkennung des "Holodomor" als Genozid. "Seit dem Jahr 2003 bemüht sich die ukrainische Diplomatie darum, den "Holodomor" als Genozid am ukrainischen Volk durch die UN-Vollversammlung anerkennen zu lassen. Bisher wurde auf der Ebene der Vereinten Nationen der "Holodomor" aber nicht als Genozid anerkannt. Im Herbst 2003 verabschiedete die 58. Vollversammlung der Vereinten Nationen zum 70-jährigen Gedenken an die Hungersnot 1932/33 eine Resolution, in der das Hungersterben als "nationale Tragödie des ukrainischen Volkes" bezeichnet wurde." [5]

Nicht uninteressant ist die Liste der Länder, die bisher den "Holodomor" als Völkermord anerkannt haben: Australien, Ecuador, Estland, Georgien, Kanada, Kolumbien, Lettland, Litauen, Mexiko, Paraguay, Peru, Polen, Portugal, Tschechien, Ungarn, USA, das EU-Parlament (2008) und der Vatikan; es gibt noch weitere in Lateinamerika, insgesamt jetzt 25.

Auf der Webseite der Bundeszentrale für Politische Bildung ist ein umfangreicher Beitrag von Prof. Dr. Gerhard Simon aus dem Jahr 2007 veröffentlicht.[6] Inhaltlich wird damit die Entschließung des Bundestages vorbereitet. Etwa seit dieser Zeit wird der Mythos des "Holodomor" in der "Wissenschaft" und diversen Medien in NATO-Ländern bemüht. Mit der Entwicklung der antirussischen politischen Orientierung und der Unterstützung entsprechender Kräfte in der Ukraine wurde und wird der "Holodomor" propagandistisch im Sinn des ukrainischen Nationalismus verbreitet.

Dr. Simon wird als "einer der renommiertesten Ukraine-Experten in Deutschland" bezeichnet. Die Kollaboration der ukrainischen Nationalisten mit den deutschen Besatzern beim Holocaust sind für ihn "Beteiligung der ukrainischen Nationalisten an antipolnischen und antijüdischen Pogromen" und Ausdruck der "dunklen Seiten Banderas". [7] Zu einer Wertung als schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit kann sich der renommierte Ukraine-Experte nicht durchringen.

Bundestag zurückhaltend mit Entschließungen zur Anerkennung als Völkermord

Bisher ist der Deutsche Bundestag zurückhaltend mit Entschließungen zur Anerkennung als Völkermord. Einige Ausnahmen sind die politische Anerkennung des Völkermordes an den Armeniern durch die osmanische Türkei während des ersten Weltkrieges und die Anerkennung des Völkermordes an den Jesiden durch den Islamischen Staat 2015. Nach hartnäckigem Drängen wurde der Völkermord an den Herero und Nama durch deutsche Kolonialtruppen im damaligen Deutsch-Südwest Afrika, heute Namibia, ebenfalls politisch, nicht aber juristisch, anerkannt.

Schwer tun sich die diversen Bundesregierungen und diese tragenden Parteien mit anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Der verbrecherische Krieg der USA gegen Vietnam mit den vielen völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen wird ignoriert; kein USA Krieg, keine USA-Intervention oder Unterstützung von Militärputschen mit tausenden Ermordeten ist je vom deutschen Bundestag verurteilt worden. Der Völkermord an den Ureinwohnern Amerikas durch die US-Administrationen und Armee wird politisch ebenso ignoriert. Die Liste, auch für weitere wertebasierte Länder, lässt sich fortsetzen.

Keinerlei Maßnahmen gibt es gegen die Türkei, die immer wieder kurdische Gebiete bombardiert und mit der Vernichtung der kurdischen Selbstverwaltungsgebiete in Syrien droht. Das Ermahnen zur "Zurückhaltung" kann nur als Zynismus gesehen werden.

Die Hungerkatastrophe 1932/33 - Ursachen

Prof. Dr. Andreas Kappler benennt in "Kleine Geschichte der Ukraine" mehrere Ereignisse und Entwicklungen in der damaligen Ukraine, die mit der Hungerkatastrophe direkt und indirekt zusammenhängen.

"Die ukrainischen Bauern … leisteten der Zwangskollektivierung besonders heftigen Widerstand. Zahlreiche Bauern sabotierten die Getreideablieferungen, schlachteten ihr Vieh ab und zerstörten ihr Inventar. In den Jahren 1931/32 wurden gewaltsame Protestaktionen häufiger: Häuser und Dörfer wurden in Brand gesetzt, Parteifunktionäre erschlagen. Als Folge der Kollektivierung ergab sich schon 1931 eine Missernte, und die landwirtschaftliche Produktion ging drastisch zurück. Trotzdem verminderte die Sowjetregierung die Ablieferungsquoten nicht und verstärkte die Zwangsmaßnahmen zur Beschlagnahmung von Getreide noch, um die Versorgung der Städte und Industriearbeiter und die für die Finanzierung der Industrialisierung notwendigen Getreideexporte sicherzustellen." Im weiteren beschreibt der Autor die drastischen Maßnahmen der Sowjets und die tragischen Auswirkungen mit den zahllosen Hungertoten.

