07.02.2014: Eine Erwiderung von Rainer Dörrenbecher auf Hans-Peter Brenners Auffassungen zum 'Neoliberalismus' in seinem Diskussionsbeitrag "Zum 90.Todestag Lenins - Teil 1: 'Bindeglieder' zwischen Marxismus und Leninismus". In diesem Beitrag hatte sich H.P. Brenner erneut polemisierend mit den Begriffen 'Globalisierung und Neoliberalismus' und deren Inhalt auseinandergesetzt.
Eine Vorbemerkung
Im Vorwort vom 24. Juni 1872 zum Kommunistischen Manifest meinten Marx u. Engels u.a.: "Wie sehr sich auch die Verhältnisse in den letzten 25 Jahren geändert haben, die in diesem Manifest entwickelten allgemeinen Grundsätze behalten im ganzen und großen auch heute noch ihre volle Richtigkeit. Einzelnes wäre hier und da zu bessern. Die praktische Anwendung dieser Grundsätze, erklärt das 'Manifest' selbst, wird überall und jederzeit von den geschichtlich vorliegenden Umständen abhängen ..." (Das Vorwort ist in allen gängigen Ausgaben veröffentlicht.)
Nun haben weder unsere Klassiker Marx, Engels und Lenin, noch nachfolgende marxistische Theoretiker und Gesellschaftswissenschaftler so schön nachvollziehbar darauf hingewiesen, was denn nun Grundsätze und was Modifikationen entsprechend den geschichtlich vorliegenden Umständen sind. Aber mit dem 'Hinweis' von Engels, dass der Sozialismus, seitdem er zur Wissenschaft wurde, auch als solche betrieben werden muss, dachten diese wohl, würden wir es schon schaffen. Sie haben sich geirrt!
Standpunkte des Hans-Peter Brenner
H.P. Brenner stellt fest, dass es bei Marx, Engels und Lenin "um ein dialektisches Geschichtsverständnis, das sowohl ökonomistischen Determinismus wie subjektiven Voluntarismus in der Bewertung von Möglichkeiten und Potenzen der grundlegenden Gesellschaftsveränderung vermeidet". Damit setzt er auch für sich selbst den Maßstab.
Die zweite Hälfte des Beitrages beinhaltet eine Auseinandersetzung mit den von ihm in der marxistischen Diskussion abgelehnten Begriffen 'Globalisierung' und 'Neoliberalismus'. Schon im ersten Satz im Kapitel "2. Bindeglied: die Leninsche Imperialismustheorie" benennt er seine Position: "Die seit den 90ger Jahren weltweit geführt Debatte um die sogenannte 'Globalisierung' und 'Neo-Liberalismus' ..." Die ihm missliebigen Begriffe sind sogenannte. Und weiter geht es:
So hieß es 2010 auf einer PV-Tagung im Referat von Leo Mayer: "Wir treten jetzt wieder in eine Phase der krisenhaften Restrukturierung des Kapitalismus ein. Diese Situation ist mit großen Gefahren, aber auch Möglichkeiten verbunden. Wir müssen uns auf das Neue einstellen, auf das Neue vorbereiten, um für die Veränderung kämpfen zu können. Und in neuen Zeiten ist es auch notwendig, neue Worte für die altbekannten Sachen zu finden (Rosa Luxemburg). Noch mehr gilt das, wenn es nicht nur um neue Worte geht, sondern auch um neue Sachen."
An diesen Positionen ist natürlich einiges richtig und selbstverständlich. Ich denke aber, dass das im Moment noch nicht Erkannte oder Bekannte nur dann als 'neu' definiert werden kann, wenn man die Qualität dieses Neuen abgleicht mit dem, was man dann anschließend als das 'Alte' bezeichnet.
Als 'neu' kann ja nur etwas definiert werden, wenn man dem Vergleich mit dem 'Bisherigen' angestellt hat. Das gilt auch für die Theorie des modernen Kapitalismus. In der DKP wurde in den Jahren vor dem letzten, dem 20. Parteitag, jedoch viel zu vieles als 'neu' interpretiert, was es substantiell gar nicht war.
