11.02.2017: Vor 100 Jahren erfolgte die „Ouvertüre“ für die ein Jahr später folgende Novemberrevolution. Die Rede ist von der antimilitaristischen Matrosenbewegung, die mit den Namen Albin Köbis und Max Reichpietsch verbunden ist. Ohne Politisierung der Mannschaften der Kriegsmarine und den Matrosenaktionen im Sommer 17 kein revolutionärer November 18. Ein Chronist dieser Ereignisse ist der politische Aktivist und Schriftsteller Theodor Plievier, der vor 125 Jahren geboren wurde.
Er hat in zwei Romanen, die Anfang der 30er Jahre im Malik-Verlag erschienen sind, den roten Matrosen ein literarisches Denkmal gesetzt.: „Des Kaisers Kulis“ (Köbis und Reichpietsch gewidmet) und „Der Kaiser ging, die Generäle blieben“. Plievier, am 17.2.1892 im Berliner Arbeiterviertel Wedding in einer Proletarierfamilie geboren, begab sich 16jährig auf Wanderschaft durch Europa, fuhr als Matrose nach Australien und Südamerika.
Als er 1914 nach Hamburg zurückkam befand sich Deutschland bereits im Krieg und er wurde in die Kaiserliche Marine eingezogen. Die schlechte Behandlung der Schiffsmannschaft und der Umstand, dass dieses Schiff über 400 Tage keinen Hafen anlief, ließ Plievier - nach eigenem Bekunden - endgültig zum Revolutionär werden. Im November 1918 beteiligte er sich in Wilhelmshaven an den revolutionären Unruhen und anschließend am Kieler Matrosenaufstand.
Ab Ende 1920 lebte er als freier Schriftsteller, Übersetzer und Redner in Berlin. Plievier war im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller aktiv. Sein Erstlingswerk „Des Kaisers Kulis. Roman der deutschen Kriegsflotte“ erschien 1930 und wurde in 18 Sprachen übersetzt. Als Vorabdruck erschien der Roman in Fortsetzungen in der „Roten Fahne“, der Zeitung der KPD.
Des Kaisers Kulis
Der Hilfskreuzer „Wolf“, dem der Leser in diesem Buch begegnet, war jenes Schiff, auf dem Theodor Plievier selbst von 1914 bis 1918 am nördlichen Seekrieg bis hin zur Schlacht im Skagerrak teilgenommen hatte. Mit der Schilderung des Matrosenalltags, der militaristischen Willkür und seiner scharfen Anklage gegen den Krieg sprach Plievier seinen Zeitgenossen aus der Seele. „Helden“ seines Romans sind jene geschundenen und missbrauchten Seeleute, die sich schließlich weigerten, am Ende eines verlorenen Krieges in einer sinnlosen Flottenoperation einen „heldenhaften Untergang“ zu suchen. In dramatischen Szenen von realistischer Eindringlichkeit beschreibt Plievier ihre Entwicklung zu einer revolutionären Masse, deren Aufstand das Signal zum Ausbruch der Novemberrevolution 1918 in Deutschland gab.So heißt es dort zum Beispiel:
„Die Eroberungsziele sind unser Verderben, ohne sie wäre Frieden. Wir könnten wieder arbeiten und hätten zu fressen. Und die anderen sind doch auch Menschen. Die Völker müssen zusammenkommen und sich verständigen. Das Morden ist sinnlos. Der Krieg ist ein riesengroßes Geschäft. Nieder mit den Krieg!“
Das Jahr 1917
Das Jahr 1917 begann auf deutscher Seite mit dem Beginn des unbeschränkten U-Boot-Krieges im Atlantik. Ein Marineoffizier schrieb dazu im Februar in sein Tagebuch: „...habe eine ordentliche Erlösung empfunden, als heute Vormittag die Zeitung die Nachricht vom Beginn eines verschärften U-Boot-Krieges brachte. Hoffentlich flutscht es nun bald recht gründlich, und es geht zu Ende mit Albions stolzer Herrlichkeit.“
Als Konsequenz dieses „totalen U-Boot-Krieges“ erklärt der us-amerikanische Präsident Woodrow Wilson dem Deutschen Reich am 6. April 1917 den Krieg. Parallel zu diesem Ereignis - wenn dieser zeitliche Zusammenhang auch Zufall ist - verlassen Lenin und weitere russische Revolutionäre in einem speziellen, von der deutschen Regierung gestellten Kurswagen der Bahn, ihr Züricher Exil in Richtung Russland. Dort war einen Monat zuvor die zaristische Gewaltherrschaft gestürzt und eine bürgerlich-demokratische Regierung gebildet worden. Diese ließ aber keinen Zweifel daran, den Krieg fortsetzen zu wollen.
