09.01.2019: Die Landung der chinesischen Mondsonde und das Projekt der "Neuen Seidenstraße" gehen Hand in Hand mit anderen großen ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Fortschritten in China. Aber auch bei der Armutsbekämpfung hat China bedeutende Fortschritte aufzuweisen. Es ist höchste Zeit, sich vom alten China-Bild endgültig zu verabschieden und das eigene Weltbild entsprechend den neuen Realitäten auszurichten, meint Georg Polikeit.
Die reibungslose Landung der chinesischen Mondsonde Chang'e-4 auf der Rückseite des Mondes am 3. Januar und das danach ebenso reibungslose Aussetzen der Landefähre Yutu 2 war zweifellos eine wissenschaftlich-technische Meisterleistung ersten Ranges.
Parallel dazu strahlte das deutsche Fernsehen per ZDF am 2./3. Januar eine zweiteilige "Reportage"-Serie aus, die schon mit dem Titel andeutete, was dem Zuschauer beigebracht werden sollte: "Die neue Seidenstraße - Chinas Griff nach dem Westen".
Verpackt mit vielen meist exotisch anmutenden Bildern vermittelte das ZDF die Botschaft, dass das chinesische Seidenstraßen-Projekt im Grunde eine Bedrohung für die Nachbarländer und letztlich auch Europas und Deutschlands darstellt. Die Förderung von Straßen- und Eisenbahnbau, der Ausbau von Häfen und Stromtrassen in den Ländern entlang des Land- und Seewegs der alten Seidenstraße mithilfe chinesischer Investitionen und Experten diene in Wahrheit nicht der Wirtschaftsentwicklung der beteiligten Staaten, sondern habe letztlich nur ein Ziel: "Chinas Macht und Einfluss in bislang nicht bekanntem Maß ausbauen und die Gewichte der Welt grundlegend verschieben". China wolle seine einstige Stellung als "Reich der Mitte", das sich als Mittelpunkt der Welt verstand, wiederherstellen. Im Unterbewusstsein der Zuschauer werden alte Ängste vor der "gelben Gefahr" belebt, auch wenn die Autoren die Verwendung von so "primitiven" Ausdrücken natürlich sorgsam vermeiden.
In Wirklichkeit entspricht das Seidenstraßen-Projekt ganz den Grundpositionen des "Multilateralismus" und des offenen und freien Welthandels, der von Chinas Führern seit längerem auch auf einschlägigen internationalen Konferenzen aktiv verfochten wird - gegen die von manchen westlichen Mächten entwickelte protektionistische Tendenzen (z.B. den USA unter Trump).
Das Projekt der "Neuen Seidenstraße" verbindet die asiatisch-pazifische Region mit Westeuropa, betrifft Länder mit einer Bevölkerung von insgesamt 4,4 Mrd. Menschen und einem Bruttosozialprodukt von 21 Billionen USD. |
Sowohl die neue Seidenstraße wie die Mondlandung sind in erster Linie Ausdruck des hohen wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Entwicklungsstands, den China inzwischen offensichtlich erreicht hat.
Eine ständige Weltraumstation auf dem Mond?
Eine Landung auf der Rückseite des Mondes hatte bisher noch niemand unternommen, weil sie mit erheblich größeren Schwierigkeiten (und auch Kosten) als auf der Vorderseite verbunden ist. Da die Umdrehung des Mondes um sich selbst und sein Kreislauf um die Erde mit der gleichen Geschwindigkeit erfolgen, sehen wir von der Erde aus immer nur die gleiche Mondseite. Sie ist direkt einsehbar und mit Funksignalen erreichbar. Eine Landung in den von der Erde nicht direkt sichtbaren Mondgebieten verlangt einen erheblich größeren technischen Aufwand, um beispielsweise Funksignale um die Masse des Mondes herum von der Erde an die Mondsonde und Landefähre und von dort wieder zur Erde zurück zu senden. Dazu ist eine Relais-Station im Weltall nötig, die direkte Funkverbindungen sowohl zur Erde als zur Mondrückseite möglich macht.
Chinesische Mondsonden hatten bereits seit 2007 die Vorderseite des Mondes erforscht und dort 2013 die Sonde Chang’e-3 gelandet. Doch um mit Chang’e-4 eine weiche Landung auf der Mondrückseite vorzunehmen, musste zuerst der Kommunikationssatellit "Queqiao" ("Elsternbrücke") in eine Umlaufbahn hinter den Mond gebracht werden. Dieser wurde am 21. Mai 2018 gestartet.
