22.06.2022: "Make Friends Not Art!" Das ist das Motto von ruangrupa, einem indonesischem Kunst-Kollektiv aus Jakarta, das in diesem Jahr die documenta in Kassel präsentiert. ++ Ihr Werk sorgt für heftige Aufregung: Die documenta verdeckt es wegen "Antisemitismus" zunächst und baut es wenig später ganz ab ++ Sabine Leidig meint, dass mit dem großen Dauerthema "Antisemitismus auf der documenta-fifteen" – bewusst oder unbewusst – davon abgelenkt wird, dass hier in Kassel die ganze Wucht der Perspektive des globalen Südens zum Ausdruck kommt. ++ Leidig: "Kommt, schaut, lernt, redet und lasst euch inspirieren".
"Make Friends Not Art!" Das ist eigentlich das Motto von ruangrupa, einem indonesischem Kunst-Kollektiv aus Jakarta. Es kuratiert in diesem Jahr die documenta in Kassel, die weltgrößte Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Nach der Enthüllung eines Banners des Kollektivs "Taring Padi" zur documenta-Eröffnung, auf denen angebliche judenfeindliche Darstellungen zu sehen sind, befindet sich auch ruangrupa erneut im Zentrum einer Antisemitismusdebatte.
Es ist offensichtlich, dass faschistisch-gewalttätige Unterdrückung und Bedrohung von Armen, Arbeitenden, Aufbegehrenden das große Thema des Werkes ist – die 30-jährige blutige Diktatur in Indonesien wird kritisiert, die mit westlichen, imperialen Akteuren verbunden war.
Ich war gestern (eher zufällig) am Friedrichsplatz Zeugin der Verdeckung des Kunstwerkes mit schwarzen Stoffbahnen, die von oben herabgerollt wurden. Eine Schar von Besucher*innen und Medienleuten stand zwischen den Pappfiguren und beobachtete. Zwei oder drei haben geklatscht, eine Frau mit einer kleine Israel-Fahne war von Fotografierenden umringt …. die meisten Anwesenden waren – wie ich auch – sehr beklommen. Ich sprach mit Umstehenden, die meine Empfindung teilten, dass hier mit einem großen eurozentristischen Hammer Künstler*innen be- und verurteilt werden, deren Perspektive eine andere ist, die nicht unsere historische Schuld tragen und deren Erzählung und Erfahrung in der öffentlichen Debatte offenbar keine Rolle zu spielen hat.
Taring Padi äußert sich dazu wie folgt:
"Die Banner-Installation People’s Justice (2002) ist Teil einer Kampagne gegen Militarismus und die Gewalt, die wir während der 32-jährigen Militärdiktatur Suhartos in Indonesien erlebt haben und deren Erbe, das sich bis heute auswirkt. Die Darstellung von Militärfiguren auf dem Banner ist Ausdruck dieser Erfahrungen. Alle auf dem Banner abgebildeten Figuren nehmen Bezug auf eine im politischen Kontext Indonesiens verbreitete Symbolik, z.B. für die korrupte Verwaltung, die militärischen Generäle und ihre Soldaten, die als Schwein, Hund und Ratte symbolisiert werden, um ein ausbeuterisches kapitalistisches System und militärische Gewalt zu kritisieren. Das Banner wurde erstmals 2002 auf dem South Australia Art Festival in Adelaide ausgestellt. Seitdem wurde das Banner an vielen verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Kontexten gezeigt, insbesondere bei gesellschaftspolitischen Veranstaltungen, darunter: Jakarta Street Art Festival (2004), die retrospektive Ausstellung von Taring Padi in Yogyakarta (2018) und die Polyphonic Southeast Asia Art Ausstellung in Nanjing, China (2019).
Taring Padi ist ein progressives Kollektiv, das sich für die Unterstützung und den Respekt von Vielfalt einsetzt. Unsere Arbeiten enthalten keine Inhalte, die darauf abzielen, irgendwelche Bevölkerungsgruppen auf negative Weise darzustellen. Die Figuren, Zeichen, Karikaturen und andere visuellen Vokabeln in den Werken sind kulturspezifisch auf unsere eigenen Erfahrungen bezogen.
