06.04.2023: Der spanische Philosoph und Aktivist Raúl Sánchez Cedillo schrieb eine Verteidigung des Pazifismus als kommunistisches Projekt gegen den Kapitalismus und seine Kriegsgestalt. ++ Leseprobe: Vorwort von Pablo Igelsias ++ link zu kostenlosem Download als pdf oder ePub
Wie kann der Schrecken des Ukraine-Krieges analysiert werden, ohne in falsche Vereinfachungen zu verfallen? Und wie könnten die Konturen einer emanzipatorischen Politik in Zeiten eines weltweiten Kriegsregimes aussehen? Raúl Sánchez Cedillo wagt einen kritischen Vorstoß jenseits gängiger Vereinfachungen.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ist die Ukraine unaufhörlichen Verwüstungen ausgesetzt. Mit dem Angriffskrieg Russlands erfährt diese Leidensgeschichte seit Februar 2022 eine grausame Fortschreibung, die globale Auswirkungen hat. Sánchez Cedillo durchmisst das Völkerrecht, die globale Ökonomie und den postsowjetischen Raum, aber auch die Europapolitik und die Verbindung von Krieg und Klimakrise.
"Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine" soll Anstoß geben für die längst überfällige Debatte, wie eine zeitgemäße Anti-Kriegs-Position aussehen kann. Der Autor plädiert dafür, dass "Frieden" in einer von zahllosen Krisen verwüsteten Welt nicht ohne eine soziale und ökologische Umkehr denkbar ist. Anstelle einer Parteinahme für eine Kriegspartei stellt Cedillo die Versuche, eine andere Gesellschaft und neue Institutionen zu schaffen, in den Mittelpunkt seiner politischen Perspektive. Gegen die allgegenwärtige Militarisierung streitet Sánchez Cedillo für ein sozialökologisch Gemeinsames, für eine demokratische Macht von unten und einen konstituierenden Frieden.
Leseprobe: Vorwort von Pablo Igelsias Turrión
Frischer Wind für den politischen Kampf
"Ukrainer sind bereit, für die europäische Perspektive zu sterben". Mit diesem Zitat des kriminellen Appels von Ursula von der Leyen beginnt Raúl Sánchez Cedillo das Buch. Wie erklärt, ist der Text als Triptychon konzipiert, um das Kriegsregime (so Sánchez Cedillos Begriff) zu verstehen, das die politischen Logiken unserer Zeit (global und staatlich) bestimmt.
Im ersten Teil werden die Ursprünge und zentralen Punkte des russisch-ukrainischen Krieges im postsowjetischen Kontext analysiert und die vorherrschenden Diskurse, die die Logik des Kriegsregimes normalisieren oder als unvermeidlich darstellen, einer Kritik unterzogen.
Im zweiten Teil zeigt der Autor, dass ein grundlegender historischer Bezugspunkt für das Verständnis der gegenwärtigen historischen und geopolitischen Situation viel mehr im Ersten als im Zweiten Weltkrieg liegt. Dies aufgrund des globalen Wettbewerbs zwischen einer alten Hegemonialmacht, die im Niedergang begriffen ist (den USA) neben der aufstrebenden Macht Chinas. Heute wie vor einem Jahrhundert schafft der interimperialistische Wettbewerb auf Leben und Tod den idealen Rahmen für die Entstehung dessen, was Raúl als die Extremform der Verteidigung des kapitalistischen Kommandos analysiert: den Faschismus, der einmal mehr durch den Krieg geboren wird.
Der dritte Teil des Buches ist eine Verteidigung des Pazifismus als kommunistisches politisches Projekt gegen den Kapitalismus und seine Kriegsgestalt. Raúl vertritt kompromisslos einen konstituierenden Frieden, der neue Institutionen und Produktionsweisen des Gemeinsamen anregt, die der Logik der Akkumulation und endlosen Expansion trotzen. Die ökologische Bewegung tritt darin aus Klassenperspektive als alternatives Projekt zur Logik des Kapitals hervor.