"Chang’e" – so heißt übrigens von alters her die chinesische Mondgöttin. Die 4 hinter dem Namen bedeutet, dass es die vierte chinesische Mondsonde ist. Sie war am 7. Dezember letzten Jahres gestartet worden und brauchte 28 Tage bis zur Landung am 3.1. Chang’e 5 und 6 sollen in den kommenden Jahren folgen. Damit sollen die Voraussetzungen für die Mondlandung eines Menschen geschaffen werden. Später soll daraus möglicherweise eine ständig bemannte Station auf dem Mond entstehen. Wie chinesische Fachleute inzwischen erklärten, würde eine bemannte Station auf der Mondrückseite aufgrund der dortigen Bedingungen (Fehlen der Atmosphäre und menschlich verursachter anderer Störungen, besserer Empfang von Signalen aus der Tiefe des Alls) vor allem für weitere Weltraumaktivitäten wie etwa die Beobachtung des Mars und einen Flug dorthin von besonderer Bedeutung sein und Milliarden Dollar einsparen können im Vergleich zu den Kosten der derzeit unterhaltenen künstlichen Weltraumstation. Außerdem seien auch nutzbare Rohstoffvorkommen auf dem Mond von Interesse.
Die Landefähre, die von Chang’e-4 im Aitken-Becken nahe dem Südpol auf der Mondrückseite ausgesetzt wurde, heißt "Yutu 2" ("Jadehase 2"). Inzwischen wurden bereits Bilder von ihren Spuren auf der Mondoberfläche auf die Erde zurückgeschickt. Chang’e-4 hatte ein Gewicht von 1340 kg, die Landefähre Yutu 2 war etwa 140 kg schwer. Mitgeschickt worden war auch ein Behälter von ca. 3 kg Gewicht, der Samen von Kartoffeln und Gänserauke sowie Eier von Seidenraupen enthielt. Damit soll ein Experiment gemacht werden, um festzustellen, ob zwischen den Larven der Seidenraupe, die, wenn sie geschlüpft sind, CO2 produzieren, und den gekeimten Pflanzensamen, die per Photosynthese Sauerstoff erzeugen, eine gegenseitig förderliche Wechselwirkung entsteht.
China mit vielen wirtschaftlichen und wissenschaftlich-technischen Höchstleistungen an der Spitze
Die Mondlandung und das neue Seidenstraßen-Projekt sind aber keine isolierten Höchstleistungen. Sie gehen Hand in Hand mit anderen großen ökonomischen und wissenschaftlich-technischen Fortschritten, die allerdings hierzulande in der Öffentlichkeit kaum bekannt sind, weil die Medien nicht für erwähnenswert halten. Einige wenige Beispiele dafür:
Erdbebenwarnsystem
Die chinesische Online-Plattform german.people.ch berichtete am 2. Januar, dass China derzeit das weltweit größte Erbebenwarnsystem mit 15 000 im ganzen Land verteilten und untereinander vernetzten Sensoren aufbaut. Von ihnen aus können Einsatzzentralen und Behörden innerhalb von weniger als zwei Sekunden automatisch per Smartphones über Ort und Stärke des Bebens informiert werden und so wertvolle Minuten oder wenigstens Sekunden für Alarmierung der Betroffenen und Rettungsmaßnahmen gewonnen werden.
Hochgeschwindigkeitszüge
Am 5. Januar wurde auf der Hochgeschwindigkeitsstrecke Peking - Shanghai ein neues Modell des Hochgeschwindigkeitszuges "Faxing" ("Erneuerung") in Betrieb genommen, der von China selbst entwickelt wurde und allein aus in China gefertigten Bestandteilen besteht. Das neue Modell ist mit 17 Waggons um einen Waggon länger als das bisherige, insgesamt fast 440 m lang, mit Platz für 1283 Passagiere. Der Zug erreicht eine Geschwindigkeit von 350 km/h und braucht für die rund 1300 km lange Strecke Peking-Shanghai weniger als fünf Stunden. Zugleich wurden zum Jahresende zehn weitere Hochgeschwindigkeitsstrecken in verschiedenen Teilen Chinas in Betrieb genommen. Das Netz dieser Strecken erreichte damit eine Gesamtlänge von rund 29 000 km, mehr als zwei Drittel des gesamten weltweiten Hochgeschwindigkeitsbahnnetzes. 2019 soll es um zweitere 3200 km erweitert werden. Außerdem ist China dabei, vollautomatisch fahrende "autonome" Hochgeschwindigkeitszüge zu entwickeln, die ohne Fahrer funktionieren. Erste Tests dazu wurden von Juli – September 2018 auf verschiedenen Linien in der Provinz Liaoning durchgeführt, bei denen insgesamt 186.000 Schienenkilometer zurückgelegt wurden. Die chinesischen Hochgeschwindigkeitszüge und ihre Technologie finden zunehmend Interesse auch in anderen Ländern, so der Türkei, Indonesien, Russland, dem Iran und Indien.
