Literatur und Kunst

Cetin Oraner07.05.2013: Cetin Oraner ist türkischer Protest-Sänger, Liedermacher und Musiker seit 1982. Sein erstes Album erschien 1992 in Istanbul. Bisher hat er 5 Musik-Alben produziert. Im März 2013 erschien sein letztes Album 'Daglardan Yildizlara' (Von den Bergen zu den Sternen). Cetin ist Mitglied der DKP. Mit ihm sprach Kerem Schamberger

Kerem: Lieber Cetin, du hast im März ein neues Album herausgebracht. Was hat dich dazu veranlasst?

Cetin: Es war längst überfällig. Das letzte Album liegt 6 Jahre zurück. In der Zwischenzeit habe ich mehrere Lieder gemacht, doch sie zu veröffentlichen, war ein großes finanzielles Problem. Wie überall auf der Welt unterliegt die Musikbranche auch in der Türkei den kapitalistischen Marktgesetzen. Wenn es um Produktion und Vertrieb geht sowieso.

Ohne Sponsoren ist da kaum mehr was zu machen. Nun mache ich Protest-Songs, an die sich kein Produzent so leicht heran traut und wenn überhaupt, dann mit großen Vorbehalten. Meine Musik gefällt ihnen, aber mit den Texten haben sie so ihre Probleme. Bei manchen war es die Angst, ins Visier der reaktionären Justiz zu geraten. All das waren Gründe für mich, erst recht weiter zu machen. MIR-Musik, ein linker kurdischer kollektiver Musikverlag mit Sitz in Köln, kam mir dann zu Hilfe. Ein Album ohne Sponsoren und ohne einen nervenden Produzenten im Rücken, darüber freue ich mich natürlich.  

Kerem: Du bist kein Künstler, der mit seiner Musik nur viel Geld verdienen will, im Gegenteil, du bringst dich in die Kämpfe unserer Zeit tagtäglich ein und verzichtest dafür auch auf die große Karriere im Kapitalismus. Wie siehst du die Verbindung von Kunst und Widerstand und wie lebst du diese Verbindung?

Cetin: Die größte Ungerechtigkeit ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Wo es Ungerechtigkeit gibt, da gibt es auch Widerstand. Widerstand ohne Kunst ist undenkbar. Ich bin überzeugt, dass es auch schon im Spartakusheer KämpferInnen gab, die über ihren Widerstand Lieder gemacht haben. Lieder von den Bauernkriegen, ob hierzulande, in Anatolien, in Kurdistan oder woanders, sind bis heute überliefert. Auch wenn die VerfasserInen zum größten Teil in Vergessenheit geraten sind, sind diese Lieder ein Zeugnis für den Widerstand. In Liedern liegt viel Wahrheit. Vor allem weil die offizielle Geschichtsbeschreibung immer die Geschichte der herrschenden Klasse ist, ist revolutionäre Kunst umso wichtiger.

Mag sein, dass die Pariser Kommune besiegt wurde. Doch was wäre der Wille zum Weiterkämpfen ohne die 'Internationale'. Ein Lied, das die Unterdrückten aller Länder bis heute verbindet. Mit Liedern kann man die Welt zwar nicht verändern, man kann aber den KämpferInnen für eine neue Welt Kraft geben. Heute mehr denn je. Lieder können zum Nachdenken bewegen und oft auch überzeugen. Die Herrschenden können uns im Kampf besiegen. Aber niemals werden sie unsere Lieder besiegen. Ich lebe und mache Lieder mit dieser Überzeugung und es ist mir bewusst, dass ich somit zu einer aussterbenden Spezies in der Musikbranche gehöre. Der Macht des Kapitals und ihrer Medien beugen sich viele. Aber genau das ist der springende Punkt. Widerstand trotz alledem. Soviel zur Frage der Karriere. Was das Geld verdienen anbelangt: Viel Geld habe ich mit Musik bisher nie verdient. Es reichte gerade mal zum Überleben. Offen gesagt, hätte es etwas mehr sein können. Aber diesen Preis muss man zahlen, wenn man lebt, wie man denkt und fühlt.

Kerem: Um was geht es in deinem neuen Album inhaltlich?

Cetin: Der Name des Albums sagt eigentlich viel aus: "Von den Bergen zu den Sternen". Ich war von 2003 bis 2011 die meiste Zeit in Kurdistan. Neben vielen Konzerten hatte ich die Gelegenheit, die Menschen und ihr Leben, sowie ihren Widerstand näher kennen zu lernen. Vor allem persönliche Schicksale. Nach kurzer Zeit wurde ich Teil der politischen Auseinandersetzung. Es gab viel Erlebtes, das ich verarbeiten musste. Also entstanden auch neue Lieder. Über die Kinder von Diyarbakir oder über die kurdischen Berge und über PartisanInnen. Auch ein Stück allevitisch-kurdischer Mythologie ist dabei. Die Geschichte einer jungen Kurdin, die als Textilarbeiterin in Istanbul in einer von Männern dominierten Welt ums Überleben kämpft.

Aber auch Liebe ist dabei. Ich hab zwar in früheren Alben auch schon kurdische Lieder gesungen, die aber eher traditioneller Art waren. Doch bei diesem Album habe ich drei ganz eigene Lieder in kurdisch und türkisch gesungen. Also zweisprachig in einem Lied. Das ist auch etwas Neues in der Musik meines Landes. Es sind Lieder über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mit allen Facetten des Widerstands. Ein Widerstand, der in meinem Land ohne die Berge sich hätte nie behaupten können. Aus diesem Grund lautet der Titel auch "Von den Bergen zu den Sternen".

