28.11.2012: Wir dachten, ihn zu kennen. Aber in Wirklichkeit wissen wir nur sehr, sehr wenig über ihn, sagt seine Tochter Nora Guthrie über ihren Vater. Woody Guthries Leben erscheint wie ein Roadmovie: Die Kindheit in Oklahoma, zunächst ohne große materielle Sorgen, bis zum Absturz der Familie in der Zeit der Depression. Die Mutter, deren psychische Zerstörung durch die Nervenkrankheit Chorea Huntington lange nicht erkannt wird, stirbt 1929. Die 20er und 30er Jahre, die Woody Guthrie meist on the road, auf der Straße, zubringt und sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Bruce Springsteens Geschichte vom Jack of all Trades, dem Hansdampf in allen Gassen, lässt grüßen.
1931 zieht Woody nach Texas, Gründung der ersten Band und die erste von drei Ehen, aus denen insgesamt acht Kinder hervorgehen. Die „große Dürre“, der Staubsturm und schließlich die Große Depression – Anlass für Woody Guthrie und viele Tausende, nach Kalifornien zu gehen. John Steinbeck verarbeitet in Früchte des Zorns 1939 das Schicksal der „Okies“. Woody sieht die Verfilmung. In der gleichen Nacht noch schreibt Guthrie über den Protagonisten des Films, Tom Joad, eine Ballade. John Steinbeck ist perplex: Dieser Hurensohn! Er hat in einer Nacht das niedergeschrieben, wofür ich zwei Jahre brauchte!
Die Fähigkeit Woody Guthries, schwierige Sachverhalte klar und einfach auszudrücken, kommentiert Pete Seeger so: Jeder Idiot kann kompliziert sein. Aber um Einfachheit zu erreichen, braucht man Genie.
Es folgen Tourneen durch die Lager der Wanderarbeiter, 1940 verfasst er den ersten Entwurf von This Land is your Land. Woody erhält den Auftrag, Songs für einen Film über den Columbia River und das gigantische Staudammprojekt des Präsidenten Roosevelt zu schreiben. Er bringt in 30 Tagen 26 Songs zu Papier und geht mit den Almanac Singers auf eine Tournee zur Unterstützung der Gewerkschaften.
Nach dem Kriegseintritt der USA 1941 bemalt Woody seine Gitarre mit großen Lettern: This machine kills fascists, Jahrzehnte, bevor überhaupt politische Slogans auf Gitarren oder Klamotten auftauchten. Billy Bragg charakterisiert Woody als großartigen Vertreter politischer Popmusik, bevor Pop überhaupt erfunden wurde. Guthrie erweist sich zudem als talentierter Zeichner und illustriert u.a. Songbücher. Die Geburt seiner Tochter Cathy ist der Anlass für ihn, Kinderlieder zu schreiben wie Ridin´ in my Car, heute weltweit populär. An der Erbkrankheit seiner Mutter leidend, wird es für Woody zunehmend schwieriger, Musik zu machen. Die letzten Jahre verbringt er in Hospitälern.
Seine Autobiographie Bound for Glory, 1943 veröffentlicht (in der deutschen Übersetzung Dies Land ist mein Land) beurteilt Billy Bragg mit den Worten: Wenn wir über Bound for Glory reden, ist der einzig mögliche Vergleich Mark Twain. Für Lou Reed ist Woody Guthrie ein Gitarrenpicker mit drei Akkorden, aber mit den Gedanken eines Dichters.
Woody Guthries Reise durchs Leben begann am 14. Juli 1912 in Okemah, Oklahoma und endete am 3. Oktober 1967 in New York. Und was für ein Leben! Bis in unsere Tage hat sein Wirken großen Einfluss auf zahlreiche Künstler, wie Bob Dylan, Phil Ochs, Joan Baez, Odetta, Bruce Springsteen, Tom Morello („Rage against the Machine“) und viele andere.
Er war Ein Dichter und Spielmann auf Landstraßen, Bürgersteigen, feuchten Güterwagen, Schiffskombüsen, kalten Städten, heißen Wüsten, von Küste zu Küste. Der Meister aller Balladenschreiber. Den Worten von Studs Terkel ist nicht hinzuzufügen.
Here´s to you, Woody, cheers!
Woody Guthries Almanach
Die „Almanacs“ um Pete Seeger, Woody Guthrie,Lee Hays, Sis Cunningham u.a. waren die wohl populärste Gruppe der US-Arbeiterbewegung Anfang der 1940er. Der Name erinnerte an den „Farmers´ Almanac“, den Alltags-Ratgeber der Leute auf dem Lande. Im Griechischen bedeutet Almanach „Geschenk“.