Elektrofahrzeuge
Parallel dazu werden die Produktion und der Absatz von mit erneuerbarer Energie betriebenen Fahrzeugen 2019 weiter angekurbelt. In den ersten elf Monaten 2018 waren mehr als 1 Million E Fahrzeuge verkauft worden, ein Anstieg um 68 % gegenüber 2017. 2019 soll der Absatz von E Autos um weitere 40 % gesteigert werden. Die US-amerikanische Firma Tesla hat zum 1.1.2019 den Neubau eines Riesenwerks für 500.000 E Fahrzeuge pro Jahr in Shanghai in Angriff genommen. Dies wird die erste Industrieanlage in China sein, die aufgrund der kürzlich von der Regierung beschlossenen Aufhebung von bisher geltenden einschränkenden Bestimmungen ohne chinesische Kapitalbeteiligung ausschließlich in ausländischem Besitz ist.
Sonnenenergie-Kraftwerk
Noch im alten Jahr, am 27. Dezember 2018, wurde das größte photothermische Kraftwerk in China nahe der Stadt Dunhuang in der nordwestchinesischen Provinz Gansu mit einer Leistung von 100 Megawatt in Dienst genommen. Die insgesamt 12 000 Heliostaten (Sonnenspiegel) der Anlage bedecken eine Fläche von 1,4 Millionen Quadratmeter.
Eigene Chips
Der weltweit agierende chinesische Firmenholding Alibaba ist dabei, 2019 über eine Tochterfirma einen eigenen chinesischen Chip für elektronische Datenverarbeitung zur Anwendung in Geräten mit sogenannter "künstlicher Intelligenz" zu produzieren. Parallel will der global agierende Telekommunikationskonzern Huawei zwei eigene Chips "Ascend 910" und "Ascend 310" herausbringen. Damit soll die Abhängigkeit von ausländischen Chip-Herstellern wie Intel verringert werden.
Grün ausgerichteter Jangtse-Wirtschaftsgürtel
Weitergetrieben werden 2019 auch die koordinierten staatlichen Maßnahmen zur Wiederherstellung der Umwelt und zur weiteren Entwicklung der riesigen Jangtse-Wirtschaftszone. Sie umfasst insgesamt elf Provinzen quer durch China von der westlichen Provinz Sinkiang bis zum Großstadtrevier von Shanghai an der Flussmündung mit den weiteren Großstadtzonen Chongqing, Jingzhou, Wuhan und Nanjing. Diese vom Jangtse durchflossenen Provinzen machen insgesamt 21 % der Gesamtfläche Chinas und mit etwa 400 Millionen Einwohnern 40 % der chinesischen Gesamtbevölkerung aus. Sie hatten in der Vergangenheit eine teilweise sehr "stürmische" und unkontrollierte industrielle Entwicklung mit erheblichen Umweltschäden erlebt.
Ab 2016 ging die Staatsführung aber dazu über, dem systematisch entgegenzuwirken und eine koordinierte Planung der gesamten Wirtschaftszone voranzubringen. Eine "Nationale Entwicklungs- und Reformkommission" erhielt den Auftrag, die Entwicklung entlang des gesamten Flusses zu koordinieren und eine Strategie "grüner Entwicklung“ Vorrang einzuräumen, wie offiziell gesagt wird.
Anzahl der Tage mit blauem Himmel in China nimmt zu Im Jahr 2018 wurde die durchschnittliche Konzentration von PM2.5-Partikeln in 338 Städten in China gegenüber dem Jahr 2017 um 9,3 Prozent reduziert. (http://german.china.org.cn, 9.1.2019) |
Bereits in den vergangenen zwei Jahren wurden mehrere tausend Fabriken, die Wasser und Luft in der Zone vergifteten, geschlossen. Gleichzeitig wurden auf beiden Ufern des Flusses tausende Bäume zur Begrünung der Hänge gepflanzt. Seit April 2018 gibt es neue Pläne für die Verbesserung der Wasserqualität im Fluss selbst und der Trinkwasserqualität in den umliegenden Gebieten, die Unterbindung giftiger Einleitungen, die Regulierung und teilweise Vertiefung der Fahrrinnen sowie den umweltschonenden Ausbau von Häfen und Landeplätzen am Fluss. Gleichzeitig wird der Ausbau eines Verkehrskorridors entlang des Flussverlaufs mit Straßen, Eisenbahnlinien und Flughäfen in Angriff genommen.