Matrosen gegen Fortsetzung des Krieges
Die Nachrichten über den Sturz des Zaren, der Kriegseintritt der USA – verbunden mit einem Friedensplan des US-Präsidenten Wilson auf der einen Seite und andererseits die Ausweitung des Seekrieges durch die Reichsregierung lösten unter den Matrosen der Kriegsmarine erhebliche Unruhe aus. Zusätzlich zur großen Unzufriedenheit trugen die katastrophale Versorgungslage bei den Matrosen (während der Verpflegung bei den Offizieren weiterhin gut blieb) in Verbindung mit zunehmendem militärischen Drill bei. Wie sich dagegen wehren?
Waren den Matrosen ihre traditionellen Interessenvertreter für ihre Sorgen in Form von Gewerkschaftsfunktionären und SPD-Politikern seit 1914 aufgrund deren „Burgfriedenspolitik“ abhanden gekommen, so gab es im Frühjahr des Jahres 1917 mit Gründung der USPD einen neuen Ansprechpartner.
Die von der rechten Mehrheit des SPD-Parteivorstandes eskalierte Disziplinierungspolitik gegenüber der Parteilinken hatte im April zur Gründung der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD) geführt. Die sich bereits ein Jahr vorher konstituierte „Spartacus-Gruppe“ um Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (die sich beide Anfang 1917 wegen ihrer konsequenten Antikriegspropaganda in Haft befanden) hatte sich unter Wahrung ihrer organisatorischen und politischen Eigenständigkeit der USPD angeschlossen.
Zwischen Vertretern der antimilitaristisch gesinnten Matrosen und USPD-Politikern kam seit dem Frühjahr in den Kriegsmarinehäfen Wilhelmshaven und Kiel wiederholt zu Treffen, um sich über die Stimmung der Matrosen der Kriegsmarine auszutauschen. Daraufhin begannen sich Matrosen schiffsübergreifend Anfang Juli 1917 zu organisieren. Auf einer in Kiel stattgefundenen Zusammenkunft - von Köbis und Reichpietsch einberufen - wurde der „Soldatenbund“ gegründet, der die Friedenspolitik der USPD unter den Mannschaften der Kriegsmarine popularisieren und Widerstandsaktionen auf den Schiffen initiieren sollte.
Köbis und Reichpietsch „wegen vollendeter kriegsverräterischer Aufstandserregung“ erschossen
Darauf hin kam es im Sommer 1917 auf mehreren Schiffen der Kriegsmarine zu Protestaktionen in Form von sogenannten „Ausmärschen“, dem kurzzeitigen unerlaubten Entfernen vom Schiff während der Dienstzeit.
Das machten am 1. August auch 49 Matrosen der in Wilhelmshaven vor Anker liegenden „Prinzregent Luitpold“ - und wurden dafür mit harten Arreststrafen belegt. Aus Solidarität mit ihren Kameraden verließen daraufhin am nächsten Tag 600 Mann desselben Schiffes ihren Dienst „als geschlossene Dienstverweigerung“ und hielten an Land eine Versammlung ab. Nach Rückkehr auf das Schiff wurden die angeblichen Rädelsführer verhaftet. Am 25. August fand der Prozess statt, der mit Todesurteilen für Albin Köbis und Max Reichpietsch „wegen vollendeter kriegsverräterischer Aufstandserregung“ endete. In der Urteilsbegründung hieß es: „Denn nicht erst in dem äußeren Losschlagen, in der Gewaltanwendung, sondern bereits in der Bildung einer mit bestimmten landesverräterischen Zielen bestehenden Organisation, die auf einen Wink der Leitung jeden Augenblick losschlagen konnte, erkannte das Gericht die Vollendung der kriegsverräterischen Aufstandserregung.“ In den frühen Morgenstunden des 5. September 1917 starben sie durch die Kugeln eines Erschießungskommandos auf dem militärischen Übungsplatz in Köln-Wahn. Aus Angst, Soldaten könnten die Erschießung verweigern, teilten die Vorgesetzten dem Exekutionskommando mit, dass sie englische Spione zu erschießen hätten. Über 50 weitere Matrosen wurden in weiteren Prozessen zu 400 Jahren Zuchthaus verurteilt.