Auf die wetterbedingte Missernte 1931 in den sowjetischen Getreideanbaugebieten geht er nicht ein, ignoriert deren Existenz aber nicht. Er bemerkt stattdessen, "dass die Hungersnot nicht primär durch natürliche, zu Missernten führende Bedingungen verursacht war". [8] In einem Beitrag in der Junge Welt zitiert Th. Spanidis den Agrar-Geschichtswissenschaftler Mark B. Tauger, außerordentlicher Professor der West-Virginia University. Dieser argumentiert, die wetterbedingte Missernte von 1931/32 und deren Auswirkungen seien die Hauptursache der Katastrophe. In dessen Analyse würden die menschengemachten Faktoren eine untergeordnete Rolle spielen. [9]

Es zeigen sich unterschiedliche Betrachtungsweisen, die des bürgerlichen Historikers und die des ebenfalls bürgerlichen Agro-Historikers. Leider nutzt Spanidis die Erkenntnisse Taugers zu einer Verharmlosung der Auswirkungen der politischen Maßnahmen und stellt die Kollektivierung als Erfolgsgeschichte mit einigen kleinen Problemen dar.

Kappeler weist darauf hin, dass "die Auffassung von einem bewussten Genozid am ukrainischen Volk nicht unbestritten ist". … "Die Forschungskontroverse kann auf Grund der bisher bekannten Quellen nicht entschieden werden. … Die Hypothese von Stalins bewusstem Genozid am ukrainischen Volk ist … bisher nicht überzeugend nachgewiesen worden. Doch ist nicht auszuschließen, dass die Zwangsbeschaffung von Getreide, die als wichtigste Ursache der Hungersnot unbestritten ist, gegenüber den Ukrainern … besonders unbarmherzig durchgesetzt wurde." Zugleich weist er darauf hin, dass " die weniger fruchtbaren Regionen der Ukraine von der Hungersnot weniger schlimm heimgesucht wurden. [10]

Wissenschaftlicher Dienstes des Bundestages: ".. Forschungskontroverse über den 'Holodomor', wissenschaftlich noch nicht entschieden .."

Auch in der Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages wird im Gegensatz zur aktuellen Bundestags-Entschließung festgestellt: "Die Forschungskontroverse über den "Holodomor", die insgesamt wissenschaftlich noch nicht entschieden ist, …" "Weitgehender Konsens bestehe jedoch darüber, dass die Hungersnot nicht in erster Linie klimatische Ursachen … hatte, sondern durch die damalige Politik der sowjetischen Führung unter Stalin hervorgerufen wurde." [11] Auch hier wird der Konjunktiv benutzt und keine verbindliche Feststellung getroffen. Politisch teilt und unterstützt die Ausarbeitung die ukrainische Position. Auf A. Simon wird reichlich Bezug genommen, A. Kappeler wird ignoriert.

In dem Beitrag von A. Simon wird u.a. auch behauptet, dass die deutschen Bauern (Wolga-Deutschen) während der Hungerkatastrophe besonders hohe Opfer zu beklagen hatten. In den Jahres-Heimatbüchern der "Landsmannschaft der Deutschen aus Russland" wird diese Behauptung nicht bestätigt. Dort werden vor allem die besonderen antideutschen Drangsalierungen, Verhaftungen, Verschleppungen und Todesopfer in den Jahren nach der Hungerkatastrophe beschrieben. Zur "Hungersnot 1933/34" heißt es: "Die rücksichtslose Durchführung der Kollektivierung der Landwirtschaft und die Misswirtschaft in den Kollektiven hatten in den Jahren 1933/34 wieder eine Hungersnot (nach der Hungersnot während des Bürgerkrieges R.D.) zur Folge, die viele Todesopfer verlangte." [12]

In den angesprochenen Beiträgen wird einheitlich die These vertreten, die Hungerkatastrophe sei in erster Linie durch die staatlichen Maßnahmen verursacht. Die Anhänger der Genozid-Behauptung unterstellen Stalin persönlich eine Anordnung des Genozid durch Hunger. Auch wenn keine direkte Direktive gefunden wurde, andere Quellen würden dies belegen. Um sich keine zu offensichtliche wissenschaftliche Blöße zu geben, wird sich auf eine politische Wertung als Genozid zurückgezogen.