Neue Erscheinungsformen des Kapitalismus – die 'Globalisierung', der 'finanzmarktgetriebene Kapitalismus' oder der 'Neoliberalismus', wurden zu neuen qualitativen Stufen in der Entwicklung des Kapitalismus erhöht, dem der angeblich "erstarrte Marxismus-Leninismus" nicht mehr theoretisch Herr werden könne. Der in der DKP dafür auf die Spitze getriebene gedankliche Bruch und zugleich Kniefall vor dem Pseudomarxismus des 'demokratischen Sozialismus' gipfelte in der Vorstellung der 'Thesen des Sekretariats' von Anfang 2010.
Was jedoch ist nun das viel zu viel als neu interpretierte, was es substantiell gar nicht war? Diese von ihm aufgeworfene wichtige Frage wird von H.P. Brenner nur teilweise beantwortet.
So wie im Allgemeinen üblich wird am Ende des Beitrages ein Resümee gezogen: Unter Marxisten wurde heftig darüber diskutiert, ob sich damit eine neue Entwicklungsphase des Kapitalismus ergibt, den man als 'Neoliberalismus' zu bezeichnen habe.
Mit Recht wurde von Hans Heinz Holz und anderen (darunter auch der Autor dieses Beitrags) darauf hingewiesen, dass die pauschale Benutzung des Begriffs 'Neo-Liberalismus' objektiv der Versuch sei, damit den Begriff 'Imperialismus' zu ersetzen.
Heute geht die Diskussion aber schon wieder in eine andere Richtung – so ging es schon auf dem großen attac-Kapitalismus-Kongress in 2009 um die Frage , ob die neue Entwicklung seit der Finanzkrise von Herbst 2008 als "Post-Neoliberalismus" bezeichnet werden müsse.
Die Brüchigkeit und Beliebigkeit dieses Begriffs in der gegenwärtigen kapitalismustheoretische Debatte hatte Hans Heinz Holz auf einem Hearing des Parteivorstands der DKP im Jahre 1996 kurz und bündig damit so begründet: Bei dem damaligen (und gegenwärtigen) inflationären Gebrauch des Begriffs 'Neo-Liberalismus' handele es sich um eine "Falschmünzerei im Begriff".
Ich ignoriere die 'Kniefall'-Diffamierung. Und die "Brüchigkeit und Beliebigkeit dieses Begriffs" belegt H.P. Brenner durch einen Kongress von attac. Er verwechselt wohl einen Kapitalismus-Kongress von attac mit einer Konferenz der Marx-Engels-Stiftung. Es ist eine Sache, wenn Kapitalismuskritiker das Ende des Neoliberalismus feststellen, weil in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise einige Formen modifiziert werden (müssen?). Diese Modifizierungen ändern nichts am Wesen des Neoliberalismus und sollen es auch nicht. Ich unterstelle, das weiß auch H.P. Brenner.
H.P. Brenner räumt ein, dass es unter Marxisten (Hervorhebung von mir) eine heftige Diskussion gab (also Vergangenheit), ob es eine neue Entwicklungsphase des Kapitalismus gibt, den man als Neoliberalismus zu bezeichnen habe. Und führt dann Hans Heinz Holz mit einem Zitat von 1996 an, mit dem dieser den Begriff als "Falschmünzerei" bezeichnete. Damit schien dann alles klar. Die Genossen Holz und Brenner haben allerdings nicht beachtet, dass die Zeit vorbei ist, in der ideologische Bannstrahle eine gesellschaftswissenschaftliche Diskussion beenden. Und nicht nur die vielen Genossinnen und Genossen, die am Programm der DKP mitdiskutiert, inhaltlich mitgearbeitet und dies dann beschlossen haben, hatten sich eigenes Denken nicht verbieten lassen.
In diesem Teil von H.P. Brenners Beiträgen existieren die Transnationalen Konzerne einfach nicht. Die Herausbildung und Rolle der transnationalen Konzerne und Finanzgruppen zu ignorieren, bedeutet allerdings schlicht Ignoranz. Und an anderen Stellen liest es sich bei ihm so, als seien diese eine Erfindung des ISW München.