„Des Kaisers Flagge sinkt! Die rote Fahne steigt!“
Vierzehn Monate später, im November 1918, hat sich das politische Blatt auch in der Marine grundlegend geändert. Am Ende von Plieviers Roman „Des Kaisers Kulis“ heißt es: „Die Kriegsflagge geht nieder. Ein paar Arme recken einen Dreckschwabber hoch, der zum Aufwischen der Decks dient, alt und ausgefranst vom Schweiß ungezählter zu Strafarbeit verurteilter Kulis. Der Schwabber steigt in die Luft, bleibt oben hängen. An der Gaffel, an der in viereinhalb Jahren Krieg das Symbol des Kaiserreichs geweht hat. Die Flaggen gehen nieder. Schwabber, Kohlensäcke, rote Fahnen steigen. Des Kaisers Flagge sinkt! Die rote Fahne steigt!“
Sein zweiten Roman „Der Kaiser ging, die Generäle blieben“ (1932 ) schließt daran an und schildert in dokumentarisch-literarischer Form den weiteren Verlauf der Ereignisse im November 1918 in Berlin, Kiel und wieder Berlin.
Der vergessene Autor
Ab Ende 1920 lebte Plievier als freier Schriftsteller, Übersetzer und Redner in Berlin. Plievier war im Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller aktiv. Nach dem Reichstagsbrand emigrierte Plievier über die Tschechoslowakei, Frankreich und Schweden in die Sowjetunion. Seine Bücher wurden 1933 in Deutschland öffentlich verbrannt und 1934 entzogen ihm die Nazi-Behörden die deutsche Staatsbürgerschaft. Kommunistisch-anarchistisch orientiert, hatte er sich keiner politischen Partei angeschlossen. Und auch im sowjetischen Exil stand er zwar den Vertretern der KPD (u.a. dem Schriftsteller Johannes R. Becher) nahe, vermied aber eine Bindung an diese Partei. Seit 1943 Mitglied des „Nationalkomitees Freies Deutschland“, ging Plievier nach der Befreiung vom Faschismus 1945 in die sowjetische Besatzungszone und wurde Vorsitzender des Kulturbundes in Thüringen. Sein im gleichen Jahr veröffentlichter Roman „Stalingrad“ erreichte eine millionenfache Auflage. 1947 verlegte Plievier seinen Wohnsitz zunächst nach Westdeutschland und später in die Schweiz, wo er am 12. März 1955 in Avegno starb.
Jahrzehntelang waren daraufhin seine Werke in beiden deutschen Staaten „verschollen“ - in der DDR galt er als „Renegat, der sich in den Dienst des Antikommunismus gestellt hat“, in der BRD galt er wegen seiner antimilitaristischen und antifaschistischen Vergangenheit als „unsicherer Kantonist.“ Erst Mitte der 80er Jahre wurden dann - parallel in West und Ost- seine Romane wieder zugänglich gemacht. Aktuell sind bei Kiepenheuer & Witsch sein „Stalingrad“ und „Das grosse Abenteuer“ (1943 im Leningrader Exil geschrieben, erzählt von der Widerstandsbewegung der Arbeiter gegen die faschistische Diktatur in Chile um 1930) im Sortiment. Seine beiden Matrosenromane sind leider nur noch antiquarisch erhältlich.
Text: Günther Stamer Foto: gst (Max-Reichpietsch-Platz auf dem Campus der Fachhochschule Kiel)