Abschied
Im jedem Sinne des Wortes machte sich Woody immer wieder aus dem Staub, als erstes weg aus der „Dustbowl“ Oklahomas (“So long it´s been good to know you”). Wie die meisten schlug er diese Laufbahn nicht ganz freiwillig ein. Immerhin gründete sich darauf sein legendäres Image als „Hobo“ (eigentlich: Landstreicher), das er selbst pflegte.
In den 1960ern verklärte eine ganze Generation junger Aussteiger Woody zu ihrem Freiheits-Idol. Seine wieder aufgelegte Autobiografie wurde zu ihrer Bibel.
Abschiedsgeschenk
Wenige Tage vor Woodys Tod brachte ihm Marjorie Maiza das Debütalbum ihres gemeinsamen Sohnes. Mit „Alice´s Restaurant“ wurde Arlo Guthrie weltberühmt.
Abwasch, Bettnässer, Briefe…
Mithilfe im Haushalt („All Work Together“); Erfolge bei der Kleinkinderaufzucht („Dry Bed“); Mittel gegen die Sehnsucht („Mail myself to you“) – an Woodys Nonsense-Liedern mit ihren übermütigen Sprachkapriolen haben nicht nur Kinder ihren Spaß.
Autos
Sobald er es sich leisten konnte, gurkte Woody mit alten Autos durchs Land. Auf seinen ersten Neuwagen war er enorm stolz, überließ ihn dennoch anstandslos den bedürftigen Genossen der KPdUSA als Parteifahrzeug („Riding in my car“).
Ausbeutung
Woodys zentrales Motiv war das Los der arbeitenden Menschen. („Boomtown Bill“, „Jackhammer John“ u.v.a.). Dabei ging er oft von Zeitungsmeldungen aus wie in “The Dying Miner”, worin er Botschaften der in den „Centralia“- Bergwerken Verunglückten einbaute.
Banker
Nicht nur in „I am the jolly banker“ goss er Hohn und Spott aus über Kreditgeber, die in der Krise den Leuten bei lebendigem Leib die Haut abziehen, mit der Polizei als Komplizen.
Waschechte Ganoven wie Pretty Boy Floyd verglich er diesen Gläubigern: „Die einen rauben dich aus mit vorgehaltenem Gewehr; die anderen mit dem Füllfederhalter“.
Einsamkeit
Ein häufiges Thema bei ihm. „Left alone“ schrieb er in New York, mit seiner zweigeteilten Welt aus Elend und Luxus.
Faschismus
Zu Anfang der Hitler´schen Aggressionen war die amerikanische Linke für Nichteinmischung. Das Geld für die Rüstung sollte lieber den Armen zufließen („Peace Pin Boogie“ u.a.). Nach dem Überfall auf die Sowjetunion schlug die Stimmung sofort um. („Dig a Hole“ – Grabt die Nazis tief ein!)
Folk Song
Woodys Definition wurde berühmt: „Was ist nicht in Ordnung und wie kann man es ändern? Wer hat Hunger und keine Arbeit und ist pleite und wer hat das Geld? Das Volk hat diese Lieder erfunden, weil den Politikern dazu nichts einfällt.“
Als in den 1960ern die Folk-Bewegung geradezu Kult wurde, hetzten u.a. religiöse Konservative gegen diese „Unterwanderung“ der Jugend.
Gefangene und Geächtete
Mit „Mister Tom Mooney“ unterstützte er die zwanzig Jahre währende Kampagne für den inhaftierten Streikführer; er setzte sich auch für Sacco und Vanzetti ein, die beiden zum Tode verurteilten Gewerkschafter („Two good men“).
Woody hatte selbst nicht selten mit Polizei und Gefängnis zu tun und hegte wohl auch von daher große Sympathien für Outlaws à la Robin Hood.
Gewerkschaft
„Organisiert euch!“ Streiks und Demos, am Straßenrand oder im Konzertsaal: Woody nutzte alles als Bühne für die Agitation, bis es zuweilen dem Publikum zu viel wurde („Which side are you on ?“).
Gewerkschaftsfrauen
Guthrie und Pete Seeger heckten innerhalb einer Nacht die Lobpreisung auf die Gewerkschaftskolleginnen aus, „Union Maid“, angestachelt von der Genossin Ina Wood, die in den Texten kämpferische Frauen vermisste.
Woody dachte dabei auch an die schwarze Aktivistin Annie Mae Merriweather, die von Bürgermilizen fast gelyncht worden wäre.
Intermezzo
Zwar war Woody jedweder Kommerzialisierung abhold, doch kam er gelegentlich in Versuchung. Als Kettenraucher mit notorischen Geldsorgen ließ er sich einmal zu einer Fünfzeiler-Radio-Reklame für „Model Tobacco“ überreden. Nach einem Monat hatte er es satt.
