01.10.2016: Im Wendejahr, als Hammer, Zirkel und Ährenkranz aus dem Schwarz-Rot-Gold der DDR-Fahne ebenso verschwanden wie die Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“ und durch das „Deutschlandlied“ ersetzt wurde, schreibt Franz-Josef Degenhardt einen Roman über den Verfasser eben dieses „Liedes der Deutschen“ - und viele Linke machten damit wohl erstmals nähere literarische Bekanntschaft mit August Heinrich Hoffmann, der sich den Beinamen „von Fallersleben“ zugelegt hatte, nach der Stadt im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg, in der er 1798 geboren worden war.
Neben der politischen Brisanz an der Person des bürgerlichen Demokraten Hoffmann interessiert sich der Liedermacher Degenhardt natürlich auch für den Liedermacher Hoffmann, der schon zu Lebzeiten „ein Popstar“ war, aus dessen Feder über fünfhundert Lieder und Gedichte stammen. Er war einer der am meist vertonten Dichter des 19. Jahrhunderts. Zu seinen bis heute bekannten Evergreens gehören: „Alle Vögel sind schon da“, „Kuckuck, Kuckuck“, „Winter ade“, „Morgen kommt der Weihnachtsmann“.
Doch seine größte Nachwirkung hat ein Lied, das vor 175 Jahren seine Premiere erlebte: Am 5. Oktober 1841 ertönt das „Lied der Deutschen“ erstmals öffentlich bei einem Fackelzug auf dem Hamburger Jungfernstieg in Anwesenheit Hoffmanns, gesungen von der Hamburger „Liedertafel von 1823“. Wenige Wochen vorher hatte Hoffmann die drei Strophen auf der Insel Helgoland geschrieben.
Der politische Liedermacher August Heinrich Hoffmann
Hoffmann verstand sich von Anfang an als „politischer Liedermacher“. In seinen „Unpolitischen Liedern“ (1841) geißelt er Kleinstaaterei, Adelsherrschaft, Zensur und Polizeibespitzelung. „Nicht betteln, nicht bitten! Nur mutig gestritten! Nie kämpft es sich schlecht / Für Freiheit und Recht“ dichtet er.
Die bissigen Texte treffen den Nerv der Zeit und die Nerven der Herrschenden. Der Professor für Sprache und Literatur in Breslau wird darauf hin von der preußischen Regierung ohne Pension entlassen. Ein Jahr später entzog man ihm die preußische Staatsbürgerschaft und verwies ihn des Landes. Damit begann für ihn eine wahre Odyssee durch die deutschen Länder; unzählige male wurde er aus deutschen Staaten ausgewiesen.
Nach dem Rauswurf aus der Breslauer Professur geht Hoffmann zunächst ins Exil, und zwar auf die damals zu England gehörende Insel Helgoland. Dort entsteht Ende August 1841 das Deutschlandlied, das er seinem Verleger Julius Campe (Hamburg), dem Verleger der Werke von Heinrich Heine und Ludwig Börne, zuschickt. Anfang September überbringt Campe dem Dichter auf Helgoland den Erstdruck - ausgerechnet versehen mit Haydns Kaiser-Quartett, der Lobpreisung auf einen Monarchen: „Gott erhalte Franz, den Kaiser“ von Österreich.
„Deutschland, Deutschland, über alles / über alles in der Welt“ - vor allem die ersten beiden Zeilen des Liedes gelten heute als Zeichen für eine nationalistische Überheblichkeit. Dabei wurden sie vor 175 Jahren anders verstanden: Deutschland sollte sich endlich als einheitlicher Nationalstaat konstituieren – und die zahlreichen Königreiche, Großherzogtümer, Grafschaften, Fürstentümer und Hansestädte - knapp 40 an der Zahl – sollten sich diesem Ganzen gefälligst unterordnen. Dieses Bestreben, dass Hoffmann in seinem Lied zum Ausdruck bringt, hatte einen hohen Mobilisierungseffekt für ein breites politisches Spektrum: Von den Liberalen, den Demokraten bis hin zu den Kommunisten reichte die Palette, die den nationalen Einheitsstaat zum ersten Punkt ihrer Forderungen erhoben. In der bürgerlichen Revolution von 1848 sollte dann auch die „nationale Frage“ neben der „sozialen Frage“ die größte Bedeutung bekommen.
Den Erfolg seines „Liedes der Deutschen“ erlebte Hoffmann nicht mehr mit. In seiner Entstehungszeit fand es nur wenig öffentliche Resonanz, war eines unter unzähligen Liedern und Gedichten, die gegen die feudale deutsche Kleinstaaterei das Wort ergriffen.
Auch nach der Reichsgründung 1871 wurde das bis dahin bereits in Preußen übliche Lied „Heil dir im Siegerkranz“ als Nationallied verwendet – Hoffmanns Lied wurde als zu republikanisch abgelehnt.
