22.01.2019: In seinem vierten, von Sponsoren und Medienpartnern in der Bundesrepublik unterstützten Jahr präsentierte sich Hellas Filmbox Berlin stärker als europäische Plattform für den aus klammen Finanzen wiederaufstrebenden "Neuen Griechischen Film". Im Kino Babylon standen vom 16. bis 20. Januar 2018 insgesamt 44 innovative Filme aller Genres zur Auswahl.
Da die griechische Regierung bei den meisten beantragten Projekten keine staatliche Finanzierung sichern kann, will sie durch gesetzliche Änderungen künftig wenigstens günstigere Anreize für den Einstieg von Koproduzenten aus dem europäischen Ausland schaffen.
Der von der weiblichen Jury preisgekrönte Film von Tonia Mishiali "Pause", eine zypriotisch-griechische Koproduktion um ein Ehe-Emanzipationsdrama, gestattete wie viele andere einen Blick auf mitunter im Ausland oder privat finanzierte Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme sowie auf Videoprojekte.
Den Fokus des Festivals bildeten Zeitgeschehen, Kultur und Geschichte Griechenlands. Nach Jahren der deutsch-griechischen Beziehungskrise und dem im Ausland lange Zeit kaum mehr beachteten griechischen Film möchte die Deutsch-Griechische Kulturassoziation e.V. auch durch Anbahnung von offiziellen Dialogen eine neue Brücke zu einem kreativen Kulturaustausch schlagen. "Wir wollen etwas dazu beitragen, dass sich die Menschen beider Länder wieder annähern", erklärte der Initiator von Hellas Filmbox, Asteris Koutoulas, bekannt durch seinen jahrzehntelangen Einsatz für internationale Solidarität mit Mikis Theodorakis und über Jahre dessen persönlicher Begleiter bei umjubelten Auslandsauftritten.
Offizieller Eröffnungsauftakt: Mauthausen- Liedzyklus von Theodorakis
Nicht von ungefähr erinnerte schon das ausverkaufte, auch von Offiziellen besuchte Eröffnungsprogramm im "Babylon" mit Maria Farantouri und dem emotional nachhaltigen Mauthausen-Liedzyklus von Theodorakis an griechische Wiedergutmachungsansprüche für schwere Kriegsverbrechen während der deutschen Besatzungszeit und Forderungen nach angemessenen Reparationen.
Zwei Lieder aus dem Mauhausen-Zyklus mit Maria Farantouri (Piräus, 1966)
|
"Die letzte Notiz"
Dem Spielfilm-Auftakt "Die letzte Notiz" (2017) von Altmeister Pantelis Voulgaris waren bewusst vier im nationalen Bewusstsein verankerte Lieder (1965) von Theodorakis vorangestellt. Die Lyrik hatte der Dichter Iakovos Kambanellis (1921-2011) nachträglich zu seinen 1960 veröffentlichten "Mauthausen"-Erinnerungen verfasst und dem Komponisten übergeben. "Die Mythologie der Bestialität in Mauthausen gebar eine große Anzahl Ungeheuer", äußerte der ehemalige, mit 21 Jahren von der Gestapo in Österreich ins KZ verschleppte Flüchtling mit dem Zielland Schweiz unter der Last des Erinnerns an die Jahre 1943 bis 1945. 122 797 Häftlinge haben Mauthausen nicht überlebt, darunter 3 700 Griechen: "Mit so vielen Toten jeden Tag hatte der Tod kein Gesicht mehr. Das Gesicht, das auch wir Lebenden verloren hatten."
Immer wieder gelingt Maria Farantouri, der ersten Interpretin der "Mauthausen"-Lieder, die poetisch versuchte nachträgliche Wiederbelebung solch menschlichen Antlitzes als nachhaltig schöpferischer Akt. Mit diesem Werk begann sie vor einem halben Jahrhundert ihre große Karriere als Sängerin. Der vielseitige Arrangeur und Komponist Henning Schmiedt, 1965 in Schlema/Erzgebirge gebürtig, ist schon seit vielen Jahren ihr Begleiter. Zum besseren Verständnis zwischen den griechisch vorgetragenen Liedern sang die junge Künstlerin Michaela Meise eine Auswahl der deutschen Nachdichtungen in eigener Einrichtung zum Akkordeon:
Die ich liebe ist schön, unsagbar schön,
ich seh sie vor mir in ihrem Sommerkleid
mit einem Kamm im schwarzen Haar.