Jesus
In bester US-Tradition stilisierte Woody ihn zum „hard working man”, der den Reichen entgegentritt und dafür sterben muss („Jesus Christ“).
Die letzten Verse traute man sich damals nicht zu drucken:
„Wenn die Nächstenliebe der Armen einmal in Hass umschlägt und sie die Geduld verlieren, werden sich die Reichen wünschen, dass sie nie geboren wären“.
Klassenjustiz
“ Ein Polizist steht einfach nur daneben, wenn ein Banker einen Farmer ausraubt;
aber wenn ein Farmer einen Banker ausraubt, dann kommt gleich eine ganze Armee von Bullen und schießt auf ihn.“ Ähnlich prägnant, dabei in breitestem Dialekt, äußerte Woody sich einige Jahre lang in seiner Kurz-Kolumne „Woody Sez“ (Was Woody dazu meint) in der KP-Zeitung „Daily World“.
Krankheit
Woodys tragischer Verfall durch die Chorea-Huntington-Krankheit. („Ain´t afraid to die“) wurde gemildert durch die große Anteilnahme seiner Familie und vieler alter und neuer Freunde. Auch junge, bisweilen recht aufdringliche Epigonen pilgerten zu ihm ans Krankenbett, darunter Bob Dylan, der sich später mit „Ode to Woody“ bekannt machte.
Seinen Galgenhumor verlor Woody auch dort nicht: Die geschlossene Anstalt sei „der letzte freie Ort im Land“. Wo sonst könne man sich einfach so hinstellen und „Ich bin ein Kommunist“ schreien, ohne festgenommen zu werden.
Kriegsteilnehmer - die Handelsmarine
Zusammen mit seinem „Almanacs“-Kumpel Cisco Houston ging Woody nach Erhalt seines Einzugsbefehls zur Handelsmarine: „Nehmt euch in Acht, Faschisten!“ (“Talking Merchant Marine”) Sein ergreifendes “Sinking of the Reuben James” über den U-Boot-Angriff auf ein US-Kriegsschiff durch die Nazis wurde überall gesungen. Woody entkam selbst nur knapp einem Torpedoangriff.
Kriegs-Heldinnen
Einer schönen Scharfschützin der Roten Armee setzte er ein Denkmal in „Miss Pavlichenko“: „Die ganze Welt wird dich noch lange lieben, denn mehr als 300 Nazis fielen von deiner Hand.”
Lenin
Woody zitierte gern Lenins Ausspruch: Wo drei Kommunisten zusammen sind, muss einer dabei sein, der die Balalaika spielt. Woody fand, „Arbeiter, Bauern und alle ernsthaften, denkenden Menschen müsse man dazu bringen, zusammen zu singen, zu tanzen und zusammen zu demonstrieren“. Daraus wurde später die Idee de „Hootenanny“ geboren, der Sing-Sessions in Kneipen etc. – Vorläufer der „Sing-out“-Bewegung.
Liebe
Seine Liebeslyrik war zärtlich, albern und in unzeitgemäßem Ausmaß sinnlich. Leider gereichte seine Zuwendung den beteiligten Frauen nicht immer zum Vorteil.
Aus seinem Abgesang auf Oklahoma („So long…) machten Pete Seegers „Weavers“ 1950 ein spritziges, unpolitisches Liebeslied. Dessen kommerzieller Erfolg half Woody und seiner Familie vorübergehend aus der Patsche.
Marx
Woody las viel, war aber kein Theoretiker; am “Kapital” biss er sich nicht lange die Zähne aus. Soweit er an Sitzungen der KP teilnahm, fiel er eher durch Schweigsamkeit bzw. dezentes Schnarchen auf.
Menschenrechte
Dass die US-Verfassung de facto ein Fetzen Papier war, erlebte er auf Schritt und Tritt. “Ich hau dir die Bürgerrechte aus dem Kopf, du verdammter Roter!”, droht sein Polizist in „Talkin´ Constitution“.
McCarthy
Senator McCarthy hetzte gegen den Einfluss der KP auf Radio und Fernsehen. Pete Seeger wurde wegen mangelnder Kooperation zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt.
Woody Guthrie dagegen, der seit 1941 vom FBI beobachtet wurde, war schon zu sehr Volksliebling (und zudem bereits erkennbar krank), so dass er „nur“ auf die Schwarze Liste kam.
Migrant workers - Wanderarbeiter
Die Wanderarbeiter („I ain´t got no home“) mussten auf Schritt und Tritt schikanöse Polizei-Kontrollen über sich ergehen lassen ( „The DoReMi“). Ihren Höhepunkt erreichte die Diskriminierung der „Okies“ um 1939 mit dem Vorschlag, sie wegen ihrer „Minderwertigkeit“ zu sterilisieren.