Die Kollektivierung der Landwirtschaft wird vom bürgerlichen Standpunkt abgelehnt, der Zwang wird als allgemeines staatliches Handeln dargestellt. Die gewaltigen wirtschaftlichen Probleme der Sowjetunion damals werden nicht beachtet.

Die Diskussionen und Auseinandersetzungen in der KPdSU um den ersten 5-Jahrplan und um die Rolle der Bauern und die Kollektivierung werden ignoriert, auch bei Spanidis. Es ging u.a. über die Geschwindigkeit der Industrialisierung und die wirtschaftlichen Fähigkeiten des Landes dazu die Mittel aufzubringen. Stalin setzte seine Vorstellungen eines "raschen Voranschreitens" durch. Es zeigte sich dann, der erste 5-Jahrplan war überzogen, die Ziele wurden nicht erreicht; trotzdem waren die Ergebnisse beachtlich, doch unter großen Opfern. "Die Verluste an Menschenleben, Energie und Material waren ungeheuerlich." [13]

Die Mittel zur Industrialisierung mussten in erster Linie von der Landwirtschaft aufgebracht werden. Notwendig war eine Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion durch Steigerung der Arbeitsproduktivität. Dies war möglich durch größer zusammenhängende Anbauflächen, durch den Einsatz von Dünger und Maschinen. Notwendig war die Zusammenlegung von Einzelwirtschaften zu Genossenschaften, den Kolchosen. Dies sollte in mehreren Stufen durchgeführt werden, entsprechend den Möglichkeiten der Industrie den Kolchosen und Sowchosen (Staatsgüter) Landmaschinen, Dünger und Saatgut zur Verfügung zu stellen. Die Gewinnung der Bauernschaft für die Kollektivierung sollte eine materielle Grundlage haben.

Die Industrie konnte den vorgegebenen Aufgaben nicht entsprechen; die Kollektivierung wurde trotzdem durchgesetzt, ohne den Stufenplan zu berücksichtigen. Mit dieser drastisch durchgeführten Zwangskollektivierung wurde die Bauernschaft nicht als Bündnispartner gehalten, sondern zum Gegner des Sowjetsystems gemacht. Die daraus entstandenen Schwierigkeiten in der Landwirtschaft entwickelten sich so stark, dass Anfang März 1930 durch einen Erlass die Zwangsmaßnahmen abgebaut wurden. Stalin, Hauptverantwortlicher für die Zwangskollektivierung, machte die örtlichen Parteikomitees und Sowjets verantwortlich. (Schwindlig von Erfolgen) [14]

Nebenbei bemerkt, in keiner der angeführten Veröffentlichungen wird erwähnt, dass die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik im August 1945 Gründungsmitglied der UNO war, neben der UdSSR und Weißrussland. Stalin starb erst 1953. Möglicherweise hatte Stalin doch ein Minimum an Vertrauen in die Parteiführung und Sowjetorgane der Ukraine.

Versuch einer Zusammenfassung

Als historisch gesichert gilt, die Lebensmittel-Requirierungen waren in den fruchtbaren Schwarzerde-Gebieten besonders rücksichtslos, d.h. in den Hauptanbaugebieten der Ukraine. Damit der Sowjetregierung, bzw. Stalin persönlich, zu unterstellen, diese wollten gezielt die ukrainische Bevölkerung dezimieren oder gar auslöschen, ist politische Propaganda. Möglicherweise, wahrscheinlich (?) ist dies eine barbarische Reaktion auf den besonders hartnäckigen Widerstand der ukrainischen Bauern gegen die Kollektivierung und die Abgabepflicht. In den angegebenen Beiträgen wird mehrmals darauf verwiesen. Den sozialökonomischen Klassencharakter dieser Auseinandersetzung können oder wollen die AutorInnen nicht erkennen. Stattdessen wird ein Zusammenhang zwischen Stalins Nationalitätenpolitik und dem "Holodomor" konstruiert. A. Kappeler nennt einige Hinweise, mit denen die "Holodomor" Behauptung in Frage gestellt wird.

Allerdings hat Stalin die Hungersnot in der Ukraine ignoriert und Beratungen dazu im Politbüro der KPdSU verhindert. Das war keine Ukraine spezifische Weigerung; oftmals hatte er Schwierigkeiten zunächst immer wieder ignoriert. Auch in Kasachstan, wo der Widerstand gegen die Kollektivierung ähnlich stark war, war die Zahl der Opfer besonders groß. Nach den Russland-Deutschen Jahrbüchern gab es bei den deutschen Bauern bei der Kollektivierung wohl keinen größeren Widerstand und auch nicht bei der Abgabepflicht. Möglicherweise waren die Requirierungen deshalb weniger rücksichtslos.