Ihr Mädchen von Mauthausen
und ihr aus Bergen-Belsen,
ich frage, wer sie getroffen hat,
ich frage, wer sie gesprochen hat,
ich frage euch, wer sie sah, wer sie sah.
Wir trafen sie auf kahlem Platz im Eiswind,
ihr Arm trug eine schwarze Nummer,
ihr Herz schlug noch unterm gelben Stern.
Im dicht gefüllten Auditorium äußerte sich das Filmkünstler-Ehepaar Pantelis Voulgaris (Regie) und Ionna Karystiani (Dehbuch) zur Entstehung ihres authentisch nachgestalteten Spielfilms "Die letzte Notiz" mit dem deutschen Filmschauspieler André Hennicke in einer Hauptrolle. Dem Sujet liegen gedruckte, antiquarisch erworbene Erinnerungen eines griechischen Widerstandskämpfers zugrunde. Napoleon Sakotzides, der Dolmetscher des Lagerkommandanten Karl Fischer aus den Reihen der Gefangenen, um Widerstandskämpfer gruppiert, ließ sich nachweislich nicht durch ein "lebensrettendes" Versprechen zur Erfüllung seiner Liebe im blutjustizbekannten Berlin zum Verrat bestechen. Bei der SS-Exekution vom 1. Oktober 1944 im deutschen KZ Chaidari bei Athen ging er freiwillig zusammen mit 200 griechischen Männern in den Tod. Neben und mit dem differenzierten Andreas Konstantinou, der in der Hauptrolle seine große Liebe opfert, bleiben die folkloristischen, kraftvoll-ausgelassenen Gemeinschaftsszenen in der letzten Nacht und die bald darauf folgende Hinrichtung mit vielfach erhobenen Fäusten in Erinnerung.
Trailer von "Die letzte Notiz"
Natürlich wolle er an die Ermordeten erinnern - aber nicht nur, sagten Pantelis Voulgaris und Ionna Karystiani nach der Filmvorführung dem Publikum. Sie verstehen ihren Film auch als einen Beitrag gegen den aufkommenden Rechtsextremismus in Europa. Seine Ideologie führt zu Nationalismus und Krieg, warnten sie in Anwesenheit des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck. Der äußerte sich allerdings privat nicht dazu.
Mit einer präsidial-offiziellen Entschuldigung in einer filmischen Dokumentation über die deutsche Wehrmachts-Besetzung Griechenlands ist Gauck aber dort erstmals gedenkend zu sehen und zu hören: "Mit Scham und Schmerz bitte ich im Namen Deutschlands die Familien der Ermordeten um Verzeihung." (7. März 2014)
Video: "Gaucks schwerer Gang nach Lyngiades" (Deutsche Welle, 07.03.2014) |
"The Balkony – Memories of Occupation"
Regisseur Chrysanthos Konstantinidis blendet diese Aufnahme vom offiziellen Besuch an der örtlichen Gedenkstätte im nordgriechischen Dorf Lyngiades (in der Gebirgsregion Epirus nahe der albanischen Grenze) in seinen selbstfinanzierten Film "The Balkony – Memories of Occupation" ein (2018).