Migranten - Flüchtlinge und Einwanderer
Mexikaner und Filipinos, aber auch Exilierte aus Europa strömten ins Land, allen noch so restriktiven Gesetzen zum Trotz. In Woodys Lied („Deportee“- u.a. von Joan Baez gesungen) geht es um den Absturz eines Flugzeugs mit mexikanischen Zwangsdeportierten, deren Tod niemanden zu interessieren scheint.
Nationalhymne
„This land is your land“ wurde bereits zu Lebzeiten Woodys als quasi Nationalhymne in amerikanischen Schulen gesungen, ja, sogar anlässlich der Amtseinführungen der US-Präsidenten Nixon (1960), Reagan (1980) und Obama (2009) intoniert.
Bei solcherart Vereinnahmung ließ man drei beißend sozialkritische Strophen wohlweislich weg, wie z.B.: „An der Landstraße sah ich ein Schild: „Privatgrundstück, aber auf der Rückseite stand nix“, Woodys Schlussfolgerung: „ Dieses Land gehört dir und mir“.
Patriotismus
Auch in anderen Liedern besingt Guthrie die Weite und Schönheit der USA – ohne das soziale Elend auszublenden. Seine Songs über den Fluss Columbia zählen zum Besten in seinem Werk („Roll on, Columbia, Roll on“).
In der Version seines Cousins wurde sein Loblied der Berge Oklahomas 1945 (und 1961 in einer weiteren Neuauflage) ein Riesen-Hit.
Privateigentum
Dass sich Jack Guthrie die „Oklahoma Hills“ einfach „ausborgte“, nahm Woody entschieden übel. Dabei hatte er seine mehr 1000 Lieder auch nicht alle selbst komponiert. Pete Seeger erklärte einmal, zwar von Woody geklaut zu haben, „aber er - er hat von allen anderen geklaut“.
Woodys auch ansonsten großzügiger Umgang mit privatem Eigentum kam bei seinem zum Teil vermögenden Freundeskreis nicht immer gut an.
Radiosendungen
Country und Folk waren beliebt und Woody war zeitweilig täglich auf Sendung. Der größten Radiostation CBS brachte der Almanacs-Song „Round and round Hitler´s grave“ Rekordhörerzahlen. 1942 schlugen New Yorker Medien Alarm: “Commie Singers infiltrieren das Radio!“. Die Folge: Nahezu totaler Boykott für die „Almanacs“, für Woody u.a..
Rassismus
In seiner Jugend von rassistischen Klischees umgeben, arbeitete Woody doch viel mit Afroamerikanern zusammen. Nach einem bejubelten gemeinsamen Auftritt mit zwei schwarzen Musikern in Baltimore schickte man diese hinterher an einen „Katzentisch“ für Farbige. Woody bekam einen Tobsuchtsanfall und ohne viel Federlesens wurden alle drei hinauskomplimentiert.
Spanischer Bürgerkrieg
Den Erlös von seinem ersten großen Konzert in New York 1940 spendete Woody für Opfer des Spanischen Bürgerkriegs.
Stalin
Zum Tod Roosevelts, des sozialreformerischen Präsidenten des „New Deal“, für den Woody mit den „Almanacs“ 1940 sogar Wahlkampf gemacht hatte, schrieb er einen Nachruf („Dear Mrs. Roosevelt“). Woodys gezielt provokative Schlussstrophe rief ein großes Gezeter hervor: Roosevelt habe weder de Gaulle noch Tschiang Kai-Shek gemocht, aber Stalin gern die Hand geschüttelt, denn: „Das ist mal ein Mann, der mir gefällt!“
Sozialismus
Als 1948 der Kalte Krieg schon in vollem Gange war, lässt Woody den personifizierten “Socialismo” zu Wort kommen:
„…Und ich bin im Kampf groß geworden…
Sollte ich etwas von deinem Haus abreißen
Auf dem Weg hinauf zu deinen Höhen -
Hab keine Angst; das krieg ich wieder hin,
viel besser, als es vorher war.
Meine Kinder will ich aufziehen
in einem besseren Haus.“
Text: Randolph Oechslein & Eva Petermann Fotos: s76fitz/shannonpatrick17
(Übersetzungen : Eva Petermann)
Literatur (u.a.)
Woody Guthrie: Dies Land ist mein Land. (1943) Hamburg 2012
Will Kaufman: Woody Guthrie: American Radical. Chicago 2011
Barbara Mürdter: Woody Guthrie. Die Stimme des anderen Amerika. Berlin 2012