Und so steht es denn im Programm der DKP: Im Kapitel "In welchem Kapitalismus leben wir?" werden Merkmale dargestellt, die auch von H.P. Brenner genannt werden. Völlig untergegangen ist ihm allerdings eine ökonomische Entwicklung des Imperialismus, die im Partei-Programm dargestellt wird:
Zu den beherrschenden Kapitalien auf dem Weltmarkt und zu einer strukturbestimmenden Form des Kapitalverhältnisses in der gegenwärtigen Entwicklungsetappe des monopolistischen Kapitalismus wurden die Transnationalen Konzerne und Transnationalen Finanzgruppen. Die Transnationalen Konzerne organisieren den Produktionsprozess in weltweiten Netzen nach den günstigsten Verwertungsbedingungen und globalisieren die Mehrwertproduktion. Sie können die Wirtschaftspolitik von Staaten durchkreuzen und diese erpressen. Die Staaten werden in einen erbarmungslosen Konkurrenzkampf um die für die Transnationalen Konzerne profitabelsten Konditionen verstrickt. (Seite 9)
Und auf Seite 12 steht dann noch: Mit der Strategie des Neoliberalismus wird der Prozess der Internationalisierung des staatsmonopolistischen Kapitalismus beschleunigt. Der Neoliberalismus ist die Ideologie und Politik, mit der die Umwälzung der Arbeits- und Lebensweise, der Produktionsverhältnisse vorangetrieben wird, um diese dem neuen Stand der Produktivkräfte unter kapitalistischen Bedingungen anzupassen und dem Kapital verbesserte Verwertungsbedingungen zu verschaffen. (Seite 12)
Diese Teile des Parteiprogramms, eben die Kapitel "In welchem Kapitalismus leben wir" und "Kapitalismus und Staat" (Seiten 8-13) größtenteils ignorierend stellt H.P. Brenner in seinem 4. Beitrag wieder fest: "Der 'Neo-Liberalismus' schien die 'STAMOKAP-Theorie' widerlegt zu haben. Doch das war schon damals falsch und ist es heute erst recht." Möglicherweise verwechselt er Form, Inhalt und Wesen des SMK. Dass es auch Autoren gibt, die eine Aufhebung des STAMOKAP feststellen und die er im Geiste anführt für seine Behauptung, bestätigt nur seine oben angeführte Methode, sich das auszusuchen, was passt. In der marxistischen Diskussion gibt es aber sehr wohl die begründete Auffassung, dass der staatsmonopolistische Kapitalismus sich unter den Bedingungen der Globalisierung verändert. (siehe unten)
Selbstverständlich ist das Programm der DKP von 2006 kein Dogma im Sinn eines unumstößlichen Lehrsatzes. Es entstand aus der Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen und wird auf dieser Grundlage auch weitergeschrieben werden. Viele von denen, die daran mitgearbeitet hatten, berücksichtigten die Erkenntnisse marxistischer Wissenschatler.
Im Jahr 1999 veröffentlichte ein Autorenkollektiv der Kubanischen Kommunistischen Partei eine Arbeit, die dankenswerterweise vom NEUE IMPULSE VERLAG in der EDITION MARXISTISCHE BLÄTTER im folgenden Jahr herausgegeben wurde unter dem Titel: "Imperialismus heute – über den gegenwärtigen transnationalen Monopolkapitalismus". Im Umschlagtext des Verlags heißt es: "Die Autoren, hochrangige Wissenschaftler der kubanischen KP, wollen mit ihrem Buch ein Forschungsprogramm darlegen statt einer Sammlung von Wahrheiten und fertigen Ideen.“
Ich lasse nun die Autorengruppe argumentieren, scheinen mir deren Argumentationen doch wirkungsvoller als meine eigenen oder die eines H.P.B., Leo Mayers, oder irgendeines anderen DKP-Mitglieds.