Konstantinides stammt aus diesem Dorf, möchte aber selbst nicht anklagen. Aufgrund seiner rundum gut einsehbaren "Balkonlage" mit Rauchsäulen im Umkreis von mindestens zwanzig Kilometern wurde das Bergdorf Lyngiades am 3. Oktober 1943 als "Sühne" für den von Partisanen getöteten Wehrmachts-Kommandeur Josef Salminger mit Maschinengewehren beschossen und anschließend fast vollständig niedergebrannt. Nur fünf Menschen überlebten unter brennenden Trümmern. Dem ausgeklügelten Einsatz der Gebirgsdivision Edelweiß der Wehrmacht fielen 82 nicht geflohene Bewohner*innen zum Opfer, vorwiegend wehrlose Frauen – und 34 von 35 verbliebenen Kindern. Selbst Säuglinge wurden durch Kopfschuss auf dem Arm der Mutter getötet. Nur eines, noch zu Stillendes, konnte damals schwerverletzt in einem Versteck versorgt werden und überleben: Vom Regisseur vor der Kamera mit der Dokumentareinblendung Gaucks befragt, äußerte sich der inzwischen über 70jährige Panajotis Poruska mit Ablehnung und Unverständnis auf fromme Formeln, wie sie ohne weitere Konsequenzen inzwischen auch von Bundespräsident Steinmeier verlauten.
Der Film bezieht die über Jahre vor Ort sorgsam dokumentierten Interviews mit den letzten Überlebenden des Massakers ein und lässt dessen griechisch sprechenden Autor Christoph Schminck-Gustavus in der vertrauten Gemeinschaft des wiedererstandenen Dorfes auftreten. Er ist Jahrgang 1942 und war vormals Professor für Rechts- und Sozialgeschichte an der Universität Bremen. "Feuerrauch" gehört zu seinen zahlreichen Veröffentlichungen und Büchern über Kriegsschicksale im Zweiten Weltkrieg, die auch in Italien, Griechenland und Polen erschienen sind.
Trailer von "The Balcony - Memories of Occupation"
Unrühmliche Traditionspflege
Auch der Gegenwind besonders in der alten Bundesrepublik auf die unrühmliche Traditionspflege für die gefallenen Gebirgsjäger beider Weltkriege im bayrischen Mittenwald wird gezeigt. "Mich wühlt das auf, dass ihre Veteranen nun in Ruhe sterben", sagt ein linker Aktivist vor der Kamera. "Ich habe großen Hass auf Wehrmachtssoldaten und auf die, die ihre Politik des Verdrängens, das Feiern von Mördern aktiv unterstützen." Der Verfassungsschutz beschrieb das so: "Kurz nach einer Abordnung der Bundeswehr, die den Kranz des Verteidigungsministeriums niederlegte, traten die Vertreter einer österreichischen Krieger-Kameradschaft vor das Ehrenmal. Auf der Brust trugen sie Orden mit dem Hakenkreuz. Die Polizei sah sich nicht veranlasst, einzuschreiten."
Deshalb hatten sie einmal den Überlebenden Panajotis Poruska aus Lyngiades zu einer öffentlichen Veranstaltung nach Mittenwald eingeladen. Er sprach nur kurz, war eher verschlossen, schilderte aber prägnant das, was ihm passierte – anhand der großen Rückennarbe von der Verletzung, die sie ihm als Säugling beigebracht hatten.
2010 schließlich sah sich die Gemeinde Mittenwald veranlasst, "an prominenter Stelle im Ort" ein von Personen aus dem linken Spektrum gestiftetes Mahnmal zu akzeptieren. Der Arbeitskreis "Angreifbare Traditionspflege" hatte das Denkmal Ende Mai 2009 anläßlich des Gebirgsjägertreffens zu Pfingsten vor dem Bahnhof aufgestellt. Da dies ohne die Genehmigung der Stadt geschehen war, hatte die Verwaltung das Denkmal jedoch wieder abräumen lassen. Nach längerem Streit einigten sich dann Arbeitskreis, Kirche und Gemeinde darauf, den "Stein des Anstoßes" auf dem Gelände der Grund- und Hauptschule wieder aufzustellen.
Er wolle mit seinem Film nicht anklagen, sagte der Regisseur in Berlin. Ihm gehe es um Vergangenheitsbewältigung. Interessanterweise wurde der Film mit Geldern aus dem Deutsch-Griechischen Zukunftsfond des Auswärtigen Amtes finanziert. Daraus werden vornehmlich Projekte unterstützt, die sich mit der deutschen Besatzungszeit Griechenlands auseinandersetzen.
Kampf der Generationen – alles wieder gut?