Kerem: Du hast das bekannte Lied 'Hasta Siempre' erstmals auf türkisch übersetzt und gesungen, das gab es bisher noch nie. Wie ist es dazu gekommen?

Cetin: 1981, auf dem Festival der Jugend von der SDAJ, hörte ich das Lied „Hasta Siempre“ zum ersten Mal. Damals, als 14 Jähriger, war ich von dem Lied begeistert. Melodisch wie inhaltlich ein sehr schönes Lied. Ich wollte das Lied bei meinem ersten Album Anfang der Neunziger schon aufnehmen. Doch zu der Zeit wäre es völlig untergegangen. Hinzu kam, dass es keinen türkischen Text dazu gab. Anfang 2000 schrieb ich dann einen türkischen Text dazu, aber zur gleichen Zeit hatte eine türkische Gruppe das Lied auf Spanisch gesungen und veröffentlicht. So musste ich mein Vorhaben wieder verschieben. Anscheinend war jetzt die richtige Zeit. Wir haben das Lied, neben westlichen Instrumenten, mit einer kurdischen Flöte untermalt. „Hasta Siempre“ auf türkisch interpretiert, das ist eine Prämiere.

Kerem: Kannst du uns einen aktuellen Stand zu den Strafprozessen geben, die in der Türkei gegen dich laufen? Wirst du immer noch per Haftbefehl gesucht?

Cetin: Der Haftbefehl wurde wieder aufgehoben. Der Prozess endete damit, dass ich 3 Jahre lang nichts „Subversives“ von mir geben darf. Die Richter wollen anscheinend der neuen politischen Lage gerecht werden, zeigen sich „gnädig“ und wollen mich damit dennoch mundtot machen. Dies wird nicht gelingen. Aus diesem Grund hat mein Anwalt Berufung eingelegt. Entweder verurteilen sie mich oder das Verfahren fällt. Etwas anderes zu akzeptieren, wäre falsch.

Kerem: Könnte dein neues Album in der Türkei auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen?

Cetin: So wie der Stand der Dinge ist, könnte es dazu kommen. Die Liedtexte sprechen für sich. Warten wir es mal ab.

Kerem: Wie schätzt du als Künstler die derzeit laufenden Friedensgespräche zwischen dem türkischen Staat und Abdullah Öcalan ein?

Cetin: Eine schwierige Frage. Dass es überhaupt zum Dialog gekommen ist, ist sehr wichtig. Abdullah Öcalan ist nach wie vor die treibende Kraft. So gesehen eine große politische Niederlage für das reaktionäre System. Die islamistische Erdogan-Regierung wurde regelrecht zu diesem Dialog „hingeprügelt“. Letztes Jahr hatte die kurdische Guerilla ein riesiges Gebiet unter ihre Kontrolle gebracht. Tausende Militärs waren in ihren Basen von der Außenwelt und von Nachschub abgeschnitten und das monatelang. So dass auch die Regierung und der Imperialismus einsehen mussten, dass die Guerilla militärisch nicht mehr zu besiegen ist.

Aber auch die Guerilla stieß an ihre Grenzen. Ein breiter Widerstand aus dem Volk blieb leider aus. Zumal tausende GenossInnen, die das hätten organisieren können, in den Gefängnissen sind. Aus diesem Grund kam es zum Dialog. Wie es von nun an weiter geht, ist für mich eine schwer zu beantwortende Frage. Es gibt ein altes Sprichwort aus den Anatolischen Bauernkriegen: „Die Osmanen haben viele Spielchen auf Lager“. Entweder führt das Ganze zu einem gerechten Frieden oder es ist das größte Spiel in der Geschichte unseres Landes, das je von den Herrschenden gespielt wurde.

Wie es aussieht, ist die PKK auf jede Option vorbereitet. Denn auch bürgerliche Kräfte innerhalb der kurdischen Bewegung wollen neben dem Rückzug der Guerilla, dass auch das Volk sich zurückzieht, keine Demonstrationen etc. mehr macht. Das ist nicht verwunderlich. Der ideologische Kampf innerhalb der kurdischen Bewegung wird sich noch mehr verstärken. Doch die ideologisch wie politisch gefestigte PKK stellt sich diesen Herausforderungen. Kurz nach dem angekündigten Rückzug der Guerilla werden Sieg oder Niederlage davon abhängen, in wie weit es der PKK und mit ihr zusammen allen linken demokratischen Kräften gelingt, die Völker für einen gerechten Frieden und die Demokratie zu mobilisieren.

Kerem: Was wünscht du dir von der DKP, wie könnte sie sich mehr in die kurdische Frage einbringen?

Cetin: Was ich mir eigentlich von allen Linken hierzulande wünsche: Internationale Solidarität! Die Ermordung der drei GenossInnen in Paris hat weltweit eine Welle der internationalen Solidarität erzeugt. Auch für die kurdischen GenossInnen war das eine wichtige Erfahrung. Ohne Internationale Solidarität wird niemand den Kampf durchstehen. Aber die Solidarität muss konkretere Formen annehmen. Diskussionen und gemeinsame Aktionen sind sehr wichtig. Denn nach wie vor ist der deutsche Imperialismus Kriegspartei: Ob es deutsche Waffen sind oder die politische Unterstützung des reaktionären türkischen Staates. Das PKK Verbot muss aufgehoben werden.

Kerem: Vielen Dank für dieses Interview


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