Die Ausstellung von People’s Justice auf dem Friedrichsplatz ist die erste Präsentation des Banners in einem europäischen und deutschen Kontext. Sie steht in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung. Wir sind traurig darüber, dass Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher Zweck. Wir entschuldigen uns für die in diesem Zusammenhang entstandenen Verletzungen. Als Zeichen des Respekts und mit großem Bedauern decken wir die entsprechende Arbeit ab, die in diesem speziellen Kontext in Deutschland als beleidigend empfunden wird. Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs in diesem Moment. Wir hoffen, dass dieses Denkmal nun der Ausgangspunkt für einen neuen Dialog sein kann".
(...)
Mir gehen noch weitere Widersprüche durch den Kopf:
Erstens: wird den Jüdinnen und Juden nicht ein "Bärendienst" erwiesen, wenn schon die Kritik am israelischen Geheimdienst als "antisemitisch" gelabelt werden kann? Die allermeisten Menschen jüdischen Glaubens und die allermeisten Bürger*innen Israels sind doch damit gar nicht identifiziert und viele haben ebenfalls Kritik an Mossad oder anderen Staatsorganen.
Zweitens: wird nicht mit dem lauten Antisemitismusvorwurf an das Taring Pati Kollektiv, die Frage übertönt, warum der deutsche Staat und "Der Westen" mit Waffenlieferungen und Wirtschaftshilfen den indonesischen Diktator Suharto massiv gestützt hat (der langjährige Bundeskanzler Helmut Kohl war dabei ein wichtiger Partner).
Drittens: wird mit dem großen Dauerthema "Antisemitismus auf der documenta-fifteen" nicht – bewusst oder unbewusst – davon abgelenkt, dass hier in Kassel die ganze Wucht der Perspektive des globalen Südens zum Ausdruck kommt. In der "Botschaft der Indigenen" nebenan wird gezeigt, wie Behausungen zerstört, Land geraubt und Wälder gerodet werden … für Soja-Anbau, Rinderzucht, Hamburger, Zertifizietung für klimafreundliches Flugreisen, usw. In der Aue große Stapel Wohlstandsmüll, mit dem sich vor allem die Armen dieser Welt herumschlagen [1]. Die imperiale Lebensweise unabweisbar in Kunstwerken sinnlich, sichtbar und erlebbar gemacht. Nur zwei Beispiele die ich gestern Abend im Vorbeigehen sah.
Viertens: mit einer Diskussion auf Augenhöhe wäre sicher mehr gewonnen – für alle Beteiligten. Und vielleicht hätten sich Taring Padi entschieden die Figur, die wohl das Kapital hinter faschistischen Herrschern darstellen soll, umzugestalten, so dass sie nicht Attribute eines orthodoxen Juden trägt und damit wirklich antisemitische Bilder kopiert.
Noch sind viele Wochen documenta-fifteen in Kassel zu sehen und zu fühlen. Kommt, schaut, lernt, redet und lasst euch inspirieren: documenta-Künstler*innen Ich werde jedenfalls noch viele Gelegenheiten nutzen bis zum 25.September.
Hinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde auf einen Text von Ulrich Schneider verwiesen und dieser zitiert. Auf Bitten von Ulrich Schneider wurde diese Passage entfernt. Ulrich Schneider verweist darauf, dass er zwar einer der Bundesprecher der VVN-BdA ist, aber die VVN-BdA dazu keine Stellungnahme abgegeben hat und dies in dieser Form auch nicht tun wird. Bei dem Text handelte es sich um persönliche Überlegungen und nicht um eine öffentliche Erklärung. Ein Text von Ulrich Schneider zu diesem Thema wird demnächst auf kommunisten.de erscheinen.
Anmerkungen
[1] Zum Müllgeschäft eine spannende aktuelle ARD-Dokumentation: "Die Recycling-Lüge"