Das Buch, das Sie in Händen halten, ist ein wahres Juwel. Es bietet nicht nur ein komplettes Analyseinstrumentarium, um den Krieg zu verstehen, sondern auch Schlüssel dazu, wie das kapitalistische Weltsystem in seiner politischen (das System der Staaten) und wirtschaftlichen Dimension (bezüglich Wettbewerb und Logik der Akkumulation) funktioniert. Das gleiche gilt für die extreme Mattigkeit eines europäischen politischen Projekts, das eine Ultra-Rechte normalisiert, die dieses bald verschlingen könnte. Es läuft Gefahr, von den (in diesem Fall nuklearen) Flammen des Krieges zu Asche gemacht zu werden.
Sánchez Cedillo zeigt sich in diesem Werk als kämpferischer Intellektueller mit einer marxistischen Klarheit von außerordentlicher Frische und Gelehrtheit. Die kämpferische Leidenschaft, die Sie auf seinen Seiten finden werden, macht dieses Buch zu deutlich mehr als einer Sammlung von Informationsmaterial. Es handelt sich um eine echte theoretische Lektüre. Diese ist unabdingbar für die politischen Kader der Linken, die ständig Gefahr laufen, dem Kretinismus zu verfallen, in den sie das Kriegsregime mit seinen ideologischen Apparaten zu treiben versucht. Tatsächlich hat das Kriegsregime einen großen Teil der Linken aus dem Gleichgewicht gebracht (ein Thema, mit dem sich das Buch in seiner ganzen Rohheit auseinandersetzt): Die Linke war entweder in einer sterilen und pathetischen Nostalgie für den Kalten Krieg gefangen, die auf der Suche nach einer den Antiimperialismus verkörpernden Macht (die es in Wirklichkeit gar nie gab und erst recht nicht nach dem Fall der Berliner Mauer) zu rotbraunen Positionen führte. Oder dann hat sie das Verbrechen der deutschen Sozialdemokratie als Farce wiederholt, als sie für die Kriegskredite stimmte, diesmal unter der Annahme des NATO-Konsenses.
In diesem Buch liefert Raúl auch eine Verteidigung des leninistischen politischen Denkens, die an die Klarheit der alten italienischen Autonomia des Operaismus erinnert. Diese vermochte zuweilen, das kommunistische Genie den stalinistischen Mystifikationen zu entreißen. Sich angesichts von Krieg und Kapitalismus in einem Kontext als kommunistisch zu bekennen, in dem die Linke in weiten Teilen der Welt in einer neoliberalen, prokrustesartigen Kiste gefangen lebt, die es ihr kaum erlaubt, ihre Vorschläge in Form von mehr oder weniger sozialdemokratischen Umverteilungsprogrammen im Rahmen der Marktwirtschaft zu organisieren, erzeugt frischen Wind und ist reines ideologisches Protein für den politischen Kampf.
Wenn eine Technokratin wie Ursula von der Leyen Europäer:innen dazu aufruft, ihr Leben im Namen der EU-Verträge und ihrer Zentralbank zu opfern (kaum mehr als das ist die Europäische Union heute), aber immer im Dienste der NATO, dann muss das alte internationalistische Gespenst wieder hervorkommen, um dem Kapitalismus und seiner gegenwärtigen Form als Kriegsregime einen alternativen Horizont entgegenzusetzen. Als höchster Anspruch eines politischen Projekts der Aufklärung und der europäischen Bewegung für Frieden und soziale Gerechtigkeit: Raúl bringt uns in diesem Buch die Gegenwart des alten Gespenstes zurück.
Madrid, im Oktober 2022
Raúl Sánchez Cedillo
Dieser Krieg endet nicht in der Ukraine. Argumente für einen konstituierenden Frieden
Mit Vorworten von Katja Maurer, medico international, und Pablo Iglesias
Aus dem Spanischen von Michael Grieder
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siehe auch Interview mit Raúl Sánchez Cedillo: Ein weltweites Kriegsregime droht |