"Happy Birthday" heißt eine denkwürdige wie bissig humorvolle deutsch/griechisch/französisch/cypriotische Koproduktion (2018) von Regisseur Christos Georgiou. Ein familiärer Generationenkonflikt wird "beispielhaft" eskalierend ausgetragen zwischen dem Vater (einem Cop, also Polizisten in einem Rollkommando) und der offenbar erst kürzlich dem Kindesalter entwachsenen Tochter.
Trailer zu Happy Birthday
Gleich eingangs geht es zur Sache: Bei einer Straßenschlacht mit Steinen, Barrikaden und Molotowcocktails bekommt der Vater an seinem Geburtstag mit seinem Einsatzkommando von oben brennende Cocktailgrüße. Die Tochter Margarita steht noch auf dem Dach, woher das kam, als unten Menschen in brennenden Polizeiuniformen gerettet werden müssen. Daher platzt die abendliche Geburtstagsfeier zu Haus: Seine eigene Armverletzung hindert den Erzeuger jetzt nicht daran, der Tochter einen seiner "umwerfenden" Verhaftungstricks bei vorgesehener weicher Landung auf dem Sofa zu verabreichen. Das hat er dann davon: Die Geburtstagstorte landet zu seinen Füßen, die brennende Kerze ist noch okay, die Tochter erst mal außer Reichweite. Darauf verordnet Mutter beiden eine Besinnungstherapie im bescheidenen Wochenendhäuschen der Familie. Die geht erst mal schief. Die Entsorgung von Spielzeugen ihrer Kindheit nimmt die Tochter erst mal hin und schenkt sie weg – an ungebetene jugendliche Streuner. Ein daraufhin von ihm ausgesuchter "ordentlicher" Freund türmt freilich unwiderruflich: Er hat die bekannten örtlichen Cops beim Bierschwof mit dem Vater gesehen und dessen prophylaktisch bereitliegenden Cops-Utensilien für den nächsten Einsatz dazu. Margarita starrt auf ihre zurückgewiesenen Kinder(roll)schuhe, rächt sich mit gelösten Bremsen am Polizeiauto vor der Haustür und auch mit klotzenden Graffitis im ganzen Dorf, den dörflichen Polizeiknast eingeschlossen. Darin sitzt sie dann fürs erste fest, bis Vater George sie zufällig findet, als er auf eigene Außer-Dienst-Rechnung in Zivil den örtlichen Linienbus stoppt und die beiden davongejagten ungebetenen Gäste vom Morgen zum Einlochen bringt. Bevor sie wieder freigelassen werden, soll die Tochter hinter Gittern zuschauen, wie sie aufgehetzt gegenseitig aufeinander einschlagen, kraft des Zutuns der Cops und ihres duldsamen Boss’ in Zivil. Damit ist der Tiefpunkt der komödiantischen Tragödie erreicht.
Was auf die Freilassung aller folgt, ist ein gnadenlos eskalierender Familienkonflikt. Unbeobachtet hat Vater seinen Einsatzhelm unbrauchbar zerschlagen. Dafür erhält er nun impulsiv eine handfeste Kopfverletzung durch die eigene Autotür. Die wütende Margarita hat sie in Schwung gesetzt, um die verweigerte alleinige Abreise doch noch zu erzwingen. Auf den letzten Stationen ihrer Autobahn-"Fahrprüfung" ohne entsprechende Papiere ist der anscheinend schachmatt gesetzte Vater aber überraschend dabei, anscheinend bedrohlich stumm, markierend, doch im verborgenen offenbar Herr der Lage. Auf der überlasteten Notfallstation eines Krankenhauses kann die schreiende Tochter eine schnellere Behandlung nicht durchsetzen. So nimmt sie sich den Parkplatz davor als wieder zu entdeckendes Rollschuhparadies vor. Alles auf dieser Flucht nach Hause weist darauf hin, dass der Vater diesen Beruf an den Nagel hängen und dass die Tochter bald bereit sein wird, Verantwortung für sich und für andere zu übernehmen.
Text: Hilmar Franz