Es war dann ein Sozialdemokrat, Reichspräsident Friedrich Ebert, der Hoffmanns Lied 1922 zur Nationalhymne erklärte, wohlwissend, dass die Zeilen „Deutschland, Deutschland über alles!“ im Ersten Weltkrieg als Schlachtruf deutscher Soldaten beliebt war. Zum kriegstreibenden Kampflied stieg es dann auf, als die Nazis nur noch die erste Strophe zuließen und sie mit dem „Horst-Wessel-Lied“ verbanden.
„Einigkeit und Recht und Freiheit“ - „Auferstanden aus Ruinen“
Als nach der Befreiung vom Faschismus wieder eine Nationalhymne gesucht wurde, entschieden sich Kanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss 1952 dafür, dass das „Lied der Deutschen“ Nationalhymne bleiben sollte - allerdings nur die dritte Strophe.
Die DDR hatte sich bereits kurz nach ihrer Gründung eine neue deutsche Nationalhymne gegeben. Der Text stammt von Johannes R. Becher, die Musik von Hanns Eisler. Am 7. November 1949 wurde sie anlässlich des Staatsakts zum 32. Jahrestages der Oktoberrevolution erstmals öffentlich gesungen. Von etwa 1972 bis Januar 1990 wurde die Hymne offiziell nur in einer instrumentalen Fassung gespielt, der Text wurde nicht mehr verwendet. Text der ersten beiden Strophen:
Auferstanden aus Ruinen
und der Zukunft zugewandt,
laß uns dir zum Guten dienen,
Deutschland, einig Vaterland.
Alte Not gilt es zu zwingen,
und wir zwingen sie vereint,
denn es muß uns doch gelingen,
daß die Sonne schön wie nie
über Deutschland scheint.
Glück und Friede sei beschieden
Deutschland, unsrem Vaterland.
Alle Welt sehnt sich nach Frieden,
reicht den Völkern eure Hand.
Wenn wir brüderlich uns einen,
schlagen wir des Volkes Feind.
Laßt das Licht des Friedens scheinen,
daß nie eine Mutter mehr
ihren Sohn beweint.
Nach der „Wiedervereinigung“ 1990 hätte sich vom Inhalt her dieser Text durchaus als gesamtdeutsche Hymne angeboten, kommen darin doch ausdrücklich Bestrebungen nach Frieden und internationale Solidarität zum Ausdruck. Zudem steht in der ersten Strophe das Wende-Motto „Deutschland, einig Vaterland“. Verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Persönlichkeiten setzten sich für die „Kinderhymne“ Bertolt Brechts als neue deutsche Nationalhymne ein. Stefan Heym zitierte sie zur Eröffnung des 13. Deutschen Bundestages im November 1994. Auch Peter Sodann sprach sich, kurz nachdem er von der Linkspartei zur Wahl 2009 für das Amt des Bundespräsidenten nominiert wurde, für die Kinderhymne als deutsche Nationalhymne aus.
Anmut sparet nicht noch Mühe
Leidenschaft nicht noch Verstand
Daß ein gutes Deutschland blühe
Wie ein andres gutes Land.
Daß die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.
Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das Liebsten mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs.
Doch Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl beharrten auf dem Deutschlandlied – was auch wiederum konsequent war, handelte es sich ja nicht um eine „Vereinigung“ zweier bisher autonomer Staaten sondern um eine „feindliche Übernahme“ und Einverleibung der DDR in die Bundesrepublik. Und trotzdem ist auch nach einem Vierteljahrhundert dem zuzustimmen, was 1991 der damalige Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Dieter Wunder, in einer Presseerklärung erklärte: "Das Deutschlandlied gehört ins Museum".
Text: Günther Stamer
Lesetipp:
Degenhardt, Der Mann aus Fallersleben. Die Lieben des August Heinrich Hoffmann. Kulturmaschinen-Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-940274-49-6.
Nicht nur als Liedermacher hat Franz Josef Degenhardt große Erfolge feiern können, auch als Schriftsteller war er äußerst produktiv. Im Kulturmaschinen-Verlag gibt eine Gesamtausgabe seiner literarischen Werke, die zwischen 1973 und 1998 erschienen waren.
Aus Anlass seines 5. Todestages / 85.Geburtstages (14.11. /.3.12.) erscheint dort jetzt ein Buch, in dem seine Freunde Gelegenheit haben, ihre ganz persönliche Geschichte mit Franz Josef Degenhardt zu erzählen. Das Buch enthält Beiträge von Hannes Wader, Konstantin Wecker, Dieter Süverkrüp, Hein & Oss, Rolf Becker, Reinhard Mey, Dieter Dehm, Prinz Chaos II, Wiglaf Droste, Peggy Parnass, Thomas Ebermann und vielen anderen.