Ihren Anspruch an ihre Arbeit benennen sie u.a.: "... was nach unserer Meinung die grundlegende historische Herausforderung unserer Tage ist: die Metamorphose, die der heutige Imperialismus durchmacht, einer wissenschaftlichen Kritik zu unterziehen". (Seite 7, Vorwort der Autoren)
Im Kapitel "Die Transnationalisierung des staatsmonopolistischen Kapitalismus" schreiben die Autoren: Die Durchsetzung des Neoliberalismus entspricht einem organischen der Entwicklung des transnationalen Kapitalismus, das mit der globalen Kapitalkonzentration einhergeht; sie entspricht dem natürlichen Weg, den die Finanzoligarchie findet, um kleine und mittlere Kapitale zu zerstören, auszusaugen und zu zentralisieren, indem der Staat direkt zu interventionistischen Zwecken genutzt wird, das heißt, zum Zweck der Schaffung der erforderlichen politischen Bedingungen für die freie Entwicklung der transnationalen Monopole. ... Seine Grundpfeiler (des Neoliberalismus RD) – die Privatisierung, der 'freie Markt' und die Überbetonung des Individuellen gegenüber dem Kollektiven – sind weitere Formen zur Sicherung der uneingeschränkten Herrschaft der transnationalen Monopole über jedwedes andere gesellschaftliche Produktionsverhältnis ... (Seite 75)
Im Kapitel "Transnationalisierung, Staat und politische Macht" stellen die Autoren fest:
Angesichts der Vertiefung der ökonomischen, politischen und sozialen Krise suchen Regierungen von imperialistischen und abhängigen Ländern, Institutionen des UNO-Systems wie das UNDP (UN Entwicklungsprogramm, RD) und die UNESCO, Denkfabriken der Konservativen, liberalen, christdemokratischen und sozialdemokratischen Internationalen und ad-hoc-Gruppen wie der 'Kreis von Montevideo' sorgenvoll nach Formeln der 'Regierbarkeit' – diesem der Herrschaft des transnationalen Monopolkapitals unzugänglichen Punkt Omega – das heißt nach Techniken und Anweisungen, die den Ausbruch der ökonomischen, politischen und sozialen Widersprüche, die der Prozess der imperialistischen Konzentration und Transnationalisierung des Reichtums und der politischen Macht mit sich bringt, verhindern oder, was dasselbe ist, die erforderlichen politischen Bedingungen für die Entwicklung des Prozesses der transnationalen Konzentration des Reichtums und der Macht auf Kosten der Unterdrückung, Ausbeutung und Marginalisierung der Mehrheit der Menschen sichern soll. (S.143/144)
Die herrschende gesellschaftliche Kraft in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft ist die transnationale Finanzoligarchie. (S. 146)
Im Schlussteil 'Eine Art Schlussfolgerung' steht dann: Auf Grund seiner eigenen Natur besitzt der Kampf gegen den Neoliberalismus als politischer, ökonomischer und ideologischer Ausdruck des transnationalen Kapitalismus antiimperialistischen Charakter und ist, wenn sich auch viele seiner Protagonisten dessen noch nicht bewusst sind, dem Wesen nach ein antiimperialistischer Kampf. Deshalb stellt die Schaffung der breitesten antineoliberalen Einheitsfront ein Erfordernis der strategischen Schlacht für den Aufbau des Sozialismus dar.
Nun kann ich zwischen den Begriffen 'Neoliberalismus als politischer, ökonomischer und ideologischer Ausdruck des transnationalen Kapitalismus' (Autorengruppe) und der Formulierung "der Neoliberalismus ist die Ideologie und Politik, mit der die Umwälzung der Arbeits- und Lebensweise, der Produktionsverhältnisse vorangetrieben wird" (Programm der DKP) keinen wesentlichen oder auch qualitativen inhaltlichen Unterschied erkennen. Oder bin ich im Irrtum?
Im März 2011 fand in Mexico das 'XV. Internationales Seminar der Partei der Arbeit, Mexiko' statt. Dort sprach u.a. auch H.P. Felipe Gil Chamizo, einer der Autoren des o.g. Buches, im Namen der Delegation der Kommunistischen Partei Kubas zum Thema: "Weltweite Krise und geopolitische Veränderungen". In seinem Beitrag stellt F. Gil aktuelle Entwicklungen des transnationalen, neoliberalen Kapitalismus dar.
Unter der Zwischenüberschrift 'Neoliberalismus und Krise des Kapitalismus' weist er darauf hin, dass die Krise "deutlich transnationalen Charakter und eine ausgemacht globale Tendenz" habe. Dies hänge damit zusammen, dass seit "Ende des 20. Jahrhunderts die allgemeine Tendenz des Kapitals stärker geworden ist, gesellschaftliche Systeme zu errichten, die von transnationalen wirtschaftlichen, politischen und geistigen Mächten beherrscht werden". (Der Beitrag ist veröffentlicht auf www.kommunisten.de )
Weiterhin lässt sich die KP Kubas von den Verdikten der Genossen Brenner und Holz nicht von wissenschaftlicher Analyse abhalten. Und bei aller Bescheidenheit – ich mich auch nicht.
Rainer Dörrenbecher, Neunkirchen, Mitglied des Bezirksvorstandes Saarland der DKP