Die in der Entschließung des Bundestages genannten Zahlen zu den Todesopfern in der Ukraine sind willkürlich. Sie schwanken in der Literatur zwischen 3,5 und 6 Millionen für die Ukraine. [15] Allgemein anerkannt wird, dass bezogen auf die Bevölkerungszahl die Hungerkatastrophe in Kasachstan die meisten Opfer forderte. Kein Gedanke einer Bundestags-Entschließung dazu.

Die Hungerkatastrophe betraf nicht nur die Ukraine, sondern alle wichtigen landwirtschaftlichen Anbaugebiete; das wird von allen Seiten akzeptiert, außer den ukrainischen Nationalisten. Weniger stark betroffen waren die weniger ertragreichen Anbaugebiete. Dazu wird darauf hingewiesen, dass es in diesen Gebieten geringere Abgabequoten gab.

Bei den Abgabemengen wurden die Auswirkungen der vorhergehenden Missernte nicht berücksichtigt; die Lebensgrundlage der Bauern wurde überfordert und z.T. zerstört. Die Requirierungen verschärften zusätzlich die Lage der Bauernschaft. Deren folgendes Massensterben ist nicht entschuldbar, es ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie leider so manches in dieser Zeit der sowjetischen Geschichte.

Es gibt meiner Meinung nach deutliche Hinweise, dass die besonders rücksichtslosen Zwangsmaßnahmen gegenüber den ukrainischen Bauern Auswüchse eines barbarisch geführten Klassenkampfes waren. Es ging der sowjetischen Führung auch darum den Widerstand der ukrainischen Bauern gegen das sowjetische System zu brechen.

Die Bewertung der Hungerkatastrophe 1932/33 in der Ukraine hat politischen Charakter. Der "Holodomor" wurde zu einem Bestandteil des ukrainischen Nationalbewusstseins gemacht. Im Unterschied zur Shoa, der Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas durch den deutschen Faschismus, ist diese Auffassung historisch nicht belegt. Politisch kann sie nicht akzeptiert werden und muss aus mehreren Gründen widersprochen werden.

Zu einigen weiteren politischen Hintergründen siehe: https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/9096  

 

 

Anmerkungen:

[1] Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, 05/2008, S. 14
https://www.bundestag.de/resource/blob/411750/6631dd7f4c04c6a13165e33295b62733/WD-1-065-08-pdf-data.pdf

[2] Tagesschau, 30.11.22: Historische Hungerkrise in der Ukraine: Bundestag verurteilt Holodomor als Völkermord
https://www.tagesschau.de/inland/holodomor-bundestag-anerkennung-101.html

[3] www.t-online.de, 26.11.2022 (nicht mehr verfügbar)

[4] Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, 05/2008, S. 13

[5] Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, 05/2008, S. 13

[6] Völkermord Ukraine - Holodomor - Tatsachen und Kontroversen - 90 Jahre Holodomor (lpb-bw.de)
https://osteuropa.lpb-bw.de/simon-holodomor-als-voelkerm

[7] Bandera - der überanstrengte Mythos - ukraineverstehen.de
https://ukraineverstehen.de/simon-bandera-der-ueberanstrengte-mythos/

[8] Dr. Andreas Kappeler, ehemaliger Prof. für Osteuropäische Geschichte an der Uni zu Köln,
heute emeritierter Prof. an der Uni Wien, "Kleine Geschichte der Ukraine", Beck’sche Reihe
1994: S. 199/200 (Inzwischen hat er allerdings eine Neuauflage dem Zeitgeist angepasst. Rezension Marx. Blätter 4/2022)

[9] Tageszeitung junge Welt, 23.06.2017, Thanasis Spanidis: Der erfundene Völkermord
(Th. Spanidis u.a. traten in Vorbereitung des 22. DKP Parteitages wegen Revisionismus der Partei aus und gründeten die Kommunistische Organisation; Spanidis leugnet in seinen Beiträgen die Stalinschen Verbrechen)
https://www.jungewelt.de/artikel/312978.der-erfundene-v%C3%B6lkermord.html

[10] A. Kappeler S. 202

[11] Wissenschaftlicher Dienst des Bundestages, 05/2008, S. 10

[12] Heimatbuch der Deutschen aus Russland 1957; S. 120

[13] Isaak Deutscher, Stalin, Dietz Verlag Berlin, 1991; S. 428; auch Alfred Kosing, Stalinismus, Verleg am Park 2016; S. 314 ff

[14] Deutscher, S. 424/425

[15] A. Kappeler S. 202

Farkha Festival Komitee ruft zu Spenden für die Solidaritätsarbeit in Gaza auf

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zum Text hier
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Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge

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