Erfolge bei der Armutsbekämpfung
Aber nicht nur in wirtschaftlicher, wissenschaftlich-technischer und ökologischer Hinsicht wartet die Volksrepublik China zum Jahreswechsel 2018/19 mit bemerkenswerten Fortschritten auf. Auch bei der Armutsbekämpfung hat China bedeutende Fortschritte aufzuweisen.
In seiner Neujahrsansprache erwähnte Staats- und Parteichef Xi Jingping unter anderem, dass im vergangenen Jahr 125 Landkreise mit rund 10 Millionen Menschen aus dem Verzeichnis von armen Gebieten herausgenommen werden konnten, weil sie bei der Überprüfung die statistischen Normen der Armutsgrenze überschritten. Nach Schätzungen der "Weltbank" ist die Zahl der Menschen in China, die von weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag (internationale Armutsgrenze) leben, in den letzten 40 Jahren, seit China die Politik von "Reform und Öffnung" einführte, um mehr als 850 Millionen zurückgegangen. Von 2012 bis 2018 konnten pro Jahr jeweils mehr als 10 Millionen die Armutsgrenze hinter sich lassen. Das bestätige, dass China auf dem Weg sei, aus einem zurückgebliebenen Entwicklungsland in eine Phase "bescheidenen Wohlstands" für die Mehrheit der Bevölkerung überzugehen, wie es die regierende Kommunistische Partei seinerzeit als Ziel beschlossen hatte, heißt es in offiziellen Kommentaren zu diesen Zahlen. Die Zahl der Beschäftigten stieg in dieser Zeit von 401,52 auf 776,4 Millionen Menschen.
Oben: Die 20-jährige Yaoze (zweite links) im Jahr 1984. Es gab es keine Energie- und Wasserversorgung. Unten: Am 20. November 2018 sitzt die 54-jährige Yaoze (erste links) mit ihrer Schwiegertochter und zwei Enkeln in ihrem neuen Haus. Die Familie besitzt jetzt Motorräder und Traktoren und hat über 100 Gummibäume gepflanzt. (http://german.china.org.cn, 9.1.2019) |
Das eigene Weltbild entsprechend den neuen Realitäten ausrichten
Diese (unvollständige) Auflistung verdeutlichen, dass es im Zusammenhang mit der Mondlandung Chinas offenbar höchste Zeit wird, sich in Europa vom alten China-Bild eines zwar großen und stark bevölkerten, aber wirtschaftlich und technologisch weit zurückgebliebenen Landes, das irgendwie am "Rand der Welt" per Nachbau und Abkupfern westlicher Technik und massiver Förderung von Investitionen des Auslandskapitals den Rückstand aufzuholen versucht, endgültig zu verabschieden. Eigentlich müssten die westlichen Medien ständig voll sein von Berichten über neue chinesische Entwicklungen und wissenschaftlich-technische wie soziale und ökologische Errungenschaften, wenn sie dem Anspruch genügend wollten, ein ungeschminktes und realistisches Bild von der Welt in allen Dimensionen zu vermitteln. Vielleicht wären regelmäßige Rubriken "Neues aus China" angebracht.
Tatsache ist jedenfalls, dass China das Ziel einer Wirtschaftsentwicklung auf "gleicher Augenhöhe" mit den USA und der EU in wesentlichen Bereichen heute bereits erreicht hat, auch was die Leistungs- und Innovationsfähigkeit seiner Wissenschaft und Technologie angeht. Dass diese Entwicklung unter Führung einer Kommunistischen Partei erfolgt, mag für die dominanten westlichen Medien ein Ärgernis und ein Hemmnis für ihr Denk- und Darstellungsvermögen sein. Noch dazu, wo die Parteiführung unter Generalsekretär Xi in jüngster Zeit, insbesondere im Zusammenhang mit dem 200. Geburtstag von Karl Marx, wieder verstärkt betont dass ihr Ziel nicht die Einordnung und Gleichschaltung mit dem globalen Kapitalismus ist, sondern sie nach wie vor den Aufbau eines Sozialismus "mit chinesischen Merkmalen" anstrebt und zu diesem Zweck die Pflege und das Studium des Marxismus als theoretische Quelle befürwortet (auch wenn damit Fragen nach der Rolle des aus- und inländischen Kapitals und nach der Entwicklung der Eigentumsverhältnisse in China noch nicht geklärt werden).
Chinas Entwicklung ist ein Beleg dafür, dass die Welt sich weiterentwickelt und unaufhörlich verändert, und das nicht nur zum Schlechten, ohne sich um das Gerede vom "Ende der Geschichte" zu kümmern. Es ist an der Zeit, sein eigenes Weltbild entsprechend neu auszurichten, damit es den Realitäten von heute voll gerecht wird.
txt: Georg Polikeit